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1.02 - Unter Druck

von Emony, Ranya

Geheimnisse

Gary Mitchell wartete neben dem Eingang zur Turnhalle, bis Kirk aus der Umkleidekabine kam. Kaum, dass der Jungspund durch die Tür trat, fischte ihn Mitchell heraus, indem er ihn leicht am Arm berührte. „Hey Jim“, grüßte er zwanglos.

Jim hob nur eine Augenbraue. „Kennen wir uns?“

Gary schüttelte leicht amüsiert den Kopf. „Nein, noch nicht wirklich. Aber ich war neulich dabei, als Finnegan dich verprügelt hat. Habt ihr eure Differenzen beigelegt?“

„Wüsste nicht, was dich das angeht“, erwiderte Jim ablehnend und verschränkte die Arme vor der Brust, während er sein Gegenüber aus leicht verengten Augen musterte. „Und Finnegan hat mich keineswegs verprügelt, er hat auch reichlich eingesteckt.“

„Du musstest in die Krankenstation, um dich zusammenflicken zu lassen, er nicht. Daher finde ich sehr wohl, dass er dich verprügelt hat“, feixte Mitchell. „Ich bin nicht dein Feind, weißt du. Du musst mich nicht so fürchterlich böse angucken.“

Jim kniff daraufhin noch ein wenig misstrauischer die Augen zusammen. „Wer Freund und Feind ist, muss ich wohl erst noch herausfinden. Zurzeit bin ich einfach etwas vorsichtig.“

„Kann ich gut nachvollziehen“, nickte Mitchell. „Ich bin übrigens Gary. Gary Mitchell.“

„Jim Kirk“, erwiderte Jim und nahm die von Gary angebotene Hand, um sie kurz aber kräftig zu schütteln. „Warum interessierst du dich für diesen kleinen … äh … Disput?“

Gary zuckte die Schultern. „Ich bin einfach neugierig, das ist alles. Finnegan kennt die Regeln hier eigentlich sehr gut. Er hatte ein Jahr Zeit, sie sich einzuprägen.“

„Ein Jahr?“, hakte Jim nach.

Die Turnhalle füllte sich zunehmend. „Jep, ein Jahr. Ich erzähle dir gerne bei einem Bier heute Abend mehr. Jetzt sollten wir uns auf das Training konzentrieren.“

„Mitchell!“ Die Stimme, die quer durch die Halle und über sämtliche Gespräche hinweg hallte, gehörte zu Lieutenant Tanaka, dem Ausbilder.

„Aye, Sir!“, rief Gary deutlich hörbar zurück und wandte sich dann wieder flüchtig an Jim. „Wir reden heute Abend weiter. Komm gegen 2100 ins 602.“ Damit joggte er auch schon Richtung Tanaka davon und ließ Jim ziemlich verwirrt stehen.

„Na, Jimmy, wieder einen Sympathisanten gewonnen?“, hörte dieser plötzlich Finnegans gehässige Stimme hinter sich, als der als letzter die Turnhalle betrat.

Jim sah seinen Zimmergenossen nur kopfschüttelnd von der Seite an. „Was ist eigentlich dein Problem?“

„Du, Kirk, bist mein Problem“, entgegnete Finnegan und stupste Jim leicht an der Schulter.

Allerdings hatte Jim sich fest vorgenommen, sich nicht wieder so leicht provozieren zu lassen, schon allein, um nicht erneut auf der Krankenstation zu landen. Bald kannte ihn dort das gesamte Personal und das war ihm schlichtweg peinlich. Abgesehen davon weckten Garys Worte nachdrücklich seine Neugierde. Er würde schon noch herausfinden, was Finnegans Problem war, und dann würde er es aus der Welt schaffen. Davon war Jim fest überzeugt.

Ein schriller Pfiff erklang, noch ehe Jim etwas erwidern konnte. Lieutenant Tanaka winkte alle Kadetten zu sich. Ohne zu zögern und auch ein wenig dankbar für die Ablenkung, folgte Jim der Aufforderung nur allzu gern. Als er vor Tanaka stand und sich in der Gruppe umsah, bemerkte Jim erstmals, dass Leonard nicht anwesend war. Wo war er nur? War er etwa krank geworden?

***

Nach dem Nahkampftraining spürte Jim Unruhe in sich aufkeimen, als er von Leonard immer noch nichts gesehen oder gehört hatte. Es passte so gar nicht zu seinem sonst so pflichtbewussten Freund, bereits die zweite Stunde zu schwänzen, selbst wenn ihm das Training gehörig auf den Zeiger ging. Leonard war einfach nicht der Typ, der absichtlich fehlte.

Dementsprechend joggte Jim direkt nach der Trainingsstunde ins medizinische Zentrum, wo er den flüchtigen Doktor vermutete. Da Leonard auch nicht – wie Jim selbst – dazu neigte in Schwierigkeiten zu geraten, ging Jim schlicht davon aus, dass ihn anderweitige Pflichten abgehalten hatten, zum Training zu erscheinen.

Die beiden Glastürhälften, die geschlossen einen großen milchweißen Äskulapstab abbildeten, zischten auf, als er sich ihnen auf wenige Schritte näherte, und Jim betrat den Klinikkomplex, in dem er sich nie sonderlich wohl fühlte. Schon in der großen Eingangshalle roch es steril und nach Medikamenten. Der Typ an der Info verriet Jim, wo er Leonard finden konnte.

Im Kellerbereich, wo eine Vielzahl diverser Laboratorien untergebracht waren, dauerte es auch nicht lange, bis er jenes betrat, in dem sich Leonard sich angeblich aufhielt. Jim klopfte an den Türrahmen, nachdem die einfache Tür sich auch dort automatisch für ihn öffnete.

„Bones?“ Jim lugte um die Ecke. Da lag er, mit dem Kopf auf dem Tisch. Würde er nicht ein sanftes Schnarchen von sich geben, wäre Jim auf der Stelle zutiefst besorgt, so lächelte er jedoch ob des Anblicks. Ohne weiter darüber nachzudenken ging Jim zu ihm hinüber und rüttelte seinen Freund behutsam an der Schulter. „Bones?“

Leonards Kopf schnellte so rasch nach oben, dass Jim ebenfalls erschrak. „Verdammt!“

„Dein Job muss extrem spannend sein“, feixte Jim, als er in das verschlafene Gesicht seines Freundes sah und ihn anlächelte.

„Ich bin eingeschlafen. Verdammt. Wie spät ist es?“ Der Arzt sah sich etwas orientierungslos in dem Labor um, in dem er gefühlt schon den gesamten Tag verbracht hatte. Die Rückenschmerzen, die er nun dank seiner ungemütlichen Schlafstellung hatte, versuchte er weitestgehend zu ignorieren.

„Nach 1600, Bones. Du hast das Nahkampftraining verpasst.“ Jim nahm stark an, dass sich Leonard dessen vermutlich selbst im Klaren war.

„Daran ist Fisher schuld. Er wollte, dass ich hier noch etwas fertig mache. Dieser aufgeblasene Sack glaubt, mir hier die Arbeiten aufdrücken zu können, die man sonst die Assistenzärzte machen lässt“, brummte er, sehr unzufrieden mit sich und der Gesamtsituation.

„Und das lässt du dir gefallen?“, fragte Jim mit erhobener Braue.

„Als hätte ich eine Wahl“, winkte Leonard ab, und jetzt klang er noch ein wenig mürrischer als zuvor. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und versuchte sich daran zu erinnern, was er zuletzt gemacht hatte.

Jim zog eine nachdenkliche Schnute. „Ich könnte vielleicht mit Pike reden. Ich glaube nicht, dass es normal ist, wenn ein Arzt mit deinen Fähigkeiten zu niederer Arbeit gezwungen wird und dadurch wichtige Unterrichtsstunden an der Academy versäumt. Du bist in erster Linie zu Starfleet gegangen, weil du Offizier werden willst, oder nicht?“

Leonard grollte leise. „Ich bin und bleibe in erster Linie Arzt, Jim. Das soll sich nicht ändern, nur weil ich versuche ein Offizierspatent zu bekommen“, erklärte er und schien sich mit jedem weiteren Wort ein wenig mehr zu beruhigen. „Ich muss das hier fertig machen.“

Jim war mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden, ließ sich jedoch ablenken und wechselte das Thema. „Kommst du später ins 602? Gary Mitchell hat mich gebeten zu kommen. Er kennt Finnegan scheinbar und ließ durchblicken, dass er ein paar interessante Infos für mich hätte.“

„Mitchell?“ Leonard sah Jim verständnislos an. Sollte ihm der Name irgendwas sagen?

„Vom Nahkampftraining …“, versuchte Jim ihm auf die Sprünge zu helfen. „Er war letzte Woche auch da, als Finnegan durchgedreht ist.“

Leonard nickte Gedanken verloren. „Ich glaube nicht, dass ich es heute schaffe. Ich bin hier noch eine Weile beschäftigt und sollte dann noch zumindest den versäumten Stoff von heute nachholen.“ Und irgendwann, so hoffte er, würde er vielleicht auch noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Die letzten Nächte waren zunehmend kürzer geworden.

Es kostete Jim viel Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hatte gehofft, den Abend Leonard an seiner Seite zu wissen, wenn er sich mit Mitchell traf. „In Ordnung“, erwiderte Jim schließlich und erzwang ein Lächeln. „Mach nicht zu lange, Bones. Du siehst erschöpft aus.“

Dieser grunzte leise. „Ich krieg das schon hin.“

Jim wollte ihm gerne glauben, konnte es jedoch nicht. Natürlich war das Lernpensum an der Academy enorm. Er hatte nicht erwartet, dass sie hier verhätschelt werden würden. Aber dass Leonard, obgleich er bereits ein fertig ausgebildeter Mediziner war, nach etwas mehr als einer Woche erste Erschöpfungssymptome zeigte, konnte nicht richtig sein.

Allerdings wollte er nicht über Leonards Kopf hinweg handeln und seine gute Beziehung zu Pike ausnutzen, um seinen Freund zu entlasten. Er würde schon selbst wissen, wie viel Stress er ertragen konnte.

***

Leonard wartete einige Minuten, bis er sicher war, dass Jim nicht zurückkommen würde. Dann stand er von dem Hocker auf, auf dem er schon viel zu lange gesessen hatte, und stellte fest, dass sein Hintern taub geworden war. Er machte ein paar Schritte um seinen Arbeitsbereich herum und ging schließlich zur Tür.

Obwohl es noch gar nicht so spät war, schien er nahezu allein in den Laboratorien zu sein. Von irgendwo – deutlich entfernt – konnte er Stimmen hören, aber sie waren zu leise, als dass er das Gespräch hätte verstehen können. Er hegte auch kein Interesse daran. Es ging ihm vielmehr darum, dass er selbst unbeobachtet war.

Sobald er sich in Sicherheit wog, ging er hinüber zu den Kühlschränken, in denen diverse Medikamente aufbewahrt wurden. Hastig nahm er eine Dosis des gesuchten Präparats heraus und lud einen Injektor damit. Und noch bevor erste Zweifel aufkeimen konnten, entlud er das Stimulans in seine Venen. Beinahe augenblicklich fühlte er sich erfrischt und räumte den Injektor wieder auf.

Er wollte endlich fertig werden für heute und vielleicht, so hoffte er, wäre er später doch noch fit genug, Jim zu treffen. Denn auch wenn ihm der Junge oft den letzten Nerv raubte, so musste Leonard sich eingestehen, dass Jim sein einziger Freund hier an der Academy war. Abgesehen davon – und das würde er Jim gegenüber niemals offen zugeben – genoss er die Lebenslust seines Freundes. Nach seiner grässlichen Scheidung und der Angst Joanna zu verlieren, hatte er einen Tiefpunkt in seinem Leben erreicht, aus dem er glaubte, niemals wieder herauszukommen.

Nicht bis zu dem Morgen, an dem dieser mit Blessuren übersäte Kerl sich ihm vorgestellt hatte. Sie hätten vom Wesen her kaum unterschiedlicher sein können, befanden sich in vollkommen unterschiedlichen Stadien ihres Lebens, und doch hatte es Klick gemacht. In seinen knapp dreißig Lebensjahren hatte Leonard viele Freunde kommen und gehen sehen. Er hatte es aufgegeben, in seinem Alter noch mal einen Freund zu finden, den er wirklich mögen würde und, was noch viel wichtiger war, der ihn so nahm wie er war. Er wusste von sich selbst, dass er kein Sonnenschein war. Dazu hatte ihm das Leben zu grausam mitgespielt. Aber Jim mochte ihn anscheinend und hatte sich ihm regelrecht aufgedrängt. Wie ein Welpe, den er versehentlich am Straßenrand gestreichelt hatte, und der ihm plötzlich nicht mehr von der Seite wich.

Ihm war auch nicht entgangen, mit welch sorgenvollem Blick Jim ihn gemustert hatte, ehe er gegangen war. Leonard wollte nicht, dass Jim sich um ihn sorgte. Jim hatte genug andere Probleme und musste den Alltag an der Academy genauso meistern, wie jeder andere auch. Cleverness hin oder her, auch Jim fiel nicht alles in den Schoß. Deshalb war es ihm ja vom ersten Tag an so wichtig gewesen, die Kurse zu besuchen. Er wollte nicht versagen. Wollte von Anfang an am Ball bleiben. Und Leonard musste das auch. Allerdings fiel ihm das Lernen sehr viel schwerer – vielleicht auch, weil er schon etwas älter und aus der Übung war und nicht geglaubt hatte, je wieder die Schulbank drücken zu müssen. Immerhin hatte er einige Jahre eine eigene Arztpraxis betrieben.

Und nun saß er hier, hatte Tonnen zu lernen und musste nebenbei noch die Arbeiten eines Assistenzarztes erledigen. Also setzte er sich wieder hin und begann von vorn mit der Arbeit, jetzt da sein Verstand wieder hellwach war und er tatsächlich auch Sinn in dem sah, was er tat.

***

„Kann ich mir das rote Oberteil leihen?“, fragte Christine und wandte sich von dem Einbauschrank zu ihrer Freundin um, mit der sie ihr Zimmer teilte.

Carol, die gerade aus dem Korridor kam und lediglich in ein großes Badetuch gewickelt war, lächelte. „Klar. Wenn ich dafür deinen weißen Rock anziehen darf?“

Christine nickte, ging hinüber zu ihrer Schrankhälfte und holte den kurzen, dezent verspielten Rock heraus, um ihn Carol zu geben. „Es ist so toll, dass wir dieselbe Größe haben“, lächelte sie.

„Allerdings. Es ist plötzlich, als hätte ich doppelt so viel Kleidung zur Auswahl.“ Carol schlüpfte rasch in frische Unterwäsche und dann in den Rock. „Wenn ich nur wüsste, welches Oberteil ich heute Abend tragen könnte …“

„Wie wäre es damit?“ Christine reichte ihr ein dunkelbraunes Tanktop.

Carol verzog ein wenig den Mund. „Zu freizügig. Ich will nicht wie Frischfleisch rumlaufen und mich anbiedern.“

„Wir wollten heute aber etwas Spaß haben, dachte ich. Die meisten putzen sich viel extremer raus, wenn sie ausgehen.“

„Nachdem, was du mir über den Vorfall mit dieser Orionerin erzählt hast, trau ich mich kaum noch raus“, gestand Carol und hängte das Tanktop zurück. „Wie wäre es damit?“ Sie hielt eine etwas weit geschnittene, zart rosa Knitterbluse vor sich, die ihre sportliche Figur verstecken würde.

„Das Ding hab ich zuletzt beim Geburtstag meiner Mutter getragen“, seufzte Christine. „Aber du kannst es gern anziehen, wenn du dich darin wohler fühlst.“

„Zurzeit schon, ja.“

Christine sah wortlos zu, wie Carol in das Oberteil schlüpfte und es am Hals zuband. „Wäre es dir lieber, wir bleiben heute hier?“

„Nein, ich will ausgehen. Ein paar Stunden den Kopf abschalten …“ Christine nickte. „Wie war dein Tag heute? Hat Dr. Unfreundlich wieder versucht dich fertig zu machen?“

Christine war durch den plötzlichen Themenwechsel irritiert, antwortete nach kurzer Überlegung trotzdem. „Nein. Ich bin ihm heute nur einmal flüchtig begegnet.“ Noch während sie sprach, wandte sie sich dem Spiegel zu und bemühte sich, das volle blonde Haar zu bändigen, das ihr in sanften Wellen über die Schulter fiel. „Vielleicht hab ich ihm auch Unrecht getan. Ich meine, ich bin ja selbst schuld an der Misere. Er hat mich gedeckt und das hätte er nicht tun müssen …“

„Aber“, sagte Carol und stellte sich hinter ihre Freundin, wobei sie ihr die Hände auf die Schulter legte, „er hätte sich auch etwas freundlicher ausdrücken können. Wie so ein Misanthrop überhaupt Arzt sein kann, ist mir ein Rätsel.“

Christine zog die Stirn kraus. „Er hat sicher seine Qualitäten. Wäre er im Grunde seines Herzens kein Menschenfreund, wäre er sicher nicht Arzt geworden. Wahrscheinlich hab ich ihn nur an einem schlechten Tag auf dem falschen Fuß erwischt.“

Carol schüttelte leicht den Kopf. „Du bist ein viel zu guter Mensch, Christine.“ Sie drückte kurz die Schultern ihrer Freundin und ließ dann von ihr ab. „Tu mir nur den Gefallen und lass dich nicht regelmäßig so von ihm behandeln. Solche Typen mögen es meist, wenn man ihnen die Stirn bietet und sie in ihre Schranken weist.“

„Woher weißt du das?“ Christine drehte sich zu ihr um, um Carol direkt und nicht weiterhin über den Spiegel anzusehen.

Carol zuckte die Schultern. „Mein Vater“, sagte sie schlicht.
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