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A Decade of Storm: Kapitel 2 - Kreuzwege

von Markus Brunner

Kapitel 1

KAPITEL 2
Kreuzwege
2224 n.Chr.


Der Weltraum war wohl die lebensfeindlichste Umgebung, die man sich nur vorstellen konnte. Keine Luft zum Atmen, eisige Kälte, spärlich durchsetzt von gigantischen Feuerkugeln, die es den noch spärlicher auftretenden bewohnbaren Planeten ermöglichten, neues Leben zu bilden. Doch selbst diese Planeten waren nur kleine Oasen in einer Wüste, die jedem, der sie durchwanderte, nach dem Leben trachtete.
„Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich wir inzwischen durchs All reisen“, sagte Robau. „Wir sind geschützt von meterdicken Wänden aus Duranium, haben künstliche Schwerkraft, die uns das Gehen wie auf der Erde ermöglicht, obwohl um unser Schiff herum Schwerelosigkeit herrscht. Wir atmen Luft, ganz selbstverständlich, und denken nicht daran, dass hinter den schützenden Wänden das Vakuum des Weltalls lauert. Und uns wird niemals zu kalt oder zu warm, auch wenn sich unser Schiff im düstersten stellaren Nebel oder im weiten Orbit um einen roten Riesenstern befindet.“
Der Captain sah bewundernd und ehrfürchtig zum Sternenmeer, das ihn umgab, und fühlte sich zum ersten Mal nach langer Zeit wirklich wie ein echter Raumfahrer.
„Das klingt fast ein bisschen wehmütig?“, stellte Lori O’Shannon fest. Ihre Stimme klang ein bisschen verzerrt durch die Lautsprecher im Inneren von Robaus Helm. Wie auch er trug die Chefingenieurin der U.S.S. Kelvin einen silbergrauen Raumanzug.
„Stimmt“, antwortete Robau schließlich. „Reisen im All sind keine großen Herausforderungen mehr geschweige denn eine Gefahr. Wir leben schon fast luxuriös auf unseren Raumschiffen.“
„Ich glaube, Sie philosophieren mit der falschen Person über dieses Thema. Ich bin Ingenieurin und habe dafür zu sorgen, dass die anderen solchen Luxus wie Luft zum Atmen oder Schwerkraft zum Gehen weitergenießen können.“
Robau lachte auf: „Keine Sorge, Commander. Ich will Sie nicht um Ihren Job bringen. Ich meine nur, dass es heutzutage schon fast zu leicht ist.“
„Also ich weiß nicht. Klar, unsere Schiffe haben wir – meistens – schon ganz gut im Griff. Es sind eher die Dinge, auf die man nicht selbst Einfluss nehmen kann, die heutzutage für Ärger sorgen. So Kleinigkeiten wie schießwütige Klingonen, orionische Piraten oder ein Meteoritenschwarm, der unser hübsches Schiff zertrümmert. Womit wir wieder beim Grund wären, warum wir überhaupt hier draußen sind. Reichen Sie mir den Spulenspanner?“
Robau drückte eine Taste, die auf dem Rücken seines Handschuhs eingearbeitet worden war. Schubdüsen an seinem Versorgungsrucksack stießen kurz zuvor komprimiertes Gas aus und drehten Robaus Gestalt um 180 Grad. Statt der weit entfernten Sterne hatte er nun den Anblick der Deflektorschüssel der Kelvin vor sich, die nur eine Armeslänge entfernt war. Lori O’Shannon hatte ihre magnetischen Stiefel mit der Außenhülle verbunden und stand aufrecht neben einem mehrere Meter hohen Mast in der Mitte der Schüssel. Robau zog in der Schwerelosigkeit seine Beine an, brachte seine Fußsohlen so nahe wie möglich an die Deflektorschüssel heran und drückte dann eine weitere Taste an seinem Handschuh. Surrend sprangen die Magnetsohlen an und verbanden sich mit der metallischen Oberfläche der Hülle und er stapfte, einen Fuß vor den anderen setzend, zu O’Shannon.
„Hier“, sagte er, als er das gewünschte Werkzeug von seinem Gürtel löste und der Chefingenieurin reichte. Sie fuhr damit in eine Wartungsöffnung und über ihre Schulter hinweg konnte Robau sehen, dass mehrere Mechanismen die technischen Innereien des Antiprotonen-Ableiters wieder an Ort und Stelle rückten. Als Antiprotonen-Ableiter bezeichnete man den Mast im Zentrum der Deflektorschüssel. Zwar erzeugte der Deflektor in Kombination mit dem Schildgitter an der Schiffshülle ein schützendes Energiefeld um die Kelvin herum, doch als Nebenprodukt entstanden hochgeladene Partikel namens Antiprotonen. Kamen diese mit einer Energieentladung natürlicher oder künstlicher Art in Kontakt, bestand die Gefahr einer heftigen Explosion. Der Mast leitete diese gefährlichen Antiprotonen ab, ehe ihre Konzentration zu stark wurde. Zumindest sollte er das.
„Zum Glück müssen wir nicht dringend irgendwohin. Es ist eine Seltenheit, dass ich etwas wirklich reparieren und nicht nur vorübergehend notdürftig wieder zusammenflicken kann.“
O’Shannon übertrieb natürlich, wusste Robau. Es war schon lange her, dass sie dringend irgendwo hin gemusst hätten. Seit Monaten beschränkten sie sich auf Patrouillendienst im umstrittenen Raumgebiet, das die Klingonen unrechtmäßig annektiert hatten. Auch wenn der Name auf keiner offiziellen Sternenkarte jemals aufscheinen würde, so war dieses Gebiet seither als „Laurentischer Graben“ bekannt. Benannt wurde es nach dem laurentianischen Sonnensystem, das das am weitesten entfernte System innerhalb dieses Raumgebiets war.
Seitdem sich die Spannungen zwischen Föderation und klingonischem Imperium drastisch erhöht hatten, war die Kelvin die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen, klingonische Schiffsbewegungen im Laurentianischen Graben zu überwachen. Nur selten hatten sie Zeit für das, weswegen das Schiff eigentlich gebaut worden war, nämlich für die Forschung. Doch selbst das Forschen war im Graben eine meistens sehr frustrierende Angelegenheit. Der Großteil dieses Raumgebiets war schon vor Jahrzehnten von unzähligen Sternenflottenschiffen kartographiert und erforscht worden. Es war keine gute Zeit, um Captain der Kelvin zu sein, hatte Robau inzwischen festgestellt. In einer Zeit, in der alle gespannt den Atem anzuhalten schienen, war es für ihn daher auch kein Problem gewesen, mitten im All zu stoppen, um den Deflektor für eine Reparatur abzuschalten.
O’Shannon verschloss die Wartungsöffnung wieder und deutete Robau, den inneren Bereich der Deflektorschüssel zu verlassen. Dann öffneten sie einen Kommunikationskanal zum Maschinenraum und gab die Anweisung, den Deflektor wieder in Betrieb zu nehmen. Sofort leuchtete die halbtransparente Oberfläche der Schüssel wie gewohnt blau auf und ein Blick auf die Anzeigen ihres Tricorders versicherte der jungen Chefingenieurin, dass auch der Antiprotonen-Ableiter wieder so funktionierte, wie er sollte.
„So, fertig!“, verkündete sie zufrieden. „Gehen wir schnell wieder hinein, ehe Lieutenant Lin auf die Idee kommt, auf Warp-Geschwindigkeit zu beschleunigen.“

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Die Kelvin verfügte nicht über bedeutend mehr oder weniger Luftschleusen als alle anderen Raumschiffe der Sternenflotte. Doch da die Kelvin ein so riesiges Raumschiff war, waren die Abstände zwischen den Schleusen deutlich größer und so dauerte es ganze fünf Minuten, ehe der Captain und die Chefingenieurin wieder im Inneren des Schiffes waren. Die Außentür schloss sich und in der angeschlossenen kleinen Kammer wurde wieder normaler Luftdruck hergestellt. Seitlich der Wände wechselten die Statuslampen von rot auf grün und schließlich rollte auch die runde Innentür zur Seite.
„Endlich wieder raus aus diesem Ding“, sagte Robau mit einem erleichterten Seufzer, als er seinen Helm abnahm und wieder zurück ins Regal stellte, wo auch zwanzig weitere Helme in Reih und Glied abgestellt waren.
„Ich dachte, Sie waren ganz scharf darauf, Captain?“
„Ich war scharf darauf ins All hinaus zu kommen. Nicht in den Raumanzug hinein“, erklärte Robau lächelnd. „Leider geht das eine ohne das andere nicht.“
Ihre silbrig glänzenden Raumanzüge hingen wieder am vorgesehenen Platz und in ihrer Astronauten-Unterwäsche gingen die beiden um die Ecke in einen Raum mit Umkleidekabinen. Robau war überrascht, dort seinen ersten Offizier vorzufinden. Da er wie üblich seine blaue Dienstuniform trug, schätzte Robau, dass der Mann nicht vor hatte, einen Weltraumspaziergang zu unternehmen.
„Robert, was führt Sie denn hier herunter … ich meine hier rauf“, verbesserte sich Robau schnell. Er ärgerte sich selbst darüber, dass ihm immer noch solche Versprecher passierten. Man sollte meinen, dass er sich langsam an die Tatsache gewöhnt hätte, dass die Brücke – sein hauptsächlicher Arbeitsort und auch jener von Robert April – nicht der höchstgelegene Platz des Schiffes war.
„Eine dringende Nachricht von Sternenflottenkommando für Sie persönlich, Captain“, erklärte Robert April und reichte seinem Captain das PADD, das er mitgebracht hatte. Der Erste Offizier gab sich dabei auffällig Mühe, nicht zu Commander O’Shannon zu blicken. Robert April war viel zu wohlerzogen, um eine Frau in Unterwäsche direkt anzusehen. Dabei spielte es für ihn offenbar keine Rolle, ob die Frau an einen Strampelanzug erinnernde Astronauten-Unterwäsche trug oder aufreizende Dessous. Anderseits war Lori O’Shannon eine Frau, die gut aussah, ganz egal, was sie trug.
Robau richtete seine Aufmerksamkeit nun auf das PADD und gab seinen Berechtigungscode in den kleinen Computer ein und bestätigte diesen mit seinem Daumenabdruck. Sofort erschien der Text auf dem Bildschirm. Einige Augenblicke vergingen in Schweigen. Da Robau keine Anstalten machte, aus seiner Reglosigkeit zu erwachen, fragte O’Shannon schließlich: „Und, was ist?“
Robau atmete einmal tief durch und sagte dann zu seiner Ingenieurin: „Das erfahren Sie in ungefähr einer Stunde.“ Dann gab er April das PADD zurück: „Und wir treffen uns in drei Minuten in meinem Quartier. Sie müssen mir dieses wissenschaftliche Kauderwelsch übersetzen.“

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Winona Giles, du bist so ein Idiot! Wie konntest du es nur so weit kommen lassen?, schalt sich die Kommunikationsoffizierin der Kelvin in Gedanken. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte diese Worte auch nicht aussprechen können. Sie war wie gelähmt, als die Hände von Sergeant Nakamura ihr über den Rücken glitten, über den glatten Stoff ihrer Uniform langsam hinab. In der innigen Umarmung, in der die beiden inmitten von Winonas Kabine standen, fühlte sie sich wie gefangen. Sie reagierte nur noch unbewusst, wie automatisch taten ihre Hände am Rücken von Nakamura das Gleiche wie seine auf ihrem. Etwas drückte sich an ihren Hals. Es waren Nakamuras Lippen, die sie sanft küssten. Sie widerstand nur schwer dem Drang, sich nicht noch enger an ihn zu pressen.
Es war Winonas Entscheidung gewesen, den Sergeant mit in ihr Quartier zu nehmen. Was nun geschah hatte sie von vornherein in Betracht gezogen, nein, sich sogar erhofft. Und nun stand sie da, in den Armen dieses gutaussehenden Mannes, der mit ihr schlafen und mit ihr zusammen sein wollte. Genau das hatte sie sich vor ein paar Minuten noch gewünscht. Aber jetzt, wo es geschah, handelte sie wie automatisiert. Ihr Körper reagierte einfach, während sich ihre Gedanken im Nichts verloren. Wo immer diese Gedanken auch waren, sie waren nicht hier in ihrem Quartier oder bei Kaito Nakamura. Sie konnte sich gut vorstellen, wie leer ihr Blick gerade sein musste, der starr auf die beige Wand hinter ihrem Bett gerichtet war.
Kaitos Hände fuhren an ihrer Hüfte entlang, fanden den Knopf und den Reißverschluss ihrer Uniformhose, die Sekunden später über ihre Taille, ihre Oberschenkeln, ihre Knie, ihre Waden rutschte, bis hinab zu ihren Knöcheln.
Sie keuchte als seine Hände wieder hoch wanderten, unter ihr Uniformhemd, und seine warmen Handflächen über ihren Rücken hoch zum Verschluss ihres BHs wanderten. Ob ihr das Keuchen vor Erregung oder vor Entsetzen ausgekommen war, konnte sie selbst nicht sagen. Sie verspürte beides. Während ihr Körper instinktiv reagierte, ihre Hände nun wie von selbst an Kaitos Gürtel zerrten, sie sich enger an ihn schmiegte und ihn in Richtung des auf sie wartenden Bettes schob, konnte sie nur daran denken, welch großen Fehler sie gerade beging.
Kaito war vor einem Monat an Bord gekommen, ein sehr sympathischer Kerl, vielleicht am Anfang ein wenig schüchtern, aber sehr humorvoll und Winona konnte mit ihm auf Japanisch sprechen.
Aber war das genug?, überlegte sie. Ist das der Grund, warum jetzt Kaito bei mir ist und nicht jemand anderer?
Der Sergeant griff unter ihren Po, hob sie etwas hoch und legte sie auf das federnde Bett, um ihr umgehend dorthin zu folgen. Sie lagen nun einander zugewandt Gesicht an Gesicht und seine gespitzten Lippen näherten sich den ihren. Ein Zittern ging durch Winonas Körper, wieder konnte sie nicht sagen weswegen. Ihre Lippen trafen sich. Ein schriller Pfeifton erklang über ihr und sie schrak sofort zurück.
„Robau an alle Führungsoffiziere“, erklang die Stimme des Captains aus dem Intercom-Lautsprecher. „Kommen Sie in zehn Minuten in den Konferenzraum auf Deck 12.“
Winona war verwundert, dass die Durchsage nicht einmal andeutete, um was es ging. Auch als der Captain seine Durchsage wiederholte, fügte er keine Details hinzu. Aber die würde sie schon noch in zehn Minuten erfahren. Was ihr derzeit wichtiger war: Sie hatte sich von Kaito gelöst und spürte, dass sie wieder Herr über ihren Körper war. Ganz bewusst sah sie nicht zu Kaito als sie aufstand und ihre Uniformhose suchte.
„Tut mir leid“, sagte sie hastig. Sie sah sich verpflichtet, es zu sagen, auch wenn sie sogar sehr froh darüber war, dass nicht mehr passiert war. Aber sie sagte es stellvertretend für den instinktiven Teil ihrer selbst. Jener Teil, dessen Verlangen unbefriedigt bleiben musste.
„Ist schon okay“, sagte Kaito. Er klang gefasst, auch wenn er sicher enttäuscht war. Aber er war ebenso ein Mannschaftsmitglied wie Winona und wusste, dass man den Ruf des Captains nicht wegen der Aussicht auf Sex ignorieren durfte. Als Sicherheitsoffizier und früherer MACO wusste er das wahrscheinlich sogar besser als Winona. Seine Enttäuschung kam aber schließlich doch zum Ausdruck, als er in Rekordzeit seine eigene Hose wieder an hatte und ohne ein weiteres Wort aus der Kabine floh. Kein „Sehen wir uns später?“ und kein „Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben“. Und schon tat es Winona doch wieder leid, dass nichts passiert war.
Sie hob die Uniformhose vom Boden auf und ging ins Badezimmer. Der Spiegel zeigte ihr eine attraktive, junge Frau. Ihr Haar hatte sie erst vor ein paar Wochen aus einer Laune heraus blond gefärbt. Das Make-up war ganz in Ordnung, ließ ihre runden Wangen etwas schlanker wirken. Die Zeiten, in denen sie mit dem Spitznamen „Hamsterbacke“ leben musste, waren endgültig vorbei.
Mit einem Tuch wischte sie sich einen dünnen Schweißfilm von der Stirn und ein paar Striche mit der Bürste brachten ihr Haar wieder in Ordnung, ein zur blauen Uniform passendes Gummiband bändigte ihre Haarmähne schließlich hinter ihrem Nacken. Ihr Uniformhemd saß wie angegossen, was aber auch kein Wunder war. Sternenflottenuniformen blieben selbst unter Gefechtsbedingungen knitterfrei. Ein bisschen Matratzensport stellte auch kein Problem dar.
Winona war zufrieden mit dem, was ihr der Spiegel präsentierte, mit einer Ausnahme: In ihren Mundwinkeln zuckte es kurz, dann nochmal. Beim dritten Versucht hatte sie es aber geschafft und ihr übliches „Dienst-Lächeln“ aufgesetzt. Ohne dieses, so hatte D’Sass gemeint, sähe sie aus wie eine Wetteransagerin, die seit drei Jahren nur Regen vorhergesagt hatte. Doch Winona war schon seit einiger Zeit nicht mehr wirklich nach lächeln zu Mute und so hatte es keine Alternative gegeben, als sich dieses Dienst-Lächeln anzueignen. Mit diesem nun ausgestattet wandte sie sich um und verließ das Badezimmer. Dass etwas nicht stimmte, bemerkte sie in jenem Moment, als die automatische Tür ihres Quartiers vor ihr zur Seite glitt und sie einen kalten Lufthauch um die Knie herum spürte. Erschrocken wich sie sofort zurück, damit sich die Tür wieder schloss, und eilte wieder ins Badezimmer, wo sie ihre Uniformhose vergessen hatte.

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Nur Sekunden nachdem Winona Giles – nun ordnungsgemäß bekleidet – ihre Kabine verlassen hatte, wurde die Dunkelheit darin von einem Lichtschimmer durchbrochen. Der Bildschirm ihres Computer-Terminals auf ihrem Schreibtisch aktiv wurde und eine blinkende Textzeile im oberen Bildrand zeigt an, dass sie eine persönliche Nachricht erhalten hatte. Die Nachricht wies keinen Betreff auf und auch ein Absendername fehlte. Überhaupt bestand die Nachricht nur aus einer einzigen Zeile.

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Genauso wie sein brauner Mantel wehte auch das lange, weiße Haar auf seinem Kopf und unter seiner Nase in einer weiteren heftigen Windböe. Es war ein typischer Tag für diese Jahreszeit und diese Region auf dem kleinen Planeten Marlona. Der Himmel war grau und über das nahe Meer zog eine unangenehme Kaltluftströmung vom südlichen Eiskontinent.
Der Archivar betrachtete durch sein Fernglas jedoch nur kurz den tristen, farblosen Himmel. Er interessierte sich mehr für jenes Volk, das auf dieser unangenehmen Welt lebte und senkte seinen Blick. Von seiner Position auf einem Hügel stehend, konnte er hervorragend auf das Flachland vor der Küste hinabsehen. Er sah einfache Lehmhütten mit Dächern aus unverarbeitetem Holz, einige wenige Zelte, die sich im Wind aufblähten. In der Mitte der Siedlung brannte ein großes Feuer, um das sich die Einheimischen versammelt hatten und sich wärmten. Sie alle hatten keine große Ähnlichkeit mit dem Archivar. Natürlich waren die Einheimischen keine Klingonen, aber auch was die Statur anging wirkte keiner von ihnen auch nur annähernd so klein und schmächtig wie der Archivar. Alle Marlonarier, die der Archivar bisher getroffen oder gesehen hatte, waren erstaunlich kräftig und nahezu athletisch gebaut. Jeder Klingonen-Krieger würde sich wünschen, eine solche Statur zu besitzen – vielleicht abgesehen vom zweiten Paar Arme, das allen Marlonariern zu Eigen war.
„Ich wundere mich, dass Sie sich bei diesem Wetter raus wagen, Archivar“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm. Der Archivar musste sein Fernglas nicht absetzen und sich nicht umdrehen. Die Stimme von Commander Korrd kannte er inzwischen mehr als gut. Und auch seinen nörgelnden Tonfall, den er vor allem in den letzten Wochen besonders häufig benutzte.
„Sie wissen doch genau, dass das Wetter hier nicht besser wird“, belehrte der Archivar den Commander und betrachtete weiter die kleine Siedlung. Die Marlonarier lebten in einer regelrechten Einöde und wenn sich der notorisch mürrische Korrd hier niederlassen würde, würde seine Stimmung ebenso oft unter den Nullpunkt sinken wie die Temperaturen auf dem Eiskontinent. Doch die Marlonarier waren da ganz anders. Sie machten das Beste aus ihrem simplen Leben. Sie jagten, betrieben einfache Viehzucht und Ackerbau und lebten ihr Leben ganz unbeschwert und das sicher schon seit tausenden Jahren fast unverändert. Ihre Heimat bot ihnen nicht die Ressourcen, sich zu einer Hochkultur zu entwickeln und sie hatten auch ganz offensichtlich nicht das Bedürfnis, etwas an ihrer Lebensweise zu verändern. Seit mittlerweile zweiundzwanzig Tagen genoss der Archivar die Gastfreundschaft der Einheimischen. Anfangs etwas scheu waren sie aber immer freundlich zu ihm gewesen und mittlerweile war er ein gern gesehener Gast in der Gemeindehütte und am Tisch des Gemeindeoberhaupts. Es hatte sich als sehr vernünftiges Vorgehen erwiesen, allein Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen. Commander Korrd hatte ursprünglich zwar auf eine gut bewaffnete Eskorte bestanden, aber nach eingehender Fernbeobachtung war der Archivar zu dem Schluss gekommen, dass sich die Marlonarier dadurch bedroht gefühlt hätten. Und so war der Archivar auf eigene Faust nach ein paar Tagen Beobachtung einfach den Hügel hinab geschritten und hatte allein die einfache Siedlung betreten.
„Ist es Ihnen nicht einmal einen kleinen Schnupfen wert, mehr über die Geheimnisse der Ahnen zu erfahren?“, fragte der Archivar.
„Dafür würde ich sogar mein rechtes Bein opfern“, sagte Korrd entschlossen und ließ seinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. „Aber glauben Sie wirklich, dass uns diese Wilden da unten irgendetwas erzählen könnten? Die können ja noch nicht einmal Klingen schmieden. Welches Wissen sollten die über die Waffen der Ahnen haben?“
Der Archivar setzte sein Fernglas ab und wandte sich zu Korrd. Um einen sachlichen und überzeugenden Tonfall bemüht erklärte er das, was er dem Commander schon seit Monaten zu erklären versuchte:
„Wir wissen, dass G’troc hier war. Er hat Geschichten der Marlonarier in seine Bücher aufgenommen und diese erzählen vom Siegessturm, von der „Stätte der Träume“ und von einem großen Krieg vor Tausenden Generationen.“
„Aber woher sollen diese Primitivlinge davon wissen? Tagus III ist Dutzende Lichtjahre entfernt und die Marlonarier sehen nicht gerade so aus, als ob sie in den nächsten zehntausend Jahren den Warp-Antrieb erfinden würden. Geschweige denn einen vor einer Milliarde Jahren gehabt hätten. Ich habe von Ihnen noch keine Erklärung dafür gehört.“
Korrd hatte damit natürlich recht, da konnte der Archivar nur schwer widersprechen. Nachdem er selbst mit Commander Korrd, Captain Kor und dem Tagusianer namens Chardin eine sonderbare Allianz gebildet hatte, hatten sie zusammen als ihr oberstes Ziel definiert, die Reise von G’Troc nachzustellen und herauszufinden, wo er die Legenden gesammelt hatte, die den Dahar-Meister Rurik nach Tagus III und in dessen Tod geführt hatten. Ihre Absicht bestand darin, noch weitere Informationen zu gewinnen, die damals G’Troc nicht in seine Bücher aufgenommen hatte.
Der Archivar atmete tief durch, sog die kalte Luft in seine Lungen. Er hatte zusammen mit Chardin eine ganz gute Theorie ausgearbeitet, aber sie war natürlich höchst spekulativ. Dies war auch der Grund, warum sie diese Theorie bisher weder an Korrd noch an Kor weitergegeben hatten. Allerdings spielte es wohl keine Rolle, ob die Theorie den Tatsachen entsprechen mochte oder nicht, überlegte der Archivar. Niemand könnte sie bestätigen oder widerlegen, nicht nach so langer Zeit.
„Also gut“, begann er. „Wir wissen, dass, als G’Troc hier auf Marlona war, er von den Einheimischen unter anderem auch Geschichten über Tagus III und die Ahnen hörte.“
„Unwahrscheinlich, oder?“, unterbrach Korrd wirsch und mit einer abfälligen Handbewegung.
„Ich sage nicht, dass die Geschichten der Marlonarier den Erlebnissen ihrer Vorfahren entsprechen. Ich denke viel mehr, dass sie selbst lediglich diese Geschichten gehört haben und einfach weitererzählen.“
In den Augen des Commanders zeigte sich nun Nachdenklichkeit. Er schien zumindest diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen:
„Na schön. Aber von wem haben die Marlonarier die Geschichten gehört? Soweit wir wissen, ist jede intelligente Lebensform in der Galaxie durch den Einsatz der Ahnen-Waffe ausgelöscht worden.“
„Nein, nicht jede“, widersprach der Archivar sofort mit erhobenem Zeigefinger. Von Rurik wären jetzt wohl ein abfälliges Schnaufen und ein dazu passender Kommentar gekommen. Doch Korrd überraschte den Archivar in dieser Hinsicht positiv. Der Commander wusste, wann er zuhören und sich belehren lassen sollte.
„Drei Ahnen haben überlebt, da bin ich ziemlich sicher.“
„Wieso drei?“
„Überlegen Sie mal: Als Rurik, Chardin und Kor die Waffe in der Arena auf Tagus III aktiviert haben, merkten sie nichts von den Schmerzen, die überall sonst in der Galaxie die verschiedensten Spezies – zum Teil bis in den Tod – geplagt hatten. Und drei Personen waren auch schon damals vor einer Milliarde Jahre zur Aktivierung der Waffe notwendig, als die Ahnen ihren entscheidenden Schlag gegen die Slaver ausführten.“
„Drei Personen. Die drei Gebieter?“, fragte Korrd. Der Commander war eine positive Überraschung für den Archivar. In erster Linie sollte er sich natürlich um die militärischen und logistischen Erfordernisse ihres Vorhabens kümmern. Doch er schien sich mit der Materie der Legenden von G’Troc auch sehr gut vertraut gemacht zu haben, so dass er sehr schnell erkannte, auf welche drei Personen der Archivar anspielte. Dieser nickte zufrieden:
„Ja. Was hätten die drei Gebieter denn noch auf Tagus III tun sollen? Der Feind war vernichtet genauso wie ihr eigenes Volk. Es gab für sie nichts mehr zu tun. Also brachen sie auf und reisten zu den Sternen. Sie verließen ihre alte Heimat und ließen sich auf anderen Welten nieder. Unter anderem hier auf Marlona.“
„Diese Theorie kommt Ihnen nicht etwas weit hergeholt vor?“, fragte Korrd. „Wenn es kein Leben mehr in der Galaxie gab, warum sollten sie sich auf einem anderen Planeten niederlassen? Oder Hinweise auf ihnen hinterlassen, die von den Geschehnissen erzählen?“
„Es gab keine Hinweise, Commander. Die Gebieter haben die Geschichte persönlich weitererzählt. Sie flogen zu jenen Welten, auf denen es noch Leben gab.“
„Aber es gab doch keine.“
„Doch, es gab welche“, beharrte der Archivar und machte mit seinem linken Arm eine ausholende Geste. Er deutete zu der Siedlung der Marlonarier und bereitete seine große Offenbarung vor:
„Ich habe mit dem Häuptling mehrmals über die Auswirkungen des Siegessturms gesprochen und versucht, es ihm zu erklären mit so vielen und gleichzeitig so einfachen Wörtern wie möglich. Aber ich hatte keinen Erfolg. Ja, sie haben dieses Sturmmuster am Himmel über sich gesehen. Sie haben sogar erkannt, dass es sich um dasselbe Phänomen handelte, von dem in ihren Legenden die Rede ist. Aber sie haben keine Wirkung verspürt.“
Ungläubiges Staunen war die einzige Antwort, die Korrd dem Archivar geben konnte. Der Commander brachte kein Wort hervor.
„Wenn die Marlonarier bei der letzten Anwendung der Ahnen-Waffe keine Auswirkungen verspürten, dann haben ihre Vorfahren vor einer Milliarde Jahre vermutlich auch keine gespürt. Sie haben das Massaker überlebt. Und wenn die damaligen Marlonarier ebenso gastfreundlich waren wie es ihre Nachfahren sind, dann haben sie die Gebieter damals mit Freundlichkeit und Wohlwollen empfangen. Und die Gebieter revanchierten sich, indem sie als Gegenleistung mit ihnen am wärmenden Feuer saßen und Geschichten erzählten. Geschichten, die unser größter Schriftsteller G’Troc vor fast eintausend Jahren dann in seinen Büchern verewigte.“
Eine Weile lang standen die beiden Klingonen schweigend auf der Hügelkupppe. Es war schwer zu begreifen, dass so einfache aber auf jeden Fall intelligente Lebensformen von der Macht der tagusianischen Waffe unbeeinflusst geblieben waren. Und das sogar zweimal.
„Na gut“, sagte Korrd schließlich nach langen Minuten des Schweigens. „Vielleicht ist unser Aufenthalt hier doch nicht so unnütz. Aber wir sind schon seit drei Wochen hier. Haben Sie in der Zwischenzeit etwas erfahren, das nicht in G’Trocs Büchern steht?“
Als Antwort griff der Archivar in die Innentasche seines Mantels und holte einige zerknitterte Zettel heraus, die im Wind raschelten. Der Archivar hatte keine modernen Computer oder auch nur PADDs mit in die Siedlung nehmen wollen. Daher hatte er auf Papier alles aufgeschrieben, was ihm wichtig erschien.
„Ich denke, wir können bald wieder in den Laurentischen Graben zurückkehren“, erklärte er, was Korrd zufrieden nicken ließ. Doch der Archivar bedauerte zutiefst, Marlona und seine Bewohner zu verlassen. Auch wenn er keine andere Wahl hatte. Er hatte vor Korrd, Kor und Chardin geschworen, seine ihm zugedachte Rolle zu spielen.
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