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Erinnerungen

von CAMIR

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Die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man. Alles, was Schmerzen bereitet, sollte in Vergessenheit geraten, damit man sein Leben weiterführen kann, doch was passiert, wenn es auch die Zeit nicht schafft, die Wunden der Vergangenheit zu schließen? Was, wenn man einfach nicht darüber hinwegkommt?

Sollten Erinnerungen das einzige sein, was bleibt? Jean-Luc Picard stand vor dem großen Fenster seines Bereitschaftsraumes und starrte in die Sterne, die als helle Streifen vorüberzogen.

Seine Augen hatten einen leeren, glasigen Ausdruck. Fünf Jahre! So lange war es schon her und doch hatte er es noch nicht überwunden. Täglich wurde er an jenen schrecklichen Tag vor fünf Jahren erinnert, der sein Leben so radikal verändert hatte.

Immer wieder sah er die Bilder vor seinem geistigen Auge vorüberziehen und auch nach fünf Jahren waren sie so präsent, als wäre es gestern gewesen. Er war alldem machtlos gegenüber gestanden und das war das Furchtbare...

Er verrichtete nach wie vor seine Pflichten, ohne dass es etwas zu beanstanden gab, doch diejenigen, die ihn näher kannten, hatten sehr wohl gemerkt, dass er sich zurückgezogen hatte. Er konnte ihre sorgenvollen Blicke spüren, wenn er auf der Brücke erschien, aber inzwischen hatten sie sich abgewöhnt, ihn direkt darauf anzusprechen.

Er hatte immer abgeblockt, er wollte sich nicht helfen lassen, wie denn auch? Niemand konnte das rückgängig machen, was passiert war. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und seufzte laut.

Würde er jemals darüber hinwegkommen?

Er musste wohl, als Captain der Sternenflotte hatte er Pflichten vielen Menschen gegenüber, die nicht wegen seiner persönlichen Gefühle und Empfindungen leiden durften, aber niemand hatte das Recht ihm vorzuschreiben, was tief in seinem Inneren vorging.

Momentan befand sich die Enterprise nur auf einer Routinemission, auf der er nicht unbedingt gebraucht wurde und dafür war er sehr dankbar.

 

Besorgt blickte William Riker zu Counselor Deanna Troi, die neben ihm saß. Er hatte das Kommando, weil Picard sich in seinen Bereitschaftsraum zurückgezogen hatte.

„Wie geht es ihm heute?“

Traurig erwiderte Deanna seinen Blick.

„Ich spüre unverändert große Traurigkeit und Verzweiflung.“

Resigniert schlug Riker mit der Hand auf die Lehne des Sessels, auf dem er saß.

„Ich weiß nicht wie lange ich noch zusehen kann!“

Beruhigend legte Troi ihre Hand auf die seine.

„Du weißt genau, wie oft wir es schon versucht haben. Er hat entschieden, dass er damit alleine fertig werden muss und lässt niemanden an sich heran.“

Nachdenklich runzelte Riker die Stirn.

„Ich verstehe, dass es schwer für ihn ist. Aber jeder sieht, wie er sich quält, sobald sein Dienst zu Ende ist. Und das geht jetzt schon mehrere Jahre so.“

„Wir alle fühlen nach wie vor mit ihm.“

„Mit Mitgefühl allein kann man ihm nicht helfen. Er braucht Beistand. Natürlich kann man das Geschehene nicht rückgängig machen, aber vielleicht kann man ihm helfen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Außerdem ist da noch Madeleine. Sie braucht ihren Vater.“

Bei der Erwähnung dieses Namens erschauerte Deanna leicht. Ja, das kleine Mädchen brauchte seinen Vater. Seine ständige Niedergeschlagenheit blieb auch dem Kind nicht verborgen, denn mit fünf Jahren war es alt genug, um langsam begreifen zu können, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte.

Zwar kümmerte sich Jean-Luc Picard rührend um seine Tochter und versuchte sich bei ihr nichts anmerken zu lassen, aber das gelang ihm nur teilweise.

Die abgrundtiefe Traurigkeit konnte er einfach nicht aus seinem Blick verbannen.

„Will, wir alle wissen, wie gespalten der Captain bei Madeleine sein muss. Auf der einen Seite liebt er sie sehr, aber auf der anderen Seite erinnert sie ihn auch ständig an ihre Mutter.“

„Ja, ich weiß. Von Tag zu Tag wird das Mädchen ihr immer ähnlicher, es ist erstaunlich.“

„Bericht, Nummer Eins!“

Riker zuckte unmerklich zusammen.

Wie matt und gebrochen die Stimme des Captains doch klang. Der Commander konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass sie ihre frühere Kraft verloren hatte. Außerdem war Picard wie aus dem Nichts aufgetaucht, was er früher genauso wenig getan hätte.

„Es gibt keine Probleme, Sir!“ erwiderte Riker schnell, doch Picard gab ihm keine Antwort, nicht einmal eine Bestätigung in Form von einem Nicken, obwohl er es genau gehört hatte. Er starrte nur zu Boden.

Auf der Brücke war eine unerträgliche Stimmung, jeder kam stillschweigend seiner Tätigkeit nach, doch die frühere Fröhlichkeit war fort, vertrieben von der Schwermütigkeit des Kommandanten.

„Sir, könnte ich Sie einen Moment privat sprechen?“

Riker stand auf und stellte sich vor seinen Captain.

„Was gibt es, Nummer Eins? Wollen Sie mich wieder auf meine Gemütslage hinweisen? Sie können mir nicht helfen. Ich will nicht darüber reden, also lassen Sie mich bitte zufrieden!“

Riker nickte stumm und tauschte unmerklich Blicke mit Counselor Troi, die voller Bestürzung, wie jeder Anwesende hier mit ansehen musste, wie der Captain erneut ein aufrichtiges Angebot auf Hilfe ausschlug.

Früher oder später würde er, wenn er nicht darüber hinwegkam, daran zugrunde gehen.

 

Picard setzte sich und besah sich seine Brückenoffiziere. Warum nur musste Riker immer wieder davon anfangen? Sie würden es ja doch nie verstehen.

Natürlich wussten alle, was geschehen war, doch nur er alleine war dabei gewesen. Er als einziger hatte gesehen wie Beverly Crusher, damalige Schiffsärztin, seine Ehefrau und Mutter seiner einzigen Tochter bei Madeleines Geburt vor fünf Jahren gestorben war, ohne dass er etwas dagegen hatte unternehmen können.

Es war unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt und hatte ihn zu dem gemacht, was er nun war. Tief in seinem Inneren fühlte er sich in so vielen Punkten schuldig an ihrem Tod, dass er sie nicht mehr aufzählen konnte.

Nie wieder würde er sie lachen hören, nie wieder konnte er mit der Hand durch ihre Haare fahren, sie war für immer von ihm gegangen. Das einzige was sie ihm hinterlassen hatte, war die kleine Madeleine. Dafür liebte er das Kind über alles, doch trotzdem sah er ständig Beverly in dem Mädchen. Ohne es zu wollen wurde er durch seine Tochter täglich daran erinnert, was  auf einem einsamen Planeten geschehen war - vor fünf Jahren.

 

„Vati, liest du mir eine Geschichte vor?“

„Natürlich mein Schatz, was möchtest du denn hören?“

Picard saß auf der Bettkante seiner Tochter und strich ihr liebevoll über die goldblonden Locken, Beverlys Haare.

Jeden Abend bat ihn Madeleine ihm eine Geschichte vorzulesen und er tat es gerne für sie. Sie war ein ausgesprochen intelligentes Kind und er bedauerte es sehr, sie so oft alleine zu lassen. Doch auch wenn er sich nichts sehnlicher wünschte als mehr Zeit mit ihr zu verbringen, hinderte ihn etwas, seinen Beruf aufzugeben. Vielleicht war es die Gewohnheit, vielleicht aber auch die Ablenkung? Zärtlich nahm er seine Tochter in die Arme.

„Also, welche Geschichte soll ich dir heute Abend vorlesen?“

Madeleine steckte nachdenklich einen Finger in den Mund und blickte ihn mit ihren großen blaugrauen und unglaublich tiefgründigen Augen an.

Schließlich meinte sie: „Heute Abend will ich keine Geschichte, Vati. Erzähl mir stattdessen mehr von Mami.“

Wie ein heißer Schmerz durchfuhr es Picard. Wie sollte er es dem Mädchen erklären, wenn er es doch selbst nicht verstand? Er hatte sich immer vor diesem Moment gefürchtet und nun war er da.

„Ich habe sie sehr geliebt,“ sagte er schließlich schlicht. „Weißt du Madeleine, ich kannte deine Mutter schon lange Zeit, bevor wir heirateten. Sie war Ärztin hier auf dem Schiff.“ Überrascht blickte Madeleine ihren Vater an.

„Sie war Ärztin hier? Aber Vati, Dr. Vígdis ist die Bordärztin!“ rief sie sichtlich entrüstet.

Bei dem Gedanken an Dr. Vígdis wurde es Picard ganz elend. Er fühlte sich der neuen Ärztin gegenüber irgendwie schuldig, denn er hatte sie immer eisig und unterkühlt behandelt. Natürlich brauchte die Enterprise einen Bordarzt, aber Beverly war einfach für die Krankenstation zuständig gewesen und sie würde es in seinem Herzen auch immer bleiben.

Da es fahrlässig für die Sicherheit der Crew war, keinen Leitenden Medizinischen Offizier an Bord zu haben, kam Dr. Vígdis Thorkelsdóttir auf das Schiff. Sie war eine durchaus fähige junge Medizinerin isländischer Abstammung. Picard kam jedoch niemals über einen neutralen Austausch von Höflichkeiten mit ihr heraus, auch wenn sie auf professioneller Ebene gut zusammenarbeiteten. Es war einfach nicht mehr dasselbe.

Jedenfalls betrat er die Krankenstation nur noch wenn es unbedingt erforderlich war.

„Ja, du hast schon recht, Madeleine, doch deine Mutter war vor Dr. Vígdis die Bordärztin.“ sagte er. „Sie war die einzige, die mich vom Dienst entbinden konnte, wenn ich krank oder in ihren Augen nicht zurechnungsfähig war. Wir führten viele hitzige Diskussionen deswegen, doch ich konnte immer auf sie zählen, wenn es darauf ankam. Sie war eine gute Freundin und eine große Unterstützung auf vielen Missionen. Wir wollten lange Zeit nicht wahrhaben, was wir füreinander empfanden, doch schließlich…“ Abwesend lächelte er, „kamen wir nicht darum herum. Wir heirateten. Das ist nun gute sechs Jahre her...“

Jean-Luc versank immer mehr in den Erinnerungen an seine verstorbene Frau, sodass er erst gar nicht bemerkte dass Madeleine neben ihm eingeschlafen war. Als es ihm bewusst wurde, deckte er sie leise zu, strich ihr liebevoll über die Haare und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Schlaf gut und träum was Schönes, mein Schatz“, flüsterte er. „Du bist so hübsch wie deine Mutter, wenn du schläfst!“

Leise stand er auf und begann sich bettfertig zu machen. Dabei überwältigten ihn die Erinnerungen ein weiteres Mal.

 

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