Captain Richard Robau öffnete die Augen, als er das Summen des Intercoms vernahm. Er wusste, was es zu bedeuten hatte. Die letzte Stunde, die ihm geblieben war, war endgültig abgelaufen. Seine Reise war zu Ende.
Robau setzte sich auf seiner Pritsche auf und aktivierte das Intercom in der Wand direkt neben ihm:
„Hier Robau. Was gibt es?“
„Sir, das Shuttle, das Sie abholen soll, wird in fünf Minuten eintreffen“, meldete sich seine Erste Offizierin.
Robau nickte wissend. Als ihm bewusst wurde, dass sie ihn natürlich nicht sehen konnte, sagte er:
„Verstanden. Ich werde mich gleich direkt auf dem Weg zum Hangar machen. Keine großen Abschiedsszenen, Mary. Einverstanden?“
Die Antwort kam zögerlich, aber schließlich stimmte sie ihm zu und schloss den Kanal.
Robaus Blick glitt auf die zwei großen, prallgefüllten schwarzen Reisetaschen, die er bereits vor einer Stunde, ehe er sich hingelegt hatte, vorbereitet hatte. Beide Taschen wiesen den weißen Schriftzug „U.S.S. TAURUS“ auf. Das war der Name jenes Schiffes, das er in Kürze wohl für immer verlassen würde. Er hatte die letzten sieben Jahre auf diesem Schiff gelebt und es in den letzten beiden Jahren kommandiert. Die Taurus war sein Zuhause geworden und er ging nur widerwillig. Aber er war natürlich auch mit Herz und Seele ein Offizier der Sternenflotte und er ging dorthin, wo die Sternenflotte ihn brauchte.
Ein letztes Mal ging er in die kleine Hygienenische seines Quartiers, spritze sich etwas Wasser ins Gesicht und wischte sich die Müdigkeit aus den Augen. Er blickte in den Spiegel, der über dem Waschbecken angebracht war und stellte erstaunt fest, dass er tatsächlich recht ausgeruht aussah. Dunkle, konzentriert blickende Augen starrten ihm entgegen. Seine leicht bräunliche Haut war straff und am Kinn glatt rasiert. Und wegen seiner Frisur hatte er sich ohnehin noch nie Sorgen machen müssen: Sein Kopf war kahl wie eh und je, was ihn mindestens zehn Jahre älter aussehen ließ, als er eigentlich war. Dabei war er gerade einmal 35 Jahre alt. Anderseits hatte er festgestellt, dass es für ihn durchaus kein Nachteil war, etwas älter zu wirken. Kaum ein Kollege, der es nicht irgendwo gelesen hatte, wusste, dass Robau der jüngste amtierende Raumschiffkapitän in der Sternenflotte der Föderation war. Ein Umstand, der ihm nun mit zweijähriger Verspätung das Kommando über die Taurus gekostet hatte. Es war nur kurze Zeit nach seiner Beförderung zum Ersten Offizier gewesen, als der eigentliche Captain des Schiffes nach einer Außenmission an einem außerirdischen Virus qualvoll gestorben war. Die Taurus war damals auf einer Kartographierungsmission Monate entfernt von den Zentralwelten der Föderation gewesen, weshalb das Sternenflottenkommando Robau provisorisch zum Captain ernannt hatte. Er hatte die Mission erfolgreich und ohne nennenswerte Zwischenfälle zu Ende geführt. Vor sieben Tagen waren sie wieder in das Territorium der Vereinigten Föderation der Planeten zurückgekehrt. Und vor sechs Tagen hatte Robau den Befehl erhalten, seine Sachen zu packen und sich zwecks Versetzung zum Rande des Inferna-Systems zu begeben um dort abgeholt zu werden.
„Jetzt ist es also soweit“, sagte Robau zu sich selbst, zog sein blaues Uniformhemd zurecht und schnappte sich die Reisetaschen. Mit je einer Tasche in jeder Hand, konnte er nur umständlich den Türöffner betätigen. Als er es schließlich schaffte, den Knopf zu drücken und sich die Türhälften nach links und rechts auseinanderschoben, versperrte ihm eine Offizierin den Weg. Und es war nicht irgendeine Offizierin, sondern Mary Estevez, mit der er gerade vorhin per Intercom gesprochen hatte.
„Wollten wir nicht auf große Abschiedsszenen verzichten?“, fragte er überrascht.
„Natürlich, Sir. Ich dachte nur, Sie könnte beim Tragen Ihrer Taschen Hilfe brauchen“, erwiderte sie wie selbstverständlich und mit gespieltem Ernst.
Er reichte ihr eine der Taschen, die fast so groß war wie sie selbst. Mary hatte in den letzten zwei Jahren als seine Erste Offizierin gedient und zugleich war sie auch seine beste Freundin geworden. Mehr noch, er fühlte sich für sie so verantwortlich wie ein großer Bruder für seine kleine Schwester. Aber nun musste er loslassen. Er ließ los und Mary nahm die Tasche an sich. Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie die Tasche als schwer empfand. Robau warf einen letzten Blick zurück in sein Quartier, drehte das Licht ab und ging.
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„Ich hatte nie damit gerechnet, für immer Captain der Taurus zu bleiben. Trotzdem gehe ich nur sehr ungern. Aber ich denke, ich schlage mich ganz gut, oder?“
„Allerdings. Deine Rede vorhin auf der Brücke hat jedem Tränen in die Augen getrieben“, erwiderte Mary lächelnd. Sie waren nun in der Turboliftkabine unterwegs und abseits neugieriger Ohren waren sie nun per du.
Marys Lächeln verblasste ein wenig, als sie etwas ernster hinzufügte: „Also ich hatte fest damit gerechnet, dass du unser Captain bleibst. Du hast einen tollen Job gemacht, das Sternenflottenkommando war mit dir doch immer sehr zufrieden.“
Das stimmte natürlich. Seit seiner Kommandoübernahme hatte er das Schiff souverän geführt. Er hatte ein paar erfolgreiche Erstkontakte mit außerirdischen Spezies hergestellt, jede Menge bewohnbare Planeten kartographiert, die für künftige Kolonien in Frage kamen. Und wenn es notwendig gewesen war, hatte er auch deutlich gemacht, dass man sich mit ihm nicht anlegen sollte. Einige orionische Piraten und izarianische Unruhestifter konnten ein Lied davon singen.
„Dennoch verstehe ich, dass die Sternenflotte ein so großes und mächtiges Schiff wie die Taurus nicht einem vergleichsweise unerfahrenen Captain in die Hände legen will.“
Die Taurus gehörte zu den Raumschiffen der Aries-Klasse. Diese Schiffe waren als Forschungs- und Aufklärungsschiffe konzipiert worden und die größten, die die Sternenflotte derzeit einsetzte. Momentan verrichteten über 300 Besatzungsmitglieder ihren Dienst an Bord der Taurus und Richard Robau war für sie alle verantwortlich. Zumindest so lange, bis er einen Schritt in das Shuttle setzten würde, das ihn abholte.
„Wahrscheinlich bekomme ich das Kommando über einen Frachter“, dachte Robau laut nach. Es hörte sich an wie ein Witz, aber er befürchtete, er könnte näher an der Wahrheit dran sein, als ihm lieb war. Die Liftkabine stoppte und Robau und Estevez traten mit den schweren Taschen in den breiten Gang hinaus, der zum Hangar-Deck führte.
„Sei nicht so pessimistisch, Richard. Ich wette, du kriegst das Kommando über ein nettes, kleines Wissenschaftsschiff. Inzwischen müssten die ersten Schiffe der Oberth-Klasse doch schon vom Stapel gelaufen sein, oder?“
Auch nicht besser als ein Frachter, dachte Robau. Aber zumindest das kleinere Übel.
Das Attribut „klein“ war wohl tatsächlich die beste Beschreibung. Schiffe der Oberth-Klasse waren im Vergleich zur Taurus winzig.
Und hässlich sind die Dinger auch.
Sie blieben vor dem Eingang zum Hangar-Deck stehen und ehe Robau den Türöffner betätigen konnte, schlang Mary ihre Arme um ihren Captain. Gegen Tränen ankämpfend erwiderte er die Umarmung. Sie dauerte mindestens eine Minute an und als sich Mary von ihm löste, sah er, dass sie den Kampf gegen die Tränen verloren hatte.
„Mach’s gut, Richard“, sagte sie schließlich kleinlaut. Ihr schien es peinlich zu sein, dass er sie weinen gesehen hatte. Sie macht auf dem Absatz ihrer Stiefel schnell kehrt und verschwand wieder in der Liftkabine. Robau sah ihr kurz wehmütig nach. Doch die Zeit lief ihm davon. Wahrscheinlich war das Shuttle bereits gelandet. Also entschloss er sich, es einfach durchzuziehen. Er aktivierte den Türöffner, nahm die zweite Tasche auf und trat durch die Tür. Er ging durch den Hangarkontrollraum und sah seine Vermutung durch die transparente Wand, die ihn vom Haupthangar trennte, bestätigt. Das Shuttle war bereits gelandet und wartete auf der zentralen Start- und Landeplattform auf ihn. Der Pilot des Kurzstreckenschiffes wartete neben der offenen Einstiegsluke auf ihn. Robau atmete tief durch und betrat das Hangardeck. Links und rechts waren die Shuttles der Taurus geparkt. Erst jetzt bemerkte er, dass das neu angekommene Shuttle etwas anders aussah, bedeutend größer war als ein Standardshuttle. Auch Markierungen, zu welchem Raumschiff es gehörte, fehlten völlig. Nur das Logo des Sternenflottenkommandos prangte auf der Außenhülle.
Der Pilot, ein Ensign, erblickte Robau, grüßte ihn und nahm ihm die schweren Taschen ab, mit denen er sofort im Inneren des Shuttles verschwand. Ein letztes Mal ließ Robau seinen Blick durch den Hangar der Taurus schweifen. Dann atmete er tief durch und betrat das Shuttle.
Der Pilot hatte seine Taschen bereits auf einer Ablagefläche gesichert und das Cockpit im vorderen Bereich des kleinen Schiffes betreten. Robau wollte im hinteren Bereich auf einem der Sessel Platz nehmen, als er überrascht bemerkte, dass er nicht der einzige Passagier an Bord war. Und es fiel ihm wie Schuppen von Augen, als er erkannte, wer sein Reisegefährte war.
„Mein Gott …“, stammelte er hervor, während er nicht wusste, ob er salutieren oder es wagen sollte, seinem Reisegefährten ehrfürchtig die Hand zu reichen.
„Nicht ganz“, erwiderte der Mann in der dunkelblauen Admiralsuniform breit grinsend und stand auf, um Robau selbst die Hand zu reichen.
„Ich bin Admiral Jonathan Archer. Erfreut Sie kennenzulernen, Captain.“
Robau ergriff die ausgestreckte Hand des Admirals, dieser lebenden Legende der Raumfahrt. Er konnte es kaum fassen, fühlte sich erstmals in seinem Leben mit einer Situation überfordert und fürchtete, dass man es ihm auch ganz deutlich ansah. Doch falls dies der Fall war, ging der Admiral nicht darauf ein und bat Robau nur freundlich, sich auf den Sitz ihm gegenüber zu setzen. Kaum hatten sie ihre Sicherheitsgurte angelegt, startete das Shuttle auch schon und verließ den Hangar der Taurus. Durch das kleine Bullauge am Heck des Shuttles sah Robau den silbrig glänzenden, ovalen Hauptrumpf und die zwei mächtigen, daran angebrachten Antriebsgondeln der Taurus immer kleiner werden. Die Details verschmolzen zu einem einzigen hellen Punkt in der Ferne und schließlich war dieser Punkt nicht mehr von den Sternen im Hintergrund zu unterscheiden. Als er die Taurus nicht mehr erkennen konnte, machte Robaus Herz einen kurzen Sprung. Er hatte das Schiff schon hin und wieder in einem Shuttle verlassen. Aber diesmal hatte es etwas Endgültiges an sich.
„Mir ging’s genauso, als ich mein erstes Kommando abgeben musste“, versuchte Archer ein paar tröstende Worte zu finden. Trost spendeten sie leider nicht, aber sie lenkten Robau ein wenig ab. Er dachte daran, dass Archer sein erstes Kommando bereits vor über 60 Jahren abgegeben hatte. Für einen Mann, der inzwischen 111 Jahre alt war, sah der Admiral aber noch hervorragend aus. Die elegante, dunkelblaue Admiralsuniform stand ihm bestens, das weiße Haar war fast militärisch kurz geschnitten und der Oberlippen- und Kinnbart sauber getrimmt. Ob vielleicht etwas an dem Gerücht dran war, dass der Admiral während seines ersten Kommandos an Bord der Enterprise NX-01 über einen außerirdischen Jungbrunnen gestolpert war?
Nun, Robau beschloss, dieses Thema besser nicht anzuschneiden. Aber die Anwesenheit des Admirals beruhigte ihn zumindest. Denn warum sollte man einen Admiral – wenn nicht gar DEN Admiral schlechthin – schicken, um Robau einen Frachter zu übergeben?
„Tja, Admiral. Ich nehme an, das Shuttle bringt uns zu meinem neuen Schiff.“
„Da liegen Sie richtig, Captain. Wollen Sie wissen, welches Sie bekommen?“
„Auf jeden Fall. Ich bin schon sehr gespannt, welches Schiff mir die Sternenflotte zutraut zu befehligen.“
Archer nickte verständnisvoll und sagte dann mit ernstem Gesichtsausdruck:
„Sie können sich entspannen, auf die Sternenflottenbürokratie ist Verlass. Sie bekommen einen Frachter.“
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„Kann ich Ihnen helfen, Ensign?“, fragte eine sanfte Stimme unmittelbar hinter George Kirk. Er sah von seinem PADD auf und drehte sich zu der Person um, zu der diese angenehme Stimme gehörte. Und er stellte fest, dass sie einer auch angenehm anzusehenden jungen Frau mit rot gelocktem Haar und Sommersprossen im ansonsten blassen Gesicht gehörte. Bevor Kirk ihr jedoch sein charmantestes Lächeln zuwerfen konnte, erspähte er die beiden goldenen Rangstreifen an den Ärmeln ihrer blauen Uniform und bemühte sich sofort um Förmlichkeit:
„Vielen Dank, Commander. Ich bin auf der Suche nach der Andockschleuse C.“
Der weibliche Commander verstand das Problem sofort:
„Dachte ich mir, dass Sie den richtigen Weg suchen. Sie sahen etwas verloren aus. Nun, es ist ein bisschen schwierig zu beschreiben. Gehen wir einfach gemeinsam, ich muss ohnehin wieder zurück an Bord des Schiffes. Ich bin Lori O’Shannon, die Chefingenieurin.“
Kirk stellte sich ebenfalls vor und bedankte sich für ihre Hilfe. Er schob den voll beladenen Rollwagen, den er zuvor im Korridor abgestellt hatte, vor sich her.
„An Bord dieser Station kann man sich ziemlich leicht verirren, vor allem wenn man eine Landratte ist, so wie Sie“, sagte O‘Shannon und deutete auf sein braunes Uniformhemd.
Kirk verstand natürlich sofort, was sie meinte. Erst vor wenigen Jahren waren mehrere Verteidigungsorganisationen der einzelnen Föderationswelten miteinander fusioniert. Das Militärische Angriffskommando der Erde – kurz MACO – war in der Sicherheitsabteilung der Sternenflotte aufgegangen, genauso wie zum Beispiel auch Teile der andorianischen Garde oder andere Militärorganisationen der verschiedenen Föderationsmitgliedswelten. Alle die aus dem militärischen Zweig kamen und nun in der Sternenflotte dienten, trugen braune Uniformen, während die „echten Raumfahrer“ wie seit über 80 Jahren üblich blaue Uniformen trugen.
„Ich bin da, wo ich sein will“, entgegnete Kirk und meinte damit nicht den Umstand, dass er endlich den richtigen Weg zur Andockschleuse gefunden hatte. „Ich habe schon als Kind davon geträumt, ins All zu kommen.“
„Warum sind Sie dann nicht gleich der Sternenflotte beigetreten?“
„Ich schätze, es liegt wohl daran, dass mein Interesse fürs Forschen wohl etwas geringer war, als mein Interesse für diese Dinger hier“, antwortete und klopfte mit der flachen Hand auf einen der Container auf seinem Rollwagen.
„Was ist da drinnen?“, fragte O’Shannon neugierig.
„Phaser-Gewehre!“
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Tuvana hasste nichts mehr als Chaos. Nein, das stimmte nicht. Am meisten hasste sie Chaos, in das sie nicht fähig war, Ordnung rein zu bringen. Und nun herrschte eine solche Situation. Sie befand sich im größten Frachtraum der Raumstation und blickte auf die erschreckend wenigen Transportkisten, die sämtliche Medikamente beinhalteten, die auf ihre Krankenstation überführt werden sollten. Tuvana hatte keine Ahnung, wie Sie mit einem solch beschränkten Vorrat eine ganze Krankenstation leiten sollte.
„Das ist absolut inakzeptabel!“, stellte sie entschlossen fest und drehte sich zu ihrer zukünftigen Mannschaftskameradin um. Der Lieutenant wirkte etwas peinlich berührt, aber natürlich wusste Tuvana, dass es nicht ihre Schuld war. Als Kommunikationsoffizierin hatte Winona Giles die Medikamentenbestellungen zeitgerecht abgeschickt. Dementsprechend entschuldigte sie sich auch:
„Tut mir leid, aber bei der Weitertransportstelle auf Deneva sind die meisten Medikamente konfisziert worden. Neue Sicherheitsbestimmungen, sagen die.“
„Ja, und als Konsequenz habe ich jetzt ausschließlich Medikamente, die man in jedem Drogeriemarkt kaufen kann.“
Resignierend rieb sie die Schläfen neben ihren großen, ovalen Augen, die Tuvana eindeutig als Chrysalianerin auswiesen. Wie alle ihre weiblichen Artgenossen auf Chrysalia war auch sie mit nur geringer Geduld gesegnet. Doch was blieb ihr nun schon noch großartig übrig, als die Situation zu akzeptieren? Sie strich sich gewohnheitsgemäß das dunkle Haar hinter ihre Ohren, wie sie es mindestens einmal pro Minute zu tun pflegte, wenn sie nichts in Händen hielt, und nickte Lieutenant Giles dann zu:
„Okay, lassen Sie das, was da ist, wenigstens schnell auf die Krankenstation schaffen und machen Sie eine schiffsweite Durchsage, dass sich bis zur nächsten Nachschublieferung niemand verletzten soll und niemand krank werden darf.“
„Das mit der Durchsage kann ich so wortwörtlich nicht versprechen. Aber ich werde versuchen, bei unserem ersten Zwischenstopp einiges zu organisieren. Schicken Sie mir eine Liste mit jenen Medikamenten, die absolute Priorität haben, dann werde ich sehen, was sich machen lässt.“
„Winona, Sie sind ein Schatz. Sie ersparen mir damit wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch und das wäre eine Tragödie, denn ich könnte mich derzeit höchstens mit Baldriantropfen behandeln.“
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Während alle anderen Leute in den Korridoren der Raumstation auf dem Weg zum Schiff waren, war Commander Robert April wohl der einzige, der in die andere Richtung unterwegs war. Der Grund dafür war eine andere Person, die sich bis jetzt nicht in Richtung Schiff in Bewegung gesetzt hatte.
April kam erschreckend langsam voran, ständig kamen ihm regelrechte Menschenmengen entgegen. Schließlich erreichte er den Frachtraum und stellte überrascht fest, dass sogar noch mehr Führungsoffiziere noch nicht an Bord des Schiffes waren als er angenommen hat. Lieutenant Giles und Doktor Tuvana kamen ihm entgegen. Aber mit ihnen wollte er sich nicht weiter beschäftigen, diese beiden waren zumindest in die richtige Richtung unterwegs. Aprils Blick fiel auf einen Mann auf der anderen Seite des Frachtraums. Er sprintete zu ihm.
„Manuel!“, rief er ihm zu.
„Was gibt es, Robert?“
April hatte schon immer darauf bestanden, auch von ihm unterstellten Offizieren mit dem Vornamen angesprochen zu werden. Man verbrachte an Bord eines Schiffes einfach zu viel Zeit miteinander, um sich ständig mit der Förmlichkeit des Ranges herumzuschlagen.
„Manuel, bist du nicht der Meinung, dass der Waffenoffizier auf seinem Schiff sein sollte, wenn der neue Captain an Bord kommt?“, fragte April tadelnd.
Doch Waffenoffizier Manuel Colombo war nicht beeindruckt und machte eine beruhigende Handbewegung:
„Keine Sorge, Robert. Sobald alle Photonentorpedos an Bord sind, mache ich mich auch auf den Weg. Außerdem kann der Captain doch unmöglich schon da sein, oder?“
„Sein Shuttle wird in weniger als zehn Minuten hier eintreffen.“
„Typisch für dich, immer übervorsichtig.“
„Was soll ich da erwidern? Typisch für dich: immer auf den letzten Drücker.“
Ein Lagerarbeiter in einem blauen Overall trat an Colombo heran und reichte ihm einen Handcomputer. Als er überzeugt war, dass sämtliche Torpedos in die Waffenkammern und die Lagervorrichtungen transferiert worden waren, unterzeichnete er auf der Oberfläche des PADDs und gab es zurück.
„So, das wär’s.“
„Sehr gut. Komm‘ Manuel, es macht sicher keinen guten Eindruck, wenn Erster Offizier und Waffenoffizier zu …“
April hatte sich bereits zum Gehen abgewandt, verharrte aber, als er merkte, dass Colombo ihm nicht gefolgt, sondern in genau die entgegengesetzte Richtung gegangen war. Als sich April umdrehte, sah er nur noch, wie sich die winkende Gestalt von Lieutenant Manuel Colombo in einem goldenen Lichtschimmer auflöste und von derselben Transporterplattform auf das Schiff gebeamt wurde, wie kurz zuvor seine Torpedos.
April wurde sich bewusst, dass nun plötzlich er selbst der letzte Führungsoffizier sein würde, der auf das Schiff zurückkehrte.
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„Glauben Sie wirklich, die Sternenflotte würde gerade mich schicken, um Ihnen einen Frachter zu übergeben?“, fragte Archer schelmisch. Er hatte seine Sicherheitsgurte inzwischen gelöst und war zum Sichtfenster an der Backbordseite des Shuttles getreten und betrachtete die Sterne. Der Admiral vertraute auf die Trägheitsdämpfer und das Geschick des Piloten, einen ruhigen Flug zustande zu bringen.
Robau hatte ebenfalls die Gurte gelöst, war aber sitzen geblieben. Er erwiderte auf Archers Frage, dass dies genau der Gedanke war, den er kurz nach dem Abflug von der Taurus auch gehabt hatte.
„Wollen Sie mir nicht langsam sagen, welchen Posten Sie für mich vorgesehen haben, Admiral?“
Archer blickte weiterhin ins All hinaus, als er darauf antwortete:
„Sie werden Captain unseres neuesten Erkundungsschiffes.“
„Und welches Schiff ist das genau?“
„Das beste, das wir haben. Das erste Schiff der neuen Iowa-Klasse, das wir in Dienst stellen“, entgegnete Archer und er deutete Robau, ans Sichtfenster heranzutreten. „Aber sehen Sie es sich am besten selbst an.“
Während Robau zum Fenster ging gab Archer dem Piloten des Shuttles den Befehl, einen hübschen weiten Bogen zu fliegen.
Robau ging ein wenig in die Knie, um gut durch das Fenster sehen zu können. Shuttles – auch die größeren Modelle – schienen eindeutig nicht für Leute konstruiert worden zu sein, die wie Robau größer als einen Meter und achtzig waren.
Er blickte hinaus ins All. Der Anblick war wenig spektakulär, keine stellaren Nebel im Hintergrund, keine Gasriesen oder trinäre Sonnen. Nur Schwärze und die fernen Sterne. Bis auf … am rechten Rand seines Blickfelds kam etwas in Sicht. Ein kleiner, grauer Planetoid, wie es schien. Auch dies war nichts Besonderes. In den meisten Sonnensystemen fanden sich solche kleinen Himmelskörper. Doch im Orbit der wenigsten Planetoiden befand sich eine große Raumstation. Im Orbit dieses Planetoiden war dies der Fall.
„Ich wusste gar nicht, dass wir im Inferna-System eine Sternenbasis haben“, sagte Robau. Ihm war klar, dass er im Verlauf der letzten Jahre nur sporadischen Kontakt mit dem Sternenflottenkommando gehabt hatte. Aber über die Inbetriebnahme einer neuen Basis hätte er eigentlich informiert sein sollen.
„Das ist auch gut, dass Sie nichts davon wussten. Es handelt sich auch nicht um eine Sternenbasis im eigentlichen Sinne. Auf dieser Raumstation befindet sich unsere jüngste und auch geheimste Forschungseinrichtung für Raumschifftechnologie“, antwortete Archer.
Das Design der Raumstation wirkte auf Robau vertraut. Wie die meisten aktuellen Sternenbasen erinnerte auch diese Station Robau entfernt an einen Pilz aus grauem Metall. Im oberen Bereich war eine weitläufige Kuppel. Durch große Schleusentore konnten Schiffe in das Innere der Kuppel vordringen und dort zu ihren Andockplätzen gelangen, wo sie repariert und gewartet werden konnten. Vom Kuppelbereich ragte ein langer Ausleger hinab, in dessen Inneren sich die Mannschafts- und Gästequartiere befanden. Dieser endete schließlich in einer kleinen Kugel, in der der Hauptreaktor untergebracht war. Im Grunde eine Standardkonstruktion. Abgesehen von der Größe. Wie dem Piloten befohlen worden war, näherte er sich der Station in einem weiten Bogen. Die Station füllte nun aber schon das komplette Sichtfenster und schien immer noch verdammt weit weg.
„Diese Station ist viel größer, als alle anderen die ich kenne“, bemerkte Robau erstaunt.
„Ja“, bestätigte Archer. „Wir mussten die Station so groß bauen. Ihr neues Schiff hätte sonst keinen Platz darin gehabt.“
Robau reagierte auf diese Äußerung zuerst nicht. Erst dann wurde ihm klar, dass in einer solch großen Station ein Schiff wie die Taurus locker zehnmal Platz gehabt hätte. Überrascht blickte er zu Archer rüber:
„Moment, bedeutet das …“
„Hier ist Ihre Antwort, Captain“, unterbrach Archer und zeigte wieder zum Fenster. Das Shuttle hatte eine der kleineren Schleusen am oberen Teil der Stationskuppel passiert, flog durch einen kurzen Tunnel und erreichte nach weiteren drei Sekunden das gigantische Innere der Station. Viele Reihen beleuchteter Fenster auf der dunklen Innenseite der Kuppel verwandelten das riesige Gewölbe in eine Art abstraktes Planetarium. Die stärksten Lichtquellen, gigantische Flutlichtanlagen, waren jedoch auf die Mitte der Kuppel gerichtet. Robaus Blick folgten den Lichtstrahlen und ihm wurde klar, dass der Admiral zuvor nicht übertrieben hatte. Innerhalb der Kuppel waren nicht acht, sechs oder vier Anlegebuchten. Es war nur eine einzige. Und in Wirklichkeit war es gar keine Bucht. Der zentrale Bereich der Kuppel war leer … abgesehen von der riesigen Werft, die in ihrer Mitte schwebte. Und durch die dünne, gitterartige Struktur der Werftanlage konnte Robau einen ersten Blick auf sein neues Schiff werfen.
„Mein Gott. Es ist … fantastisch.“
Die meisten Sternenflottenschiffe, die sich an dem irdischen Raumschiffdesign orientierten, sahen sich zu einem gewissen Grad ähnlich. Und das tat auch dieses Schiff und dennoch war es ganz anders. Der Pilot steuerte das Shuttle über die im wahrsten Sinne gewaltige Untertassensektion des Schiffes hinweg und Robau erhaschte einen Blick auf den Namen. Als Archer bemerkte, dass Robau ihn gesehen hatte, verkündete er schließlich:
„Captain Robau, hiermit übertrage ich Ihnen im Namen des Sternenflottenkommandos die Befehlsgewalt über das Raumschiff Kelvin. Herzlichen Glückwunsch.“
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Das Shuttle überflog die elfenbeinfarbene Hülle der Untertassensektion der U.S.S. Kelvin, deren Namen neben der obligatorischen Registrierungsnummer – NCC-0514 – in dicken, schwarzen Lettern darauf prangte.
„Wir kommen dem vierstelligen Bereich immer näher“, stellte Robau fest. Es kam ihm wie gestern vor, dass er noch von Abenteuern der Raumschiffe mit nur zweistelligen Registrierungsnummern gelesen hatte.
„Ja, die ersten Raumschiffe mit vierstelligen Registrierungsnummern sind bereits kommissioniert worden, auch wenn die Baupläne noch nicht einmal fertig sind und ihre Indienststellung noch zwei oder drei Jahrzehnte dauern wird“, erklärte Archer und fügte hinzu: „Das werden dann auch die ersten echten Föderationsschiffe sein.“
„Wie meinen Sie das, Admiral? Die Kelvin ist doch auch ein Föderationsschiff, oder?“
„Natürlich“, erwiderte Archer sofort und musste über dieses Missverständnis lachen. Er war über 111 Jahre alt, aber noch nicht so senil, dass er vergessen hätte, dass die Sternenflotte seit Gründung der Föderation eine kombinierte Einheit der verschiedensten Raumfahrtorganisationen aller Föderationsvölker war.
„Sicher, die Kelvin ist ein Schiff der Sternenflotte der Vereinigten Föderation der Planeten, kein Zweifel. Aber technologisch ist sie hauptsächlich immer noch ein irdisches Raumschiff. Das allgemeine Design und die Schiffssysteme basieren hauptsächlich auf irdischer Technologie, auch wenn sie durch vulkanische Traktorstrahlemitter, megaritische Schutzschildverbesserungen oder andorianische Plasmainjektoren ergänzt worden sind. Die nächste große Raumschiffgeneration wird dann fast ausschließlich neuentwickelte Systeme verwenden, die durch das Know-How aller Föderationsvölker entstanden sind. Aber soweit sind wir noch nicht. Hier in der Inferna-Station wird aber bereits eifrig daran gearbeitet.“
Das Shuttle war inzwischen über die Untertassensektion hinweg geflogen und flog nun in etwas größerer Entfernung an der Vorderseite der Kelvin entlang. Nun erkannte Robau erstmals den einzigartigen Aufbau dieses neuen Schiffes. Vom hinteren Bereich der Untertassensektion gingen nach oben und nach unten jeweils ein schmaler „Hals“ ab. Am oberen Ende, über der Kuppel der Kommandobrücke thronend, saß eine annähernd konisch geformte Rumpfsektion, an deren abgeflachter Vorderseite eine riesige, bläulich leuchtende Deflektorschüssel saß.
Am unteren Ende des Halses, nicht ganz so weit von der Untertassensektion entfernt, saß eine lange, zylinderförmige Warpgondel, deren Spitze rötlich leuchtete. Robau wusste, dass diese Spitze sicher hell aufglühen würde, wenn die Kelvin erst einmal auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigte.
Robau fand es merkwürdig. Ihm hatten Raumschiffe mit nur einer Warpgondel eigentlich nie sonderlich gefallen. Aber bei der Kelvin verhielt es sich ganz anders. Durch die Deflektorsektion auf der gegenüberliegenden Seite der Untertassensektion wirkte das Schiff sehr schön ausbalanciert. Ein angenehmer Anblick.
In einer weiten Kurve flog das Shuttle nun an der Backbordseite der Kelvin vorbei und steuerte auf das Heck zu. Sie befanden sich nun innerhalb der Gitterstruktur des Werftkomplexes. Das Shuttle stieg höher und Robau erkannte sein Ziel. Am Heck der Deflektorsektion befanden sich auch die breiten Hangartore, die soeben aufglitten und dem Shuttle den Einflug gewährten. Der Hangar war absolut kein Vergleich mit jenem der Taurus, den sie gerade erst verlassen hatten. War jener Hangar noch eher ein offenes, zweistöckiges Deck, glich der Hangar der Kelvin eher einer Höhle, nein, noch mehr einer riesigen Kathedrale. Die Innenwände folgten exakt der Wölbung der Außenhülle und in mindestens einem Dutzend daran befestigten Nischen hingen angedockte Shuttles unterschiedlichster Bauweise. Und mindestens ein halbes Dutzend weiterer Nischen war unbesetzt.
„Wow, all diese Shuttles. So viele habe ich noch nie auf einen Haufen gesehen.“
„Sie werden alle gut gebrauchen können, Captain. Die Kelvin ist eines der ersten Raumschiffe, die mit spezialisierten Raumfähren ausgestattet ist. Es gibt natürlich standardisierte Multifunktions-Shuttles. Aber daneben gibt es noch medizinische Shuttles, Transport-Shuttles und für jede denkbare planetare Umgebung geeignete Shuttles.“
„Ich dachte immer, in ein paar Jahren gäbe es gar keine Raumfähren mehr. Der Materietransporter macht sie inzwischen eigentlich unnötig“, gab Robau zu bedenken, der in den sieben Jahren an Bord der Taurus vielleicht nur einmal pro Jahr mit einem Shuttle zu einer Planetenoberfläche runter geflogen war.
„Es gibt immer noch viele Substanzen, die sich nicht beamen lassen und verschiedene atmosphärische Phänomene, die einen Transporter behindern, aber einem Shuttle nichts ausmachen“, merkte Archer an und sprach dabei offenbar aus eigener Erfahrung.
Der Flug durch den Hangar schien ewig zu dauern. Sie flogen an einem abgestellten Shuttle nach dem anderen vorbei, ehe der Pilot zur Landung auf einer Plattform ansetzte. Die Plattform setzte sich daraufhin sofort in Bewegung und stellte das Shuttle in einer der freien Nischen ab. Halteklammern und eine Andockschleuse verbanden sich mit der Außenhülle und der Luke des Shuttles.
Robau entsicherte die Luke und trat hinaus. Er setzte seinen Fuß auf die metallischen Bodenplatten. Durch ein Aussichtsfenster konnte Robau den gesamten, schwach beleuchteten Hangar überblicken bis hin zum immer noch offenen Tor. Beim Durchflug mit dem Shuttle hatte das Tor riesig gewirkt, aber nun schien es unendlich weit entfernt zu sein.
Er wandte sich zu Archer um, der inzwischen auch das Shuttle verlassen hatte.
„Verdammt, wie groß ist dieses Schiff eigentlich?“, fragte er den Admiral und war völlig verwirrt. Robau war sich sicher, noch nie auf einem so großen Schiff gewesen zu sein. Und als ihm Archer die Daten nannte, stellte Robau fest, dass er tatsächlich noch nie auf einem so großen Raumschiff wie der Kelvin gewesen war:
„Der Hangar allein hat eine Länge von über 100 Metern. Das ganze Schiff selbst ist 457 Meter lang und die Untertassensektion hat einen Durchmesser von 260 Metern. Ganz schön gewaltig, nicht wahr? Das Schiff ist um ein Vielfaches größer als die Taurus und jedes andere Schiff, das derzeit im Dienste der Sternenflotte steht.“
„Und wenn ich ganz offen fragen darf, Admiral: Warum gibt man ausgerechnet mir das Kommando über einen solchen Super-Kreuzer?“
„Die Frage sollte wohl eher lauten: Warum gebe ich Ihnen das Kommando über einen solchen Super-Kreuzer?“, korrigierte Archer lachend und deutete den Korridor entlang. Während sie sich vom Hangar entfernten, passierten sie einen Quergang, der den Ausblick auf eine mindestens zwanzig Meter hohe offene Deckstruktur im vorderen Teil dieser Rumpfsektion, gewährte. Mehrere große, langsam rotierende Stahlscheiben waren am Ende dieser offenen Deckstruktur aufgestellt. Erst nach einigen Sekunden erkannte Robau, dass er den hinteren Teil der Deflektorschüssel sah. Auf voller Leistung würde der Deflektor schützende Energieschirme und -schilde erzeugen, die Gefahren, beginnend bei Mikrometeoriten bis hin zu feindlichem Torpedobeschuss, von der Kelvin abhalten konnten.
Sie gingen weiter eine kurze Treppe hinunter und der Captain sah ihr Ziel, eine Turboliftröhre. Durch die halbtransparente Ummantelung der Röhre sah er, dass eine Liftkabine schon für sie bereit stand.
„Nun, um diese Frage zu beantworten: Ich halte Sie für den geeignetsten Mann für diesen Posten“, sagte Archer schließlich, als sie die Kabine betraten und sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten.
„Aber es gibt sicher mindestens 50 Schiffskapitäne, die Jahre mehr Erfahrung haben als ich“, gab Robau zu bedenken. Es schmeichelte ihm, dass Admiral Archer, einer der größten Helden in der Geschichte der Sternenflotte, ein Fan von ihm war. Aber das allein konnte doch nicht der Grund sein, warum Robau so vielen besser qualifizierten Offizieren vorgezogen worden ist. Die Antwort gab ihm Archer ganz direkt:
„Erfahrung wird überbewertet.“
Dass Archer so dachte, lag auf der Hand. Vor Jahrzehnten war er der erste Captain eines Tiefenraumforschungsschiffes der Menschheit gewesen. Er, wie auch niemand sonst auf der Erde, hatten damals Erfahrung auf diesem Gebiet gehabt. Seine Crew und er waren ins kalte Wasser geworfen worden oder waren besser gesagt freiwillig hinein gesprungen. Und heute waren diese Männer und Frauen wahre Ikonen, die Helden aller Offiziere, Mannschaftsmitglieder und Kadetten an der Sternenflottenakademie. Robau glaubte sich sogar an eine Umfrage zu erinnern, nach der über 40 Prozent aller Kadetten in ihren Unterkünften Poster und Bilder von Archer, seiner Besatzung oder der legendären Enterprise NX-01 hängen hatten. Lediglich Poster anderer Thematik waren vor allem bei den männlichen Kadetten noch weiter verbreitet. Aber das änderte nichts daran, dass Archer heute als Pionier der Raumfahrt galt und damals ein unerfahrener Offizier, der nicht wusste, auf was er sich einließ, gewesen war.
„Vor … meine Güte … über 70 Jahren, als ich das Kommando der Enterprise übernommen hatte, war ich nicht wirklich vorbereitet auf das, was kommen sollte. Die ersten beiden Jahre meiner Mission waren Lehrjahre. Erst danach ist mir so richtig klar geworden, was es wirklich heißt, Captain eines Raumschiffs, fernab der Heimat und ständig auf dem Weg ins Ungewisse zu sein. Sie, Captain, haben diese zwei Lehrjahre auf der Taurus schon hinter sich gebracht. Und Ihren Berichten und denen Ihrer Crew nach, haben Sie dabei bessere Arbeit geleistet als ich damals.“
Archer ergriff energisch Robaus Schulter: „Sie haben sich das Kommando über die Kelvin verdient, Richard. Zweifeln Sie nicht daran. Die Kelvin ist das beste Raumschiff, das wir haben und ich bin überzeugt davon, dass es bei Ihnen in den besten Händen ist.“
Auch wenn er nicht wusste, wie der Admiral es geschafft hatte, aber nach dieser Ansprache fühlte sich Robau wie beflügelt. Eine solche Selbstsicherheit hatte er wohl noch nie in sich gespürt und das Gefühl, von der Situation oder vom Anblick des Schiffes – seines Schiffes, korrigierte er sich gedanklich – überwältigt zu sein, verschwand langsam.
„Danke, Admiral. Sie ehren mich mit Ihrem Vertrauen. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht zu enttäuschen.“
Archer zog die Hand wieder zurück und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen antwortete er:
„Versuchen Sie einfach nur, sich selbst nicht zu enttäuschen. Das reicht völlig.“
Robau nickte. Er hatte es verstanden und zum ersten Mal, seitdem er vor sechs Tagen die Benachrichtigung über seine Versetzung erhalten hatte, freute er sich darauf, mehr von seinem neuen Schiff zu sehen und vor allem, die Besatzung kennenzulernen. Robau sprach Archer darauf an.
„Ja, Ihre Führungsoffiziere müssten Sie inzwischen schon erwarten. Ich habe ihnen gesagt, dass sich alle auf der Brücke versammeln sollen.“
„Verstehe. Na dann sollten wir die Leute nicht länger warten lassen. Computer, Deck 1.“
Noch ehe der Computer dem Fahrmechanismus der Liftkabine anordnen konnte, sich in die entsprechende Richtung in Bewegung zu setzen, sagte Archer schnell:
„Computer, Befehl widerrufen. Neues Ziel: Brücke.“
Als die Kabine nun tatsächlich losfuhr, blickte Robau verwirrt zum Admiral.
„Können Sie mir sagen, was das eben sollte?“, fragte er harsch nach.
„An etwas werden Sie sich gewöhnen müssen: Auf der Kelvin ist die Kommandobrücke nicht der höchste Punkt des Schiffes. Die Brücke hier befindet sich auf Deck 11.“
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Die Deckenbeleuchtung erstrahlte eine Spur heller, als Robert April den Schieberegler einen Millimeter hinauf schob. Die Kommandobrücke der Kelvin war wie die meisten funktionalen Bereiche des Schiffes in recht düsteren Grau- und Brauntönen gehalten, die nun aber etwas freundlicher wirkten. Zumindest ein wenig.
Etwas mehr Licht hat noch niemandem geschadet.
Wo er schon an der Konsole der Umweltsysteme stand, erhöhte April auch gleich die Umgebungstemperatur um einen halben Grad. Er hatte zwar in den letzten beiden Wochen, die er auf der Kelvin verbracht hatte, nicht gerade gefröstelt, aber diese kleine Steigerung der Temperatur erhöhte sein Wohlbefinden merklich, kaum hatte er den Regler hochgeschoben. Eine minimale Änderung bei der Einstellung der Luftfeuchtigkeit machte sein Werk komplett.
„Vielleicht möchte der Captain statt seines Kommandosessels ja auch lieber eine Strandliege?“, fragte Manuel Colombo spöttisch, als er April über die Schulter blickte. Wie die anderen Führungsoffiziere wartete er schon seit ein paar Minuten auf das Eintreffen von Admiral Archer und des neuen Captains. Als Colombo bemerkt hatte, dass der Erste Offizier einige Einstellungen an den Umweltkontrollsystemen vorgenommen hatte, war er an ihn herangetreten.
„Ich will nur, dass sich Captain Robau gleich wohl fühlt, wenn er jenen Raum hier an Bord betritt, in dem er in den nächsten Jahren die meiste Zeit verbringen wird“, rechtfertigte sich April.
„Ja, schon gut. Ich weiß, dass der Captain aus dem sonnigen Kuba stammt. Aber ich hoffe du weißt, dass er die letzten sieben Jahre nicht mehr auf der Erde war.“
„Ist mir bewusst, Manuel. Aber in diesen sieben Jahren wird er sicher oft an seine Heimat gedacht haben. Du kommst doch selbst aus Italien. Die Einstellungen, die ich vorgenommen habe, müssten dir doch auch gefallen.“
Manuel verzog das Gesicht. April hatte seine Personalakte wohl nicht besonders gut gelesen.
„Ich komme nicht aus Italien, ich komme aus der Schweiz. Aus dem italienischsprachigen Teil der Schweiz, aber aus der Schweiz. Wir haben keine Strände, wir haben Berge. Wie fahren Ski und nicht Wasserski.“
„Von mir aus kannst du auf deinem Waffendeck die Umweltsysteme so einstellen, dass es da unten schneit.“
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Der Turbolift setzte Robau und Archer nicht direkt auf der Brücke, sondern am Ende eines langen, gebogenen Ganges ab. Die Fahrt in der Liftkabine war erstaunlich sanft vor sich gegangen obwohl einige Richtungswechsel dabei gewesen waren. Dennoch glaubte Robau, sich ganz gut orientiert zu haben. Der Krümmung des Ganges nach führte dieser außen um die Kommandobrücke herum. Nur wenige Meter voraus sah er an der Innenwand eine Tür, die wahrscheinlich direkt auf die Brücke führte.
„Die meisten von Ihrer neuen Crew sind bereits seit ein paar Wochen an Bord. Einige, wie Ihre Chefingenieurin und Ihr Waffenoffizier, waren auch schon in den letzten Monaten während der letzten Bauphase hier. Die Leute sind inzwischen gut mit dem Schiff vertraut und ich denke, ich habe Ihnen eine gute Mannschaft zusammengestellt.“
„Ich hätte gerne ein paar meiner Leute von der Taurus übernommen“, sagte Robau. Er wies damit unterschwellig auch darauf hin, dass es eigentlich das Vorrecht des Captains war, sich seine Kommandocrew auszusuchen.
„Es wäre nicht klug, zu viele Offiziere so kurz vor dem Auslaufen auszutauschen. Diejenigen, die jetzt an Bord sind, sind für ihre Posten hervorragend qualifiziert.“
„Kurz vor dem Auslaufen?“, fragte Robau hörbar überrascht. „Ich werde doch einige Zeit benötigen, um mich selbst mit der Kelvin vertraut zu machen. Wann wollen Sie uns denn schon losschicken, Admiral?“
„In drei Stunden“, antwortete Archer kurz und knapp.
Ehe Robau gegen diese Vorgabe lautstark protestieren konnte, hatten die beiden schon die Tür zur Brücke erreicht, die sich mit einem lauten Zischgeräusch automatisch vor ihnen öffnete. Die Selbstsicherheit, die er eben zuvor noch verspürt hatte, war verflogen.
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Der Erste, der Robau auf der Brücke der Kelvin willkommen hieß, war standesgemäß sein Erster Offizier. Robert T. April war ungefähr in Robaus Alter, hochgewachsen und machte auf den Captain den Eindruck, ein sehr freundlicher und höflicher Mensch zu sein. Allerdings wirkte der strenge Scheitel in seinem dunklen Haar recht bieder. Genauso wie eigentlich auch der Rest seines Erscheinungsbildes. Alles sehr vorschriftsmäßig. Robau nahm sich vor, April in den nächsten Tagen diesbezüglich etwas zu testen, ob dieser Mann tatsächlich so konservativ war, wie er von außen wirkte. Vielleicht täuschte der Eindruck. Einen Offizier, der immer wortwörtlich nach Vorschrift handelte, konnte er als seinen Stellvertreter nicht gebrauchen. Robau bevorzugte einen Ersten Offizier, der ihm auch mal die Meinung sagte und ihn davor warnte, wenn er davor stand, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen.
So wie Mary, dachte Robau wehmütig.
„Wie gefällt Ihnen Ihr neuer Arbeitsplatz?“, fragte April schließlich und machte mit den Armen eine ausholende, den ganzen Raum umfassende Bewegung.
„Sieht sehr ordentlich aus. Aber etwas warm ist es hier drinnen, oder?“
„Das muss an den vielen Menschen hier liegen“, antwortete April etwas verlegen und stellte mit einem Knopfdruck die Standardeinstellung der Umweltsysteme wieder her.
Robau trat an seinen Kommandosessel heran und strich über die lederbezogene Rückenlehne. Dann ließ er seinen Blick durch den runden Raum schweifen. Wie auch der Rest der Kelvin war ihre Brücke vor allem eines: groß! Was die Anordnung der einzelnen Stationen anging, war diese Brücke aber nicht viel anders als jene der Taurus. Der Kommandosessel stand ein wenig hinter dem Mittelunkt des runden Raums, aber immer noch recht zentral auf einer leicht erhöhten Plattform, von wo der Captain alles gut überblicken konnte und eine besonders gute Sicht zu den drei großen Fenstern aus transparentem Aluminium hatte, die ihm den direkten Blick in Flugrichtung ermöglichten. Natürlich wusste Robau, dass auf diese Fenster jede mögliche Anzeige projiziert werden konnte und diese denselben Zweck erfüllten wie der Hauptbildschirm auf der Brücke seines früheren Schiffes.
Links und rechts vor dem Kommandosessel befanden sich die Station des Waffenoffiziers und die Wissenschaftsstation von April.
„Lieutenant Manuel Colombo ist der Verantwortliche für die Bewaffnung und ihre Bedienung“.
Der Mann wirkte erstaunlich jung für jemanden, der die gewissenhafte Kontrolle über solch zerstörerische Waffen haben sollte, auch wenn Robau nicht an Colombos Qualifikation zweifelte.
„Erfreut Sie kennenzulernen, Lieutenant. Was können Sie mir über unsere Bordwaffen erzählen?“
„Jede Menge, Sir. Die Kelvin verfügt über fünf der neuesten Phaser-Doppelkanonen. Dazu kommen noch zwölf ausfahrbare Torpedorampen auch mit jeweils zwei Rohren. Wir haben insgesamt 220 Photonentorpedos an Bord, die über ein internes Transfersystem zu jeder beliebigen Abschussrampe umgeleitet werden können.“
„Dann sind wir ja ein richtiges Schlachtschiff“, stellte Robau überrascht und gleichzeitig enttäuscht fest. Er war eigentlich zur Flotte gekommen, um neues Leben und neue Zivilisationen zu treffen – persönlich und nicht mit den Schiffswaffen, versteht sich.
„Nicht ganz Captain“, erwiderte April beschwichtigend, dem das Unwohlsein Robaus aufgefallen war. Er deutete zur Wissenschaftsstation und erklärte ihm, dass hier die Daten von Dutzenden Sensorstationen zusammenliefen und gegebenenfalls zu den elf spezialisierten Wissenschaftslabors zur weiteren Auswertung weitergeleitet werden konnten. Die Kelvin entpuppte sich als echtes Allroundtalent, eine fliegende Festung und eine fliegende Forschungseinrichtung zugleich.
Die nächste Station auf Robaus Brückenbesichtigungstour, war die Steuer- und Navigationskonsole. Dort saß mit Lieutenant Lin Tianyu das älteste Mitglied der Führungscrew, eine Frau im Alter von Mitte 40. Dass sie in diesem Alter noch immer als Lieutenant und als Steuerfrau diente, war etwas ungewöhnlich, sprach allerdings nicht gegen ihre Befähigung. Piloten, die nicht auf die Kommandoebene wechselten, werden nur selten bei Beförderungen berücksichtigt. Solche Ambitionen hatte Lieutenant Lin offenbar nicht, was nur bedeuten konnte, dass sie schon lange ihren Job als Steuerfrau sehr gerne tat und garantiert sehr gut darin war.
Die Kommunikationsstation an der Backbordseite wurde von Lieutenant Winona Giles bedient, eine attraktive, junge Brünette, die Robau wie schon zuvor Colombo viel zu jung erschien, um bereits Lieutenant in der Führungscrew eines solchen Raumschiffs zu sein. Doch dieser Gedanken bestätigten ihm nur das, was ihm Admiral Archer bereits zuvor versprochen hatte: Er hatte ihm die besten Leute beschafft und der schnelle Aufstieg in der Karriereleiter sprach für sie.
War der Captain jedoch bisher schon erstaunt über die jugendliche Besatzung, war er es noch mehr, als er die Chefingenieurin kennenlernte.
„Commander Lori O’Shannon, Sir!“, stellte sie sich selbst vor, ehe April es tun konnte.
Diese Frau war vielleicht gerade mal 25 Jahre alt und bereits Commander, nur eine Rangstufe unter Robau.
„Sie wollen wohl meinen Rekord pulverisieren und selbst jüngster Captain der Sternenflotte werden?“, scherzte Robau.
„Ach, das mit der Beförderung hat sich so ergeben. Ich schraube halt einfach nur gerne an Warpantrieben herum.“
„Was lässt sich denn aus dem Warpantrieb der Kelvin rausholen?“
„Derzeit Warp 7,5. Aber in ein paar Stunden, wenn die letzten Verbesserungen eingebaut sind, schaffen wir für eine Weile sogar Warp 8.“
Einmal mehr an diesem Tag war Robau beeindruckt. Das entwickelte sich langsam aber sicher zu einem Dauerzustand.
„Auf jeden Fall“, sagte schließlich Archer, der nun längere Zeit schweigend im Hintergrund gestanden war: „sind Sie schnell genug, um in zwei Tagen beim Planeten Vulkan einzutreffen.“
„Ist das unser erstes Reiseziel?“
„Ja, Captain. Ich denke, es wird langsam Zeit, dass Sie erfahren, wie Ihr erster Auftrag aussieht. Am besten sprechen wir in Ihrem Quartier weiter.“
Bereits auf halbem Weg zum Ausgang, blieb Robau unvermittelt stehen, als ihm einfiel, dass es geheißen hatte, die gesamte Führungscrew würde ihn begrüßen. Das war nicht der Fall gewesen:
„Wo sind eigentlich der Sicherheitschef und der Schiffsarzt?“
„Doktor Tuvana ist in der Krankenstation. Sie ist ebenfalls erst kürzlich eingetroffen und bringt die medizinische Abteilung auf Vordermann“, erklärte Archer und April fügte hinzu:
„Unser Sicherheitschef, Lieutenant Caraatic, hat sich entschuldigen lassen. Er ist derzeit damit beschäftigt, die einzelnen Sicherheitsteams zusammenzustellen.“
Robau setzte sich auf seiner Pritsche auf und aktivierte das Intercom in der Wand direkt neben ihm:
„Hier Robau. Was gibt es?“
„Sir, das Shuttle, das Sie abholen soll, wird in fünf Minuten eintreffen“, meldete sich seine Erste Offizierin.
Robau nickte wissend. Als ihm bewusst wurde, dass sie ihn natürlich nicht sehen konnte, sagte er:
„Verstanden. Ich werde mich gleich direkt auf dem Weg zum Hangar machen. Keine großen Abschiedsszenen, Mary. Einverstanden?“
Die Antwort kam zögerlich, aber schließlich stimmte sie ihm zu und schloss den Kanal.
Robaus Blick glitt auf die zwei großen, prallgefüllten schwarzen Reisetaschen, die er bereits vor einer Stunde, ehe er sich hingelegt hatte, vorbereitet hatte. Beide Taschen wiesen den weißen Schriftzug „U.S.S. TAURUS“ auf. Das war der Name jenes Schiffes, das er in Kürze wohl für immer verlassen würde. Er hatte die letzten sieben Jahre auf diesem Schiff gelebt und es in den letzten beiden Jahren kommandiert. Die Taurus war sein Zuhause geworden und er ging nur widerwillig. Aber er war natürlich auch mit Herz und Seele ein Offizier der Sternenflotte und er ging dorthin, wo die Sternenflotte ihn brauchte.
Ein letztes Mal ging er in die kleine Hygienenische seines Quartiers, spritze sich etwas Wasser ins Gesicht und wischte sich die Müdigkeit aus den Augen. Er blickte in den Spiegel, der über dem Waschbecken angebracht war und stellte erstaunt fest, dass er tatsächlich recht ausgeruht aussah. Dunkle, konzentriert blickende Augen starrten ihm entgegen. Seine leicht bräunliche Haut war straff und am Kinn glatt rasiert. Und wegen seiner Frisur hatte er sich ohnehin noch nie Sorgen machen müssen: Sein Kopf war kahl wie eh und je, was ihn mindestens zehn Jahre älter aussehen ließ, als er eigentlich war. Dabei war er gerade einmal 35 Jahre alt. Anderseits hatte er festgestellt, dass es für ihn durchaus kein Nachteil war, etwas älter zu wirken. Kaum ein Kollege, der es nicht irgendwo gelesen hatte, wusste, dass Robau der jüngste amtierende Raumschiffkapitän in der Sternenflotte der Föderation war. Ein Umstand, der ihm nun mit zweijähriger Verspätung das Kommando über die Taurus gekostet hatte. Es war nur kurze Zeit nach seiner Beförderung zum Ersten Offizier gewesen, als der eigentliche Captain des Schiffes nach einer Außenmission an einem außerirdischen Virus qualvoll gestorben war. Die Taurus war damals auf einer Kartographierungsmission Monate entfernt von den Zentralwelten der Föderation gewesen, weshalb das Sternenflottenkommando Robau provisorisch zum Captain ernannt hatte. Er hatte die Mission erfolgreich und ohne nennenswerte Zwischenfälle zu Ende geführt. Vor sieben Tagen waren sie wieder in das Territorium der Vereinigten Föderation der Planeten zurückgekehrt. Und vor sechs Tagen hatte Robau den Befehl erhalten, seine Sachen zu packen und sich zwecks Versetzung zum Rande des Inferna-Systems zu begeben um dort abgeholt zu werden.
„Jetzt ist es also soweit“, sagte Robau zu sich selbst, zog sein blaues Uniformhemd zurecht und schnappte sich die Reisetaschen. Mit je einer Tasche in jeder Hand, konnte er nur umständlich den Türöffner betätigen. Als er es schließlich schaffte, den Knopf zu drücken und sich die Türhälften nach links und rechts auseinanderschoben, versperrte ihm eine Offizierin den Weg. Und es war nicht irgendeine Offizierin, sondern Mary Estevez, mit der er gerade vorhin per Intercom gesprochen hatte.
„Wollten wir nicht auf große Abschiedsszenen verzichten?“, fragte er überrascht.
„Natürlich, Sir. Ich dachte nur, Sie könnte beim Tragen Ihrer Taschen Hilfe brauchen“, erwiderte sie wie selbstverständlich und mit gespieltem Ernst.
Er reichte ihr eine der Taschen, die fast so groß war wie sie selbst. Mary hatte in den letzten zwei Jahren als seine Erste Offizierin gedient und zugleich war sie auch seine beste Freundin geworden. Mehr noch, er fühlte sich für sie so verantwortlich wie ein großer Bruder für seine kleine Schwester. Aber nun musste er loslassen. Er ließ los und Mary nahm die Tasche an sich. Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie die Tasche als schwer empfand. Robau warf einen letzten Blick zurück in sein Quartier, drehte das Licht ab und ging.
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„Ich hatte nie damit gerechnet, für immer Captain der Taurus zu bleiben. Trotzdem gehe ich nur sehr ungern. Aber ich denke, ich schlage mich ganz gut, oder?“
„Allerdings. Deine Rede vorhin auf der Brücke hat jedem Tränen in die Augen getrieben“, erwiderte Mary lächelnd. Sie waren nun in der Turboliftkabine unterwegs und abseits neugieriger Ohren waren sie nun per du.
Marys Lächeln verblasste ein wenig, als sie etwas ernster hinzufügte: „Also ich hatte fest damit gerechnet, dass du unser Captain bleibst. Du hast einen tollen Job gemacht, das Sternenflottenkommando war mit dir doch immer sehr zufrieden.“
Das stimmte natürlich. Seit seiner Kommandoübernahme hatte er das Schiff souverän geführt. Er hatte ein paar erfolgreiche Erstkontakte mit außerirdischen Spezies hergestellt, jede Menge bewohnbare Planeten kartographiert, die für künftige Kolonien in Frage kamen. Und wenn es notwendig gewesen war, hatte er auch deutlich gemacht, dass man sich mit ihm nicht anlegen sollte. Einige orionische Piraten und izarianische Unruhestifter konnten ein Lied davon singen.
„Dennoch verstehe ich, dass die Sternenflotte ein so großes und mächtiges Schiff wie die Taurus nicht einem vergleichsweise unerfahrenen Captain in die Hände legen will.“
Die Taurus gehörte zu den Raumschiffen der Aries-Klasse. Diese Schiffe waren als Forschungs- und Aufklärungsschiffe konzipiert worden und die größten, die die Sternenflotte derzeit einsetzte. Momentan verrichteten über 300 Besatzungsmitglieder ihren Dienst an Bord der Taurus und Richard Robau war für sie alle verantwortlich. Zumindest so lange, bis er einen Schritt in das Shuttle setzten würde, das ihn abholte.
„Wahrscheinlich bekomme ich das Kommando über einen Frachter“, dachte Robau laut nach. Es hörte sich an wie ein Witz, aber er befürchtete, er könnte näher an der Wahrheit dran sein, als ihm lieb war. Die Liftkabine stoppte und Robau und Estevez traten mit den schweren Taschen in den breiten Gang hinaus, der zum Hangar-Deck führte.
„Sei nicht so pessimistisch, Richard. Ich wette, du kriegst das Kommando über ein nettes, kleines Wissenschaftsschiff. Inzwischen müssten die ersten Schiffe der Oberth-Klasse doch schon vom Stapel gelaufen sein, oder?“
Auch nicht besser als ein Frachter, dachte Robau. Aber zumindest das kleinere Übel.
Das Attribut „klein“ war wohl tatsächlich die beste Beschreibung. Schiffe der Oberth-Klasse waren im Vergleich zur Taurus winzig.
Und hässlich sind die Dinger auch.
Sie blieben vor dem Eingang zum Hangar-Deck stehen und ehe Robau den Türöffner betätigen konnte, schlang Mary ihre Arme um ihren Captain. Gegen Tränen ankämpfend erwiderte er die Umarmung. Sie dauerte mindestens eine Minute an und als sich Mary von ihm löste, sah er, dass sie den Kampf gegen die Tränen verloren hatte.
„Mach’s gut, Richard“, sagte sie schließlich kleinlaut. Ihr schien es peinlich zu sein, dass er sie weinen gesehen hatte. Sie macht auf dem Absatz ihrer Stiefel schnell kehrt und verschwand wieder in der Liftkabine. Robau sah ihr kurz wehmütig nach. Doch die Zeit lief ihm davon. Wahrscheinlich war das Shuttle bereits gelandet. Also entschloss er sich, es einfach durchzuziehen. Er aktivierte den Türöffner, nahm die zweite Tasche auf und trat durch die Tür. Er ging durch den Hangarkontrollraum und sah seine Vermutung durch die transparente Wand, die ihn vom Haupthangar trennte, bestätigt. Das Shuttle war bereits gelandet und wartete auf der zentralen Start- und Landeplattform auf ihn. Der Pilot des Kurzstreckenschiffes wartete neben der offenen Einstiegsluke auf ihn. Robau atmete tief durch und betrat das Hangardeck. Links und rechts waren die Shuttles der Taurus geparkt. Erst jetzt bemerkte er, dass das neu angekommene Shuttle etwas anders aussah, bedeutend größer war als ein Standardshuttle. Auch Markierungen, zu welchem Raumschiff es gehörte, fehlten völlig. Nur das Logo des Sternenflottenkommandos prangte auf der Außenhülle.
Der Pilot, ein Ensign, erblickte Robau, grüßte ihn und nahm ihm die schweren Taschen ab, mit denen er sofort im Inneren des Shuttles verschwand. Ein letztes Mal ließ Robau seinen Blick durch den Hangar der Taurus schweifen. Dann atmete er tief durch und betrat das Shuttle.
Der Pilot hatte seine Taschen bereits auf einer Ablagefläche gesichert und das Cockpit im vorderen Bereich des kleinen Schiffes betreten. Robau wollte im hinteren Bereich auf einem der Sessel Platz nehmen, als er überrascht bemerkte, dass er nicht der einzige Passagier an Bord war. Und es fiel ihm wie Schuppen von Augen, als er erkannte, wer sein Reisegefährte war.
„Mein Gott …“, stammelte er hervor, während er nicht wusste, ob er salutieren oder es wagen sollte, seinem Reisegefährten ehrfürchtig die Hand zu reichen.
„Nicht ganz“, erwiderte der Mann in der dunkelblauen Admiralsuniform breit grinsend und stand auf, um Robau selbst die Hand zu reichen.
„Ich bin Admiral Jonathan Archer. Erfreut Sie kennenzulernen, Captain.“
Robau ergriff die ausgestreckte Hand des Admirals, dieser lebenden Legende der Raumfahrt. Er konnte es kaum fassen, fühlte sich erstmals in seinem Leben mit einer Situation überfordert und fürchtete, dass man es ihm auch ganz deutlich ansah. Doch falls dies der Fall war, ging der Admiral nicht darauf ein und bat Robau nur freundlich, sich auf den Sitz ihm gegenüber zu setzen. Kaum hatten sie ihre Sicherheitsgurte angelegt, startete das Shuttle auch schon und verließ den Hangar der Taurus. Durch das kleine Bullauge am Heck des Shuttles sah Robau den silbrig glänzenden, ovalen Hauptrumpf und die zwei mächtigen, daran angebrachten Antriebsgondeln der Taurus immer kleiner werden. Die Details verschmolzen zu einem einzigen hellen Punkt in der Ferne und schließlich war dieser Punkt nicht mehr von den Sternen im Hintergrund zu unterscheiden. Als er die Taurus nicht mehr erkennen konnte, machte Robaus Herz einen kurzen Sprung. Er hatte das Schiff schon hin und wieder in einem Shuttle verlassen. Aber diesmal hatte es etwas Endgültiges an sich.
„Mir ging’s genauso, als ich mein erstes Kommando abgeben musste“, versuchte Archer ein paar tröstende Worte zu finden. Trost spendeten sie leider nicht, aber sie lenkten Robau ein wenig ab. Er dachte daran, dass Archer sein erstes Kommando bereits vor über 60 Jahren abgegeben hatte. Für einen Mann, der inzwischen 111 Jahre alt war, sah der Admiral aber noch hervorragend aus. Die elegante, dunkelblaue Admiralsuniform stand ihm bestens, das weiße Haar war fast militärisch kurz geschnitten und der Oberlippen- und Kinnbart sauber getrimmt. Ob vielleicht etwas an dem Gerücht dran war, dass der Admiral während seines ersten Kommandos an Bord der Enterprise NX-01 über einen außerirdischen Jungbrunnen gestolpert war?
Nun, Robau beschloss, dieses Thema besser nicht anzuschneiden. Aber die Anwesenheit des Admirals beruhigte ihn zumindest. Denn warum sollte man einen Admiral – wenn nicht gar DEN Admiral schlechthin – schicken, um Robau einen Frachter zu übergeben?
„Tja, Admiral. Ich nehme an, das Shuttle bringt uns zu meinem neuen Schiff.“
„Da liegen Sie richtig, Captain. Wollen Sie wissen, welches Sie bekommen?“
„Auf jeden Fall. Ich bin schon sehr gespannt, welches Schiff mir die Sternenflotte zutraut zu befehligen.“
Archer nickte verständnisvoll und sagte dann mit ernstem Gesichtsausdruck:
„Sie können sich entspannen, auf die Sternenflottenbürokratie ist Verlass. Sie bekommen einen Frachter.“
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„Kann ich Ihnen helfen, Ensign?“, fragte eine sanfte Stimme unmittelbar hinter George Kirk. Er sah von seinem PADD auf und drehte sich zu der Person um, zu der diese angenehme Stimme gehörte. Und er stellte fest, dass sie einer auch angenehm anzusehenden jungen Frau mit rot gelocktem Haar und Sommersprossen im ansonsten blassen Gesicht gehörte. Bevor Kirk ihr jedoch sein charmantestes Lächeln zuwerfen konnte, erspähte er die beiden goldenen Rangstreifen an den Ärmeln ihrer blauen Uniform und bemühte sich sofort um Förmlichkeit:
„Vielen Dank, Commander. Ich bin auf der Suche nach der Andockschleuse C.“
Der weibliche Commander verstand das Problem sofort:
„Dachte ich mir, dass Sie den richtigen Weg suchen. Sie sahen etwas verloren aus. Nun, es ist ein bisschen schwierig zu beschreiben. Gehen wir einfach gemeinsam, ich muss ohnehin wieder zurück an Bord des Schiffes. Ich bin Lori O’Shannon, die Chefingenieurin.“
Kirk stellte sich ebenfalls vor und bedankte sich für ihre Hilfe. Er schob den voll beladenen Rollwagen, den er zuvor im Korridor abgestellt hatte, vor sich her.
„An Bord dieser Station kann man sich ziemlich leicht verirren, vor allem wenn man eine Landratte ist, so wie Sie“, sagte O‘Shannon und deutete auf sein braunes Uniformhemd.
Kirk verstand natürlich sofort, was sie meinte. Erst vor wenigen Jahren waren mehrere Verteidigungsorganisationen der einzelnen Föderationswelten miteinander fusioniert. Das Militärische Angriffskommando der Erde – kurz MACO – war in der Sicherheitsabteilung der Sternenflotte aufgegangen, genauso wie zum Beispiel auch Teile der andorianischen Garde oder andere Militärorganisationen der verschiedenen Föderationsmitgliedswelten. Alle die aus dem militärischen Zweig kamen und nun in der Sternenflotte dienten, trugen braune Uniformen, während die „echten Raumfahrer“ wie seit über 80 Jahren üblich blaue Uniformen trugen.
„Ich bin da, wo ich sein will“, entgegnete Kirk und meinte damit nicht den Umstand, dass er endlich den richtigen Weg zur Andockschleuse gefunden hatte. „Ich habe schon als Kind davon geträumt, ins All zu kommen.“
„Warum sind Sie dann nicht gleich der Sternenflotte beigetreten?“
„Ich schätze, es liegt wohl daran, dass mein Interesse fürs Forschen wohl etwas geringer war, als mein Interesse für diese Dinger hier“, antwortete und klopfte mit der flachen Hand auf einen der Container auf seinem Rollwagen.
„Was ist da drinnen?“, fragte O’Shannon neugierig.
„Phaser-Gewehre!“
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Tuvana hasste nichts mehr als Chaos. Nein, das stimmte nicht. Am meisten hasste sie Chaos, in das sie nicht fähig war, Ordnung rein zu bringen. Und nun herrschte eine solche Situation. Sie befand sich im größten Frachtraum der Raumstation und blickte auf die erschreckend wenigen Transportkisten, die sämtliche Medikamente beinhalteten, die auf ihre Krankenstation überführt werden sollten. Tuvana hatte keine Ahnung, wie Sie mit einem solch beschränkten Vorrat eine ganze Krankenstation leiten sollte.
„Das ist absolut inakzeptabel!“, stellte sie entschlossen fest und drehte sich zu ihrer zukünftigen Mannschaftskameradin um. Der Lieutenant wirkte etwas peinlich berührt, aber natürlich wusste Tuvana, dass es nicht ihre Schuld war. Als Kommunikationsoffizierin hatte Winona Giles die Medikamentenbestellungen zeitgerecht abgeschickt. Dementsprechend entschuldigte sie sich auch:
„Tut mir leid, aber bei der Weitertransportstelle auf Deneva sind die meisten Medikamente konfisziert worden. Neue Sicherheitsbestimmungen, sagen die.“
„Ja, und als Konsequenz habe ich jetzt ausschließlich Medikamente, die man in jedem Drogeriemarkt kaufen kann.“
Resignierend rieb sie die Schläfen neben ihren großen, ovalen Augen, die Tuvana eindeutig als Chrysalianerin auswiesen. Wie alle ihre weiblichen Artgenossen auf Chrysalia war auch sie mit nur geringer Geduld gesegnet. Doch was blieb ihr nun schon noch großartig übrig, als die Situation zu akzeptieren? Sie strich sich gewohnheitsgemäß das dunkle Haar hinter ihre Ohren, wie sie es mindestens einmal pro Minute zu tun pflegte, wenn sie nichts in Händen hielt, und nickte Lieutenant Giles dann zu:
„Okay, lassen Sie das, was da ist, wenigstens schnell auf die Krankenstation schaffen und machen Sie eine schiffsweite Durchsage, dass sich bis zur nächsten Nachschublieferung niemand verletzten soll und niemand krank werden darf.“
„Das mit der Durchsage kann ich so wortwörtlich nicht versprechen. Aber ich werde versuchen, bei unserem ersten Zwischenstopp einiges zu organisieren. Schicken Sie mir eine Liste mit jenen Medikamenten, die absolute Priorität haben, dann werde ich sehen, was sich machen lässt.“
„Winona, Sie sind ein Schatz. Sie ersparen mir damit wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch und das wäre eine Tragödie, denn ich könnte mich derzeit höchstens mit Baldriantropfen behandeln.“
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Während alle anderen Leute in den Korridoren der Raumstation auf dem Weg zum Schiff waren, war Commander Robert April wohl der einzige, der in die andere Richtung unterwegs war. Der Grund dafür war eine andere Person, die sich bis jetzt nicht in Richtung Schiff in Bewegung gesetzt hatte.
April kam erschreckend langsam voran, ständig kamen ihm regelrechte Menschenmengen entgegen. Schließlich erreichte er den Frachtraum und stellte überrascht fest, dass sogar noch mehr Führungsoffiziere noch nicht an Bord des Schiffes waren als er angenommen hat. Lieutenant Giles und Doktor Tuvana kamen ihm entgegen. Aber mit ihnen wollte er sich nicht weiter beschäftigen, diese beiden waren zumindest in die richtige Richtung unterwegs. Aprils Blick fiel auf einen Mann auf der anderen Seite des Frachtraums. Er sprintete zu ihm.
„Manuel!“, rief er ihm zu.
„Was gibt es, Robert?“
April hatte schon immer darauf bestanden, auch von ihm unterstellten Offizieren mit dem Vornamen angesprochen zu werden. Man verbrachte an Bord eines Schiffes einfach zu viel Zeit miteinander, um sich ständig mit der Förmlichkeit des Ranges herumzuschlagen.
„Manuel, bist du nicht der Meinung, dass der Waffenoffizier auf seinem Schiff sein sollte, wenn der neue Captain an Bord kommt?“, fragte April tadelnd.
Doch Waffenoffizier Manuel Colombo war nicht beeindruckt und machte eine beruhigende Handbewegung:
„Keine Sorge, Robert. Sobald alle Photonentorpedos an Bord sind, mache ich mich auch auf den Weg. Außerdem kann der Captain doch unmöglich schon da sein, oder?“
„Sein Shuttle wird in weniger als zehn Minuten hier eintreffen.“
„Typisch für dich, immer übervorsichtig.“
„Was soll ich da erwidern? Typisch für dich: immer auf den letzten Drücker.“
Ein Lagerarbeiter in einem blauen Overall trat an Colombo heran und reichte ihm einen Handcomputer. Als er überzeugt war, dass sämtliche Torpedos in die Waffenkammern und die Lagervorrichtungen transferiert worden waren, unterzeichnete er auf der Oberfläche des PADDs und gab es zurück.
„So, das wär’s.“
„Sehr gut. Komm‘ Manuel, es macht sicher keinen guten Eindruck, wenn Erster Offizier und Waffenoffizier zu …“
April hatte sich bereits zum Gehen abgewandt, verharrte aber, als er merkte, dass Colombo ihm nicht gefolgt, sondern in genau die entgegengesetzte Richtung gegangen war. Als sich April umdrehte, sah er nur noch, wie sich die winkende Gestalt von Lieutenant Manuel Colombo in einem goldenen Lichtschimmer auflöste und von derselben Transporterplattform auf das Schiff gebeamt wurde, wie kurz zuvor seine Torpedos.
April wurde sich bewusst, dass nun plötzlich er selbst der letzte Führungsoffizier sein würde, der auf das Schiff zurückkehrte.
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„Glauben Sie wirklich, die Sternenflotte würde gerade mich schicken, um Ihnen einen Frachter zu übergeben?“, fragte Archer schelmisch. Er hatte seine Sicherheitsgurte inzwischen gelöst und war zum Sichtfenster an der Backbordseite des Shuttles getreten und betrachtete die Sterne. Der Admiral vertraute auf die Trägheitsdämpfer und das Geschick des Piloten, einen ruhigen Flug zustande zu bringen.
Robau hatte ebenfalls die Gurte gelöst, war aber sitzen geblieben. Er erwiderte auf Archers Frage, dass dies genau der Gedanke war, den er kurz nach dem Abflug von der Taurus auch gehabt hatte.
„Wollen Sie mir nicht langsam sagen, welchen Posten Sie für mich vorgesehen haben, Admiral?“
Archer blickte weiterhin ins All hinaus, als er darauf antwortete:
„Sie werden Captain unseres neuesten Erkundungsschiffes.“
„Und welches Schiff ist das genau?“
„Das beste, das wir haben. Das erste Schiff der neuen Iowa-Klasse, das wir in Dienst stellen“, entgegnete Archer und er deutete Robau, ans Sichtfenster heranzutreten. „Aber sehen Sie es sich am besten selbst an.“
Während Robau zum Fenster ging gab Archer dem Piloten des Shuttles den Befehl, einen hübschen weiten Bogen zu fliegen.
Robau ging ein wenig in die Knie, um gut durch das Fenster sehen zu können. Shuttles – auch die größeren Modelle – schienen eindeutig nicht für Leute konstruiert worden zu sein, die wie Robau größer als einen Meter und achtzig waren.
Er blickte hinaus ins All. Der Anblick war wenig spektakulär, keine stellaren Nebel im Hintergrund, keine Gasriesen oder trinäre Sonnen. Nur Schwärze und die fernen Sterne. Bis auf … am rechten Rand seines Blickfelds kam etwas in Sicht. Ein kleiner, grauer Planetoid, wie es schien. Auch dies war nichts Besonderes. In den meisten Sonnensystemen fanden sich solche kleinen Himmelskörper. Doch im Orbit der wenigsten Planetoiden befand sich eine große Raumstation. Im Orbit dieses Planetoiden war dies der Fall.
„Ich wusste gar nicht, dass wir im Inferna-System eine Sternenbasis haben“, sagte Robau. Ihm war klar, dass er im Verlauf der letzten Jahre nur sporadischen Kontakt mit dem Sternenflottenkommando gehabt hatte. Aber über die Inbetriebnahme einer neuen Basis hätte er eigentlich informiert sein sollen.
„Das ist auch gut, dass Sie nichts davon wussten. Es handelt sich auch nicht um eine Sternenbasis im eigentlichen Sinne. Auf dieser Raumstation befindet sich unsere jüngste und auch geheimste Forschungseinrichtung für Raumschifftechnologie“, antwortete Archer.
Das Design der Raumstation wirkte auf Robau vertraut. Wie die meisten aktuellen Sternenbasen erinnerte auch diese Station Robau entfernt an einen Pilz aus grauem Metall. Im oberen Bereich war eine weitläufige Kuppel. Durch große Schleusentore konnten Schiffe in das Innere der Kuppel vordringen und dort zu ihren Andockplätzen gelangen, wo sie repariert und gewartet werden konnten. Vom Kuppelbereich ragte ein langer Ausleger hinab, in dessen Inneren sich die Mannschafts- und Gästequartiere befanden. Dieser endete schließlich in einer kleinen Kugel, in der der Hauptreaktor untergebracht war. Im Grunde eine Standardkonstruktion. Abgesehen von der Größe. Wie dem Piloten befohlen worden war, näherte er sich der Station in einem weiten Bogen. Die Station füllte nun aber schon das komplette Sichtfenster und schien immer noch verdammt weit weg.
„Diese Station ist viel größer, als alle anderen die ich kenne“, bemerkte Robau erstaunt.
„Ja“, bestätigte Archer. „Wir mussten die Station so groß bauen. Ihr neues Schiff hätte sonst keinen Platz darin gehabt.“
Robau reagierte auf diese Äußerung zuerst nicht. Erst dann wurde ihm klar, dass in einer solch großen Station ein Schiff wie die Taurus locker zehnmal Platz gehabt hätte. Überrascht blickte er zu Archer rüber:
„Moment, bedeutet das …“
„Hier ist Ihre Antwort, Captain“, unterbrach Archer und zeigte wieder zum Fenster. Das Shuttle hatte eine der kleineren Schleusen am oberen Teil der Stationskuppel passiert, flog durch einen kurzen Tunnel und erreichte nach weiteren drei Sekunden das gigantische Innere der Station. Viele Reihen beleuchteter Fenster auf der dunklen Innenseite der Kuppel verwandelten das riesige Gewölbe in eine Art abstraktes Planetarium. Die stärksten Lichtquellen, gigantische Flutlichtanlagen, waren jedoch auf die Mitte der Kuppel gerichtet. Robaus Blick folgten den Lichtstrahlen und ihm wurde klar, dass der Admiral zuvor nicht übertrieben hatte. Innerhalb der Kuppel waren nicht acht, sechs oder vier Anlegebuchten. Es war nur eine einzige. Und in Wirklichkeit war es gar keine Bucht. Der zentrale Bereich der Kuppel war leer … abgesehen von der riesigen Werft, die in ihrer Mitte schwebte. Und durch die dünne, gitterartige Struktur der Werftanlage konnte Robau einen ersten Blick auf sein neues Schiff werfen.
„Mein Gott. Es ist … fantastisch.“
Die meisten Sternenflottenschiffe, die sich an dem irdischen Raumschiffdesign orientierten, sahen sich zu einem gewissen Grad ähnlich. Und das tat auch dieses Schiff und dennoch war es ganz anders. Der Pilot steuerte das Shuttle über die im wahrsten Sinne gewaltige Untertassensektion des Schiffes hinweg und Robau erhaschte einen Blick auf den Namen. Als Archer bemerkte, dass Robau ihn gesehen hatte, verkündete er schließlich:
„Captain Robau, hiermit übertrage ich Ihnen im Namen des Sternenflottenkommandos die Befehlsgewalt über das Raumschiff Kelvin. Herzlichen Glückwunsch.“
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Das Shuttle überflog die elfenbeinfarbene Hülle der Untertassensektion der U.S.S. Kelvin, deren Namen neben der obligatorischen Registrierungsnummer – NCC-0514 – in dicken, schwarzen Lettern darauf prangte.
„Wir kommen dem vierstelligen Bereich immer näher“, stellte Robau fest. Es kam ihm wie gestern vor, dass er noch von Abenteuern der Raumschiffe mit nur zweistelligen Registrierungsnummern gelesen hatte.
„Ja, die ersten Raumschiffe mit vierstelligen Registrierungsnummern sind bereits kommissioniert worden, auch wenn die Baupläne noch nicht einmal fertig sind und ihre Indienststellung noch zwei oder drei Jahrzehnte dauern wird“, erklärte Archer und fügte hinzu: „Das werden dann auch die ersten echten Föderationsschiffe sein.“
„Wie meinen Sie das, Admiral? Die Kelvin ist doch auch ein Föderationsschiff, oder?“
„Natürlich“, erwiderte Archer sofort und musste über dieses Missverständnis lachen. Er war über 111 Jahre alt, aber noch nicht so senil, dass er vergessen hätte, dass die Sternenflotte seit Gründung der Föderation eine kombinierte Einheit der verschiedensten Raumfahrtorganisationen aller Föderationsvölker war.
„Sicher, die Kelvin ist ein Schiff der Sternenflotte der Vereinigten Föderation der Planeten, kein Zweifel. Aber technologisch ist sie hauptsächlich immer noch ein irdisches Raumschiff. Das allgemeine Design und die Schiffssysteme basieren hauptsächlich auf irdischer Technologie, auch wenn sie durch vulkanische Traktorstrahlemitter, megaritische Schutzschildverbesserungen oder andorianische Plasmainjektoren ergänzt worden sind. Die nächste große Raumschiffgeneration wird dann fast ausschließlich neuentwickelte Systeme verwenden, die durch das Know-How aller Föderationsvölker entstanden sind. Aber soweit sind wir noch nicht. Hier in der Inferna-Station wird aber bereits eifrig daran gearbeitet.“
Das Shuttle war inzwischen über die Untertassensektion hinweg geflogen und flog nun in etwas größerer Entfernung an der Vorderseite der Kelvin entlang. Nun erkannte Robau erstmals den einzigartigen Aufbau dieses neuen Schiffes. Vom hinteren Bereich der Untertassensektion gingen nach oben und nach unten jeweils ein schmaler „Hals“ ab. Am oberen Ende, über der Kuppel der Kommandobrücke thronend, saß eine annähernd konisch geformte Rumpfsektion, an deren abgeflachter Vorderseite eine riesige, bläulich leuchtende Deflektorschüssel saß.
Am unteren Ende des Halses, nicht ganz so weit von der Untertassensektion entfernt, saß eine lange, zylinderförmige Warpgondel, deren Spitze rötlich leuchtete. Robau wusste, dass diese Spitze sicher hell aufglühen würde, wenn die Kelvin erst einmal auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigte.
Robau fand es merkwürdig. Ihm hatten Raumschiffe mit nur einer Warpgondel eigentlich nie sonderlich gefallen. Aber bei der Kelvin verhielt es sich ganz anders. Durch die Deflektorsektion auf der gegenüberliegenden Seite der Untertassensektion wirkte das Schiff sehr schön ausbalanciert. Ein angenehmer Anblick.
In einer weiten Kurve flog das Shuttle nun an der Backbordseite der Kelvin vorbei und steuerte auf das Heck zu. Sie befanden sich nun innerhalb der Gitterstruktur des Werftkomplexes. Das Shuttle stieg höher und Robau erkannte sein Ziel. Am Heck der Deflektorsektion befanden sich auch die breiten Hangartore, die soeben aufglitten und dem Shuttle den Einflug gewährten. Der Hangar war absolut kein Vergleich mit jenem der Taurus, den sie gerade erst verlassen hatten. War jener Hangar noch eher ein offenes, zweistöckiges Deck, glich der Hangar der Kelvin eher einer Höhle, nein, noch mehr einer riesigen Kathedrale. Die Innenwände folgten exakt der Wölbung der Außenhülle und in mindestens einem Dutzend daran befestigten Nischen hingen angedockte Shuttles unterschiedlichster Bauweise. Und mindestens ein halbes Dutzend weiterer Nischen war unbesetzt.
„Wow, all diese Shuttles. So viele habe ich noch nie auf einen Haufen gesehen.“
„Sie werden alle gut gebrauchen können, Captain. Die Kelvin ist eines der ersten Raumschiffe, die mit spezialisierten Raumfähren ausgestattet ist. Es gibt natürlich standardisierte Multifunktions-Shuttles. Aber daneben gibt es noch medizinische Shuttles, Transport-Shuttles und für jede denkbare planetare Umgebung geeignete Shuttles.“
„Ich dachte immer, in ein paar Jahren gäbe es gar keine Raumfähren mehr. Der Materietransporter macht sie inzwischen eigentlich unnötig“, gab Robau zu bedenken, der in den sieben Jahren an Bord der Taurus vielleicht nur einmal pro Jahr mit einem Shuttle zu einer Planetenoberfläche runter geflogen war.
„Es gibt immer noch viele Substanzen, die sich nicht beamen lassen und verschiedene atmosphärische Phänomene, die einen Transporter behindern, aber einem Shuttle nichts ausmachen“, merkte Archer an und sprach dabei offenbar aus eigener Erfahrung.
Der Flug durch den Hangar schien ewig zu dauern. Sie flogen an einem abgestellten Shuttle nach dem anderen vorbei, ehe der Pilot zur Landung auf einer Plattform ansetzte. Die Plattform setzte sich daraufhin sofort in Bewegung und stellte das Shuttle in einer der freien Nischen ab. Halteklammern und eine Andockschleuse verbanden sich mit der Außenhülle und der Luke des Shuttles.
Robau entsicherte die Luke und trat hinaus. Er setzte seinen Fuß auf die metallischen Bodenplatten. Durch ein Aussichtsfenster konnte Robau den gesamten, schwach beleuchteten Hangar überblicken bis hin zum immer noch offenen Tor. Beim Durchflug mit dem Shuttle hatte das Tor riesig gewirkt, aber nun schien es unendlich weit entfernt zu sein.
Er wandte sich zu Archer um, der inzwischen auch das Shuttle verlassen hatte.
„Verdammt, wie groß ist dieses Schiff eigentlich?“, fragte er den Admiral und war völlig verwirrt. Robau war sich sicher, noch nie auf einem so großen Schiff gewesen zu sein. Und als ihm Archer die Daten nannte, stellte Robau fest, dass er tatsächlich noch nie auf einem so großen Raumschiff wie der Kelvin gewesen war:
„Der Hangar allein hat eine Länge von über 100 Metern. Das ganze Schiff selbst ist 457 Meter lang und die Untertassensektion hat einen Durchmesser von 260 Metern. Ganz schön gewaltig, nicht wahr? Das Schiff ist um ein Vielfaches größer als die Taurus und jedes andere Schiff, das derzeit im Dienste der Sternenflotte steht.“
„Und wenn ich ganz offen fragen darf, Admiral: Warum gibt man ausgerechnet mir das Kommando über einen solchen Super-Kreuzer?“
„Die Frage sollte wohl eher lauten: Warum gebe ich Ihnen das Kommando über einen solchen Super-Kreuzer?“, korrigierte Archer lachend und deutete den Korridor entlang. Während sie sich vom Hangar entfernten, passierten sie einen Quergang, der den Ausblick auf eine mindestens zwanzig Meter hohe offene Deckstruktur im vorderen Teil dieser Rumpfsektion, gewährte. Mehrere große, langsam rotierende Stahlscheiben waren am Ende dieser offenen Deckstruktur aufgestellt. Erst nach einigen Sekunden erkannte Robau, dass er den hinteren Teil der Deflektorschüssel sah. Auf voller Leistung würde der Deflektor schützende Energieschirme und -schilde erzeugen, die Gefahren, beginnend bei Mikrometeoriten bis hin zu feindlichem Torpedobeschuss, von der Kelvin abhalten konnten.
Sie gingen weiter eine kurze Treppe hinunter und der Captain sah ihr Ziel, eine Turboliftröhre. Durch die halbtransparente Ummantelung der Röhre sah er, dass eine Liftkabine schon für sie bereit stand.
„Nun, um diese Frage zu beantworten: Ich halte Sie für den geeignetsten Mann für diesen Posten“, sagte Archer schließlich, als sie die Kabine betraten und sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten.
„Aber es gibt sicher mindestens 50 Schiffskapitäne, die Jahre mehr Erfahrung haben als ich“, gab Robau zu bedenken. Es schmeichelte ihm, dass Admiral Archer, einer der größten Helden in der Geschichte der Sternenflotte, ein Fan von ihm war. Aber das allein konnte doch nicht der Grund sein, warum Robau so vielen besser qualifizierten Offizieren vorgezogen worden ist. Die Antwort gab ihm Archer ganz direkt:
„Erfahrung wird überbewertet.“
Dass Archer so dachte, lag auf der Hand. Vor Jahrzehnten war er der erste Captain eines Tiefenraumforschungsschiffes der Menschheit gewesen. Er, wie auch niemand sonst auf der Erde, hatten damals Erfahrung auf diesem Gebiet gehabt. Seine Crew und er waren ins kalte Wasser geworfen worden oder waren besser gesagt freiwillig hinein gesprungen. Und heute waren diese Männer und Frauen wahre Ikonen, die Helden aller Offiziere, Mannschaftsmitglieder und Kadetten an der Sternenflottenakademie. Robau glaubte sich sogar an eine Umfrage zu erinnern, nach der über 40 Prozent aller Kadetten in ihren Unterkünften Poster und Bilder von Archer, seiner Besatzung oder der legendären Enterprise NX-01 hängen hatten. Lediglich Poster anderer Thematik waren vor allem bei den männlichen Kadetten noch weiter verbreitet. Aber das änderte nichts daran, dass Archer heute als Pionier der Raumfahrt galt und damals ein unerfahrener Offizier, der nicht wusste, auf was er sich einließ, gewesen war.
„Vor … meine Güte … über 70 Jahren, als ich das Kommando der Enterprise übernommen hatte, war ich nicht wirklich vorbereitet auf das, was kommen sollte. Die ersten beiden Jahre meiner Mission waren Lehrjahre. Erst danach ist mir so richtig klar geworden, was es wirklich heißt, Captain eines Raumschiffs, fernab der Heimat und ständig auf dem Weg ins Ungewisse zu sein. Sie, Captain, haben diese zwei Lehrjahre auf der Taurus schon hinter sich gebracht. Und Ihren Berichten und denen Ihrer Crew nach, haben Sie dabei bessere Arbeit geleistet als ich damals.“
Archer ergriff energisch Robaus Schulter: „Sie haben sich das Kommando über die Kelvin verdient, Richard. Zweifeln Sie nicht daran. Die Kelvin ist das beste Raumschiff, das wir haben und ich bin überzeugt davon, dass es bei Ihnen in den besten Händen ist.“
Auch wenn er nicht wusste, wie der Admiral es geschafft hatte, aber nach dieser Ansprache fühlte sich Robau wie beflügelt. Eine solche Selbstsicherheit hatte er wohl noch nie in sich gespürt und das Gefühl, von der Situation oder vom Anblick des Schiffes – seines Schiffes, korrigierte er sich gedanklich – überwältigt zu sein, verschwand langsam.
„Danke, Admiral. Sie ehren mich mit Ihrem Vertrauen. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht zu enttäuschen.“
Archer zog die Hand wieder zurück und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen antwortete er:
„Versuchen Sie einfach nur, sich selbst nicht zu enttäuschen. Das reicht völlig.“
Robau nickte. Er hatte es verstanden und zum ersten Mal, seitdem er vor sechs Tagen die Benachrichtigung über seine Versetzung erhalten hatte, freute er sich darauf, mehr von seinem neuen Schiff zu sehen und vor allem, die Besatzung kennenzulernen. Robau sprach Archer darauf an.
„Ja, Ihre Führungsoffiziere müssten Sie inzwischen schon erwarten. Ich habe ihnen gesagt, dass sich alle auf der Brücke versammeln sollen.“
„Verstehe. Na dann sollten wir die Leute nicht länger warten lassen. Computer, Deck 1.“
Noch ehe der Computer dem Fahrmechanismus der Liftkabine anordnen konnte, sich in die entsprechende Richtung in Bewegung zu setzen, sagte Archer schnell:
„Computer, Befehl widerrufen. Neues Ziel: Brücke.“
Als die Kabine nun tatsächlich losfuhr, blickte Robau verwirrt zum Admiral.
„Können Sie mir sagen, was das eben sollte?“, fragte er harsch nach.
„An etwas werden Sie sich gewöhnen müssen: Auf der Kelvin ist die Kommandobrücke nicht der höchste Punkt des Schiffes. Die Brücke hier befindet sich auf Deck 11.“
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Die Deckenbeleuchtung erstrahlte eine Spur heller, als Robert April den Schieberegler einen Millimeter hinauf schob. Die Kommandobrücke der Kelvin war wie die meisten funktionalen Bereiche des Schiffes in recht düsteren Grau- und Brauntönen gehalten, die nun aber etwas freundlicher wirkten. Zumindest ein wenig.
Etwas mehr Licht hat noch niemandem geschadet.
Wo er schon an der Konsole der Umweltsysteme stand, erhöhte April auch gleich die Umgebungstemperatur um einen halben Grad. Er hatte zwar in den letzten beiden Wochen, die er auf der Kelvin verbracht hatte, nicht gerade gefröstelt, aber diese kleine Steigerung der Temperatur erhöhte sein Wohlbefinden merklich, kaum hatte er den Regler hochgeschoben. Eine minimale Änderung bei der Einstellung der Luftfeuchtigkeit machte sein Werk komplett.
„Vielleicht möchte der Captain statt seines Kommandosessels ja auch lieber eine Strandliege?“, fragte Manuel Colombo spöttisch, als er April über die Schulter blickte. Wie die anderen Führungsoffiziere wartete er schon seit ein paar Minuten auf das Eintreffen von Admiral Archer und des neuen Captains. Als Colombo bemerkt hatte, dass der Erste Offizier einige Einstellungen an den Umweltkontrollsystemen vorgenommen hatte, war er an ihn herangetreten.
„Ich will nur, dass sich Captain Robau gleich wohl fühlt, wenn er jenen Raum hier an Bord betritt, in dem er in den nächsten Jahren die meiste Zeit verbringen wird“, rechtfertigte sich April.
„Ja, schon gut. Ich weiß, dass der Captain aus dem sonnigen Kuba stammt. Aber ich hoffe du weißt, dass er die letzten sieben Jahre nicht mehr auf der Erde war.“
„Ist mir bewusst, Manuel. Aber in diesen sieben Jahren wird er sicher oft an seine Heimat gedacht haben. Du kommst doch selbst aus Italien. Die Einstellungen, die ich vorgenommen habe, müssten dir doch auch gefallen.“
Manuel verzog das Gesicht. April hatte seine Personalakte wohl nicht besonders gut gelesen.
„Ich komme nicht aus Italien, ich komme aus der Schweiz. Aus dem italienischsprachigen Teil der Schweiz, aber aus der Schweiz. Wir haben keine Strände, wir haben Berge. Wie fahren Ski und nicht Wasserski.“
„Von mir aus kannst du auf deinem Waffendeck die Umweltsysteme so einstellen, dass es da unten schneit.“
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Der Turbolift setzte Robau und Archer nicht direkt auf der Brücke, sondern am Ende eines langen, gebogenen Ganges ab. Die Fahrt in der Liftkabine war erstaunlich sanft vor sich gegangen obwohl einige Richtungswechsel dabei gewesen waren. Dennoch glaubte Robau, sich ganz gut orientiert zu haben. Der Krümmung des Ganges nach führte dieser außen um die Kommandobrücke herum. Nur wenige Meter voraus sah er an der Innenwand eine Tür, die wahrscheinlich direkt auf die Brücke führte.
„Die meisten von Ihrer neuen Crew sind bereits seit ein paar Wochen an Bord. Einige, wie Ihre Chefingenieurin und Ihr Waffenoffizier, waren auch schon in den letzten Monaten während der letzten Bauphase hier. Die Leute sind inzwischen gut mit dem Schiff vertraut und ich denke, ich habe Ihnen eine gute Mannschaft zusammengestellt.“
„Ich hätte gerne ein paar meiner Leute von der Taurus übernommen“, sagte Robau. Er wies damit unterschwellig auch darauf hin, dass es eigentlich das Vorrecht des Captains war, sich seine Kommandocrew auszusuchen.
„Es wäre nicht klug, zu viele Offiziere so kurz vor dem Auslaufen auszutauschen. Diejenigen, die jetzt an Bord sind, sind für ihre Posten hervorragend qualifiziert.“
„Kurz vor dem Auslaufen?“, fragte Robau hörbar überrascht. „Ich werde doch einige Zeit benötigen, um mich selbst mit der Kelvin vertraut zu machen. Wann wollen Sie uns denn schon losschicken, Admiral?“
„In drei Stunden“, antwortete Archer kurz und knapp.
Ehe Robau gegen diese Vorgabe lautstark protestieren konnte, hatten die beiden schon die Tür zur Brücke erreicht, die sich mit einem lauten Zischgeräusch automatisch vor ihnen öffnete. Die Selbstsicherheit, die er eben zuvor noch verspürt hatte, war verflogen.
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Der Erste, der Robau auf der Brücke der Kelvin willkommen hieß, war standesgemäß sein Erster Offizier. Robert T. April war ungefähr in Robaus Alter, hochgewachsen und machte auf den Captain den Eindruck, ein sehr freundlicher und höflicher Mensch zu sein. Allerdings wirkte der strenge Scheitel in seinem dunklen Haar recht bieder. Genauso wie eigentlich auch der Rest seines Erscheinungsbildes. Alles sehr vorschriftsmäßig. Robau nahm sich vor, April in den nächsten Tagen diesbezüglich etwas zu testen, ob dieser Mann tatsächlich so konservativ war, wie er von außen wirkte. Vielleicht täuschte der Eindruck. Einen Offizier, der immer wortwörtlich nach Vorschrift handelte, konnte er als seinen Stellvertreter nicht gebrauchen. Robau bevorzugte einen Ersten Offizier, der ihm auch mal die Meinung sagte und ihn davor warnte, wenn er davor stand, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen.
So wie Mary, dachte Robau wehmütig.
„Wie gefällt Ihnen Ihr neuer Arbeitsplatz?“, fragte April schließlich und machte mit den Armen eine ausholende, den ganzen Raum umfassende Bewegung.
„Sieht sehr ordentlich aus. Aber etwas warm ist es hier drinnen, oder?“
„Das muss an den vielen Menschen hier liegen“, antwortete April etwas verlegen und stellte mit einem Knopfdruck die Standardeinstellung der Umweltsysteme wieder her.
Robau trat an seinen Kommandosessel heran und strich über die lederbezogene Rückenlehne. Dann ließ er seinen Blick durch den runden Raum schweifen. Wie auch der Rest der Kelvin war ihre Brücke vor allem eines: groß! Was die Anordnung der einzelnen Stationen anging, war diese Brücke aber nicht viel anders als jene der Taurus. Der Kommandosessel stand ein wenig hinter dem Mittelunkt des runden Raums, aber immer noch recht zentral auf einer leicht erhöhten Plattform, von wo der Captain alles gut überblicken konnte und eine besonders gute Sicht zu den drei großen Fenstern aus transparentem Aluminium hatte, die ihm den direkten Blick in Flugrichtung ermöglichten. Natürlich wusste Robau, dass auf diese Fenster jede mögliche Anzeige projiziert werden konnte und diese denselben Zweck erfüllten wie der Hauptbildschirm auf der Brücke seines früheren Schiffes.
Links und rechts vor dem Kommandosessel befanden sich die Station des Waffenoffiziers und die Wissenschaftsstation von April.
„Lieutenant Manuel Colombo ist der Verantwortliche für die Bewaffnung und ihre Bedienung“.
Der Mann wirkte erstaunlich jung für jemanden, der die gewissenhafte Kontrolle über solch zerstörerische Waffen haben sollte, auch wenn Robau nicht an Colombos Qualifikation zweifelte.
„Erfreut Sie kennenzulernen, Lieutenant. Was können Sie mir über unsere Bordwaffen erzählen?“
„Jede Menge, Sir. Die Kelvin verfügt über fünf der neuesten Phaser-Doppelkanonen. Dazu kommen noch zwölf ausfahrbare Torpedorampen auch mit jeweils zwei Rohren. Wir haben insgesamt 220 Photonentorpedos an Bord, die über ein internes Transfersystem zu jeder beliebigen Abschussrampe umgeleitet werden können.“
„Dann sind wir ja ein richtiges Schlachtschiff“, stellte Robau überrascht und gleichzeitig enttäuscht fest. Er war eigentlich zur Flotte gekommen, um neues Leben und neue Zivilisationen zu treffen – persönlich und nicht mit den Schiffswaffen, versteht sich.
„Nicht ganz Captain“, erwiderte April beschwichtigend, dem das Unwohlsein Robaus aufgefallen war. Er deutete zur Wissenschaftsstation und erklärte ihm, dass hier die Daten von Dutzenden Sensorstationen zusammenliefen und gegebenenfalls zu den elf spezialisierten Wissenschaftslabors zur weiteren Auswertung weitergeleitet werden konnten. Die Kelvin entpuppte sich als echtes Allroundtalent, eine fliegende Festung und eine fliegende Forschungseinrichtung zugleich.
Die nächste Station auf Robaus Brückenbesichtigungstour, war die Steuer- und Navigationskonsole. Dort saß mit Lieutenant Lin Tianyu das älteste Mitglied der Führungscrew, eine Frau im Alter von Mitte 40. Dass sie in diesem Alter noch immer als Lieutenant und als Steuerfrau diente, war etwas ungewöhnlich, sprach allerdings nicht gegen ihre Befähigung. Piloten, die nicht auf die Kommandoebene wechselten, werden nur selten bei Beförderungen berücksichtigt. Solche Ambitionen hatte Lieutenant Lin offenbar nicht, was nur bedeuten konnte, dass sie schon lange ihren Job als Steuerfrau sehr gerne tat und garantiert sehr gut darin war.
Die Kommunikationsstation an der Backbordseite wurde von Lieutenant Winona Giles bedient, eine attraktive, junge Brünette, die Robau wie schon zuvor Colombo viel zu jung erschien, um bereits Lieutenant in der Führungscrew eines solchen Raumschiffs zu sein. Doch dieser Gedanken bestätigten ihm nur das, was ihm Admiral Archer bereits zuvor versprochen hatte: Er hatte ihm die besten Leute beschafft und der schnelle Aufstieg in der Karriereleiter sprach für sie.
War der Captain jedoch bisher schon erstaunt über die jugendliche Besatzung, war er es noch mehr, als er die Chefingenieurin kennenlernte.
„Commander Lori O’Shannon, Sir!“, stellte sie sich selbst vor, ehe April es tun konnte.
Diese Frau war vielleicht gerade mal 25 Jahre alt und bereits Commander, nur eine Rangstufe unter Robau.
„Sie wollen wohl meinen Rekord pulverisieren und selbst jüngster Captain der Sternenflotte werden?“, scherzte Robau.
„Ach, das mit der Beförderung hat sich so ergeben. Ich schraube halt einfach nur gerne an Warpantrieben herum.“
„Was lässt sich denn aus dem Warpantrieb der Kelvin rausholen?“
„Derzeit Warp 7,5. Aber in ein paar Stunden, wenn die letzten Verbesserungen eingebaut sind, schaffen wir für eine Weile sogar Warp 8.“
Einmal mehr an diesem Tag war Robau beeindruckt. Das entwickelte sich langsam aber sicher zu einem Dauerzustand.
„Auf jeden Fall“, sagte schließlich Archer, der nun längere Zeit schweigend im Hintergrund gestanden war: „sind Sie schnell genug, um in zwei Tagen beim Planeten Vulkan einzutreffen.“
„Ist das unser erstes Reiseziel?“
„Ja, Captain. Ich denke, es wird langsam Zeit, dass Sie erfahren, wie Ihr erster Auftrag aussieht. Am besten sprechen wir in Ihrem Quartier weiter.“
Bereits auf halbem Weg zum Ausgang, blieb Robau unvermittelt stehen, als ihm einfiel, dass es geheißen hatte, die gesamte Führungscrew würde ihn begrüßen. Das war nicht der Fall gewesen:
„Wo sind eigentlich der Sicherheitschef und der Schiffsarzt?“
„Doktor Tuvana ist in der Krankenstation. Sie ist ebenfalls erst kürzlich eingetroffen und bringt die medizinische Abteilung auf Vordermann“, erklärte Archer und April fügte hinzu:
„Unser Sicherheitschef, Lieutenant Caraatic, hat sich entschuldigen lassen. Er ist derzeit damit beschäftigt, die einzelnen Sicherheitsteams zusammenzustellen.“
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