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Alle Fragen sind gestellt

von Nerys

Kapitel 1

Diese Geschichte ist schon einige Jahre alt, ich habe sie nun ein wenig überarbeitet.
Inhalt: Janeway droht in eine Depression abzustürzen, sie verbarrikadiert sich in ihrem Quartier und lässt niemanden an sich heran. Da erhält sie unerwarteten Besuch. Crossover mit dem Musical Elisabeth, der Song "Alle Fragen sind gestellt" entstammt diesem.

Genre: Angst, Mystery, Crossover

Disclaimer: Star Trek gehört Paramount und Elisabeth den Herren Kunze und Levay.

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Alle Fragen sind gestellt

von Alistanniel



Vor dem Fenster zogen die Sterne als lange Striche vorbei. Ohne Anfang. Ohne Ende. Monoton wie alles. Sinnlos. Warum flog dieses Schiff immer noch so verbissen einem Traum entgegen, der sich niemals erfüllen würde?
Kathryn seufzte tief und wandte den Blick ab. Früher einmal hatte sie die Sterne als wunderschön und tröstlich empfunden. Jetzt verursachte der Anblick ein dumpfes Brennen in ihrem Inneren. Sie trug die Schuld an allem. Sie hatte die ihr unterstellten Besatzungsmitglieder zu dieser endlosen Odyssee verbannt. Und keiner war ihr noch böse, etwas, das sich ihres Verständnisses entzog. Selbst B'Elanna hatte ihren Zorn begraben.

„Chakotay an Janeway.“

Sie hob den Kopf. Ihr erster Offizier befand sich jetzt wohl nicht mehr auf der Brücke. Dem dem Dienstplan nach hatte er nun frei, also konnte sein Anliegen nicht so wichtig sein. Ihre Hand, die bereits aus purer Gewohnheit zum Kommunikator geglitten war, entfernte sich wieder. Sie verspürte nicht die geringste Lust mit ihm zu sprechen. Sein Optimismus erschien ihr geheuchelt und völlig fehl am Platz.

„Kathryn? Antworten Sie bitte.“

Aber sie tat nichts dergleichen. Wozu auch? Es ergab ja doch keinen Sinn. Zwar hatte sie mit ihm schon viele nette Abende verbracht, an denen sie miteinander gelacht und gescherzt hatten, jedoch wollte sie niemals wieder auch nur ein wenig lächeln. Sie hatte es einfach nicht verdient fröhlich zu sein. Auch wenn kein Crewmitglied ihr offen die Schuld an der ganzen Misere zusprach, sie selbst wusste, dass sie sie trug. Und zwar ganz allein. Sie hatte die Besatzung zur Einsamkeit und Trennung von ihren Lieben verurteilt.

“Kommen Sie. Ich weiß, dass Sie zuhören.“

Sie schwieg beharrlich. Ein weiteres Mal versuchte er es nicht mehr. Er begriff, dass sie nicht mit ihm reden wollte. Seine Stimme klang verletzt und es tat ihr so leid. Doch sie sah keine Möglichkeit das zu ändern. Jedes ausgelassene Wort aus ihrem Munde käme einer Lüge gleich. Erleichterung durchströmte sie, als ihr Kommunikator nun ruhig blieb. Ihr Blick fiel für den Bruchteil eines Augenblicks erneut auf die endlos in die Länge gezogenen Sterne vor dem Fenster, ehe sie ihr Buch wieder öffnete und zu lesen begann.

Kaum zwei Seiten weit kam sie, als ein plötzlicher Kälteschauer Besitz von ihr ergriff. Gleich eines Luftzugs durch eine sich für einen Moment öffnende Tür. Nachdenklich sah sie sich in dem abgedunkelten Raum um. Das einzige Licht entstammte ihrer Leselampe. Es hatte sich angefühlt, als wäre jemand herein gekommen, aber die üblichen Geräusche, der Melder und das Zischen der zur Seite gleitenden Tür, waren ausgeblieben. Es befand sich niemand außer ihr im Raum.
Kathryn schob dieses merkwürdige Empfinden auf ihre angespannten Nerven und wandte sich erneut ihrer Lektüre zu. Da spürte sie jemandes Blick auf sich ruhen. Sie war nicht allein! Abrupt sah sie auf. Niemand war zu sehen, doch das Gefühl blieb, ließ sie erschauern. Die Präsenz wirkte nicht menschlich, sondern groß, mächtig und dunkel. Etwas, das über die Erfassbarkeit ihrer einfachen Sinne weit hinaus ging.

„Wer ist da?“ fragte Kathryn mit möglichst fester Stimme. „Zeigen Sie sich!“

Zunächst rührte sich nichts, und sie begann fast schon an ihrem Verstand zu zweifeln. Doch dann lösten sich die Umrisse einer Gestalt aus den Schatten im rückwärtigen Teil des Raumes. Jeder Muskel ihres Körpers spannte sich an, als sie angestrengt zu erkennen versuchte, wen sie vor sich hatte.
Erst als das Licht der Leselampe auf den Besucher fiel, erkannte sie einen jungen Mann. Attraktiv. Goldblondes Haar umfloss ein Gesicht, das einer marmornen Skulptur glich. Unter dem schwarzen schimmernden Anzug, in welchen er gekleidet war, zeichnete sich ein wohlgeformter Körper ab. In seinen geschmeidigen Bewegungen lagen die Kraft und Eleganz einer Raubkatze.

Alle Fragen sind gestellt
und alle Phrasen eingeübt.
Wir sind die letzten einer Welt,
aus der es keinen Ausweg gibt.


„Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?“ Sie verbannte das seltsame surreale Gefühl. Vor ihr stand ein humanoides Wesen aus Fleisch und Blut. In den glatten und ebenmäßigen Gesichtszügen des Mannes zeigte sich keine Regung. Kathryn war für einen Moment völlig gefangen von dem Ausdruck seiner braunen Augen. Etwas Zeitloses lag in ihnen. Weder jung, noch alt.
„Du kennst mich“, begann der Fremde mit tiefer wohlklingender Stimme. Er trat nun direkt vor sie und sah sie prüfend an. „Ja, du kennst mich. Weißt du noch? Du warst eine junge Frau, allein in einer Welt aus Kälte und Pein. Ich bin gekommen, weil sich dein Herz nach mir sehnt.“
Wie ein Blitz trafen Kathryn Bilder aus ihrer Vergangenheit. Das Wrack eines Schiffes, halb verborgen in der brechenden Eisschicht eines gefrorenen Sees. Verdrehte, eingeklemmte Körper. Unsägliche Schmerzen in ihrem gebrochenen Bein. Und in ihrer Seele, weil sie denen, die sie liebte, nicht zu helfen vermochte.

„Tau Ceti Prime“, kam es tonlos über ihre Lippen. „Woher wissen Sie das? Wer sind Sie?“
„Erinnere dich. Du hast mich dort gesehen“, fuhr er fort. Der samtene Klang seiner Stimme änderte sich dabei nicht.
Kathryn überwand schließlich ihre Starre und fasste sich wieder. Die Rationalität in ihr gewann die Oberhand. Der Blick, mit dem sie den Besucher bedachte, hätte Kohle in Diamant verwandelt.
„Wenn Sie mir nicht sofort sagen, wer Sie sind, und was Sie von mir wollen, rufe ich die Sicherheit, damit Sie in die Arrestzelle gebracht werden!“ Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein weiteres Bild aus ihrer Vergangenheit vor ihrem inneren Auge erschien. Sie sah den Körper Justins, ihres Verlobtens, mit totenbleicher Haut und blaugefrorenen Lippen reglos im Eis liegen. Über ihn beugte sich eine ganz in Weiß gekleidete Gestalt - ein junger blonder Mann.
Ein leiser Aufschrei der Verblüffung entkam Kathryns Lippen. „Sie waren damals dort... ich sah Sie, jetzt erinnere ich mich wieder!“
Er nickte kaum merklich. „Du wolltest, dass ich dich ebenfalls mit mir nehme. Aber das konnte ich nicht. Dir war es nicht bestimmt so zu enden.“
Kathryn spürte, dass er nicht log. Seine Worte konnten nur eines bedeuten, doch sie wagte es nicht den Gedanken zu Ende zu spinnen. Sie hatte noch nie an den gestaltlichen Tod, an Engel, Teufel, oder Geister geglaubt. Eine Situation, die beinahe diese Einstellung von Grund auf durcheinander gebracht hatte, kam ihr in den Sinn. Aber es war nicht der Geist ihres Vaters gewesen, der sie besucht hatte, sondern ein fremdes Wesen. Es gab keine Geister.

„Dein Verstand will nicht an mich glauben. Dein Herz jedoch tut es. Öffne endlich die Augen und schaue über den Rand deines Tricorders hinaus. Derlei Geräte erkennen mich nicht. Sie wissen nichts von mir.“ Auffordernd streckte er ihr seine Hand entgegen. „Du kannst meinen Namen ruhig nennen, du kennst ihn doch.“
„Sie haben recht“, sagte Kathryn nur in einem zynischen Tonfall. „Ich glaube nicht an den Tod als Person. Sie sind ein fremdes Wesen. Aber dieses Mal falle ich nicht darauf herein. Verschwinden Sie!“
„Du weißt, dass das nicht stimmt“, entgegnete der Besucher nur in völlig neutralem Tonfall. Und sie wusste es. Jetzt, wo er direkt vor ihr stand, waren die Gefühle, die von ihm ausgingen, noch viel stärker geworden. Nein, dieser junge Mann war gewiss kein gewöhnliches Wesen aus Fleisch und Blut. Er war etwas ungleich Faszinierenderes und Erschreckenderes. Er war wahrhaftig der Tod.
Die nächste Antwort kam bereits etwas zögerlicher und unsicherer. Kathryn wurde sich langsam bewusst, dass sie gerade eine Begegnung mit etwas hatte, das wissenschaftliche Instrumente und Theorien nicht zu erklären vermochten.
„Und was wollen Sie nun von mir?“ Sie schluckte. „Mich... holen?“

Er konnte nichts mehr erwidern. Das Piepsen des Türmelders jagte Kathryn einen solchen Schrecken ein, dass ihr Herz beinahe stehen blieb. Für einen Moment fixierte sie die Tür, als könne sie hindurch sehen, wer sich auf der anderen Seite befand.
Sich wieder an den Tod entsinnend, wandte sie sich zu der Stelle um, wo er sich bis zuletzt befunden hatte. Der Raum lag dunkel und verlassen vor ihr. Sie war allein. Wie immer. Erneut piepste der Türmelder, er schien ungeduldiger zu klingen.
„Herein“, sagte Kathryn und fand zu ihrem alten kühlen Selbst zurück. Ihr Blick fiel auf den größer werdenden Spalt der aufgleitenden Tür. Ein ihr wohlbekanntes Gesicht erschien darin. Fast schwarze Augen wandten sich suchend umher. Feine Linien zeichneten ein Muster auf die eine Hälfte der Stirn, unter dunklem kurz geschnittenen Haar.

„Kathryn?“ fragte die sanfte warme Stimme Chakotays mit unüberhörbarer Besorgnis.
„Computer, Licht.“ Auf ihren Befehl hin, wurde es hell im Raum, die Schatten des Todes verschwanden vollends. "Ja Commander? Was kann ich für Sie tun?"
Sie sprach ihn bewusst mit seinem Dienstrang an, um ihm zu signalisieren, dass sie kein Gespräch privater Natur zu führen wünschte.
„Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Sie haben meine Rufe nicht beantwortet“, kam er darum sogleich zur Sache und musterte sie nachdrücklich.
„Das tut mir leid, ich habe Sie nicht gehört. Ich war gerade unter der Dusche...“, antwortete sie, wobei sie versuchte möglichst glaubhaft geknickt zu klingen.
Chakotay wusste, dass es nicht die Wahrheit war. Sein enttäuschter Blick, versetzte ihr einen Stich ins Herz.
„Ach so.“ Er bediente sich eines völlig beiläufigen Tonfalls. „Dann werde Sie wieder allein lassen. Wenn Sie mich brauchen, wissen Sie ja wo sie mich finden.“
Kathryn nickte. Sie brachte kein Wort mehr über die Lippen, weil sie sich sicher war, dass es, egal was sie nun sagte, das Falsche sein würde. Mit einem Zischen schloss sich die Tür hinter Chakotay und sie seufzte erleichtert.

Sie kam sich so schäbig vor, wusste sie doch genau, dass er sie wahrscheinlich über die Interkom nur hatte fragen wollen, ob sie mit ihm zu Abend essen wollte. Es war schließlich Freitag, und das gemeinsame Dinner war fast schon Tradition geworden. Die letzten Wochen aber, hatte sie immer eine andere Ausrede gefunden, um ihm abzusagen. Jetzt gingen sie ihr allerdings langsam aus.
„Verdammt, warum mache ich immer das Falsche?“ murmelte sie leise. „Wieso kann ich nicht auch endlich ein bisschen glücklich sein?“
Natürlich gaben ihr die Wände keine Antwort, aber sie spürte, dass der seltsame Besucher von vorhin ihren Worten zuhörte. Doch er zeigte sich nicht mehr. Vermutlich weil ihr Quartier nun vom Licht durchflutet war. Sie brachte es nicht fertig dem Computer den Befehl zu erteilen, die Beleuchtung wieder zu dämpfen. Was sollte sie ihm sagen, wenn er wieder kam?
Und was sollte sie Chakotay sagen? Sie war sehr nahe daran ihren besten Freund für immer zu verlieren, wenn sie nicht schnell etwas änderte, daran zweifelte sie nicht.
Den verbleibenden Abend über war keine Spur mehr von dem seltsamen Besucher zu sehen. Es erschien irreal, dass er überhaupt hier gewesen war. Auch von ihren Freunden innerhalb der Crew meldete sich niemand. Das Licht ließ sie auf voller Stärke, während sie sich ihrer Lektüre als einziger Gesellschaft widmete. Als sie sich dann schlafen legte, zeigte das Chronometer bereits weit nach elf.

Schatten wogten. Ein riesenhafter Schlund nahm den grauen Himmel fast vollständig ein. Wie ein gieriger Rachen, bereit zuzuschnappen. Der Boden schwankte unter Kathryns Füßen. Sie versuchte auf die Beine zu kommen, ohne gleich wieder zu fallen. Ihre Hände schlossen sich um das vor ihr befindliche hölzerne Geländer und sie sah darüber hinweg, direkt in die gähnende dunkle Leere hinein.
Erst jetzt wurde es ihr bewusst, dass sie sich auf einem Schiff befand. Einem alten Dreimaster, der bedrohlich von nicht vorhandenen Wellen hin und her geworfen wurde. Das Holz der Reling war morsch und brüchig. Zerfetzte schwarze Segel wirbelten im Sturm.
Aber das Unheimlichste waren die Gestalten an Deck. Dunkel. Unwirklich. Wie von Schleiern verhüllt. Sie bewegten sich in einem grotesken kantigen Totentanz. Kathryn erkannte ihren Vater und Justin. Außerdem waren da Crewmitglieder der Voyager, die während des Fluges durch den Delta-Quadranten ihr Leben verloren hatten. Keiner von ihnen schien ihre Anwesenheit zu bemerken.
Da erschien eine dunkel gekleidete Figur mit blondem Haar. Kathryn dachte sofort an den Tod, doch beim nächsten Blick, erkannte sie, dass er es nicht war. Weitere ganz ähnliche Gestalten tauchten an Deck auf. Es war unmöglich zu sagen, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Jeweils ein Arm ging in einen großen Flügel über. Es waren Todesengel, und auch sie tanzten den seltsamen Tanz.
Kathryn wollte nur weg. Aber wohin sollte sie fliehen? Ihr Blick fiel wieder auf den schwarzen Schlund, der an Größe gewonnen hatte. Dieses verfluchte Schiff schien davon angezogen zu werden, um irgendwann darin zu versinken. Da entdeckte sie oben am Steuerrad den Tod. Er sah sie an, offenbar schon eine ganze Weile. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte seine Lippen und langsam streckte er die Hand nach ihr aus.


Schwer atmend erwachte Kathryn in ihrem Bett an Bord der Voyager. In der Dunkelheit erkannte sie die ihr vertrauten Umrisse der Einrichtung. Es war alles nur ein Alptraum gewesen! Der Tod wollte sie nicht zu sich holen. Noch nicht jetzt. Oder? Hatte er seine gegenteiligen Absichten nur so beteuert, um sie in trügerischer Sicherheit zu wiegen? Wollte er sie nicht doch für sich?
Sie schluckte hart. Wieder hatte sie das Gefühl von einer unsichtbaren Kraft erbarmungslos erdrückt zu werden. Momentan machte das Leben sie nicht glücklich, aber sie war nicht sicher, ob der Tod so viel besser wäre. Wenn ihr darauf doch nur jemand eine Antwort geben könnte. Jetzt hätte sie vieles darum gegeben nicht der Captain zu sein. Es war so schwierig immer die Entscheidungen treffen zu müssen. Alle erwarteten von ihr stets das Richtige zu tun. Versagen konnte sie sich ganz einfach nicht erlauben.
Die Maske, die sie die ganze Zeit so mühsam aufrecht zu erhalten versuchte, begann zu zerbröckeln. Sie konnte einfach nicht mehr. Und sie wollte auch nicht. Egal was sie tat, es war am Ende immer falsch. Das Schicksal trat sie mit Füßen, obwohl sie bereits blutend am Boden lag. Sie sehnte sich so nach jemandem, der sie verstand, und in dessen Arm sie sich ausruhen konnte. Wann entschied endlich einmal jemand für sie?

Kathryn schlief für den Rest der Nacht tief und traumlos. Lange vor dem Weckruf des Computers war sie bereits wieder wach, schlüpfte in ihre Uniform und trank eine große Tasse Kaffee. Noch vor dem Schichtwechsel erschien sie auf der Brücke und zog sich gleich in ihren Bereitschaftsraum zurück, mit dem Hinweis, dass sie nicht gestört werden wollte.
Demotiviert machte sie sich an die Berichte der verschiedenen Abteilungen, die bearbeitet werden wollten. Zu ihrem Schrecken musste auch noch der Dienstplan für die kommende Woche erstellt werden. Eine Aufgabe, die sie normalerweise mit ihrem Ersten Offizier gemeinsam erledigte. Doch momentan wollte sie ihn nicht einmal dienstlich sehen. Zeit für unangenehme Fragen fand er immer, und sie hatte keine Lust ihm diese zu beantworten, noch sich Notlügen einfallen zu lassen.
Der Stapel der unerledigten Padds schrumpfte nur langsam. Diese Arbeit erschien ihr so sinnlos. Es stand ohnehin überall nur das gleiche und sie hatte es schon zu oft gelesen. Selbst der dampfend heiße Kaffee wollte nicht so schmecken wie immer. Schließlich legte sie den Bericht, den sie gerade in der Hand hielt, zur Seite und ihr Blick fiel auf die Sterne vor dem Fenster. Dünne weiße Linien, was sonst?

Die Tugenden sind einstudiert,
und alle Flüche sind gesagt,
und alle Segen revidiert.


Plötzlich spürte sie, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief. Es war das gleiche Gefühl, wie am Vorabend. Sie sah abrupt auf. Warme braune Augen erwiderten ihren Blick. Vor Schreck sprang sie so hastig auf, dass sie beinahe ihren Stuhl umgestoßen hätte. Der Tod hob beschwichtigend die Hände und bedachte sie mit einem leichten, ein wenig seltsam anmutenden Lächeln.
„Kathryn Janeway, so überrascht bist du also mich wieder zu sehen?“ Er legte den Kopf schief.
„Ja...“, antwortete sie, „und nein.“ Als würde dies schon alles erklären, marschierte sie an ihm vorbei zu dem kleinen Sofa vor dem Fenster, und ließ sich darauf nieder.
„Du hast letzte Nacht etwas geträumt, das du nicht verstehst, habe ich recht?“
Sie nickte überrascht. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Es war kein Traum. Kein gewöhnlicher jedenfalls“, erwiderte er mit seinem gewohnt neutralen Blick.
Kathryns Neugier war nun geweckt. „Erklären Sie das! Was war das? Was habe ich gesehen?“
Er lachte leise. „Ahnst du es nicht? Es ist dein untergehendes Schiff.“
„Ich glaube ich verstehe nicht...“
„Ja, dein Schiff, das im Schlund der Zeit versinkt.“ Ihr Blick schien ihn zu amüsieren. „Nicht dieses hier. Es ist das Schiff deines Lebens. Und die Wahl ist an dir.“
„Welche Wahl denn?" fragte Kathryn etwas zögernd nach.
„Ob du mit ihm untergehen willst oder nicht!“
Diese Aussage traf sie mitten ins Herz. Sie glaubte zu verstehen. Aber vielleicht irrte sie doch nur ein weiteres Mal. Gefühle, die sich in ihr angestaut hatten, brachen plötzlich hervor.
„Ich entscheide die ganze Zeit. Jetzt will ich nicht mehr, verdammt!“ Es war ihr egal, ob man sie draußen auf der Brücke hörte. Wie konnte nun auch er eine Wahl von ihr verlangen? Wie konnte er sich dazu erdreisten?!
Der Tod sah sie nur stumm an, machte keine Anstalten sie zu unterbrechen und etwas zu erwidern.
„Warum nimmst du mich nicht einfach mit dir und beendest es?“ fragte sie ihn tonlos. Die Wut, die sie noch vor einem Augenblick verspürt hatte, war gewichen. Nun fühlte sie sich völlig kraftlos und leer.
„Das liegt jenseits meiner Macht“, sagte der Tod mit seiner tiefen tröstlichen Stimme. „Diese Entscheidung kannst nur du treffen. Es gibt niemanden, der dir das abzunehmen vermag.“
„Das verstehe ich nicht. Wenn du der Tod bist, und kamst, um mich zu holen, warum bringst du es dann nicht endlich hinter dich?“ Kathryn starrte auf eine Ecke des Sofas und sah erst auf, als sie keine Antwort erhielt.

Er war weg! Sie befand sich wieder allein im Raum. Eine stumme Träne rann ihre Wange hinab. Anscheinend war es Kathryn Janeway nicht vergönnt, es auch einmal leicht zu haben.
Mit gemischten Gefühlen erhob sie sich, um wieder hinüber zu ihrem Schreibtisch zu gehen, wo die Arbeit auf sie wartete. Ihr Blick fiel plötzlich auf die kleine schmale Vase, die verloren zwischen gestapelten Padds stand. Die zarte gelbe Rose darin war ein Geschenk von Chakotay gewesen. Doch jetzt war sie völlig vertrocknet, die Blätter hingen braun und schlaff herab. Leblos. Tot.

Die Hässlichkeit empört uns nicht.
Die Schönheit scheint uns längst banal.
Die gute Tat belehrt uns nicht.
Die böse Tat ist uns egal.


Sichtlich überrascht nahm Kathryn nach kurzer Zeit zur Kenntnis, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Tod und ihr offenbar nicht bis auf die Brücke gedrungen war. Sonst hätte nämlich schon längst Chakotay oder Tuvok nach dem Rechten gesehen, was eine Reihe unangenehmer Fragen nach sich gezogen hätte. Andererseits, der Tod war ein mächtiges Wesen, für ihn sollte es eine Kleinigkeit sein unbemerkt von allen anderen mit jemandem zu interagieren.
Sie seufzte leicht, während sie wieder ein Padd zur Hand nahm und es zu studieren begann. Wenn doch nur darin eine einfache klare Antwort stünde. Aber natürlich war das nicht der Fall, es handelte sich ja nur um Berichte und noch mehr Berichte. So sehr sie es versuchte, es gelang ihr einfach nicht, sich genug auf die Arbeit zu konzentrieren.
Am Ende ihres Dienstes lagen immer noch einige unerledigte Padds auf dem Tisch. Kathryn ignorierte sie. Normalerweise hätte sie sie ihr Quartier mitgenommen, um dort weiter daran zu arbeiten, doch im Moment erschien ihr das so sinnlos. Lediglich die Vase mit der verwelkten Rose brachte sie zum Replikator und sah zu, wie sie sich dort entmaterialisierte.
Chakotay war noch auf der Brücke, vermutlich hatte er darauf gewartet, dass sie endlich aus ihrem Raum kam. Doch Kathryn tat ihm nicht den Gefallen das zu belohnen. Sie nickte ihm lediglich kurz zu, ohne ihn wirklich anzusehen, ehe sie in den Turbolift stieg. Als sich die Tür leise zischend schloss, war sie erneut allein. Keine neugierigen Blicke, keine Erwartungen, die sie erfüllen musste. Auf diese Weise konnte sie auch niemanden enttäuschen.

Mit einer seltsamen Leere in ihrem Inneren ließ sie sich, in ihrem Quartier angekommen, auf ihr Bett fallen. Ihre Schuhe landeten in einer Ecke des Raumes. Sie schloss die Augen und lauschte der wohltuenden Stille.
Die Worte des Todes kamen ihr wieder in den Sinn. Sie musste entscheiden, ob sie mit dem Schiff untergehen wollte oder nicht. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten - und zwar den Unterschied zwischen Leben und Sterben.
Lohnte es sich überhaupt noch so weiter zu existieren? Die erdrückende Einsamkeit suchend, um allen Forderungen und Erwartungen zu entgehen. Sie konnte nicht einmal mehr ihrem besten Freund in die Augen sehen.
Etwas riss sie aus ihren Gedanken. Es war ein Flüstern, wie der Wind in herbstlichen Bäumen. Jemand sprach ihren Namen aus. Eine Stimme, die ihren Ursprung Welten entfernt hatte, rief nach ihr.

"Ich führ dich fort aus Raum und Zeit, in eine bess're Wirklichkeit."

Sie wusste sofort, dass es der Tod war, der sie in Versuchung führen wollte. So verlockend seine leise Melodie klang, so stark war ihre Weigerung. Erst sollte er sich erneut zeigen, dann würde sie nicht locker lassen, bis er aufhörte in Rätseln zu sprechen, und ihr klare Antworten gab. Sie wollte wissen, was sie erwartete.
Erschrocken sah sich Kathryn im Zimmer um. Sie war allein. Begann sie nun etwa schon an Halluzinationen zu leiden? Mit einem leichten Kopfschütteln schloss sie erneut die Augen, wollte sich zurück aufs Bett sinken lassen.
Doch da spürte sie zwei große warme Hände beiderseits an ihrem Kopf. So sehr es sie danach drängte sich auf der Stelle umzuwenden und ihn anzusehen, sie vermochte es nicht. Etwas hielt sie zurück.

Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge. Sie sah die Messe. An einem großen Tisch saßen die Führungsoffiziere schwatzend und lachend. Chakotay, Tom, B'Elanna, Harry, der Doktor, Seven und Tuvok. Die letzten beiden mit den bekannten neutralen Mienen. Neelix brachte mit einem sichtlich zufriedenen Ausdruck einen großen dampfenden Topf. Schließlich entdeckte sie sich selbst neben Chakotay und sie schien ebenfalls zu amüsieren. Seine Hand berührte zärtlich die ihre. Ein gesunder rötlicher Schimmer überzog ihre Wangen, ihre Lippen formten ein fröhliches Grinsen. In der Mitte des Tisches stand eine große Schüssel mit Schokoladenkeksen. Aber etwas erschien ihr an der ganzen Situation grundfalsch.

Doch bevor sie auch nur darüber nachdenken konnte, verschwamm die Szene und entglitt ihr. Abrupt öffnete sie die Augen. Seine Hände hielten ihren Kopf nicht mehr. Die seltsame Barriere hatte sich aufgelöst, sie konnte sich endlich umwenden, und ihm ins Gesicht sehen. Der bekannte zeitlosen Ausdruck lag darin. Kathryn griff nach seiner Hand. Sie fühlte sich warm und lebendig an, ein Umstand, den sie in Anbetracht dessen, dass er der Tod war, äußerst merkwürdig fand. Doch jetzt war nicht die Zeit sich um derlei Dinge Gedanken zu machen. Zu viele Fragen brannten ihr auf der Zunge.
„Was war das, was ich eben gesehen habe?“ fragte sie ihn forsch, keinen Zweifel lassend, dass sie eine Antwort wollte. „Eine Erinnerung war es nicht, diese Situation habe ich nie erlebt. Ähnliche ja...“
Das schien ihn zu amüsieren, er lachte leise. „Du hast recht. Es war nicht etwas, das bereits vergangen ist, sondern etwas, das noch sein kann.“
„Du hast mir die Zukunft gezeigt? Wie...?“ Sie schnappte überrascht nach Luft.
„Raum und Zeit haben für mich keine Bedeutung, weißt du. Ich kann das Vergangene wie das Zukünftige sehen, wenn ich es will. Aber normalerweise lasse ich die Lebenden darin keinen Einblick nehmen. Es könnte sie beeinflussen.“

Kathryn ließ nicht nach, sie wollte alles wissen. Und zwar auf der Stelle. „Warum bei mir? Was macht mich anders?“ Sie sah ihn an. Ihr Blick wurde glasig. „Sag mir, wie es so werden kann. Ich weiß nicht wie. Ich habe sie alle enttäuscht. Bestimmt wollen sie nie wieder etwas von mir wissen.“
Erinnerungen an Zeiten, in denen es tatsächlich so gewesen war, kamen in ihr hoch. Diverse Feiern, die Neelix auf die Beine gestellt hatte. Ungezwungene Unterhaltungen und Scherze fern von der Brücke. Nicht unter Kollegen, sondern unter Freunden.
Sie schluchzte leise. All das hatte sie verspielt und verloren. Dass der Tod ihre Hand drückte, merkte sie nur am Rande. „So kann es nie wieder sein“, murmelte sie unter aufkommenden Tränen.
„Doch das kann es“, sagte der Tod mit fester überzeugender Stimme. „Wenn du es nur zulässt, Kathryn. Sie haben sich nicht von dir abgewandt. Du bist es, die sich vor ihnen zurückzieht, und das weißt du. Ihr braucht einander, sie dich als ihre Führung und du sie als deinen Halt.“
„Aber wie soll ich sie noch führen? Ich bin schuld, dass sie überhaupt hier sind. Ich allein.“ Sie wandte sich ab, weinte stumme Tränen.
Sanft hob der Tod ihr Kinn an, damit sie ihn wieder ansehen musste. „Das ist nun einmal deine Pflicht. Nur deine. Das heißt allerdings nicht, dass du sie allein erfüllen musst.“
„Doch, genau das heißt es. Ich muss entscheiden, ich! Und ich trage die Verantwortung für die Folgen. Ich und sonst keiner.“
Warum verstand er es einfach nicht? Sie konnte nicht mehr. Es war zu spät. Ab einer gewissen Grenze gab es keinen Weg zurück mehr, und die hatte sie längst überschritten. Wenn sie versuchte weiter zu machen wie bisher, würde sie nur versagen und ihre Mannschaft ein weiteres Mal bitter enttäuschen.

Denn alle Wunder sind geschehn
und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn,
uns alle Klänge totgehört.


„Eine harte Aufgabe“, bestätigte der Tod. „Aber undankbar ist sie nicht. Oder hast du bereits vergessen, womit du dafür entlohnt wirst?“
Kathryn sah ihn verwirrt an, sie wusste nicht, worauf er hinaus wollte. Mit dem Handrücken wischte sie die salzige Nässe von ihren Wangen.
„Nun, dann will ich dich gerne daran erinnern“, fuhr er fort. „Indem du im Dienst deine Pflicht erfüllst und deiner Mannschaft das Vorbild bist, das sie so sehr braucht, gewinnst du nach Dienstschluss ihre Freundschaft. Du musst nicht einsam sein. Der einzige Grund, aus dem du es bist, ist weil du dich dafür entschieden hast.“
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam kein Wort über ihre Lippen, und so schloss sie ihn einfach wieder. Etwas zerrte in ihrem Inneren wie ein wildes Tier an ihren Eingeweiden.
„Jetzt ist es wirklich genug, Kathryn. Du musst wieder anfangen zu leben.“

Kathryn sah ihren seltsamen Besucher mit gemischten Gefühlen an. In seinem Gesicht regte sich nichts, lediglich in seinen Augen erkannte sie wieder diesen warmen anziehenden Ausdruck.
Ihr begann klar zu werden, wie sehr sie die gemeinsamen Abende mit den anderen Crewmitgliedern im Casino vermisste. Wenn sie sich von allem abschottete, sperrte sie zwar aus, was ihr unlieb war, aber ebenso die schönen Dinge.
„Ich weiß nicht, ob das genug ist“, flüsterte sie schließlich. „Der Weg ist noch so lang, und viele Entscheidungen wird er uns allen abverlangen.“
Der Tod lächelte kaum merklich. "Das hast du gut erkannt. Euch allen. Nicht dir allein. Du weißt was du zu tun hast, also setz es auch um. Warte nicht!“
Ein letzter Händedruck, ein viel zu flüchtiger Blickkontakt. Dann war er in den Schatten verschwunden, denen er entstammte. Kathryn hatte keine Chance mehr, noch zu reagieren. Kummervoll starrte sie in die Leere, wo er gerade noch gewesen war.

Jetzt da sie wieder allein war, sehnte sie sich zurück nach seiner Gegenwart. Er verstand sie, wie es sonst niemand konnte. Bei ihm war sie nur Kathryn, nicht länger Captain Janeway. Ränge waren für ihn ohne Bedeutung, nur die Person dahinter zählte. Sie fragte sich, wie es wohl sein mochte, ihn zu küssen. Vom Unheil bringenden Todeskuss gab es viele Geschichten, doch sie hatte ihn, den Tod, nie als bedrohlich empfunden. Waren seine Lippen warm und weich, oder kalt wie reines Eis?
Amüsiert über ihre Gedanken rief Kathryn sich zur Ordnung. Wie lächerlich. War sie etwa gerade dabei sich in den Tod selbst zu verlieben? Alles an ihm war verlockend. Und es gab einen Weg, der sie für immer an seine Seite brachte. Es war so einfach. Aber was, wenn er sie nicht liebte?

In dieser Nacht schlief Kathryn denkbar schlecht. Wirre Träume, Bilder ohne Sinn und Verstand raubten ihr die Ruhe. Die meisten drehten sich um den Tod, aber später vermochte sie nicht mehr zu sagen, worin genau sie bestanden hatten.
Das Schiffschronometer stand auf fünf Uhr morgens, als sie schließlich resignierte und aufstand.
Während sie kurz danach aus der Schalldusche trat und nur mit einem großen Handtuch um den Körper vom Badezimmer wieder in den Wohnraum ging, erfasste sie plötzlich ein kalter Schauer. Sie spürte eine Anwesenheit. Eine Fülle unterschiedlicher und starker Emotionen. Körperlos.
Wie angewurzelt verharrte Kathryn auf dem Fuß, als sie der Quelle der ungewöhnlichen Empfindungen gewahr wurde. Im Raum vor dem Fenster war dichter heller Nebel. Aber nicht das bloße Vorhandensein desselben erschreckte sie so, sondern die Formen, die sich heraus zu kristallisieren begannen. Menschlich waren sie, jedoch nicht körperlich fest.
Vor der Kommandantin erschien das blasse Bildnis einer Frau, gleich einer Vision purer Schönheit. Die Gestalt trug ein weißes Kleid, dessen Saum in wallenden Nebelfetzen endete. Das Haar war dunkel, kunstvoll geflochten und mit glitzernden Sternen verziert. Kathryn konnte sich nur ansatzweise ausmalen, wie diese Frau wohl aussehen mochte, wäre sie mehr als ein seltsamer Schemen.
Was war sie eigentlich? Ein Geist? Zu keiner Zeit hatte Kathryn, durch und durch eine Wissenschaftlerin, jemals an übernatürliche Erscheinungen geglaubt. Doch hatte sie nicht ihr faszinierender dunkler Besucher, der Tod, eines Besseren belehrt?
Sie blinzelte. Die Frauengestalt verschwand jedoch nicht. Geisterhaft und wahrhaftig schön verblieb sie. Das ernste traurige Gesicht schien so fehl am Platze. Die Gefühle, die im Raum schwebten, passten dazu. Unendlicher Kummer. Tiefe Einsamkeit. Bodenlose Enttäuschung.
Aber da war noch etwas anderes. Stummes Flehen lag in den dunklen Augen, die so viel Leid offenbarten. Auf einmal wusste Kathryn, warum ihre Besucherin in dieser Nacht zu ihr gekommen war. Als würde die Erscheinung das Verständnis spüren, begann sie langsam wieder zu verblassen.

„Geh nicht“, bat die Kommandantin. Ihr lagen so viele Fragen auf der Zunge. Aber würde die Frau, stumm wie sie die ganze Zeit geblieben war, ihr überhaupt antworten? Sie sollte es nicht heraus finden. Nur wenige Augenblicke später stand sie allein in ihrem dunklen Quartier. Von der nebelhaften Gestalt war keine Spur zurück geblieben. Mit ihr waren auch die in der Luft liegenden Emotionen verschwunden.
Ein Blick auf das Chronometer sagte Kathryn, dass sie noch viel Zeit hatte, bis ihr Dienst begann. Ihre Neugier war erwacht, und so setzte sie sich an den Computer, um die Datenbanken der Voyager zu durchforsten, denn sie hoffte die ungewöhnliche Besucherin darin wieder zu finden.

Alle Fragen sind gestellt,
und alle Chancen sind verschenkt.
Wir sind die Letzten einer Welt,
die stets an ihren Selbstmord denkt.


Weil Kathryn keine Ahnung hatte, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte, dauerte es viel länger, als sie es zunächst angenommen hatte, bis das Bild einer Frau in einem prächtigen weißen Kleid, mit dunklem geflochtenem Haar, geschmückt mit glitzernden Sternen auf dem Bildschirm erschien.
Das war sie! Sie hatte sie gefunden. Das Gemälde entstammte der Feder eines Malers namens Winterhalter und es zeigte Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Jetzt erinnerte sie sich dieses Bild bereits einmal in einem Geschichtsbuch während ihrer Schulzeit gesehen zu haben. Nur ein weiterer Name aus der Vergangenheit der Erde. Unvergessen, und dennoch mit der Zeit bedeutungslos geworden.
„Warum hast du mich besucht? Was wollest du von mir?“ fragte sie leise, als könne ihr die ernst blickende Frau auf dem Abbild des Gemäldes aus dem neunzehnten Jahrhundert eine Antwort geben. Natürlich geschah nichts dergleichen. Die dunklen Augen der Habsburgerin, als die sie im Text ausgewiesen wurde, sahen starr ins Nirgendwo, als würden sie jenseits aller weltlichen Grenzen etwas Besseres erkennen.

„Du weißt es doch längst.“

Die samtig tiefe Stimme, die ihren Ursprung irgendwo hinter ihr hatte, war ihr wohlbekannt, und ließ ihr Herz hüpfen. Er war wieder da! Endlich. Sein letzter Besuch schien schon so lange zurück zu liegen, wenngleich er erst am Vorabend gewesen war.
Der Tod blickte an Kathryn vorbei auf den Bildschirm, der immer noch das bekannte Winterhalter-Bild Kaiserin Elisabeths zeigte. Ein bitteres Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Die Kommandantin beobachtete ihren willkommenen Besucher von der Seite her, sodass ihr die Regungen in seiner Mimik nicht entgingen.
„Du bist ihr ein bisschen ähnlich“, sagte er schließlich. „Ebenso stolz und unbegreifbar.“
Kathryn hob die Augenbraue. „Ich bin was?“
„Unbegreifbar“, wiederholte er. „Und unnahbar für die, die dir gerne nahe sein wollen.“
Sie antwortete nichts mehr. Ihr fiel nicht das Passende ein, falls es das in einer derartigen Situation überhaupt gab.

Nach einer Zeit des Schweigens, in der die beiden einander nur ansahen, war es wieder der Tod, der die drückende Stille durchbrach.
„Vergiss mich. Wenn ich dieses Mal gehe, werde ich nicht wieder kommen. Du musst dein Leben fortsetzen, bis wir eines Tages erneut voreinander stehen.“
„Du meinst, wenn ich sterbe?“ Sie machte eine wegwerfende Geste. „Ich habe eine gefährliche Aufgabe. Wer weiß schon, ob ich nicht bei der nächsten Außenmission auf einem gottverlassenen Planeten durch einen dummen Unfall mein Leben verliere?“
In den braunen Augen des Todes spiegelte sich Ungläubigkeit. Er nahm ihre Hände in seine und drückte sie, während er ihren Blick mit dem seinen eisern festhielt. „Versprich mir, dass du mich nicht suchst. Versprich es mir!“
Sie musste ihre ganze Kraft aufbringen, um sich von ihm abzuwenden. „Was ist, wenn ich es nicht kann? Wenn ich dich nicht vergessen kann? Du warst es doch, der zu mir kam.“ In ihr keimte der leise Verdacht, dass sie sich lächerlich anhörte, doch sie hatte das Gefühl ihn mit dem, was in ihr vorging, konfrontieren zu müssen. „Es ist deine Schuld, dass ich mich in dich verliebt habe... und nun willst du mich einfach wieder wegstoßen?“
Hatte sie das eben wirklich gesagt? Offenbar, denn es war ihre Stimme gewesen. Sie schalt sich selbst für diesen Ausbruch. Wurde sie nun vollkommen verrückt? Auf der Suche nach einer Bestätigung sah sie ihn an. Aber sie fand keine. Sein ebenmäßiges Gesicht war zeitlos schön. Eine Tatsache, die sie an seine Natur erinnerte.
Dem personifizierten Tod hatte man immer schon die Fähigkeit abgesprochen Liebe zu empfinden. In seinen Augen war allerdings etwas ganz anderes zu lesen.
„Du... du liebst sie immer noch, oder?“ fragte Kathryn schließlich kaum hörbar.
Er nickte nur. Sie, diese Frau, die ihm nun stumm und ernst von dem Bildschirm entgegen blickte, war es gewesen, die ihn die Bedeutung von Liebe gelehrt hatte.
Kathryn sagte nichts mehr. Etwas brach in ihrem Inneren. Sie wusste nun, dass es sinnlos war dem Tod Gefühle entgegen zu bringen. Er würde sie nicht erwidern.
„Also ist sie gekommen, um mir mitzuteilen, dass ich dich nicht haben kann?“ Ihre Stimme klang düster und brüchig.
„Im Grunde war sie nie wirklich hier. Was du gesehen hast, war nur ein Spiegel von ihr. Sie hat mein Reich nie verlassen, keiner kann das, wenn er erst einmal Teil davon ist“, erwiderte der Tod langsam. „Und sie wollte dir sagen, dass du leben sollst. Wenn eines Tages deine Zeit gekommen ist, werde ich dich erwarten.“
Eine andere Empfindung kam nun in ihr auf. Enttäuschung, gefolgt von Wut. Weshalb hatte er zugelassen, dass sie sich in ihn verliebte, wenn es nie seine Absicht gewesen war, sie mit sich zu nehmen? Wenn er einfach wieder verschwand, so plötzlich wie er gekommen war, würde sie erneut allein sein. Er war der einzige, der sie verstand. Warum ließ er sie nun so jämmerlich im Stich?

„Warum gehst du nicht einfach?“

Dieser trotzig klingende Satz sorgte dafür, dass sich der Tod von dem großen Fenster abwandte und zu Kathryn blickte. Seinen Ausdruck wusste sie nicht zu deuten, allerdings war ihr sehr wohl klar, dass sie sich anhören musste, wie ein kleines Kind. Aber sie konnte einfach nicht anders.
„Das werde ich“, antwortete er langsam. „Suche das, was du in mir siehst, in einem lebenden Mann. Dann findest du dein Glück.“
„Was weißt du denn schon von Glück?“ Im nächsten Moment bereute sie die vor Ironie triefende Bemerkung und biss sich auf die Zunge.
Der Tod lachte auf. „Mehr als du denkst.“ Er wies auf das Abbild Kaiserin Elisabeths auf dem Computerschirm. „Fast fünfhundert Jahre ist es jetzt her, seit ich sie endlich in die Arme schließen und ihr den Neubeginn schenken durfte...“
Kathryn hatte längst begriffen, wie sehr er diese Frau immer noch lieben musste. Sie nickte nur. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder. Es klang so simpel, doch wie in aller Welt sollte sie den Tod in einem gewöhnlichen Mann finden?
Erst als er sanft über ihre Wange strich, sah sie auf. Seine Miene verriet nichts, und doch wusste sie, dass es nun Zeit war, Abschied zu nehmen. Abschied vom Tod! Eigenartige Vorstellung, dachte sie bei sich.
„Leb wohl, Kathryn“, begann er. „Lebe, dann wird alles wieder gut.“
Sie wollte etwas erwidern, aber über ihre Lippen kam kein Laut. Auch ein letzter flehender Blick hielt ihn nicht zurück.
Als sich die Kommandantin allein im Raum wieder fand, wurde ihr klar, dass er fort war. Sie hob die Hand an ihr Gesicht, wo zuvor seine Finger gewesen waren. Immer noch glaubte sie seine zärtliche Berührung zu spüren.
„Es war nur eine Illusion“, murmelte sie fast lautlos. Ihr Blick fiel wieder auf den Bildschirm, von wo aus ihr nach wie vor die überirdisch schöne Frau entgegen sah. Ihr gemaltes Gesicht war unverändert ernst, und doch glaubte sie ein ganz leichtes Lächeln wahrnehmen zu können. Mit einem Knopfdruck schaltete sie das Gerät ab.

Und alles, alles was passiert,
hilft uns, die Zeit zu überstehn.
Weil jedes Leid uns delektiert,
sehn wir dich gerne untergehn.


Die Einsamkeit ihres Quartiers erschien ihr auf einmal beengend und nicht länger tröstlich. So oft sie auch blinzelte, der schwarze Prinz blieb fort, wenn sie die Augen öffnete. Schließlich hielt sie es allein nicht mehr aus. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit sehnte sie sich wieder nach Gesellschaft. Sie hatte einen Freund um Verzeihung zu bitten.

Chakotay betrachtete Kathryn voller Verblüffung, als sie auf sein teilnahmsloses „Herein“ den Raum betrat. Gerechnet hatte er mit Tuvok, der irgendeinen Bericht besprechen wollte, oder mit B'Elanna, die seinen freundschaftlichen Rat suchte. Am allerwenigsten aber mit ihr, die sie ihn schon lange mied.
„Überrascht?“ fragte Kathryn ihn mit einem leichten Lächeln.
Er nickte und machte eine ausladende Geste in Richtung der kleinen Sitzecke. Doch sie rührte sich nicht.
Seine Augenbraue wanderte in die Höhe. „Was führt Sie denn zu mir, Captain?“
„Chakotay, ich... ich möchte mich bei Ihnen für mein Verhalten in letzter Zeit entschuldigen.“ Die Benutzung des Dienstranges war ihr nicht entgangen. Falls das seine Art war, ihr seine Enttäuschung zu zeigen, geschah ihr das ganz recht.
Das Schweigen, das nun folgte, war fast noch schlimmer als es eine knappe distanzierte Antwort gewesen wäre. Eine solche hätte ihr zumindest Klarheit verschafft. Sie fühlte sich so hilflos. Hatte sie die Freundschaft dieses Mannes wirklich für immer verspielt?
„Ich würde es verstehen, wenn Sie außerhalb der Brücke nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“, fügte sie hinzu. Ein leises Seufzen entkam ihr. „Am besten lasse ich Sie wieder allein.“

Als sie sich zum Gehen wandte, vertrat er ihr den Weg. Irritiert sah sie in die braunen Augen des Indianers, in denen sie nichts von alldem las, das sie so gefürchtet hatte.
„Schon gut, ich verzeihe Ihnen, Kathryn.“ Er lächelte. „Ich habe mir Sorgen um sie gemacht, wissen Sie das eigentlich?“
Anstatt einer Antwort fiel Kathryn ihm einfach um den Hals. Es machte sie so glücklich, dass er immer noch ihr Freund sein wollte.
Und da war noch etwas anderes. Als sie ihn wieder anblickte, verstand sie endlich, was der Tod damit gemeint hatte, sie solle das, was sie in ihm sah, in einem normalen Mann suchen. Er hatte sie von Anfang an verstanden. Ihre Sorgen, ihre Ängste.
Auch in den warmen braunen Augen Chakotays lag dieses Verständnis. Und er würde sie niemals im Stich lassen.
„Ich wollte gerade ins Casino zum Frühstück. Haben Sie Lust mir Gesellschaft zu leisten?“ Der Erste Offizier sah sie abwartend an.
Kathryn nickte. „Sehr gerne, Chakotay.“
Kaum im Korridor angelangt, waren die beiden schon in ein angeregtes Gespräch vertieft. Wie sehr sie das vermisst hatte! Und in diesem Moment gab sie dem Tod das stumme Versprechen ihn nicht zu suchen.
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