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Reue (4)

von Emony

Kapitel 1

Historische Anmerkung 
Die folgende Geschichte spielt im Jahr 2374

 

Eigentlich ging es Ro Laren gut. Sie konnte sich wahrlich nicht beschweren. Sie hatte eine vernünftige Unterkunft, auch wenn sie diese mit zwei weiteren Personen teilen musste, und sie hatte sowohl genug zu essen und trinken als auch saubere Kleidung und allerlei andere Annehmlichkeiten. Die Arbeit, die sie täglich verrichten musste, war nicht immer angenehm, aber durchaus in einem akzeptablen Bereich. Wie gesagt, es ging ihr eigentlich ganz gut. 

Eigentlich, wäre da nicht die Tatsache, dass sie keineswegs freiwillig an diesem Ort verweilte. Neuseeland war herrlich um diese Jahreszeit und ein bisschen erinnerte sie die Landschaft des Eilandes sogar an ihre Heimat Bajor. Natürlich waren Flora und Fauna nicht identisch, ebenso unterschied sich die Architektur gewaltig zur ihr heimischen, aber Ähnlichkeiten gab es dennoch. Ro lebte inzwischen nun mal nicht mehr in einer bajoranischen Provinz und auch in keiner der großen Städte, auch nicht auf einer der Kolonialwelten in der Entmilitarisierten Zone, die sie so hartnäckig versucht hatte, vor den „Löffelköpfen“ zu verteidigen. Sie lebte in einer Strafkolonie Neuseelands auf der Erde, viele Lichtjahre von ihrer Heimat entfernt.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie in den Genuss der bajoranischen Küche gekommen war. Sie vermisste so viel aus der Heimat, jetzt wo sie nicht mehr die Freiheit hatte, jederzeit zurückzukehren. Die irdische Küche war keine schlechte, nur eben ganz anders. Während ihrer Zeit bei der Sternenflotte und auch später beim Maquis hatte sie immer die Möglichkeit gehabt und auch wahrgenommen, hier und da Spezialitäten aus der Heimat zu genießen. Die Küche der Strafkolonie war jedoch eine rein irdische und sie nahm an, dass es ein Teil des Strafvollzugs war, dass sie eben kein bajoranisches Obst oder Hasperat zu essen bekam.

Abgesehen davon, ging es ihr jedoch gut. Sie verstand sich mit den anderen Gefangenen, die Größtenteils ebenso friedlich, wie sie selbst, versuchten ihre jeweiligen Strafen abzusitzen. Dafür, dass sie seit knapp drei Jahren in dieser Strafkolonie lebte, ging es ihr erstaunlich gut. Sehr viel besser auf jeden Fall, als dem Großteil ihrer Freunde und Bekannten, die ebenfalls für den Maquis gekämpft hatten. Die meisten von ihn hatten, laut der Föderations-Nachrichten, ihr Leben im Krieg gegen das Dominion verloren, mit dem sich die Cardassianer verbündet hatten, um mehr Macht im Alpha-Quadranten zu erlangen.

So manches Mal lag sie nachts in ihrem Bett und stellte sich vor, wie es ihren Kameraden ergangen sein muss. Wie sie verzweifelt versuchten in einem Kampf zu überleben, den sie einfach nicht gewinnen konnten. Hier auf der Erde hatte sie sehr viel Zeit gehabt über ihre Entscheidung, die Sternenflotte für den Maquis zu verlassen, und die daraus resultierenden Konsequenzen, nachzudenken. Sie hatte begonnen, einige dieser Entscheidungen in Frage zu stellen: War es klug gewesen, die Enterprise zu verlassen und damit Picards Vertrauen in sie zu hintergehen? Hätte sie nicht erfolgreicher gegen die Cardassianer und später sogar gegen das Dominion kämpfen können, wäre sie an Bord des Flaggschiffs geblieben?

Hier und da kleine Vergeltungsangriffe geflogen zu sein, schien ihr in der Retrospektive, jetzt wo sie den Krieg der Föderation gegen das Dominion als fertiges Gesamtbild eines großen Puzzels betrachten konnte, so sinnlos. Als hätten ihre Aktionen bestenfalls ein einzelnes dieser kleinen Teile ausgemacht. Einmal war ihr sogar der Gedanke gekommen, dass sie und die übrigen Maquis die Cardassianer überhaupt erst zur Allianz mit dem Dominion getrieben hatten. Wie lästige kleine Insekten hatte der Maquis Cardassia immer wieder geärgert, aber niemals wirklich geschadet. Wäre nicht vielleicht alles ganz anders verlaufen, hätte es den Maquis nicht gegeben? War es nicht denkbar, dass Cardassia sich sogar mit der Föderation verbündet hätte, um den eigenen Quadranten vor einer fremden Invasion zu schützen? Unwahrscheinlich war es wohl, aber sicher nicht unmöglich. Selbst das Romulanische Imperium und das Klingonische Reich hatten das Kriegsbeil begraben und sich auf die Seite des alten Feindes geschlagen. Es wäre durchaus denkbar, dass das Dominion schon viel früher erkannt hätte, dass es in diesem Quadranten unwillkommen war. Dieser ganze furchtbare, sinnlose Krieg hätte vielleicht verhindert werden können.

Aber sie war ja nicht die einzige Bajoranerin gewesen, die ihren Hass auf die alten Feinde nicht überwinden konnte. Sie war eine von Vielen gewesen und noch nicht mal jemand mit viel Einfluss. Sie hatte einfach nur Befehle befolgt und war dabei dem Irrglauben erlegen, den Kolonialwelten damit einen Gefallen zu tun. Dabei hatte der Maquis im Grunde nichts anderes getan, als in ein Wespennest zu stechen.

Etwas lustlos kaute Ro Laren auf einer in Öl und Knoblauch gebratenen Zucchinischeibe herum und ließ den Blick über ihre Mitgefangenen schweifen. Sie hatte es tunlichst vermieden Freundschaften zu schließen. Wie mit so Vielem in ihrem Leben, hatte sie auch mit Freundschaften kein gutes Händchen. Schon in ihrer Kindheit wollte sie keine Freunde haben, aus Angst, sie zu verlieren. Die Brutalität und Mordlust der Cardassianer hatte auch vor Kindern keinen Halt gemacht. Meist hatten sie allerdings mehr Freude daran gefunden, bajoranische Kinder dabei zusehen zu lassen, wie ihre Eltern, Großeltern und einfach jeder, den man liebte, bis zum Tode gefoltert wurden. Nein, Freunde brachten nichts als Kummer. Diese Lektion hatte sie früh gelernt. Und um ihre Familie hatte sie schon sehr lange nicht mehr geweint. Eigentlich – und das ärgerte sie auch nach all der Zeit noch – hätte sie auch Macias niemals an sich heran lassen sollen. Macias hatte sie jedoch so sehr an ihren Vater erinnert, dass sie ihn plötzlich, nach all den Jahren, doch wieder vermisste.

„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“, fragte jemand hinter ihr.

Es war eine männliche Stimme, die ihr durchaus vertraut war, aber sie wagte es kaum sich herumzudrehen und die Person anzuschauen. Sie wollte die Enttäuschung nicht in seinen Augen sehen, die er zweifelsohne immer noch empfand. Jedoch war er zu höflich, sich einfach so hinzusetzen und so nickte Ro Laren schwach, ohne ihn direkt anzusehen.

„Sie sehen gut aus. Ich mag, wie Sie Ihr Haar jetzt tragen“, sagte er und sie konnte hören, dass er sein Kompliment ehrlich meinte. Sie musste ihm dafür nicht in die Augen sehen.

Seit ihrer Gefangennahme war sie nicht mehr beim Friseur gewesen und so trug sie das inzwischen recht lange, schwarze Haar hochgesteckt. Es erschien ihr an diesem Ort und zu dieser Zeit als unangebracht, falsche Eitelkeit zu demonstrieren.

„Wie geht es Ihnen?“, erkundigte er sich und ließ sich schließlich auf den Platz neben ihr nieder.

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Stattdessen sagte sie nur: „Es tut mir leid.“ Die Worte waren kaum hörbar über ihre Lippen gekommen. Tausende Male hatte sie sich überlegt, was sie Picard sagen würde, wenn sie je wieder die Chance bekäme mit ihm zu sprechen. Sie wollte sich ihm erklären, sich ihm gegenüber rechtfertigen. Das schuldete sie ihm. Es war das Mindeste. Stattdessen saß sie eingeschüchtert wie ein kleines Kind vor ihrem Essen und traute sich nicht, ihn anzusehen. Er musste nicht schimpfen, ihr keine Vorwürfe machen und seine Enttäuschung in Worte fassen. Sie wusste nur zu gut, was sie ihm angetan hatte: Sie hatte sein Vertrauen missbraucht und war zu den Rebellen übergelaufen. Damals war ihr die Entscheidung gut und vor allem richtig vorgekommen. Sie hatte an den Maquis geglaubt. Nicht umsonst hieß es, der Zweck heilige die Mittel. Picard war ihrer Ansicht nach auf der falschen Seite gestanden, teils aus Überzeugung, teils aus Pflicht zur Uniform.

Nun musste sie mit der Konsequenz ihrer Entscheidung leben - sie war vollkommen allein, nicht nur in der Strafkolonie, sondern allgemein. Der Maquis war praktisch vollkommen ausgelöscht worden, dafür hatte das Dominion gesorgt, viele ihrer ehemaligen Kameraden bei der Sternenflotte waren im Krieg gefallen. Ein paar wenige Bekannte vom Maquis waren verschollen im Delta-Quadranten, das war zumindest ihr letzter Kenntnisstand. Und ob abgesehen von Picard noch jemand von der Enterprise lebte – sofort tauchte Guinans warmes Lächeln vor ihrem inneren Auge auf – konnte sie nicht wissen.

Picard erwiderte nichts auf ihre geflüsterte Entschuldigung. Sie konnte jedoch seinen Blick spüren. Sie nahm an – und das schrieb sie seiner Geduld und Erfahrung zu - dass er sie so lange ansehen würde, bis sie seinen Blick schließlich erwidern würde. Es kostete sie mehr Courage, als sie angenommen hatte, den Kopf in seine Richtung zu wenden und den Blick soweit zu heben, bis sie ihm in die Augen sehen konnte. Zu ihrer Überraschung war sein Gesichtsausdruck keineswegs ernst, oder enttäuscht. Er lächelte sie an. Warum? Warum um alles in der Welt lächelte er sie an? Sie erwartete, dass er nie wieder etwas mit ihr zu tun haben wollte und, bei den Propheten, sie hätte es verdient! Bedeutete sein Lächeln, dass er ihre Entschuldigung annahm und ihr vergab?

„Ich habe viele Monate furchtbare Angst um Sie gehabt, Laren. Jedes Mal, wenn neue Namenslisten der Gefallenen auftauchten, hatte ich Angst davor, Ihren Namen darauf zu finden.“

Sie konnte nicht das Geringste gegen die Tränen tun, die sich unweigerlich in ihren Augen sammelten, während er zu ihr sprach. „Warum?“, hauchte sie fassungslos und starrte ihn mit verschleiertem Blick an.

Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde ernster, aber er war bemüht weiterhin zu lächeln. Sie sah jedoch, wie schwer es ihm fiel. „Ich bin mir da oft nicht sicher gewesen. Ich hatte sehr viele Gespräche mit Deanna diesbezüglich und auch mit Guinan. Guinan war es letztlich auch, die mir zur Erkenntnis verhalf.“ Picard machte eine Pause, presste für einen Moment die Lippen zusammen und fuhr dann fort. „Ich glaube, dass ich in Ihnen immer eine Art Tochter gesehen habe, Laren.“

„Aber“, sagte sie und eine einzelne Träne rann über ihre Wange, „ich habe Sie enttäuscht. Ihr Vertrauen missbraucht.“ Sie hatten damals, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, keinen guten Start miteinander gehabt. Sie hatte ihn für einen verblendeten Idealisten gehalten, der keine Ahnung davon hatte, was Bajor in den Jahren der Besatzung durchgemacht hatte. Es hatte gedauert, bis sie ihn respektierte und noch länger, bis sie ihn mochte. Aber was er sagte, traf ihn etwa zu. Nicht nur in Macias hatte sie eine Vaterfigur gesehen, sondern auch in Picard. Einen anderen, strengeren Vater, einen, um dessen Respekt ein Kind ein ganzes Leben lang kämpft. Macias war eher wie ein Vater gewesen, der jeden Unsinn mitmachte, der einem abends am Lagerfeuer Gruselgeschichten erzählt und Gutenachtlieder vorsingt. Hätte sie einige der Charakterzüge beider Männer vereinen und sie in den Leib eines Bajoraners pflanzen können, hätte sie ihren Vater gehabt. „Es tut mir so schrecklich leid“, wiederholte sie unter Tränen und kam sich mitleiderregend vor, weil sie dermaßen die Beherrschung verlor. Wo war nur ihr Stolz geblieben?

Picard nahm sie wortlos in die Arme und hielt sie so lange, bis ihre Tränen versiegten. „Wir alle machen Fehler“, sagte er, „wichtig ist nur, dass wir aus ihnen lernen und niemals den selben Fehler ein zweites Mal begehen.“ Langsam löste er sich von ihr, wischte ihr mit den Daumen die Tränen aus dem Gesicht und lächelte wieder. „Die Sternenflotte weigert sich, Ihnen eine weitere Chance zu geben, aber das bajoranische Militär sucht verzweifelt nach fähigen Leuten. Kennen Sie die Raumstation Deep Space Nine?“

Ro Laren nickte langsam und sah ihn verwirrt und neugierig zugleich an, als spreche er eine Sprache, die sie nur teilweise verstehen konnte.

„Dort wird ein neuer Sicherheitschef gebraucht und wenn Sie wollen, gehört der Posten Ihnen“, fuhr er fort.

Ihr Unglaube wuchs mit jedem seiner Worte weiter an. „Warum tun Sie das für mich, Captain?“

Picard atmete tief ein und hörbar wieder aus. „Es ist so viel geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Vor allem ist viel Zeit vergangen. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es Dinge gibt, die ich nicht beeinflussen kann und andere, die ich sehr wohl beeinflussen kann. Sie sind jetzt seit rund drei Jahren hier, Laren. Sie sind kein einziges Mal negativ aufgefallen. Sie haben diese zweite Chance verdient. Ich bedauere nur, dass die Sternenflotte sich standhaft weigert, Sie wieder aufzunehmen. Ich könnte eine Pilotin wie Sie gebrauchen.“ 

Er lächelte, aber diesmal war es ein sehr trauriges Lächeln. Sie konnte ihm ansehen, dass auch er nicht ohne Verluste aus dem Dominionkrieg zurückgekehrt war. Ro Laren wagte es jedoch nicht zu fragen, wen er verloren hatte. Ihr Gefühl verriet ihr, dass sie es noch früh genug erfahren würde. „Ich kann einfach so gehen?“, fragte sie nach einigen gedehnten Momenten. Picard nickte lediglich. „Sie fliegen nicht rein zufällig in den bajoranischen Sektor, oder?“

Picards Lächeln wurde wieder heller und auch ein wenig breiter. „Sie werden es kaum glauben, aber mein nächster Auftrag bringt mich direkt nach Bajor. Es hat den Anschein, als wolle Bajor der Föderation nun doch beitreten.“

„Natürlich schickt man Sie“, nickte Ro Laren und erwiderte das Lächeln. Es gab viele Bajoraner, die gegen den Beitritt zur Föderation waren. Ro zählte sich selbst jedoch nicht zu ihnen. Wenn jemand ihre Regierung und vor allem die religiösen Führer überzeugen konnte, dass der Beitritt zur Föderation nur positive Veränderungen für Bajor bringen würde, dann Picard.

Ro Laren erhob sich und sah sich ein letztes Mal um. Sie brauchte sich nicht mehr zu fragen, was sie tun oder wohin sie würde gehen können, wenn sie hier endlich raus kam. Ihr Leben würde endlich wieder einen Sinn bekommen und vielleicht würde es ihr sogar gelingen, hier und da etwas Gutes zu bewirken. Sie nahm sich jedenfalls fest vor, dass sie Picard niemals wieder hintergehen und enttäuschen würde. Er war der einzige Mensch, der sie so akzeptierte wie sie war und trotz allem, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht hatte, zu ihr stand und bereit war, ihr eine zweite Chance zu geben. Drei Jahre lang hatte sie die Konsequenzen ihrer Fehlentscheidung getragen. Es tat gut diese Last endlich von den Schultern nehmen und ein neues Leben beginnen zu können. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Und Reue ist Erkenntnis, die bekanntlich zu spät kommt.

„Bereit?“, fragte Picard, der sich neben sie stellte. Ro Laren nickte ihm voller Zuversicht zu. Was auch immer von nun an geschehen würde; dieses neue Leben verdankte sie Jean-Luc Picard. „Picard an Enterprise. Zwei zum beamen.“

ENDE

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