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The Darkness Within

von Mijra

Kapitel 2

- Kapitel 2 -

Captain Benjamin Sisko schritt unruhig entlang des noch immer leeren Korridors auf und ab. Er selbst hatte schon vor Evans planmäßiger Ankunft mit dem älteren Captain gesprochen und war nicht wenig von dessen selbstsicheren Auftreten beeindruckt. Auch wenn er es sich bei jenem Gespräch am frühen Nachmittag nicht hatte anmerken lassen, Sisko war im Grunde froh über die Tatsache, einen erfahrenen Mann wie Evans bei der Mission dabei zu haben. Zu viel war in den letzten Monaten schief gelaufen, zu viel, das die Position der Sternenflotte im Krieg gegen das Dominion drastisch geschwächt hatte. Wenn auch nur die kleinste Chance bestand, dem Feind innerhalb seiner eigenen Linien einen – wenn auch nicht vernichtenden, dann doch zumindest spürbaren – Schlag zu versetzen, würde er alles Erforderliche dafür tun.

Er hob die Hand an den Kommunikator, hielt jedoch unwillkürlich inne. Wie lange würde es noch dauern, bis die Kalandra an der Luftschleuse andockte? Mit jeder Minute, die das Schiff auf sich warten ließ, wuchs die Unruhe und Angst in Sisko, das Schiff nie wirklich zu Gesicht zu bekommen. Wie lange war es her, dass er das erste Mal diese Furcht vor der Kälte des Weltraumes empfunden hatte? Hatte nicht der Eintritt in die Sternenflotte auf seinem innigsten Wunsch basiert, selbst zu jenen fernen Lichtpunkten zu reisen, die er als Kind jeden Abend von dem kleinen Dachfenster seines Zimmers aus beobachtet hatte? Wie oft hatte er dem fernen Klappern der Küche gelauscht, während sich seine Gedanken bereits weit ab in den Tiefen der Galaxie verloren hatten. Er hatte es heimlich getan. Jeden Abend und ohne das Wissen seines Vaters, der ihn sofort ins Bett geschickt hätte, hätte er gewusst, was sein zwölfjähriger Sohn weit nach Mitternacht noch immer wach in seinem Zimmer trieb. Manchmal war er über den Beobachtungen und Phantasien eingeschlafen, manchmal aber hatte er sich einfach zurückgelegt, die Augen geschlossen und jene Reise in seinen Gedanken weitergeführt.

Wann war es soweit gekommen, dass er selbst Angst vor dem eigenen Traum seiner Kindheit hatte? Er wusste es nicht. Der Krieg veränderte Menschen, er hatte auch bei ihm keine Ausnahme gemacht. Wenn er heute an die Weiten des Alls dachte, kamen seine Gedanken immer wieder auf dieselbe Stelle zurück: Das Dominion. Es war, als wäre sein Geist in einer Endlosschleife gefangen, als existierte nichts, was jene Absurdität der vergangenen Monate an Bedeutung übertreffen konnte. Jeder Tag brachte Neuigkeiten von weiteren Niederlagen, von weiteren Opfern, die dieser Absurdität unterlagen und was das Schlimmste von allem war – Sisko konnte daran rein gar nichts ändern.

Er hatte es versucht. Seit dem Beginn des Krieges hatte er die endlosen Listen der Verschollenen oder Getöteten nicht nur als reine Zahlenabfolge gesehen. Er hatte versucht jeden Namen einzeln wenigstens für die wenigen Sekunden, während er die Stelle las, im Gedächtnis zu behalten, als eine Art letzter Ehre, die dem Leben dieser Person einen letzten Sinn geben sollte. Stunden hatte er vor der großen Tafel verbracht, die Namen jedes Einzelnen heruntergelesen und dabei leise darum gebeten, niemanden wirklich zu kennen. Doch mit der Zeit waren die Spalten und endlose Zahl der Namen zu einer einzigen nichtssagenden Masse verschwommen. Er las sie noch immer, ging noch immer jeden Namen der Reihe nach durch, doch wenn er sie ansah, waren es nur leuchtende, grüne Buchstaben, auf einem schwarzen, leblosen Display – und das würden sie für alle nachfolgenden Generationen bleiben. Zahlen und Namen, deren Bedeutung im Laufe der Geschichte verblassen würden, bis sich letztlich niemand mehr an ihren eigentlichen Wert erinnerte. So sehr er auch die Leben der Verschiedenen in Ehren halten wollte, Tugenden und Ideale waren schwache Gebilde hinsichtlich der Macht und Zerstörung des Krieges.

Und dennoch stand er noch immer hier, noch immer bereit seiner Überzeugung zu folgen und dafür sogar in den Tod zu gehen. Wenn ihm eines in den letzten Monaten bewusst geworden war, dann, dass es nicht nur Gewinner und Verlierer gab. Manchmal musste man verlieren, um zu gewinnen, und manchmal dabei sogar ein Stück seiner eigenen Überzeugung opfern.

Aber er würde nicht so einfach aufgeben. Er wäre nicht all die Jahre Kommandant von DS9 gewesen, hätte er sich angesichts einer ausweglosen Situation so leicht in die Flucht schlagen lassen. Die Aussichten für die Föderation, den Krieg zu gewinnen, standen mehr als schlecht, selbst mit den Klingonen als Verbündeten. Doch was brächte es der Besatzung, würde ihr eigener Captain sich von der Ausweglosigkeit der Situation entmutigen lassen? War es nicht er selbst gewesen, der Bashir vor nicht kurzer Zeit erklärt hatte, er würde nie eine Kapitulation der Föderation als Ausweg, den Krieg zu beenden, gelten lassen, egal, was seine Berechnungen auch sagen mochten? Nein, er hatte es damals nicht und er würde es auch heute nicht. Solang es noch Hoffnung auf den Sieg gab, würde er mit gutem Beispiel vorangehen und für die Freiheit des Alpha-Quadranten eintreten. Das war es, was einen guten Captain ausmachte. Seine Crew brauchte Mut, und er war derjenige, der ihn ihr geben konnte. Noch waren die Ideale der Sternenflotte nicht verloren und auch wenn er verlieren musste, um am Ende zu gewinnen, würde er nicht zögern zu handeln. Sie würden gemeinsam kämpfen – ganz einfach, weil sie Menschen waren.

„Kira an Captain Sisko.“

Der unerwartete Ruf riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn unwillkürlich zusammenfahren. Mit der Rechten tippte er kurz gegen seinen eigenen Kommunikator.

„Sisko hier, sprechen Sie, Major.“

„Die Kalandra hat soeben um Andockerlaubnis gebeten. Ich dachte nur, dass Sie das wissen sollten.“

Sisko nickte kurz zu sich selbst. „Verstanden, Major. Ich bin bereits auf dem Weg. Sisko Ende.“

Nur wenige Sekunden, nachdem Kiras Ruf in der Stille des Andockringes verklungen war, fuhr sich Sisko müde über die Augen, straffte seine Uniform und nahm einen tiefen Atemzug, der seine innere Ruhe wiederherstellen sollte. Er trat einen Schritt zurück und stellte sich etwas abseits des Luftschleusenausganges. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er endlich selbst die Bekanntschaft des berüchtigten Föderationshelden Evans machen würde. Zumindest für den Augenblick wollte er seinen Gedanken nicht mit Tod und Vernichtung belasten.

„Captain!“

Es war Dr. Bashir, der Sekunden zuvor hinter der Abzweigung des Korridorganges erschienen war und nun mit weiten Schritten auf ihn zukam. Ein flüchtiges, verlegenes Lächeln legte sich auf die Züge des Arztes, als er näher trat und einen kurzen Blick auf die noch immer geschlossene Luftschleuse warf.

„Dr. Bashir?“ Sisko wusste nicht recht, was den jungen Arzt herführte, schließlich hätte Kira ihn über eine eventuelle Beschädigung der Kalandra umgehend informiert. Von einem medizinischen Notfall konnte keine Rede sein. Wenn überhaupt sollte Dr. Bashir zu diesem Zeitpunkt auf der Krankenstation sein und eventuelle Verwundete des neuangekommenen Schiffes behandeln.

Wie zur Entschuldigung zuckte Bashir kurz mit den Schultern, als er sich neben den Captain stellte. „Major Kira hat mir gesagt, es gäbe keine schwereren Verletzungen, abgesehen von den üblichen, alltäglichen Vorfällen an Bord eines Raumschiffes. Ich habe Schwester Bendi die Verantwortung über die Krankenstation übertragen, solange ich weg bin.“

Noch bevor Sisko zu einer Antwort ansetzen konnte, erklang eine weitere vertraute Stimme.

„Benjamin, Julian!“

Commander Dax kam mit einer kleinen Umhängetasche über den Schultern aus der anderen Richtung des Ganges und lächelte ihnen aufmunternd zu. „Ich war gerade auf dem Weg ins Laboratorium und da dachte ich mir, wenn ich schon einmal hier bin, kann ich Ihnen Gesellschaft leisten, Benjamin.“ Sisko konnte ihr Unbehagen spüren, als sie sich ebenfalls neben ihn stellte und einen gespannten Blick auf die Luftschleuse warf. Was auch immer Dax hierher geführt hatte, sie war nicht rein zufällig vorbeigekommen. Ebenso wenig wie Bashir.

Sisko zog die rechte Braue hoch, als ein weiterer Gast fluchend um die Ecke trat.

Chief O’Brien schien ziemlich beschäftig mit dem Tricorder in seiner Hand zu sein. Erst zu spät bemerkte er die große Anzahl an Besuchern und kam ruckartig zum Stehen, bevor er in die Ansammlung hineingelaufen wäre. „Was tun Sie denn hier?“ Entgeistert sah er von einem zum anderen, wobei er die Probleme des kleinen technischen Gerätes vollkommen zu vergessen schien. Wie zur Antwort zuckte Sisko mit den Schultern und sah Bashir und Dax fragend an. „Das wüsste ich auch gerne.“

Bashir lächelte verlegen, als er geschlagen die Hände hob. „Ich glaube Ihr kleiner Vortrag heute morgen ist auf ziemliches Interesse gestoßen, Miles“, meinte er in beifälligem Ton, als er vage auf die nächsten zwei Besucher im Bereich der Andockschleuse deutete.

„Ich...dachte nicht, dass hier eine derartige Versammlung stattfindet“, meinte Kira verdutzt, während Odo neben ihr die Hände vor der Brust verschränkte und ein belustigtes Schnauben von sich gab.

„Ich auch nicht“, tadelte Sisko, während er alle anwesenden Führungsoffiziere der Reihe nach ansah.

„Worf!“ Jadzias erfreute Stimme verriet jedem, dass die Versammlung nun komplett war.

Worf, der im selben Moment innegehalten hatte, da er um die Korridorecke gebogen war, stand noch immer unschlüssig in einiger Entfernung und sah die versammelte Offiziersmenge mit finsterem Blick an, als bereue er ernsthaft den Augenblick, in dem er die Entscheidung, den Andockring zu besuchen, gefällt hatte. Seine Haltung erinnerte an die einer bajoranischen Feldkatze, kurz vor der Flucht in die entlegenen Winkel des Untertagebaus, doch die Möglichkeit einer schnellen und unbemerkten Flucht vom Ort des Geschehens, war ihm spätestens von Jadzia genommen worden.

„Ich hätte nicht herkommen dürfen“, murrte der Klingone, als er den Kopf zur Seite drehte und die Bodenplatten neben sich musterte. Sisko wusste genau, wie peinlich es Worf war, auf frischer Tat ertappt worden zu sein.

„Gehe ich Recht in der Annahme, dass wir alle auf dieselbe Person warten?“, fragte

Odo sarkastisch, als er neben Dax trat, um den Weg im Korridor für die ankommenden Passagiere freizugeben.

„Evans?“, schlug Bashir unschuldig vor.

Sisko hatte nicht die Zeit, auf Bashirs Frage einzugehen, als bereits das vertraute Zischen der Luftschleuse zu hören war. Die Köpfe aller Anwesenden fuhren unwillkürlich zu dem großen Zahnrad herum, das sich nur wenige Augenblicke später schwerfällig zu Seite wälzte, um den dahinter zu Tage tretenden Besucherstrom freizugeben. Die ersten Passagiere stiegen zögernd aus, verwirrt über die große Delegation, die sie erwartete, kaum dass sie einen Fuß auf die fremde Raumstation setzten. Sisko nickte vereinzelt aufmunternd, um den Ankommenden zu bedeuten, weiterzugehen und den Durchgang für neue Passagiere freizumachen.

Nach nur wenigen Augenblicken war der große Strom der Eintreffenden versiegt und nur vereinzelte Nachzügler traten in schnellem Schritt durch die Luftschleuse, um den Anschluss an die vorhergehenden Besucher nicht zu verlieren. Sisko konnte sehen, wie jeder seiner Offiziere unbemerkt Ausschau hielt und schmunzelte insgeheim über den Vorteil, Captain Evans bereits persönlich gesprochen zu haben – wenn auch nur über Subraum.

Als schließlich ein älterer, stattlicher Mann in roter Uniform die Stufen herunter trat, war Sisko der erste, der den Schritt nach vorne tat und dem Neuankömmling die Hand entgegenreichte. Der andere nahm sie freundlich entgegen. „Captain Sisko?“

Sisko nickte. „Sehr erfreut, Sie endlich persönlich treffen zu können, Captain Evans.“

Bashir warf O’Brien einen flüchtigen Blick zu, doch der Chief schien ganz von der Vorstellung des Captains in Anspruch genommen zu sein. Julian wagte es jedoch nicht, den Chief durch leises Flüstern auf sich aufmerksam zu machen, obwohl dieser nur eine Handbreit neben ihm stand.

Captain Evans war ein gutaussehender, älterer Mann mit schnittigem Gesicht und schütternem Haar. Seine Haltung zeugte von großer Überlegenheit, doch das Lächeln, das sich auf seine Lippen gelegt hatte, als er Sisko und sein Empfangskomitee gesehen hatte, verliehen ihm eine seltene Sympathie. Als Evans neben Sisko trat, war er von nicht minderer Größe als Sisko selbst.

„Captain Evans, wenn ich Ihnen vorstellen darf, meine Führungsoffiziere, Major Kira, Constable Odo, Commander Dax, Commander Worf, Dr. Bashir und Chief O’Brien.“

Sisko vollführte eine drehende Bewegung mit der rechten Hand und wandte sich schließlich wieder Evans zu. Dieser nickte anerkennend. „Es freut mich, ein derartiges Empfangskomitee zu erhalten, obwohl ich kaum damit gerechnet habe.“ Mit einem schiefen Lächeln fügte er in leicht resigniertem Tonfall hinzu: „Eigentlich hätte ich ein derartiges Aufheben um meine Person nicht erwartet, aber ich danke Ihnen trotzdem. Wenn ich mich vorstellen darf, Captain Evans, für alle, die mich noch nicht kennen sollten.“

Sisko sah seine Offiziere einmal mehr an. „Um ehrlich zu sein, der Empfang war eine Art Kurzentschluss. Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu Ihrem Quartier begleite? Wir werden später noch genug Gelegenheit haben, uns ausgiebig miteinander vertraut zu machen.“ Damit hob er einen Arm, um dem Neuankömmling den Weg zu weisen, woraufhin dieser den übrigen Anwesenden ein letztes, herzliches Lächeln schenkte und dem Captain zum anderen Ende des Korridors folgte.

Nur wenige Augenblicke, nachdem Captain Sisko mit dem Neuankömmling hinter der Korridorbiegung verschwunden war und die versammelte Mannschaft sich in alle Richtungen aufzulösen anfing, waren schnelle, trippelige Schritte zu hören, die sich in raschem Tempo näherten. Als nur wenige Sekunden eine kleine Gestalt von kindlicher Größe um die Ecke gestolpert kam, konnte O’Brien die Überraschung nicht verbergen.

„Nog?“

Als der kleine Ferengi schlitternd vor dem Chief und Dr. Bashir zum Stehen kam, drehten sich auch die anderen verwundert um.

Der Fähnrich warf einen skeptischen Blick zur Luftschleuse, während er ausgiebig nach Luft schnappte.

„Hab ich ihn verpasst?“

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„Und, was halten Sie von ihm?“ O’Brien schritt unruhig auf und ab, mit einer Hand am Kinn und sah ihn erwartungsvoll an.

„Evans?“, fragte Julian ungeduldig, während er sich über die medizinische Konsole der Krankenstation beugte und versuchte, die vor ihm vorüberfliegende Nukleotidsequenz auf Spuren einer postnatalen genetischen Mutation zu durchsuchen. Er hatte die Probe nach dem Eintreffen der Kalandra von dem dortigen leitenden Mediziner Dr. Morgan erhalten, der um seine Hilfe bei der Behandlung einer seiner Patienten gebeten hatte. Obwohl auf Julian zu dieser Zeit mehr als genug Arbeit an Bord der Station wartete, hatte er Dr. Morgan die Bitte nicht abschlagen können, schließlich handelte es sich um das Leben eines Patienten. Er hatte nicht viel Zeit, die Probe auf jene Anomalien zu prüfen die normalerweise solche Symptome hervorrufen würden, wie er sie in dem Krankenbericht der Kalandra gelesen hatte. Wenn er sich beeilte, und die mutierte genetische Disposition schnell genug ausfindig machen konnte, stünden die Chancen des Patienten auf eine baldige Genesung um einiges besser. Die Tatsache, dass ihm nur drei Stunden bis zum Aufbruch der Kalandra blieben, machte ihn zunehmend nervöser, begleitet von der leichten Irritation hinsichtlich O’Briens übertriebener Euphorie.

„Natürlich Evans!“, rief O’Brien in fassungslosem Tonfall. „Haben Sie mir überhaupt zugehört, Julian?“

Der junge Arzt hob den Kopf und sah den Chief mit leichter Resignation an. „Natürlich habe ich Ihnen zugehört, Miles.“ Er ließ den Blick um wenige Zentimeter sinken und seufzte, lehnte sich dann jedoch zurück und sah O’Brien direkt an. „Er sieht nett aus.“

Julian wusste, dass O’Brien eine Erklärung von ihm verlangte und die Krankenstation nicht eher verlassen würde, bis er sie ihm gegeben hatte. Mit dem neben ihm auf und ablaufenden Chief konnte er unmöglich so effizient arbeiten, wie er es angesichts des Zeitmangels musste und die schnellste Art, die Ruhe der Krankenstation wieder für sich zu gewinnen, war, O’Brien Rede und Antwort zu stehen. Zumindest würde er sich nach der kurzen Unterbrechung voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren können.

„Nett? Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt, Julian?“

Wenn er selbst nicht genau gewusst hätte, dass O’Brien nicht wirklich verärgert über ihn war, hätte er sich von dessen Tonfall angegriffen gefühlt. So zuckte er nur mit den Schultern. Er konnte O’Briens Euphorie nicht recht teilen. Zugegeben, er hatte Evans selbst am Schleusentor gesehen und der erste Eindruck, den er auf ihn gemacht hatte, war der einer starken Persönlichkeit. In Bashirs Augen hatte der Chief nicht übertrieben, doch um Genaueres über den Charakter des neuen Captains sagen zu können, war es noch zu früh und Julian hatte einfach nicht die Energie, sich in solch übertriebener Euphorie zu verlieren.

O’Brien schien eine Idee zu kommen, als er unvermittelt stehen blieb und dem Arzt direkt in die Augen sah. „Hätten Sie gedacht, dass Evans schon Anfang Sechzig ist?“

Anfang Sechzig? Für Julian hatte er nicht älter als höchstens Fünfzig gewirkt. Als der Chief die gerunzelte Stirn und den ungläubigen Blick des Arztes sah, stemmte er triumphierend die Hände in die Hüften. Er hatte schließlich doch Julians Interesse wecken können.

„Sind Sie sicher?“, hakte Bashir mit Kopfschütteln nach. Evans sah erstaunlich jung für sein Alter aus.

„Sehen Sie in seiner Krankenakte nach“, bot O’Brien an, doch Bashir schüttelte abwehrend den Kopf.

„Wenn Sie es sagen, Miles.“

O’Brien ließ die Arme sinken. „Was ist mit Ihnen los, Julian? Sie sind doch sonst nicht so...so...“ Der Ire schien nach dem richtigen Wort zu suchen.

„Desinteressiert?“, schlug Julian selbst mit einem humorlosen Lachen vor, wurde dann jedoch ernst. „Es tut mir leid, Miles, wenn ich Ihre Aufregung angesichts der Ankunft Evans nicht ganz teilen kann, aber sehen Sie: Ich hatte eine schlechte Nacht, habe eine Menge Arbeit, die auf mich wartet und stehe unter enormem Zeitdruck. Das Einzige, was ich jetzt tun möchte, ist, einfach alles hinter mich zu bringen. Mag sein, dass Captain Evans wirklich der unglaubliche Föderationsheld ist, für den Sie ihn halten, aber uns bleibt noch genug Zeit, das herauszufinden.“

Verwirrt sah O’Brien ihn an. „Tut mir leid, Julian, Sie haben Recht. Vielleicht sollte ich mich auch besser an die Arbeit machen. Ich bin sicher, die Phasenmodulationsspulen warten schon ungeduldig auf ihren Einbau.“ O’Brien drehte sich mit einem Schulterzucken um und ging in Richtung Tür.

„Miles...“, fing Bashir bittend an. Das Letzte was er nun brauchte, war ein gekränkter Freund.

Als der Chief jedoch die Tür erreicht hatte und sich noch einmal zu Bashir umdrehte, lag ein aufmunterndes Lächeln auf seinen Zügen. „Schon in Ordnung, Julian. Aber bitte geben Sie auf sich Acht.“ Dann verließ er die Krankenstation und verschwand hinter dem sich mit einem leisen Zischen schließenden Schott, während Bashir ihm noch immer hinterher starrte.

Erschöpft nahm Julian den Kopf in die Hände. Sein Körper fühlte sich noch immer matt und ausgelaugt an, als haben die nächtlichen Stunden kaum die Kraft besessen, seinen Muskeln die am Vortag verbrauchte Energie zurückzugeben.

Er hatte O’Brien nicht verärgern wollen und es tat ihm leid, nicht mehr Interesse für Evans aufbringen zu können, doch nachdem er den Captain an der Luftschleuse des Andockringes mit eigenen Augen gesehen hatte und er sich nicht, wie O’Brien es vielleicht erwartete, als Übermensch präsentiert hatte, war Julians spärlich zusammengesammelte Energie erschöpft. Er hatte nicht gelogen, als er dem Chief erklärte, dass das Einzige, was er jetzt tun wolle, die anstehende Arbeit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, sei.

Mit wenigen Handgriffen legte er die Krankenakte des Patienten der Kalandra auf den Monitor und nahm seine verbleibende Konzentration zusammen. Während er erneut die endlosen Reihen von vertrauten Basepaaren humanoider DNS durchging, fiel sein Blick auf eine Veränderung der Basen- und Desoxiriboseverbindung am Ende des dreiundsechzigsten Basenpaares. Mit schnellem Griff hielt er die stetig rotierende Abfolge an, lehnte sich zurück und nahm gedankenverloren die Hand ans Kinn.

„Computer, vergleiche die jetzigen Basenpaare Adenin und Guanin des dreiundsechzigsten Basenpaares, sowie die Folgepaare in beiden Richtungen des Patienten mit den Aufzeichnungen von der Kalandra für den Zeitraum von zwei Wochen. Lässt sich hierbei ein Unterschied der komplementären Eigenschaft feststellen?“

„Negativ, die Muster stimmen zu hundert Prozent überein.“

Julian versuchte das Problem auf eine andere Art und Weise anzugehen. Er war sich sicher, in jener Abfolge der Nukleotidsequenz den Schlüssel für die Symptome des Patienten finden zu können, doch ohne genau sagen zu können, nach was er überhaupt suchen musste, erwies sich eine Nachforschung der Ursache als erheblich kompliziert.

„Computer, erstelle eine Tabelle mit allen bekannten Fällen, in denen die Symptome der aufgetretenen Krankheit mit denen des Patienten übereinstimmen. Vergleiche hierbei die genannten Nukleotidsequenzabschnitte und setze sie in Beziehung zueinander.“

„Verstanden. Vorgang wird einige Minuten dauern“, antwortete die ausdruckslose Stimme des Computers.

Er war auf dem richtigen Weg, davon war er überzeugt. Vielleicht würde er es sogar rechtzeitig bis zum Aufbruch der Kalandra schaffen.

„Doktor Bashir?“ Eine junge bajoranische Schwester kam mit zögernden Schritten auf ihn zu und reichte ihm ein Daten-PADD. „Die Anforderung der Sternenflotte eines Berichts über Commander Carter.“

Als er gedankenverloren nach dem PADD griff, das sie ihm bot, konnte er die Verärgerung nicht ganz aus seiner Stimme bannen. „Starfleet will einen Bericht über Commander Carter?“

Die Schwester nickte kurz unsicher, blickte dann jedoch schnell zu Boden. Mit einem schweren Seufzen wandte sich Julian der jungen Bajoranerin zu, der es sichtlich unangenehm war, ihn während seiner Arbeit unterbrechen zu müssen. „Schon in Ordnung, Schwester Lamara. Ich werde mich darum kümmern“, versuchte er mit einem aufmunternden Lächeln, bevor er sich erneut der noch immer rotierenden Nukleotidsequenz zuwandte.

Warum brauchte Starfleet Medical einen Bericht über die Behandlung von Commander Carter, wenn es genug Dinge gab, die wichtiger waren, als die immergleiche Beschreibung der Behandlung kleinerer Verletzungen? Er beschloss, Prioritäten zu setzen. Mit dem Bericht würde er sich später befassen.

„Vergleich abgeschlossen. Tabelle wurde erstellt.“

Als die endlosen Zahlen und Buchstabenkombinationen auf dem schwarzen Monitor herunterrasselten, sah Julian unwillkürlich auf den Stationschronometer. Es war noch immer später Nachmittag, obgleich es auf der Krankenstation unerwartet ruhig war. Während er auf das Ende der Auflistung wartete, schloss er unwillkürlich die Augen.

Es würde ein langer Abend werden.
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