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Hoch zwei

von Kassandra

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Malcolm faltete das Papier wieder ordentlich zusammen und legte die Bögen sorgsam, beinahe vorsichtig, auf das Bett neben sich. Er fragte sich, wo sein zukünftiges Ich das feine Papier in diesem seltsamen dreieckigen Format organisiert hatte. Von der Tinte und der Füllfeder, mit der der Brief offensichtlich geschrieben worden war, ganz zu schweigen.
Schon seit einer halben Ewigkeit hatte Malcolm keine Post mehr bekommen. Er war auch kein großer Briefeschreiber – das hatte sich seit seiner Kindheit nicht geändert. Umso seltsamer mutete die Tatsache an, dass sein zukünftiges Selbst scheinbar den Wunsch verspürt hatte, sich seinem früheren Ich auf diese Weise mitzuteilen.
Malcolm runzelte die Stirn. Er spürte das erste Stechen einer beginnenden Kopfschmerzattacke -- eine typische Begleiterscheinung dieser verzwickten Zeitreise-Probleme. Der menschliche Geist, zumindest der von Malcolm, war nicht dazu geschaffen Dinge wie diese zu verstehen. Egal wie oft man versuchte es ihm zu erklären. Wenn Malcolm noch einmal die Worte „Großvater-Paradoxon“ hören sollte, dann konnte er für nichts garantieren.
Er stopfte die Bögen in den Umschlag zurück.
Lorian hatte Malcolm ganz unerwartet in seinem Quartier aufgesucht. „Sie haben diesen Brief vor langer Zeit an sich selbst geschrieben. Lesen Sie,“ hatte Lorian ihm praktisch befohlen.
Der Umschlag in seiner Hand hatte sich erstaunlich weich angefühlt. Lorian hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und ihn ernst angeblickt. Im nächsten Moment war Malcolm mit seiner Entscheidung allein gewesen, und sie hatte ihn fast eine Stunde gekostet. Malcolm war sich nicht sicher gewesen, ob er überhaupt etwas über sein zukünftiges Leben wissen wollte, geschweige denn durfte. Auch wenn diese Grenze mit seinen vorherigen Nachforschungen bereits überschritten worden war. Das Wissen, dass er unverheiratet geblieben war; allein für den Rest seines Lebens, hatte Malcolm schwer getroffen. Noch mehr Hiobsbotschaften hätte er nicht verkraftet.
Und jetzt... Jetzt dachte er an die Beeinflussung der Zukunft und hätte fast aufgelacht. Wenn das hier nicht die Zukunft, jede mögliche Zukunft, beeinflussen würde, was dann? Malcolm wünschte sich, er hätte den Brief zerrissen oder verbrannt oder aus der Luftschleuse geworfen oder... -- zur Hölle, er hätte ihn besser *essen* sollen!
Ungeschickt fingerte Malcolm die Bögen wieder hervor. Eine Seite bekam einen Riss, und er schnitt sich an dem Umschlag in den Finger.
Malcolm las noch einmal, in der vagen aber einzigen Hoffnung, der Inhalt könnte nun wie von Zauberhand ein ganz anderer sein.
„Es wird einige Zeit dauern, aber du und Jeremy, ihr werdet feststellen, dass ihr mehr gemeinsam habt, als ihr im Augenblick bereit wärt zuzugeben,“ hieß es dort, direkt nach den üblichen Begrüßungsfloskeln, immer noch. Er las den Satz zweimal.
Jeremy war eindeutig ein Männername. Malcolm hatte schon beim ersten Lesen das ungute Gefühl gehabt, das sich einen Satz später als Tatsache herausstellen sollte.
„Wir leben seit fünf Jahren in einem gemeinsamen Quartier. (In einer Beziehung. Ich kenne dich. So hast du keine Chance dies irgendwie falsch zu verstehen – und ich weiß, das würdest du am liebsten tun.)“
Es war irgendwie ein... entblößtes Gefühl, so durchschaut zu werden. Auch wenn dies, rein technisch gesehen, höchstens einer Selbsterkenntnis gleichkam.
„Du wirst jetzt schockiert sein.“
Und ob.
„Ihr hattet nicht den besten Start. Du hast Jeremy misstraut und ihm fehlgeleiteten beruflichen Ehrgeiz unterstellt, und er hat dich schlicht für arrogant und paranoid gehalten.“
Jeremy. Zuerst hatte Malcolm mit dem Vornamen nicht einmal eine Person in Verbindung bringen können. Doch an dieser Stelle war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Jeremy. Auf seiner Uniform hieß es Major J. Hayes. Jeremy Hayes.
Wie sollte er dem Major bloß jemals wieder in die Augen sehen können?
„Wir hatten damals beide Unrecht, und das hat uns Jahre gekostet. Macht nicht denselben Fehler. Die Anziehung zwischen uns ist mir erst sehr spät bewusst geworden, aber sie beruhte auf Gegenseitigkeit, glaub mir.“
Probeweise versuchte Malcolm zum ersten Mal sich vorzustellen, wie er und *Jeremy*... Er versuchte sich einen Kuss auszumalen. Sehr vorsichtig, wie immer wenn er einen Fuß auf unbekanntes, potentiell gefährliches Terrain setzte, begann er mit dem Gesicht seines Gegenüber, das lächeln, oder zumindest nicht grimmig dreinschauen sollte. Allein dieser Gedanke war schon fast unmöglich umzusetzen. Das Gesicht kam näher, noch näher und schloss die Augen und dann...
Malcolm fuhr auf. Es ging nicht. Zeitreise hin oder her, vielleicht waren er und der andere Malcolm ja doch verschieden. Grundverschieden. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, einen Mann zu küssen. Schon gar nicht *diesen* Mann.
„Falls du dich fragen solltest: Jeremy wird augenblicklich für diese Möglichkeit genausowenig offen sein wie du.“
Malcolm hatte sich das tatsächlich gefragt. Eigentlich schien diese Vorstellung absurd. Hayes, durch und durch Soldat, ein tougher Kerl, ausgerechnet der sollte vom anderen Ufer sein? Malcolm wusste von einigen Crewmitgliedern, bei denen das der Fall war. Aber bei dem Major hatte er nie die leiseste Vermutung gehabt. Um fair zu bleiben, auch bei sich selbst nicht.
„Ist es nicht beruhigend, dass ihr beide mit demselben Unwissen in diese Sache schlittern werdet?“
Nein. Eigentlich nicht besonders. Malcolm würde es vorziehen, überhaupt nirgendwo hineinzuschlittern. Und sollte er sich tatsächlich, was höchst unwahrscheinlich war, dazu entschließen, etwas zu unternehmen, würde diese Tatsache die Dinge noch mehr verkomplizieren. Jeremy, nein, *Major Hayes* würde genau dasselbe durchmachen müssen wie Malcolm jetzt. Nur, dass ihm nicht noch zusätzlich diese Entscheidung aufgezwungen werden würde.
„Du musst selbst wissen, ob du ihm von diesem Brief erzählen willst. Aber ich rate dir, unternimm etwas. Verschwende keine Zeit. Mein Jeremy wird keinen Brief an sich selbst schreiben. Und von diesem hier weiß er nichts. Er hält diese Aktion für gefährlich, wegen der Kontinuität der Zeitlinie und so weiter. Du weißt schon.“
Und ob er das wusste. Malcolm seufzte. Was hatte sein zukünftiges Ich sich bloß gedacht? Er würde Hayes ganz sicher nicht auf dem Korridor auflauern und ihn mit einem plumpen Spruch anbaggern. Malcolm musste bei dieser absolut lächerlichen Vorstellung unwillkürlich grinsen. Nicht in diesem und in keinem anderen Universum.
Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, dem Major wieder in die Augen sehen zu können, ohne rot zu werden. Das Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“ würde in diesem Fall hoffentlich seine Wirkung nicht verfehlen.
Die klügste Entscheidung wäre sicherlich gewesen, den Brief gleich zu vernichten, aber dazu konnte sich Malcolm aus irgendeinem Grund nicht durchringen.
Seine persönlichen Besitztümer füllten kaum den Raum in dem Regal in seinem Quartier aus. Ein Platz zwischen den Seiten der Vorschriften der Sternenflotte für den Kampfeinsatz musste als Versteck genügen.
Den Rest der Nacht bis zum Beginn seiner Schicht verbrachte Malcolm im Fitness-Raum.


# # #


Malcolm war sich nicht bewusst gewesen, dass er Hayes in den folgenden Tagen bei jeder sich bietenden Gelegenheit beobachtete, bis er mit der Nase darauf gestoßen wurde.
„Was hat er jetzt schon wieder getan?“ Trip warf Malcolm über den Rand seiner Kaffeetasse einen entnervten Blick zu.
„Wer?“ fragte Malcolm, ehrlich verwirrt.
„Na, Hayes. Wenn deine Blicke Phaserstrahlen wären, hättest du ihn schon längst desintegriert.“
Malcolm sah, offensichtlich nicht zum ersten Mal, hinüber zu der Gruppe MACOs am anderen Ende der Offiziersmesse. Sie nahmen schweigend ihre Mahlzeiten ein, ganz im Gegensatz zu ihrem üblichen eher lauten Gebahren. Malcolm schrieb das der Präsenz ihres Vorgesetzten zu.
Inmitten der MACOs widmete Hayes seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Essen vor ihm. Malcolm konnte sich nicht erinnern, dass Hayes jemals einer Aufgabe, ob dienstlich oder nicht, mit weniger als seiner ungeteilten Aufmerksamkeit und einer absoluten militärischen Präzision begegnet war.
Und Malcolm musste es wissen, er hatte den Mann schließlich seit einigen Tagen beobachtet, stellte er milde überrascht und beunruhigt fest. Ohne dass Hayes etwas bemerkt hatte, was Malcolm wiederum mit einem kindischen Gefühl des Triumphes erfüllte. Denn Hayes war gut in seinem Job, und seine eiserne Disziplin erschien Malcolm meistens genauso entnervend wie bewundernswert.
Er wandte den Blick ab. „Es ist nichts vorgefallen.“
„Klar,“ meinte Trip und glaubte ihm offensichtlich kein Wort. „Noch eine Schlägerei und der Captain wirft euch beide aus der Luftschleuse, das ist dir klar, oder?“
Malcolm warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der Trips Grinsen nur verbreiterte.


# # #


Allen Vorsätzen zum Trotz lernte Malcolm jeden Tag etwas Neues über Hayes.
Er mochte keine Erbsen, arrangierte sie zu einem Muster auf dem Teller und ließ sie dann zurückgehen. Er kannte die Enterprise wie seine Westentasche. Er bewegte sich immer so überlegt und präzise, als befände er sich im Kampfeinsatz, auch wenn er nur einen Korridor entlang schritt. Niemand nannte ihn beim Vornamen, er war *Major* oder *Sir*. Ihm war ein Einzelquartier zugeteilt worden, er hätte aber nicht darauf bestanden. Wenn er nervös war, zupfte er sich am Ohr. Seine Freizeit verbrachte er mit Fitness- und Kampftraining. Die einzige Zivilkleidung, die er mit auf das Schiff gebracht hatte, waren bequeme Sporthosen und Laufschuhe. Loyalität ging ihm über alles. Er rasierte sich täglich. Sein Aftershave roch nur entfernt nach Moschus. Er aß bevorzugt allein, zumeist mit einer Lektüre, die seine Einheit, die Enterprise oder die Mission betraf. Er verlangte von seinen Leuten nichts, das er nicht auch selbst bereit war zu tun.
Keine seiner Handlungen ließen auf übermäßige Arroganz, ungesunden Ehrgeiz oder verborgene Motive schließen.
Malcolm lernte auch über sich selbst.
Er war nicht so unvoreingenommen, wie er geglaubt hatte. Paranoide Gefühlsanwandlungen waren ihm genausowenig fremd wie eine profunde Unsicherheit. Aus den Augenwinkeln konnte er stundenlang beobachten und war darin noch geschickter als er es sich selbst zugeschrieben hatte. Es war für ihn durchaus möglich, eine Menge Zeit mit außerdienstlichen Aktivitäten zu verbringen, wenn er es darauf anlegte.
Und, was tiefes Unbehagen in Malcolm auslöste, seine persönliche Situation konnte unter bestimmten Voraussetzungen seine Arbeit beeinträchtigen...



Die Besprechung der kommenden Trainingslektionen mit Hayes lieferten ein anschauliches Beispiel dafür. Hayes hatte noch niemals gründlicher den Boden mit ihm aufgewischt als an dem Tag. Nur gut, dass keine Zuschauer anwesend waren.
„Sie sind unkonzentriert,“ tadelte der Major, und es war Malcolm erstaunlich egal. Hayes Lippen berührten beinahe Malcolms Ohr -- er konnte den warmen Atem an seinem Hals spüren. Der Boden unter ihm drückte hart auf empfindliche Stellen, und Hayes Griff, der seinen Arm auf dem Rücken hielt, war fest wie ein Schraubstock. Dennoch wollte Malcolm kein einziges Manöver einfallen, das seine Situation irgendwie verbessert hätte. Dafür erinnerte er sich nur zu deutlich daran, wie Hayes schwarzes Shirt dessen muskulösen Oberkörper zur Geltung brachte.
„Nicht mein Tag,“ brachte er hervor.
Hayes löste den Griff und erhob sich. „Das erzählen Sie am besten auch den Xindi. Die werden sicher schwer beeindruckt sein.“
Malcolm richtete sich auf. „Wäre einen Versuch wert,“ erwiderte er und bemerkte im nächsten Moment Hayes Gesichtsausdruck. „Was?“
Grinsend bot ihm Hayes eine Hand dar. „Sie sind nicht mehr so leicht auf die Palme zu bringen wie früher.“ Er klang fast ein wenig enttäuscht.
„Ich kann auf eine weitere Standpauke vom Captain verzichten,“ sagte Malcolm trocken. Er nahm die dargebotene Hilfe an und zog sich hoch. Hayes Hand war warm und weich und irgendwie... Der Kontakt dauerte einen Sekundenbruchteil zu lange an.
„Wir sind hier fertig,“ sagte Hayes und trat einen Schritt zurück. Das Grinsen war verschwunden.
„Übermorgen, gleiche Zeit?“ schlug Malcolm vor, und floh so schnell es seine Würde erlaubte. In seinem Quartier angekommen, gönnte er sich vor dem Schlafengehen eine lange, kalte Dusche.


# # #


Mit der ernüchternden Erkenntnis, dass Malcolm sich tatsächlich körperlich von einem Mann, von *Hayes*, angezogen fühlte, kam die Panik. Während der folgenden Trainingsstunde vermied er es möglichst, dem Major zuzusehen. Die geübten und kraftvollen Bewegungen, mit denen Hayes seine Kampfpartner auf die Matte schickte, besaßen einen ästhetischen Reiz, den Malcolm bis dahin nicht zu würdigen gewusst hatte. Und der Effekt, den angemessen platzierte Schweißperlen auf Malcoms Phantasie haben konnten, machte ihm nicht weniger Angst.
Dann bewog eine Nacht mit allzu lebhaften Träumen Malcolm dazu, dem Major auch während des Dienstes möglichst aus dem Weg zu gehen.Zu diesem Zeitpunkt stand für Malcolm fest, dass es an der Zeit für eine Änderung der Strategie war. Verdrängung funktionierte nicht. Er musste den Frontalangriff starten und sich selbst mit einer ordentlichen Dosis Realität die fixen Ideen bezüglich des Majors austreiben.


# # #


Das erste Mal, als Malcolm sich in der Messe zu Hayes an den Tisch setzte, war er ein wenig nervös und ziemlich neugierig auf dessen Reaktion.
„Ist der Platz noch frei?“
Hayes sah ihn einen Augenblick lang überrascht, dann misstrauisch an. Er nickte. Malcolm setzte sich und sortierte sein Besteck. „Und, wie ist der Hackbraten heute?“
„Essbar,“ antwortete Hayes kurz angebunden. „Wollten Sie etwas Bestimmtes, Lieutenant?“
„Mittagessen,“ erwiderte Malcolm ebenso knapp.
Hayes Augen verengten sich, dann wandte er sich wieder seiner Lektüre zu.
Obwohl die Aufmerksamkeit vieler Menschen in der Offiziersmesse in diesem Moment auf ihn gerichtet war, und Hayes ihn nicht gerade willkommen geheißen hatte, war Malcolm recht zufrieden mit sich. Er legte sein eigenes Padd auf den Tisch und begann zu lesen.


Das zweite Mal, noch am selben Tag, beeindruckte Malcolm die übrige Crew schon weit weniger. Die Gerüchteküche arbeitete extrem schnell auf der Enterprise.
Malcolm ließ sich mit seinem Tee ungefragt neben Hayes nieder, was ihm diesmal nur ein kurzes Stirnrunzeln einbrachte.
„Major.“
„Lieutenant.“
Den Rest der Zeit verbrachten sie schweigend, jeder mit der eigenen Lektüre beschäftigt.


Am nächsten Tag sah Hayes nur kurz auf, als Malcolm sich seinem Tisch näherte. Malcolm fand, dass es an der Zeit war, das beiderseitige Schweigen zu brechen. „Stimmt etwas nicht mit den Erbsen?“ fragte er unschuldig und deutete mit dem Messer auf Hayes ansonsten geleerten Teller.
„Nein.“
„Aber?“
Hayes seufzte kaum hörbar. „Ich esse keine Erbsen.“
„Könnte ich dann...“
„Bedienen Sie sich.“ Hayes legte sein Padd zur Seite und sah zu, wie Malcolm methodisch beide Teller leer schaufelte.
„Bei den Mengen, die Sie verspeisen, ist es ein Wunder, dass Sie so gut in Form sind,“ sagte Hayes. Im nächsten Moment presste er die Lippen zusammen.
„Danke,“ brachte Malcolm undeutlich zwischen Erbsen und Kartoffeln hervor, schockiert über das offensichtliche Kompliment. Kaum weniger schockiert als Hayes, der sich schnell wieder in sein Padd vertiefte.
„Und *Sie* halten sich auch ohne Gemüse ganz gut,“ gab Malcolm zurück.
Hayes hielt einen Moment lang inne. Schließlich grinste er. „Was heißt hier ohne Gemüse? Meinen Spinat esse ich immer auf.“
Malcolm tat das nie. Er hasste Spinat, aber woher sollte Hayes das wissen? Hatte Hayes Malcolm ebenfalls beobachtet? Diese Möglichkeit schien auf eine aufregende Art wahrscheinlich.
„Gut für Sie,“ sagte Malcolm und versuchte sich an einem unverkrampften Lächeln.


Am Tag darauf kam keiner von beiden dazu, während des Essens sein Padd auch nur zu aktivieren. Eine Bemerkung über die letzte Trainingslektion führte zu einer Diskussion über Kampftechniken und dann zu einer Debatte über die Vor- und Nachteile von Sternenflotten- und MACO-Ausbildung und endete in einem Austausch von persönlichen Akademie-Geschichten. Malcolm hatte schon lange nicht mehr gelacht. Und Hayes hatte selten so gut ausgesehen. Köpfe drehten sich während dieser Mahlzeit überrascht zu ihnen herum.
Nach dem Essen schlug Malcolm, ohne weiter darüber nachzudenken, ein gemeinsames Ausdauertraining vor. Hayes stimmte zu.
Die Erkenntnis traf Malcolm ganz unverhofft, einige Zeit später, während der Rekonstruktion der Zielerfassungsscanner: Sein sorgfältig durchdachter Frontalangriff war noch kolossal erfolgloser als die Verdrängungstaktik. Er war tatsächlich dabei Hayes anzubaggern und hatte sich gerade das erste Mal offiziell mit ihm verabredet.
Paralysiert ließ er den Schraubenschlüssel, mit dem er gerade die Abdeckplatte eines Relais öffnen wollte, in ein Netz von freigelegten Leitungen fallen. Der Kurzschluss legte mit einem beeindruckenden Feuerwerk die komplette Energieversorgung auf dem Waffendeck lahm. Unter den fliegenden Funken bildeten sich Brandblasen auf Malcolms Haut. Er bemerkte sie erst, als Trip ihn zur Tür hinaus auf den dunklen Flur schob.
„Geh damit zur Krankenstation,“ befahl er. „Und komm bloß nicht so bald zurück.“
Irgendwie klang Trip genervt, fand Malcolm.


# # #


Auch wenn Malcolm dem Doktor nicht wirklich zuhörte, der stetige Strom von mehr oder weniger interessanten Informationen wirkte irgendwie beruhigend auf Malcolm, wie Meeresrauschen auf einen Schlaflosen.
Als der Arzt eine Zeit lang schwieg und ihn erwartungsvoll anblickte, schreckte Malcolm auf. „Hm?“
„Ob Sie im Augenblick noch Schmerzen verspüren, habe ich gefragt.“
„Nein.“
Phlox legte vorsichtig einen Verband um die versorgten Wunden.
„Doktor,“ begann Malcolm. Er zögerte. „Wenn ich Ihnen eine Frage stelle, fällt diese doch unter die Schweigepflicht, oder?“
„Natürlich.“
Nach einer weiteren Minute Stille konnte Malcolm sich endlich überwinden. „Ihres Wissens, gibt es gleichgeschlechtliche Paare an Bord der Enterprise?“
Der Doktor sah ihn ernst an. „Fragen Sie aus dienstlichen Gründen? In dem Fall würde ich es vorziehen, keine Auskunft zu geben.“
„Nein, nein,“ versicherte Malcolm schnell. „Ich frage auch nicht nach Namen, sondern nur... generell. Aus rein, äh, privatem Interesse.“
Phlox brauchte nicht lange, um an Malcolms hochrotem Kopf die Motivation hinter dieser Frage abzulesen. Ein breites Grinsen legte sich über sein Gesicht.
„Dann können wir uns unterhalten.“


Hätte ich bloß nichts gesagt, dachte Malcolm, als er die Krankenstation in einem bisher unerreichten Stadium der Verlegenheit wieder verließ. Der Doktor hatte ihm sehr ausführlich all sein Wissen über das Thema vermittelt. Scheinbar fand er Homosexualität unter Menschen „hochinteressant“. Ein Padd mit detaillierten Informationen, die Phlox zusammengetragen hatte – vor allem Bilder – sowie ein ganzer Haufen Kondome und drei Tuben Gleitmittel (Rechnete der Doktor mit *Orgien*?!) steckten in verschiedenen Taschen von Malcolms Uniform.
„Sie und der Major werden das schon hinkriegen,“ hatte Phlox zum Abschied gesagt, breit gelächelt und die Tür hinter ihm verschlossen.
Malcolm hatte ihm gar nicht gesagt, um wen es eigentlich ging.
Auf dem schnellsten Weg suchte er sein Quartier auf, um die neuen Habseligkeiten wieder loszuwerden. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit wünschte Malcolm sich eine größere persönliche Habe. Er hatte wirklich keinen Platz um etwas zu verstecken. Mit einem Seufzen leerte er seine Taschen aus und schob alles unter die Matratze. Nicht besonders einfallsreich, aber es musste genügen. Müde setzte er sich auf das Bett.
Der Türmelder ertönte.
„Herein,“ sagte Malcolm geistesabwesend und schluckte, als Hayes sein Quartier betrat. Richtig, das Training – das hatte er schon wieder vergessen.
„Lieutenant.“ Der Major trat ein und sah sich unauffällig um. Unbekanntes Terrain, dachte Malcolm. „Major.“
„Können wir dann...,“ begann Hayes, dann fiel sein Blick auf Malcolms Arm. „Was ist passiert?“
„Leichte Verbrennungen, nichts Ernstes,“ sagte Malcolm schnell und rückte etwas zur Seite, als Hayes neben ihm auf dem Bett Platz nahm. Wäre nicht alles so furchtbar peinlich gewesen, Malcolm hätte laut loslachen können. Hayes saß auf den Kondomen, den überaus pornographischen Bildern und allem, was Zeugnis über Malcolms neue Besessenheit ablegte, wie die Prinzessin auf der Erbse.
„Also, heute kein Sport,“ stellte Hayes fest und streckte automatisch die Hand nach Malcolms bandagierten Arm aus. Als Hayes bemerkte, was er tat, zog er sie schnell zurück. „Dann kommen Sie doch mit mir in die Messe, einen Kaf... Tee trinken.“
Malcolm blinzelte. „Gern. Und, wie wäre es... Mein Name ist Malcolm,“ fügte er hinzu.
„Jeremy.“
Das weiß ich, dachte Malcolm. Und diesmal hast *du* mich eingeladen.
„Gehen wir.“


# # #


„Ich trinke nie wieder Tee,“ grummelte Hayes, während er in der Dekontaminationskammer auf und ab schritt. Von Zeit zu Zeit stützte er sich an der Wand ab.
„So etwas passiert mir auch zum ersten Mal,“ sagte Malcolm entschuldigend. „Und ich trinke schon mein ganzes Leben lang Tee.“ Erschöpft wie er war, hatte es sich Malcolm auf einer der Pritschen bequem gemacht. „Setz dich hin, du machst mich nervös.“
„In kochendem Wasser sollten Bakterien doch eigentlich absterben,“ beschwerte sich Hayes.
„Nicht alle. Außerdem sind es außerirdische Bakterien. Und sie sind zwar übertragbar, aber nicht lebensgefährlich. Ein bisschen Schwindel wirst du ja wohl noch aushalten.“
Resignierend ließ sich Hayes auf die zweite Pritsche fallen. „Natürlich. Mindestens so gut wie du.“
Malcolm rollte die Augen zur Decke.
Obwohl ihm das Du angeboten worden war, in Malcolms Gedanken war Hayes immer noch Hayes, stellte er fest. Irgendwie wollte sich *Jeremy* nicht als Namensschild anheften lassen. Hayes blieb Hayes.
„Hier kommt die Medizin,“ unterbrach die viel zu fröhliche Stimme des Doktors seine Gedanken.
„Ich liege gerade erst - laut deiner Order,“ sagte Hayes und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Du gehst.“
„Aber natürlich.“ Malcolm erhob sich kopfschüttelnd, bereute diese Aktion sehr schnell und bewegte sich in unbeabsichtigten Schlangenlinien hinüber zu der Schleuse.
Der Doktor hielt hinter dem Sichtfenster zwei Behälter hoch. „Das hier sind Tabletten, von denen Sie jeweils eine mit viel Wasser heute abend und morgen früh einnehmen.“ Er schob einen Behälter in die Schleuse.
„Und hiermit cremen Sie sich bitte ein. Vollständig.“
Malcolm runzelte die Stirn. „Aber ich dachte, wir haben nur so eine Art Lebensmittelvergiftung. Warum...“
„Morgen früh um neun werden Sie hoffentlich in die Freiheit entlassen. Gute Nacht!“ Der Doktor zwinkerte ihm zu. „Viel Spaß,“ flüsterte er und schloss die Sichtklappe.
Malcolm fiel die Kinnlade herunter. Das hatte Phlox gerade nicht wirklich getan!
„Was hat er gesagt?“
Die beiden Behälter wie einen Schild vor sich haltend, drehte Malcolm sich um. „Wir haben Tabletten zu schlucken. Und Lotion zum...“ Er gestikulierte.
„Lotion?“ fragte Hayes strinrunzelnd. „Bei einer Lebensmittelvergiftung?“
„Frag mich nicht. Ich bin kein Arzt.“
Malcolm ließ sich wieder auf seiner Pritsche nieder. Hayes setzte sich vorsichtig auf. Sie teilten sich eine Flasche Wasser und schluckten die Tabletten.
Der Rest würde nicht ganz so einfach werden, vermutete Malcolm.
Oder aber vielleicht doch, denn Hayes erhob sich ohne ein weiteres Wort und begann, sich schnell und effizient seiner Uniform zu entledigen. Malcolm öffnete eine neue Wasserflasche; sein Mund war plötzlich sehr trocken. Standard-Sternenflotten-Unterwäsche hatte Malcolm bisher nicht für besonders vorteilhaft gehalten, aber offensichtlich musste er sein Urteil revidieren.
„Was ist?“ Hayes hielt inne, mit nacktem Oberkörper, das Hemd noch in der Hand. „Mach schon. Ich reibe deinen Rücken ein, wenn du meinen einreibst.“ Er grinste.
Konnte sich nicht bitte das Deck öffnen und ihn verschlingen? Malcolm schluckte schwer. Jetzt die Uniform auszuziehen, die wenigen Lagen Stoff, die noch die vage Illusion von der greifbaren Möglichkeit trennten, das war eine schlechte Idee. Ganz, ganz schlechte Idee.
Und die Uniform versteckte zumindest noch die ein oder andere körperliche Reaktion. Aber es war ja nicht so, dass er eine Wahl hatte.
Als er sich gerade die Socken und die Uniformjacke ausgezogen hatte, hielt Hayes ihm schon die Lotion entgegen. „Hier.“
„Einen Moment.“ Malcolm entledigte sich möglichst schnell aller Kleidung außer den Shorts, so wie Hayes es getan hatte, dann nahm er die Dose entgegen. Hayes drehte sich um.
Wenigstens konnte er Malcolms Gesicht nicht sehen, als seine Finger mit der ersten Berührung eine großzüge Menge der Lotion quer über Hayes Schulterblätter verteilten. Hayes atmete tief ein.
„Kalt?“ fragte Malcolm.
„Äh... Ja. Genau,“ sagte Hayes nach kurzem Zögern. „Ziemlich kalt.“
Schnell und methodisch, nahm sich Malcolm vor. Ich verteile die Lotion schnell und methodisch. Und ich denke dabei an einen Vulkanier im Badeanzug. Tanzend. Im Regen.
Seine Handflächen glitten langsam Hayes Rücken hinunter. Schneller, forderte Malcolm sich selbst auf.
Irgendwo auf dem Weg nach unten, mit den Fingerspitzen auf weicher Haut, über den spürbaren Erhöhungen der Wirbelsäule, über angespannten Muskeln, stellte sich Malcolm den Tatsachen. Von Verdrängungs- und Konfrontations- und sonstiger Taktik konnte er sich verabschieden. Er wollte dieser Sache nicht aus dem Weg gehen. Er wollte nichts lieber, als seine Hände weiter nach unten gleiten zu lassen, weiter als bis zu der Grenze, an der er jetzt innegehalten hatte.
Hayes verlagerte sein Gewicht von einem Fuss auf den anderen. Die Bewegung holte Malcolm aus seiner Trance. Mehr oder weniger auf Autopilot beendete Malcolm seine Aufgabe; schockiert, dass er nach dieser Erkenntnis nicht über sich selbst schockiert war. Sich einen Kuss vorzustellen war plötzlich kein Problem mehr. Im Gegenteil. Sich diesen Kuss *nicht* vorzustellen, das war jetzt die Schwierigkeit.
„Fertig,“ sagte Malcolm mit erstaunlich fester Stimme und wandte Hayes schnell den Rücken zu. Er reichte die Lotion über seine Schulter.
Die erste Berührung war tatsächlich kalt, auch wenn das nicht der einzige Grund für Malcolms Gänsehaut war. Er konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Der Vulkanier und sein Badeanzug waren längst davongetanzt. Malcolm kapitulierte, schloss die Augen und gab sich der Phantasie hin.
Hayes Hände waren jetzt warm, seine Berührungen geradezu hypnotisch. Mit den Daumen strich er Malcolms Nacken hinauf und ließ schließlich seine Handflächen auf Malcolms Schultern ruhen. Hayes atmete schwerer -- zum Glück war Malcolm nicht der einzige, dem es so ging.
„Du hast auch einen Brief bekommen, nehme ich an?“ Hayes hätte genausogut chinesisch sprechen können; Malcolms Gehirn war auf Urlaub und brauchte einen Moment für die Rückreise.
„Ich... Wie, du auch?“
„Ja.“
Soviel zur Sorge um die Kontinuität der Zeitlinie. Ein unangenehmes Schweigen füllte die nächsten Momente, in denen Malcolm es nicht wagte, sich zu bewegen, und Hayes genauso angewurzelt zu sein schien.
„Ich dachte nicht, dass ich... Dass das hier...“ Malcolm gestikulierte hilflos.
„Ich auch nicht.“
„Und jetzt bist du dir sicher?“
„Hundertprozentig sicher, nein,“ sagte Hayes. „Du?“
„Nein. Ja. Im Augenblick... Ich meine, die meiste Zeit über kann ich dich nicht mal ausstehen.“
„Und jetzt gerade?“ Hayes zog Malcolm zu sich heran, bis Haut auf Haut, Rücken gegen Oberkörper gepresst waren, und legte seinen Arm um Malcolms Hüfte.
„Bin ich ziemlich...“
Hayes küsste seinen Hals, und Malcolm vergaß, was er sagen wollte. Er griff nach Hayes Nacken und zog ihn näher heran, in eine bessere Position, einen günstigeren Winkel, dass Hayes nur nicht aufhörte weiter hinauf zu küssen bis zu seinem Ohr; dann drehte Malcolm den Kopf zur Seite, so dass sich ihre Lippen trafen, und wenn Malcolm nur eine *Ahnung* gehabt hätte, eine winzige Idee, wie sich das hier anfühlen würde, er hätte Hayes am ersten Tag in den nächstbesten Vorratsraum geschubst und einfach losgelegt. Malcolm drehte sich in der Umarmung herum, und stellte schnell fest, dass die Erfahrung Auge in Auge, mit einer Hand in Hayes Haar und der anderen auf seiner Brust, noch tausendmal besser war. Malcolm zuckte so gut wie gar nicht zusammen, als Hayes Hand seinen Rücken hinunter und unter seine Shorts glitt. Aber das genügte, damit Hayes sich von dem unglaublichsten Kuss in Malcolms Leben zurückzog. Oder es war der Mangel an Sauerstoff, Malcolm war sich nicht sicher -- um ihn herum drehte sich alles.
„Das war...“ brachte Hayes hervor.
„Ja,“ stimmte Malcolm zu und lehnte die Stirn gegen Hayes Schulter.
„Ich will nicht die Stimmung verderben, aber glaubst du, der Doktor hat die Kameras ausgeschaltet?“ fragte Hayes.
Oh je, dachte Malcolm. Bei seiner Faszination für die menschlichen Sexualität?
„Wahrscheinlich nicht.“
Hayes seufzte. „Wie lange?“
„Bis morgen früh.“
„Toll. Das hier hätte uns zu keinem besseren Zeitpunkt einfallen können.“ Hayes presste einen Kuss an Malcolms Schläfe und löste sich dann von ihm. „Morgen abend dann?“
„In meinem Quartier. Ich bin reichlich mit allem Notwendigen ausgestattet,“ sagte Malcolm gedankenverloren. Er rang immer noch nach Atem und um seine Fassung.
„Du bist... Was?!“
„Nicht, was du denkst! Kollegen aufzureißen ist bestimmt kein Hobby von mir. Ich habe die Sachen vom Doktor... Frag einfach nicht.“
Hayes schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.“
Sie setzten sich wieder auf ihre Pritschen und blickten sich an. Malcolm trommelte mit den Fingern auf der Matratze.
„Bis morgen früh? Das wird die reinste Folter,“ sagte Hayes.
„Jeder bleibt einfach auf seiner Seite der Kammer,“ schlug Malcolm vor, aber insgeheim konnte er Hayes nur zustimmen.
„So einfach ist das, denkst du?“ fragte Hayes. Er erhob sich langsam, ohne die Augen von Malcolm zu lassen, griff nach der Dose mit der Lotion und sagte mit einem berechnenden Grinsen: „Bisher ist nur mein Rücken eingecremt. Ich sollte den Rest jetzt wohl nachholen.“
Malcolm wappnete sich. Hayes jetzt zuzusehen war wirklich Folter, aber abwenden wollte er seinen Blick auf keinen Fall. Die Show war einfach zu gut.
Hayes sollte nur abwarten. Was Hayes konnte, konnte Malcolm noch viel besser.


Ende
Ich wollte schon immer eine von diesen Klischee-Dekon-Kammern Szenen schreiben. Hab's endlich gemacht, und würde es wieder tun! *g*
Und... Ich vergesse hier einfach (weil es mich deprimiert), dass Hayes nicht mehr lange zu leben hat...
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