TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Familienbande

von Emony

Kapitel 2

Leonard bezahlte den Taxifahrer und folgte dann Jims Blick aus dem Wagenfenster, der mit kaum verhülltem Erstaunen und leicht geöffnetem Mund das Haus anstarrte. Sie hatten kaum Zeit gehabt, nochmals über ihre gemeinsame Reise hierher zu sprechen, ehe sie die Enterprise verlassen hatten. Unter anderem deshalb, weil noch so viel zu regeln gewesen war.

„Bist du soweit, Jim?“, erkundigte sich Leonard nach einer Weile, da er das Gefühl hatte, dass der Taxifahrer ungeduldig wurde. Er hatte es eilig gehabt, die Koffer aus dem Wagen zu holen, und stand nun, mehr oder weniger geduldig, wartend hinter seinem Vehikel.

Jim löste nur widerwillig den Blick von dem eindrucksvollen Gebäude und sah seinem besten Freund mit einer Andeutung von Fassungslosigkeit in die Augen. „Das ist dein Zuhause, Bones?“

Leonard verdrehte leicht die Augen und grollte: „Ja, ganz recht.“

Bones war ohne jeden Zweifel in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und hatte es bisher versäumt, in Jims Gegenwart auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren. Das Haus wirkte wie eine Südstaatenvilla aus dem achtzehnten Jahrhundert, und Jim hatte kaum Zweifel daran, dass das Gebäude auch tatsächlich so alt war. Ein bisschen bekam es Jim mit der Angst zu tun, wenn er das riesige Anwesen betrachtete, das von einem mehrere Hektar umfassenden Gelände umgeben war. Er hatte mit einem netten kleinen Familientreffen gerechnet, nachdem Bones ihm jahrelang vorgegaukelt hatte, dass er ein einfacher Landarzt in Georgia gewesen war, ehe er sich an der Sternenflotten Akademie eingeschrieben hatte.

„Jim, der Taxifahrer sieht aus, als habe er es eilig, zurück in die Innenstadt zu kommen. Wenn du also nichts dagegen hast, würde ich gerne unsere Koffer ins Haus bringen und dich meiner Familie vorstellen.“

Jim schluckte sichtlich und sah Bones einen sehr langen Moment an. „Wie groß ist deine Familie?“

„Nicht besonders groß. Weshalb fragst du?“ Leonard folgte Jims Blick ein weiteres Mal zu seinem Elternhaus, dann begriff er plötzlich. „Das Haus ist seit Generationen im Familienbesitz. Es spiegelt nicht wider, wie meine Familie ist. Du wirst sehen, sie sind allesamt sehr liebenswerte und einfache Menschen.“

„Dennoch hast du in Erwägung gezogen deine eigene Mutter zu belügen …“, gab Jim zu Bedenken und fixierte Bones erneut. „Wie … soll ich mich deiner Familie gegenüber verhalten, Bones? Was werden sie von mir erwarten?“

Leonard lächelte sanft. „Sei du selbst, das wird vollkommen in Ordnung sein. Ich möchte nicht, dass du ihnen jemanden vorspielst, der du nicht bist.“ Erst jetzt wurde ihm klar, dass er Jim vielleicht hätte vorbereiten sollen. Ihm war nicht in den Sinn gekommen, dass der bloße Anblick seines Elternhauses Jims – ansonsten sehr ausgeprägtes – Selbstbewusstsein erschüttern könnte. Abgesehen von den offiziellen Veranstaltungen der Sternenflotte, zu denen Galauniformen und ein absolut makelloses Verhalten verlangt wurden, passte Jim in praktisch jede Umgebung. Er verstand es wie kaum jemand anderes, sich seiner Umgebung und den Menschen um ihn herum anzupassen. „Ich hätte dich nicht mitgenommen, wenn ich Zweifel daran gehabt hätte, dass du dich hier wohlfühlen würdest.“

Bones’ Worte, die ungewohnt freundlich und fast schon liebevoll waren, verwirrten Jim zusätzlich. Eigentlich war er nur schwer aus der Ruhe zu bringen, aber aus irgendeinem Grund, der ihm noch nicht klar war, schlug ihm das Herz wild hämmernd vor Nervosität in der Brust. „Okay“, brachte er schließlich krächzend hervor und öffnete die Wagentür auf seiner Seite, um auszusteigen.

Leonard tat es ihm gleich, bedankte sich bei dem Taxifahrer, der rasch in seinen Wagen stieg und davon fuhr, und griff nach seinen Koffern. Für einen langen Augenblick sah er das ihm so vertraute Heim an und stellte zufrieden fest, dass es sich kaum verändert hatte. Er war ein Gewohnheitsmensch und liebte es, wenn sein Zuhause immer gleich aussah. Die in voller Blüte stehenden Hibiskus-Sträucher vor der Veranda trugen ihren süßen Duft zu ihm hinüber. Just als er sich nach Jim umsah, der ihm unsicher folgte, öffnete sich die massive Haustür und offenbarte ihm die zwei Personen, auf die sich Leonard ganz besonders gefreut hatte.

Joanna kam „Daddy, Daddy“ rufend hinausgestürmt und sprang ihm direkt in die Arme, so dass er seine Koffer fallen lassen musste, um sie aufzufangen. Er drückte sie innig an sich, küsste sie und drückte sie wieder. Es war schon wieder zu viel Zeit vergangen, seit er sein kleines Mädchen halten und an sich drücken konnte. Sie hatte ihm unglaublich gefehlt.

Hinter Joanna kämpfte sich eine hochschwangere Frau mit langsamen, zielstrebigen Schritten auf ihn zu und schenkte ihm das gewohnt warme Lächeln, das ihr wie eh und je Grübchen in ihre Wange zauberte. „Leonard“, grüßte sie ihn und öffnete ihre Arme, als sie ihn erreichte.

„Nessie“, erwiderte Leonard den Gruß und umarmte seine Cousine, so gut es mit Joanna zwischen ihnen und ihrem kugelrunden Bauch ging. „Du siehst umwerfend aus.“

„Umwerfend fett“, feixte sie und sah über seine Schulter hinweg zu Jim hinüber. „Oh mein Gott!“

Ihre Stimme war ein Tick zu schrill für Leonards Geschmack, zumal sie ihren Ausruf unmittelbar neben seinem Ohr von sich gegeben hatte. Er ließ von ihr ab und sagte, noch während er ihrem Blick Richtung Jim folgte: „Du bist nicht fett, sondern schwanger und bildschön.“ Dass sie sich schlecht machte, wollte er ihr nicht durchgehen lassen. „Darf ich dir meinen Freund vorstellen …“

„James T. Kirk“, hauchte sie mit einem Maß an Erfurcht, das Leonard fast ein wenig eifersüchtig werden ließ - aber eben nur fast. Er war sehr stolz, Jim zum Freund zu haben.

Jim straffte die Schultern und seine Brust schwoll ein wenig an vor Stolz. Er war inzwischen so etwas wie eine Berühmtheit auf der Erde, nachdem er den Planeten vor Nero gerettet hatte. „Ma’am“, grüßte er sie ungewohnt höflich.

Die Frau, die Jim eben als Nessie kennen gelernt hatte – und was für ein blöder Spitzname war das überhaupt? – wandte sich abrupt zu Leonard um. „Er hat Ma’am gesagt. Ich bin also nicht nur fett, sondern auch alt. Ganz großartig …“

„Ich wollte nicht, ich …“, stammelte Jim, dem sein Fehler schlagartig klar wurde, und ausgesprochen peinlich war. „Sie sind keineswegs alt oder fett. Ich …“

Sie grinste Jim plötzlich an und ihm wurde bewusst, dass sie ihn tatsächlich reingelegt hatte. „Wir sind hier nicht in der Sternenflotte und solange ich noch keine Enkelkinder habe, bitte ich darum, mich niemals wieder mit Ma’am anzusprechen, Captain Kirk.“

Jim nickte und war sich nicht sicher, ob er jetzt erleichtert sein sollte, oder noch unsicherer als zuvor. „Einverstanden. Aber dann möchte ich Sie auch bitten mich nicht mit Captain Kirk anzusprechen. Jim reicht vollkommen aus.“ Er schenkte der Frau, die nicht viel jünger als Bones sein konnte, ein charmantes Lächeln.

„Daddy, hast du mir was mitgebracht?“, fragte plötzlich Joanna, die in Anbetracht ihres Alters erstaunlich lange geschwiegen hatte.

„Ich weiß nicht, ob ich was in meinem Koffer für dich habe, Jojo. Wenn du mir beim Auspacken hilfst, finden wir vielleicht etwas“, erwiderte Leonard und zwinkerte dem kleinen Mädchen zu, das keinerlei Anstalten machte, von ihm abzulassen.

„Geht schon mal hoch, ich bringe deine Koffer“, sagte Nessie und fing sich umgehend einen strafenden Blick von Leonard ein.

Jim kannte diesen Blick nur zu gut und grinste in sich hinein.

„Du trägst absolut nichts in deinem Zustand“, stellte er streng klar, und Jim konnte die Besorgnis in seiner Stimme hören. Bones bat Joanna sich besonders gut festzuhalten, ging in die Knie und hievte die Koffer zusätzlich zum Gewicht des Mädchens hoch.

„Lass mich dir helfen“, sagte Jim, der kaum mit ansehen konnte, wie Bones versuchte zwei Koffer und zugleich seine Tochter zu tragen.

„Das ist mein letztes Kind“, sagte Nessie. „Ich hasse es, nutzlos zu sein.“

„Du bist nicht nutzlos“, widersprach Leonard sofort, der einen seiner Koffer dankbar an Jim abgab und das Haus betrat. „Wo sind meine Eltern, Greg und deine Jungs?“, wollte er dann wissen.

Nessie folgte den Männern und hielt mit der linken Hand ihren runden Bauch, als befürchte sie, die Kugel könne sich von ihr lösen, während sie mit der anderen ihren Rücken stützte, der zunehmend schmerzte. „Deine Eltern sind unterwegs, um noch ein paar Details für die Feier zu klären. Irgendwie ist beim Cateringservice ein Missverständnis entstanden. Greg und die Jungs sind hinten im Pool. Wir hatten erst in ein paar Stunden mit dir gerechnet“, erklärte sie.

„Ihr habt hier einen Pool?“, fragte Jim erstaunt.

Nessie nickte eifrig. „Außerdem ein Gästehaus, ein eigenes kleines Gestüt und …“

Sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, da Leonard ihr über die Schulter einen strengen Blick zuwarf.

Jim blieb wie angewurzelt stehen. Nessie nahm dies zum Anlass, sich bei ihm einzuhaken, während sie ins obere Stockwerk hinauf gingen. „Sie haben all das nicht erwartet, oder?“

„Nein“, erwiderte Jim ehrlich und versuchte nicht allzu beeindruckt, oder noch schlimmer, eingeschüchtert, auszusehen, als er das Innere des Hauses in Augenschein nahm und sich geistig Notizen machte, damit er sich hier nicht irgendwann verlaufen würde. „Bones hat immer ein Geheimnis aus seinem Zuhause gemacht, und jetzt weiß ich auch warum.“

„Ich wollte nur nicht, dass du mich für einen reichen Schnösel hältst“, brummte Leonard vom oberen Treppenabsatz zu ihnen hinab. Jim und Nessie folgten ihm schließlich nach oben.

„Du ein Schnösel? Dass ich nicht lache.“ Er versuchte möglichst nicht darüber nachzudenken, weshalb Bones ihm nie von seinem Zuhause erzählt hatte. Es war traumhaft.

„Bones“, sagte Nessie und ließ den Spitznamen auf sich wirken. „Wie kommt man auf so einen Namen?“

„Wie kommt jemand darauf eine so hübsche Frau wie Sie es sind, nach einem Seemonster zu nennen?“, fragte Jim entgegen. Sein kleines Kompliment ließ Nessies Wangen rosa glühen.

„Leonard hat mich einfach schon immer so genannt. Mein richtiger Name ist Vanessa“, erklärte sie ihm. „Woher kommt der Name Bones?“

„Das hat mit dem zu tun, was er mir im Shuttle gesagt hat, als wir uns das erste Mal begegnet sind“, erwiderte Jim. Bones blieb im oberen Stockwerk vor einem Zimmer, relativ am Ende des Flurs, stehen und öffnete die Tür.

„Wie lange seid ihr schon zusammen?“, fragte Nessie neugierig.

Jim blieb unvermittelt stehen und starrte sie an. Er sah hilfesuchend zu Bones, doch der war in dem Zimmer verschwunden. „Ich … wir …“ Was sollte er sagen? Wollte Bones, dass sie seiner Familie etwas vorspielten oder nicht? „Wir sind nicht …“

Leonard kam wieder aus seinem Zimmer, nachdem er zumindest den Koffer losgeworden war. Joanna klammerte sich nach wie vor an ihn und machte keine Anstalten ihn je wieder loszulassen. „Welches Zimmer kann Jim haben?“

Nessie sah von Leonard zu Jim und wieder zurück. „Nun, wir sind davon ausgegangen, dass ihr beiden euch dein Schlafzimmer teilen würdet. Greg und ich haben das eine Zimmer, meine Jungs das gegenüber und das Gästehaus ist ebenfalls verplant. Wir dachten, dass ihr …“

Bones schloss die Augen und versuchte, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, aber Jim konnte ihm ansehen, dass er kurz davor stand in Panik zu geraten. Und eigentlich geriet Bones nicht so leicht in Panik. „Jojo, in dem großen Koffer ist was für dich. Schau mal, ob du es findest“, bat er seine Tochter und setzte sie ab.

Das ließ sich die Zehnjährige nicht zweimal sagen und verschwand tänzelnd in Leonards Schlafzimmer. Leonard ging auf Nessie zu und flüsterte beinahe, als er erklärte: „Jim ist ein Freund. Wir haben keine Beziehung, verstehst du?“

Nessie hob eine Augenbraue, und Jim stellte erstaunt fest, wie ähnlich sie Bones in dem Moment sah. „Du hast Eleanora doch gesagt, du kämst in Begleitung. Und du weißt verdammt genau, was sie erwartet. Wieso hast du ihr nicht gleich gesagt, dass du lediglich einen Freund mitbringst?“

Jim konnte sehen, dass Nessie wütend wurde. Offenbar war ihr Eleanora sehr wichtig, und sie mochte den Gedanken nicht, dass Bones seine Mutter beschwindelt hatte. „Ich hatte das nicht geplant“, gestand Bones und sah zwischen Nessie und Jim hin und her. „Ich wollte ursprünglich jemand anders mitbringen. Ma soll nicht denken, dass ich einsam bin, verstehst du? Ich weiß, dass sie sich seit Jocelyn dauernd sorgt, ich könnte mich, um meine Einsamkeit zu überspielen, hinter meiner Arbeit vergraben.“

„Du hattest nicht ein Date, seit deiner Scheidung“, entgegnete Nessie und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Oder hatte er hin und wieder jemanden?“, fragte sie und wandte sich plötzlich an Jim.

Dem verschlug es daraufhin die Sprache und er sah seinen Freund nur unsicher an. Es stimmte, dass Bones kein einziges Date während ihrer Zeit an der Akademie gehabt hatte. Immerzu hatte er gearbeitet, oder gelernt, oder war mit Jim zusammen gewesen. Jim war bislang nie in den Sinn gekommen, dass Bones sich tatsächlich hinter seiner Arbeit versteckt hatte.

„Wer behauptet, dass man eine Beziehung oder Dates braucht, um glücklich zu sein?“, argumentierte Leonard dagegen. „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben.“

„Du bist ein Familienmensch, Leonard. Das warst du schon immer. Ich weiß, wie du tickst. Ich kenne dich zu gut. Du magst dir selbst etwas vormachen, aber nicht mir“, sagte Nessie fest und verlagerte ihr Gewicht vom einen aufs andere Bein.

„Ich äh, lasse euch wohl besser allein und, äh, sehe mal nach ob Joanna schon fündig geworden ist“, sagte Jim leise und war sich nicht sicher, ob die beiden ihn überhaupt wahrgenommen hatten. Er verdrückte sich rasch in Bones’ Schlafzimmer und blieb erschrocken stehen, als er sah, dass Joanna sämtliche von Bones fein säuberlich zusammen gelegte Kleidung aus den Koffern gezerrt und auf dem Boden verteilt hatte. „Oh Süße, was machst du da nur?“

„Daddy hat es mir erlaubt“, sagte sie und lächelte Jim sonnig an. Dann fand sie ein kleines in buntem Papier verpacktes Kästchen, und ihr Lächeln wuchs in die Breite.

Jim beeilte sich Bones’ Kleidung wieder einzusammeln und rasch im Schrank zu verstauen. Es wäre ihm wesentlich wohler zumute gewesen, hätte seine Tätigkeit ihn von der Diskussion draußen vor der Tür abgelenkt.

„Wie konntest du sie belügen?“ Nessies Stimme wurde unabsichtlich lauter. „Gerade jetzt, wo sie diese riesige Feier planen wo so viele Bekannte und Freunde der Familie kommen werden. Das wird ihr das Herz brechen.“

„Christine hatte keine Zeit, in Ordnung? Sie wollte zu ihrer eigenen Familie fahren und das ist ihr gutes Recht.“

„Also bist du mit Christine zusammen?“, hakte Nessie nach.

Leonard holte tief Luft. „Nein“, gestand er dann im Ausatmen. „Du weißt, dass ich nichts von Beziehungen zwischen Kollegen halte und sie ist meine Oberschwester. Ich schätze sie und …“

„Du wolltest sie als Alibifreundin vorzeigen, Leonard? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Hast du deine moralischen Prinzipien irgendwo im All verloren oder was?“

Er schluckte schwer.

„Ma sollte sich doch nur keine Sorgen um mich machen. Und ich wollte einfach einem weiteren Verkupplungsversuch aus dem Weg gehen. Ich hatte keine böse Absicht gehegt. Du weißt, wie wichtig sie mir ist, Nessie. Ihr alle seid mir wichtig“, erwiderte er leise. Nessie war viel mehr als nur seine Cousine. Nachdem Tod ihrer Eltern, als sie noch sehr klein gewesen war, war Nessie zu ihnen gezogen und inzwischen waren sie wie Geschwister. Nessie liebte seine Eltern ebenso sehr wie er, und sie war ein Mensch, der nicht einmal Notlügen hinnahm. Vermutlich war sie der moralischste, ehrlichste Mensch, dem Leonard je begegnet war oder begegnen würde.

„Jetzt wird sie sich auf jeden Fall erst recht Sorgen machen, weil sie wissen wird, dass du sie belogen hast.“ Die beiden sahen sich einen sehr langen Moment schweigend an, während Leonard ihre Worte auf sich wirken ließ, dann atmete Nessie tief durch und brach das Schweigen. „Warum Jim?“

„Was meinst du?“, fragte er ehrlich verdutzt.

„Wieso bist du nicht allein gekommen? Wieso ist dein Freund mitgekommen? Sollte er dein Vorzeigefreund sein?“

„Nein, das sollte er nicht sein. Er ist einfach als Freund mitgekommen, um mir Beistand zu leisten. Und er …“ Leonard seufzte. „Er wollte mich gerne begleiten“, sagte er dann so leise, dass sogar Nessie ihn kaum verstand. „Er hat niemanden zu dem er gehen könnte.“

„Ich rede nie wieder mit dir, wenn du deiner Mutter diese Feier versaust, hörst du? Dein Vater wird das hinnehmen. Das hat er schon immer getan. Aber du weißt, dass deine Mutter einfach sehr emotional ist und in ständiger Sorge um dich. Wenn du ihr nur einen Tag später als gewohnt schreibst, sitzt sie hier und hat Angst, dass dir was zugestoßen ist, Leonard. Sie fragt sich täglich, ob es dort draußen im All jemanden gibt, der dich so liebt, wie du es verdienst und der sich vor allem auch um dich kümmert. Nicht wie Jocelyn, die dich nur ausgenutzt hat.“ Nessie betrachtete ihn einen Augenblick, dann legte sie ihm zärtlich die Hände an seine Wangen. „Und nicht nur sie macht sich pausenlos Sorgen um dich.“ Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. „Jim scheint dir viel zu bedeuten.“ Leonard nickte, sagte jedoch nichts weiter dazu, also fuhr sie behutsam fort. „Weißt du, ich hätte es gut gefunden, wenn er dein Lebensgefährte wäre.“

Leonard war sich nicht sicher, was er dazu sagen sollte. Seine Beziehung zu Jim war etwas Besonderes, aber sie war eben rein platonisch. „Jim und ich sind wirklich nur Freunde“, erwiderte er und fragte sich, woher dieser ungewohnt bedauernde Ton in seiner Stimme plötzlich herkam. Nessie sah ihn mit einer Mischung aus Verständnis und Bedauern an und ließ ihre Hände wieder sinken. „Ich werde Ma die Wahrheit sagen, versprochen“, raunte er dann und hatte noch absolut keine Ahnung, wie um alles in der Welt er das anstellen sollte. Jetzt wusste er wenigstens wieder, warum er nicht hätte lügen sollen. Er war nicht nur schlecht darin. Seine Lügen flogen auch grundsätzlich auf. Und wenn er etwas verabscheute, dann war es diejenigen zu verletzen, die er so sehr liebte. Nessie hatte sehr viel Zeit mit ihm verbracht, nachdem Jocelyn die Scheidung eingereicht hatte. Vor seinen Eltern und Joanna hatte er sich nie anmerken lassen, wie furchtbar er sich während und nach der Scheidung gefühlt hatte. Lediglich Nessie hatte er an sich heran gelassen. Er verdankte ihr sehr viel und deshalb war er ihr auch nicht böse, wenn sie hin und wieder sehr direkt zu ihm war und ihn in die Schranken wies.

„Da drin steht ein Sofa“, sagte Jim als er sich wieder auf den Flur wagte und lächelte die beiden verlegen an. Er wollte ihr Gespräch nicht stören.

„Das ist doch viel zu klein für einen ausgewachsenen Mann“, schüttelte Nessie den Kopf. „Vielleicht fällt mir noch was anderes ein. Jetzt packt erstmal aus und dann kommt runter. Ich mache uns derweil Kaffee. Greg und die Jungs werden sich freuen dich wieder zu sehen, Leonard. Und sie werden ausrasten, wenn sie den berühmten Captain Kirk kennen lernen dürfen.“ Sie zwinkerte Jim zu, der ein klein wenig rot wurde. Dann wandte sie sich ab und ging die Treppen wieder hinab.

Bones ging kopfschüttelnd auf Jim zu. „Das wird ein Alptraum werden. Wenn Nessie schon so sauer ist …“

„Deine Familie hält echt nichts von Lügen. Ich hab immer gedacht, du übertreibst und bist ein Moralapostel. Aber Nessie ist ja noch schlimmer als du.“ Jim grinste und machte keinen Hehl daraus, dass er es amüsant fand, mitzuerleben, wie Bones gerügt wurde. Meistens war es ja eher so, dass Jim derjenige war, der von Bones zurecht gewiesen wurde.
Rezensionen