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Fair Trade

von Aurea

Kapitel 2

***

Chakotay stand nun schon geschlagene fünf Minuten vor dem Quartier seines Lieblings-Captains. Nun ja, er kannte zur Zeit ja schließlich nur einen Captain und hatte deswegen nicht viele Auswahlmöglichkeiten um einen Favoriten unter den Sternenflottencaptains festzulegen... Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf stand der hochgewachsene Indianer vor der automatischen Tür und sinnierte. Mit einem Seufzen gestand er sich ein, dass es absolut irrelevant sei, ob nun Kathryn Janeway der einzige Captain der Sternenflotte oder einer unter hundert um ihn herum sein würde. Seine Loyalität und all das anderes, welchem er nicht laut Gestalt und Form anerkennen wollte, gehörte ihr alleine. Mit einem kurzen Blinzeln versuchte er sich wieder aus seiner Gedankenwelt in die Realität zu bringen.

Auf jeden Fall hatte er sich nach dem gestrigen Eklat im Transporterraum erst einmal um seine anderen Pflichten als Sternenflottenoffizier gekümmert. Er hatte gehofft, dass Kathryn sich spätestens am nächsten Morgen wieder gefangen hätte und nach Dienstbeginn mit ihm beim morgendlichen 9-Uhr-Kaffee in ihrem Bereitschaftsraum Tacheles reden würde. Doch sie war nicht einmal zu ihrer Schicht erschienen. Als Chakotay gerade nach seinem Kommunikator greifen wollte, bemerkte Tuvok, als ob er die Gedanken des Ersten Offiziers lesen könne, dass der Captain sich heute frei genommen habe.

Chakotay seufzte tief.

Kathryn und sich einen Tag frei nehmen? Das hatte sie nicht einmal gemacht, als sie das letzte Mal nach einem Landgang 40 Grad Fieber bekommen hatte. Irgendetwas war an dieser ganzen Sache faul – sie stank zum Himmel.

Auch seine weiteren Versuche nach Schichtende mit ihr Kontakt aufzunehmen, waren fehlgeschlagen. Sie tauchte weder im Kasino auf, noch zu ihrem vereinbarten, wöchentlichen Velocity-Spiel. Dabei ließ sie sich doch normalerweise weder eine Portion Brownies, wenn sie denn einmal auf dem Speiseplan standen, noch die Gelegenheit ihn bei Velocity in Grund und Boden zu nageln, durch die Lappen gehen.

Genauso wenig antwortete Kathryn auf seine Versuche, sie über Interkom zu erreichen. Der Computer warnte daraufhin immer mit einer tödlich gelangweilten Stimme, dass der Captain heute nicht gestört werden möchte.

Chakotay seufzte erneut.

So kannte er Kathryn gar nicht. Auch hatte sie ihm schon geschlagene drei Mal die Tür zu ihrem Quartier nicht geöffnet. Gestern Abend, direkt nachdem sie aus dem Transporterraum gestürmt war, heute morgen und heute Mittag auch nicht. Doch allmählich reichte es ihm.

Chakotay seufzte ein drittes und letztes Mal.

Was zu viel war, war zu viel. „Ich tue das wirklich nicht gerne, gar nicht gerne.“, murmelte er leise in seinen nicht vorhandenen Bart und gab seinen Überbrückungscode zu ihrem Quartier ein. Er war es leid, dauernd von den anderen Offizieren angestarrt zu werden, wie er anscheinend den ganzen Tag vor des Captains Tür stand und nicht eingelassen wurde. In den Augen der anderen Crewmitglieder musste er als billiger Abklatsch eines mittelalterlichen Minnesängers erscheinen, dem der Zugang zum Gemach seiner holden Angebeteten untersagt war. Seine Autorität auf diese Weise infam zu untergraben war nicht gerade die feine englische Art.

Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür vor ihm scheinbar zaghaft und Chakotay wurde von grellem Licht empfangen, welches aus dem Wohnbereich seines Captains strahlte.

Seine Augen leicht zusammenkneifend, trat er langsam und vorsichtig ein. Er ahnte Schreckliches...

***

Kathryn saß auf dem Boden, was für sie sehr ungewöhnlich war. Aber nachdem sie aus der Datenbank der Voyager ihre gesuchten Informationen zuerst über ihr Terminal abgerufen hatte, fiel ihr auf, dass sie so schnell den Überblick verlieren würde, oder doch eher erst gar keinen Überblick über die Gesamtsituation erlangen würde. Also hatte sie ihre eingeholten Erkundigungen auf PADDs gezogen, diese dann nach Crewmitglied, medizinischen Akten und persönlichen Logbucheinträgen geordnet. Versucht zu ordnen. Anfangs hatte es sich auf wenige PADDs beschränkt. Doch 152 Crewmitglieder brauchten Platz und ihr kleiner Sofatisch reichte bald nicht mehr aus. Also nahm sie zunächst noch die Couch in Beschlag, schließlich den Fußboden um die Sitzgelegenheit und letztendlich gab sie ihren Sinn für Ordnung gänzlich auf und beanspruchte einfach auch noch den restlichen Boden ihres Wohnbereichs für sich und ihre PADDs. Ein bisschen Luxus musste ab und zu sein.

Doch gerade in dem Augenblick, als sie glaubte eine gewisse Einsicht in die Aktenlage ihrer Crew erhalten zu haben und voller Freude über ihr Werk vom Boden in eine stehende Position aufsprang, sprang – ihrer Meinung nach sehr ungestüm – auch die Tür zu ihrem Quartier auf.

Ihr Erster Offizier trat vorsichtig in ihren grell erleuchteten Wohnbereich ein und blinzelte. Blinzelte einmal, blinzelte zweimal, blinzelte dreimal.

Es war eingetreten, was er erahnt hatte: Nichts Gutes. Unordnung und Kathryn Janeway? Eine Divergenz an sich. Sie musste krank sein. Ein dringender Fall für das MHN. Sollte er sofort einen Nottransport auf die Krankenstation initiieren?

Besorgt blickte Chakotay Kathryn an, als diese sich wieder langsam in die Mitte der ausgebreiteten PADDs zurücksinken ließ. Zum einen, da sie sich ihres wohl komischen Anblicks bewusst wurde. Zum anderen, da sie erst jetzt realisierte, dass sie mittlerweile alle Besatzungsmitglieder der Voyager durchgegangen war und kein einzelnes oder besser formuliert keine zwei fand, die wohl bereit wären, die Bedingungen der Bretari zu erfüllen. Schließlich wollte sie keines ihrer Crewmitglieder zu dem zwingen, was in den Forderungen der Bretari aufgelistet war. Zum dritten, da ihr bewusst wurde, dass sie den Türsummer wohl einige Male unbeabsichtigt überhört haben musste.

Kurz gesagt: Sie war mit der Gesamtsituation unzufrieden und zwar sehr.

Letztendlich ergriff sie Apathie. Doch sogleich wieder Aufgewühltheit. Aufgeregtheit. Sie musste das Ganze doch selbst in die Hand nehmen.

„Was ist los, Kathryn?“

Eine banale Frage, jedoch sprach er sie bei ihrem Vornamen an. Er wollte die Wahrheit wissen. Er wollte, dass sie ehrlich zu ihm war. Nun gut, das würde sie auch sein.

Leise seufzte sie. „Das...“ Sie deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die um sie liegenden Datenträger. „...das ist die Crew der Voyager.“

Der Indianer trat ein paar Schritte in die Mitte des Raums, bückte sich und hob ein PADD auf. Ohne ein Wort zu sagen, scrollte er den Text auf und ab. Er wandte seinen Kopf wieder in Richtung Kathryns und zog eine Augenbraue leicht hoch.

„Sie sortieren die Datenbank des Schiffes nach Personalia, medizinischen Reports in Zusammenhang mit ausgewählten Logs der Crewmitglieder? Ich habe gedacht, Privatlogs der Crewmitglieder stehen selbst dem Captain nur in sehr prekären Situationen zur Verfügung.“

„Aber ganz genau das ist es, Chakotay! Eine prekäre Situation!“ Janeway war wieder aufgesprungen und einige Schritte mit einem PADD in der Hand auf Chakotay zugegangen. Ihre Wangen glühten. „Ich brauche Ihre Hilfe!“

Chakotay ergriff sie an ihrem Handgelenk und nahm ihr mit seiner freien Hand das PADD ab. „Ja, das glaube ich auch. Aber ich glaube, dass Sie vor allen Dingen die Hilfe des Doktors benötigen. Kommen Sie, ich werde Sie jetzt auf die Krankenstation bringen.“

Plötzlich erzürnt, riss Kathryn sich mit voller Wucht los.

„Nein! Sie verstehen mich nicht! Der Botschafter der Bretari hat mir ein unmoralisches Angebot gemacht.“

Der dunkelhaarige Mann ihr gegenüber schaute überrascht drein. Doch seine Überraschung wich rasch einem Ausdruck von Wut auf seinem ansonsten so sanften Gesicht. Mordgedanken und Todesgelüste durchströmten auf einmal den sonst so friedvollen Menschen. Dennoch hielt er sich zurück; blieb ruhig stehen; wartete ab, was kommen mochte.

Er würde es nicht verstehen!
Würde das Problem nicht sehen!
Würde sagen, dann nähmen sie halt einen Umweg in Kauf!

Kathryn blickte ihn noch einige Zeit ärgerlich in die Augen, stolperte dann einige Schritte rückwärts und drehte sich letztendlich um. Sie konnte mit ihm nicht über diese Situation sprechen, obgleich sie musste. Schließlich war er ihr Erster Offizier und musste genauso wie sie über die Schiffsbelange in Kenntnis gesetzt werden.

Was sollte sie tun?
Sollte sie es ihm sagen?
Ihm ihre Hoffnungslosigkeit schildern?
Ihm den letzten Ausweg präsentieren?

Leise befahl sie dem Computer das Licht zu dämmen. Schlagartig kehrte beinahe vollständige Dunkelheit in ihr Quartier ein. Sie wollte ihm bei ihrem folgenden Gespräch weder in die Augen schauen, noch seine Silhouette im hellerleuchteten Panoramafenster sehen, vor dem sie nun nachdenklich stand.

Wie sollte sie anfangen?
Wo beginnen?
Wie es in Worte fassen?

Letzten Endes fasste sie den Entschluss, sehr sachlich mit dem kommenden Thema umzugehen, hob ihren Kopf leicht an und fing mit einer Klarstellung an.

„Vielleicht habe ich mich gerade etwas unbeholfen ausgedrückt, Chakotay. Der Botschafter der Bretari hat bei den Verhandlungen nicht nur mir ein unmoralisches Angebot gemacht, sondern wohl der ganzen Besatzung der Voyager...“

Sie hörte, wie er sich sachte bewegte und ein paar Schritte auf sie zu machte. „Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, Kathryn.“

„Nun, die Bretari haben mir ein Angebot unterbreitet, welches es der Voyager ermöglichen würde rund ein Jahrzehnt Reisezeit zu sparen. Wir würden einen ansonsten nicht-passierbaren Sektor der Bretari durchfliegen dürfen. Am Ende dieses Sektors ist ein Wurmloch. Nach den Datenfragmenten, die die Bretari mir gezeigt haben, endet es im Beta-Quadranten, wenn nicht sogar am äußeren Ende des Alpha-Quadranten.“ Ihre Stimme wurde immer leiser, je weiter sie sprach.

„Aber?“ Wie Janeway erwartet hatte, war der Mann hinter ihr misstrauisch. „Welche Forderungen stellen die Bretari im Gegenzug? Was verlangen sie von uns?“ Er machte eine kurze Pause, hakte dann weiter nach. „Was verlangen sie von Ihnen, Kathryn?“

Er hatte es erfasst. Was verlangten die Bretari von ihr – von Kathryn Janeway? Aber er hatte nur indirekt begriffen. Doch wie sollte er auch bei seinem bisherigen Informationsstand?

„Sie gewähren uns freie Passage durch ihren Sektor, wenn sie sehen dürfen, wie ein menschliches Kind gezeugt, geboren und erzogen wird.“ So. Es war heraus. Kurz, knapp und prägnant. Kathryn wartete auf seine Reaktion, doch zunächst hörte sie gar nichts. Dann, ein leises Geräusch, ein Glucksen, das sich letztendlich zu einem lauten Lachen verwandelte.

„Aber Kathryn! Das ist doch das natürlichste der Welt! Warum darüber einen so großen Aufstand machen! Geben Sie ihnen die geforderten Informationen aus der medizinischen Datenbank un...“
Aufgewühlt fuhr sie herum. „Sie verstehen gar nichts!“ Chakotays Lächeln erstarb und erst jetzt bemerkte Kathryn, wie nah er bei ihr stand. Ihre Zähne zusammen beißend, wandte sie ihren Blick wieder von ihm ab und starrte aus dem großen Fenster. Starrte hinaus in die Dunkelheit. Starrte auf einen kleinen Stern, der leicht, aber dennoch beharrlich zu pulsieren schien. Eine lange, erdrückende Pause entstand, bevor sich Kathryn durchringen konnte, weiterzusprechen. Ihre Stimme, ihre Körperhaltung, ihr ganzes Äußeres war wieder gefasst, doch ihr Innerstes... ihr Innerstes... sprechen wir nicht darüber. Stellen wir uns einfach einen Plasmasturm der Stärke 21 vor, wenn die Richterskala nur bis 15 reicht.

„Die Bretari wollen keine Bücher, Manuskripte, dreidimensionale Darstellungen oder dergleichen, um über die menschliche Fortpflanzung in Kenntnis gesetzt zu werden. Sie wollen es quasi live miterleben. Da ihre Rasse seit Jahrhunderten ihren Fortbestand über Reagenzgläser sichert, möchten sie nun wieder Einblick in die natürliche Fortpflanzung erlangen. Sie möchten die Zeugung des Kindes mitverfolgen, die Entwicklung des Embryos und schließlich das Aufwachsen des Kindes bis ungefähr zu seinem zehnten Lebensjahr – eben bis wir den bretarischen Sektor verlassen haben.“ Wieder wandte Kathryn sich zu Chakotay um und die Intensität ihres Blickes erschütterte ihn. „Sie dürfen aber auf keinen Fall denken, dass es Videoüberwachung oder dergleichen gäbe. Nein, die Bretari haben mir versichert, dass die Mitverfolgung des Zeugungsaktes nur über medizinische Monitore erfolgen würde. Hormonwerte gesammelt und ausgewertet werden würden. Solche Sachen...“

„Und wenn das Kind geboren wäre? Würde es dann seine ersten zehn Jahre angeschlossen an Monitoren verbringen?“ “Nein, wohin denken Sie denn! Es müsste nur ein allmonatlicher, medizinischer Bericht unseres Doktors an die Bretari erfolgen.“

Der Indianer mit dem markanten Tattoo sah die Frau ihm gegenüber erstaunt und zugleich verwirrt an. „Es scheint ganz so, als hätten sie schon einen Entschluss gefasst, Kathryn.“

„Nun ja...“ Sie wandte sich sprichwörtlich; wusste nicht, wie sie es ihm beibringen sollte.

Chakotay wandte seinen Oberkörper um und blickte zu Boden, auf dem noch immer ein heillose Durcheinander von PADDs herrscht. „Ich verstehe. Sie haben jemanden in der Crew gesucht, der hierzu bereit ist. Haben medizinische Berichte durchgesehen, ob ein unerfüllter Kinderwunsch besteht, haben Logbücher durchgelesen, ob eventuell die Zeugung eines Kind bei einem Crewmitglied in Erwägung gezogen wird.“ Er wiegte leicht seinen Kopf hin und her und blickte dann wieder zurück zu Kathryn. „Ich finde das nicht gut.“

„Ich weiß.“ Die zierliche Frau wandte sich wieder dem weitläufigen Panoramafenster zu und blickte hinaus in die von kleinen Lichtkugeln durchzogene Dunkelheit. „Ich weiß. Ich konnte auch keine Crewmitglieder finden, die in der gegenwärtigen Situation daran denken würden, ein Kind in die Welt zu setzten. Vielleicht würde der Gedanke auftreten, wenn wir im sicheren Bretari-Sektor sind, in ein, zwei Jahren vielleicht, weit weg von feindlichen Rassen. Doch dann ist es zu spät...“
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