2226 n.Chr.
Kortars Stimme erreichte ungeahnte Tiefen, als er das Lied der Erkenntnis anstimmte und das Schwert besang, das er soeben geschmiedet hatte. Obwohl es seine Götter verboten hatten, hatte es Kortar gewagt einen Gegenstand zu erschaffen, mit dem sich töten ließ. Ein unsagbares Sakrileg in der Ersten Zeit.
Commander Korrd ergriff das unter dem tiefen Bass des Sängers zitternde Glas Blutwein vom Beistelltisch, prostete dem Kortar-Darsteller symbolisch zu und trank selbst nur einen kleinen Schluck. Der besonders herbe Blutwein des Jahrgangs 2199 war heutzutage einfach ein viel zu kostbares Gut, um es in Massen den Rachen hinunterzuspülen.
Korrd stellte das in seiner großen Hand winzig wirkende Glas wieder ab, lehnte sich auf der mit kryonianischem Tigerfell überzogenen Bank zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen unten auf der Bühne. Seine Loge war der beste Platz im Opernhaus von Qam-Chee und normalerweise alleine dem Kanzler und seinem Gefolge zugänglich. Doch da Kanzler Kinevas im Gegensatz zu Korrd kein Liebhaber der Oper war, blieb diese Loge fast immer leer und wenn sie doch besetzt war, dann nur von den engsten Freunden und Vertrauten des Kanzlers, die von ihm eine persönliche Einladung erhalten hatten. Und Korrd war unsagbar stolz darauf, diesem erlauchten Kreis anzugehören.
Korrd setzte sich auf und konzentrierte sich auf das Schauspiel mit dem Wissen, dass gleich seine Lieblingsstelle kommen würde. Der Darsteller des Kortar – ein Mann mit einem sagenhaften Stimmvolumen – beendete das Lied der Erkenntnis. Nun traten eine Handvoll weiterer Komparsen hervor und bevölkerten das minimalistische Bühnenbild. Sie stellten die Gesamtheit aller Klingonen dar, denen Kortar nun gleich im Lied des Sturms seine große Erkenntnis mitteilen und sie auffordern würde, ihm zu folgen und die Götterwelt zu stürmen. Der Sage nach appellierte Kortar an die Herzen der Klingonen, sich nicht länger den Launen der Götter zu unterwerfen, nicht ständig das zu tun, was sie verlangten ohne eine Erklärung zu liefern. Jeder Klingone sollte es Kortar gleichtun und sich mit eigenen Händen ein Schwert schmieden. Denn er war zur Erkenntnis gekommen, dass es nur einen einzigen Grund gab, warum die Götter den Klingonen verboten hatten, Waffen zu bauen. Der Grund war, dass die Götter sich vor diesen Waffen fürchten mussten. Und wenn sie sich davor fürchteten, dann nur deshalb, weil sie getötet werden konnten.
Doch die Klingonen der Ersten Zeit waren noch nicht die Krieger, die sie später werden sollten. Sie verachteten Kortar und beschimpften ihn. Die Komparsen stellten diesen Streit dar, indem sie abfällige Handbewegungen machten, ihm demonstrativ den Rücken zuwandten und dann in alle Richtungen davonstoben. Alle kehrten sich von Kortar ab mit einer Ausnahme: Soriell, die Geliebte Kortars, blieb bei ihm. Die Darstellerin der Soriell stimmte in das Lied des Sturms ein. Der tiefe Bass und die helle Sopranstimme vereinten sich und schallten im Einklang durch den Opernsaal, machten während nur einer Strophe die Wandlung von einem einfachen Lied zu einer von heroischen Orchesterklängen begleiteten Arie durch.
„Unfassbar, dass sich Kortar und Soriell alleine jenen Kreaturen stellen mussten, die alle anderen für ihre Götter gehalten haben.“
Korrd zuckte zusammen, als er die Stimme von Captain Kor hinter sich hörte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Vorhang der Loge zur Seite geschoben worden und Kor eingetreten war.
„Sie kommen spät“, erwiderte Korrd und deutete auf den Platz auf der Bank neben sich. Kor setzte sich. Die beiden schwiegen solange die Arie andauerte. Erst als der Gesang endete und die Hornbläser des Orchesters mit einem langen und monotonen Solo begannen, sagte Korrd leise: „Das Stück ist fast zu Ende. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie noch aufkreuzen würden.“
„Ich bin auch kein wirklicher Freund der Oper. Das Interessanteste ist doch immer nur der Schluss. Warum also volle vier Stunden hier rumsitzen.“
„Die Jugend!“, kommentierte Korrd. „Einfach keine Geduld mehr. Sie wissen es nicht einmal zu schätzen, wenn der Kanzler des Imperiums Ihnen ein solches Privileg gewährt.“ Korrd goss ein zweites Glas Blutwein ein und reichte es dem Captain der Klothos.
„Ich fand es sinnvoller, mich nochmals mit den Kommandanten unserer Flotte in Verbindung zu setzen und sicherzugehen, dass sie die letzten Änderungen unseres Angriffsplan auch erhalten haben und sie umsetzen können. So kurz vor unserem Abflug die Oper zu besuchen halte ich für Zeitverschwendung. Wir hätten uns besser schon gestern auf den Weg gemacht.“
„Nur die Ruhe, Kor. Wir verfolgen unsere Strategie seit über einem Jahr. Da kommt es auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht an. Die Flotte wird ganz sicher nicht ohne uns losfliegen, falls es das ist, was Ihnen Sorge bereitet.“
„Sie wissen, wie ungeduldig die Kommandanten der Schiffe sind“, gab Kor zu bedenken. „Wir sollten sie möglichst nicht durch weitere Verzögerungen provozieren. Sonst stehen wir vielleicht plötzlich so alleine da, wie Kortar und Soriell.“
Das Hornbläsersolo endete, als monströse Gestalten die Bühne betraten. Es wurde an der Zeit, dass sich die beiden wackeren Klingonen den Göttern stellten. Kortar und Soriell stimmten zusammen mit dem Orchester die Arie des Zorns an. Wuchtige Trommelschläge untermalten Kortars rhythmische Kampfschreie und dramatisches Saitenzupfen begleitete Soriells unendliche scheinende Liste an Vorwürfen an den Fek'lhr, den obersten Gott, und die Kos’karii, den Nebengöttern.
Die Darsteller der Kos’karii, gekleidet in schillernde Gewänder, die an Schuppenhaut erinnern sollten, bildeten eine Reihe vor dem hünenhaften Fek'lhr-Darsteller, der mit seiner eigenen Bassstimme regelrecht die Stimme von Kortar zu bekämpften und zu versuchen schien, sie aus dem Rhythmus zu bringen. Doch es gelang ihm nicht. Kortar und Soriell hoben ihre Schwerter und stachen mit ihnen auf die Kos’karii ein, bis deren Schuppengewänder völlig rot vor Blut waren.
Dies war eines der wenigen Stücke, die im Opernhaus vom Qam-Chee aufgeführt wurden, bei denen noch echtes Blut vergossen wurde. Ganz wie es die Tradition verlangte.
„Es wird immer schwieriger, Freiwillige für die Rollen der Kos‘karii zu finden“, kommentierte Kor leiste. Korrd brummte zustimmend. Auch er fand es schade, dass sich selbst die renommiertesten Opernhäuser auf Kronos inzwischen die Kos’karii-Darsteller aus den Todeszellen der Gefängnisse beschaffen mussten. Die zum Tode verurteilten Sträflinge verfügten meist nicht über das mindeste dramaturgische Talent, was schließlich dazu geführt hatte, dass die Arie des Zorns nur noch in ihrer Kurzfassung Teil des Stücks war. Während die Nebengötter früher noch einen ganz ansehnlichen Kampf abgeliefert haben, ehe sie getötet wurden, ließen sich die Sträflinge einfach nur abschlachten.
Als Kortar und Soriell mit den Kos’karii fertig waren, stand ihnen nur noch der Gott Fek'lhr im Wege. Der Gott war eine riesige, verzerrte Darstellung eines Klingonen, mit sabbernder Schnauze, wilder Haarmähne und Klauen statt Händen. Kortar und seine Geliebte griffen Fek’lhr gleichzeitig an, doch die langen Krallen des Gottes waren ebenso hart wie die Klingen der Schwerter. Fek‘lhr schlug wild um sich und schleuderte Soriell zur Seite. Als die Frau zu Boden sank, bekam sie jedoch Fek’lhrs Arm zu fassen und zog ihn mit sich hinab. Dies war der Moment, in dem sich die Geschichte des klingonischesn Volkes für immer verändert hatte. Kortar zögerte nicht und stieß sein Schwert in den Leib des Monsters. Der letzte Gott der Klingonen war tot.
„Wie sich die Klingonen wohl entwickelt hätten, wenn Kortar bereits zu Lebenszeit Anerkennung gefunden hätte?“, fragte sich Kor, als er beobachteten, wie Soriell und Kortar zusammen die Leichen der Götter in eine Grube in der Mitte der Bühne warfen. Die Grube stellte die tiefste Schlucht von Kronos dar. Viele Historiker nahmen heute an, dass es sich sogar um jene Schlucht handelte, an deren Rändern die Stadt Qam-Chee errichtet worden war.
Wehmut erfasste die beiden Klingonen in der Loge, als plötzlich zu düsteren Orchesterklängen die Komparsen wieder auf die Bühne stürmten, Kortar und Soriell umringten und in die Höhe stemmten. Doch es ging ihnen nicht darum, sie zu für ihre Taten zu feiern.
Die Bühnenscheinwerfer tauchten die Szene nun in rotes und oranges Licht. Es sah aus, als ob die Bühne brennen würde, während die Komparsen die Kortar- und Soriell-Darsteller ebenfalls in die Grube warfen.
Getreu der Sage waren Kortar und Soriell von den anderen Klingonen dafür bestraft worden, dass sie die Götter getötet hatten. Die Klingonen der Ersten Zeit hatten einfach nicht begriffen, dass die beiden etwas Gutes für sie getan hatten. Sie verdammten Kortar und Soriell dazu, den Rest der Ewigkeit im Reich der toten Götter, dem Gre’thor, zu verbringen. Noch Tausende von Jahren später glaubten die Klingonen, dass sie nach dem Tode dorthin kamen, wenn sie in Schande starben. Ins Reich der toten Götter, wo Fek’lhr über die Ehrlosen herrschte wie einst in der Ersten Zeit. Und wo Kortar dazu verdammt war, mit seinem Schiff die Ehrlosen zu den Toren von Gre’thor zu bringen und dabei die Kos’karii-See befuhr, wo die hässlichen Götter schwammen und die Ehrlosen zum Sprung ins Wasser verführten, wo sie auf ewig von den Kos’karii aufgefressen wurden, ohne jemals zu sterben und ohne dass die Kos’karii jemals satt wurden.
Der schwarze Vorhang fiel und genauso wie die Zuseher auf den Parterre-Plätzen erhoben sich auch Korrd und Kor und applaudierten. Es war nicht gerade ein tosender Applaus, aber das war bei diesem besonderen Stück, das schon so oft in allen möglichen Varianten aufgeführt worden war und dessen Thema allseits bekannt war auch nicht zu erwarten gewesen.
Die beiden Offiziere in der Loge warteten nicht ab, bis die – überlebenden – Schauspieler vor den Vorhang traten um sich ihren Einzelapplaus abzuholen. Stattdessen verließen sie die Loge in Richtung Foyer.
„Es hat mehrere Generationen gedauert, ehe die Klingonen der Erste Zeit kapiert hatten, dass Kortar ihnen mit dem Sturz der Götter einen Gefallen getan hatte“, erzählte Korrd. „Erst dadurch konnte sich die klingonische Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, entwickeln. Völlig unabhängig von Kreaturen, die sich als Götter bezeichnen.“
„Und jetzt streben wir selbst nach der Macht von Göttern“, ergänzte Kor. Korrd lachte auf und schlug seinem jungen Begleiter kameradschaftlich auf den Rücken, während er antwortet:
„Gut gesprochen, Kor. Wenn alles wie vorgesehen läuft, dann liegt diese Macht bald in den Händen des gesamten klingonischen Volkes. Wir werden zu einem Volk, das mit dieser Macht im Rücken jede Forderung durchsetzen wird, jedes Ziel erreichen kann und den Rest der Galaxis dazu bringen wird, sich vor dem Klingonischen Imperium zu fürchten.“
„Sofern wir …“, begann Kor, doch er unterbrach sich sofort, als ob er den Gedanken lieber verjagen denn aussprechen wollte.
„Was ist, Kor? Was wollten Sie sagen?“, drängte Korrd.
„Ich teile natürlich Ihre Hoffnungen, Commander“, stellte Kor vorweg klar, ehe er seine Bedenken äußerte. „Aber was ist, wenn wir das, was wir auf Sarathong V finden, nicht für uns nutzen können? Was, wenn auch die ersten Prototypen der Waffe nicht kontrollierbar sind und nicht nur unsere Feinde, sondern auch alle Klingonen beeinflussen?“
Dieser Gedanke war Korrd natürlich nicht fremd, er hatte es nur noch nie gewagt, über dieses Thema zu reden. Mit wem auch? Der Archivar und Chardin waren fest überzeugt, beinahe schon gläubig, dass sie auf Sarathong V alle Geheimnisse der Ahnen aufdecken konnten. Und der Hohe Rat war viel zu begeistert von der Vorstellung, dort den Schlüssel zur Allmacht zu finden, dass er eine offene Diskussion darüber unterband. Selbst Kor hatte bis vor ein paar Sekunden nie irgendwelche Zweifel an ihrem Vorhaben geäußert. Aber der Captain war genauso wie Korrd ein Offizier – wenn auch noch nicht besonders lange – und dachte in ähnliche Bahnen.
„Wenn wir auf Sarathong nichts finden oder zumindest nichts, das uns einen Vorteil verschaffen könnte, dann steht uns im schlimmsten Fall ein interstellarer Krieg gegen die Föderation bevor“, sagte Korrd. Seine Augen waren voller Sorgen, als er zur leeren Loge blickte und an das dachte, was er auf der darunter liegenden Bühne gesehen hatte. „Und wir haben keine Götter mehr, die uns dann beistehen könnten.“
Düstere Gedanken begleiteten die beiden Klingonen, als sie jeweils ihre Sprechfunkgeräte hervorholten und sich auf ihre Schiffe im Orbit über Qam-Chee beamen ließen. Diese Gedanken würden sie noch bis in den Laurentianischen Graben und in den Azure-Nebel begleiten und noch viel weiter. Zumindest so lange, bis sie mit ihrer Armada Sarathong V erreicht und sich Gewissheit verschafft hatten.
Nur noch ein Tag trennte sie von der Gewissheit.
Kortars Stimme erreichte ungeahnte Tiefen, als er das Lied der Erkenntnis anstimmte und das Schwert besang, das er soeben geschmiedet hatte. Obwohl es seine Götter verboten hatten, hatte es Kortar gewagt einen Gegenstand zu erschaffen, mit dem sich töten ließ. Ein unsagbares Sakrileg in der Ersten Zeit.
Commander Korrd ergriff das unter dem tiefen Bass des Sängers zitternde Glas Blutwein vom Beistelltisch, prostete dem Kortar-Darsteller symbolisch zu und trank selbst nur einen kleinen Schluck. Der besonders herbe Blutwein des Jahrgangs 2199 war heutzutage einfach ein viel zu kostbares Gut, um es in Massen den Rachen hinunterzuspülen.
Korrd stellte das in seiner großen Hand winzig wirkende Glas wieder ab, lehnte sich auf der mit kryonianischem Tigerfell überzogenen Bank zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen unten auf der Bühne. Seine Loge war der beste Platz im Opernhaus von Qam-Chee und normalerweise alleine dem Kanzler und seinem Gefolge zugänglich. Doch da Kanzler Kinevas im Gegensatz zu Korrd kein Liebhaber der Oper war, blieb diese Loge fast immer leer und wenn sie doch besetzt war, dann nur von den engsten Freunden und Vertrauten des Kanzlers, die von ihm eine persönliche Einladung erhalten hatten. Und Korrd war unsagbar stolz darauf, diesem erlauchten Kreis anzugehören.
Korrd setzte sich auf und konzentrierte sich auf das Schauspiel mit dem Wissen, dass gleich seine Lieblingsstelle kommen würde. Der Darsteller des Kortar – ein Mann mit einem sagenhaften Stimmvolumen – beendete das Lied der Erkenntnis. Nun traten eine Handvoll weiterer Komparsen hervor und bevölkerten das minimalistische Bühnenbild. Sie stellten die Gesamtheit aller Klingonen dar, denen Kortar nun gleich im Lied des Sturms seine große Erkenntnis mitteilen und sie auffordern würde, ihm zu folgen und die Götterwelt zu stürmen. Der Sage nach appellierte Kortar an die Herzen der Klingonen, sich nicht länger den Launen der Götter zu unterwerfen, nicht ständig das zu tun, was sie verlangten ohne eine Erklärung zu liefern. Jeder Klingone sollte es Kortar gleichtun und sich mit eigenen Händen ein Schwert schmieden. Denn er war zur Erkenntnis gekommen, dass es nur einen einzigen Grund gab, warum die Götter den Klingonen verboten hatten, Waffen zu bauen. Der Grund war, dass die Götter sich vor diesen Waffen fürchten mussten. Und wenn sie sich davor fürchteten, dann nur deshalb, weil sie getötet werden konnten.
Doch die Klingonen der Ersten Zeit waren noch nicht die Krieger, die sie später werden sollten. Sie verachteten Kortar und beschimpften ihn. Die Komparsen stellten diesen Streit dar, indem sie abfällige Handbewegungen machten, ihm demonstrativ den Rücken zuwandten und dann in alle Richtungen davonstoben. Alle kehrten sich von Kortar ab mit einer Ausnahme: Soriell, die Geliebte Kortars, blieb bei ihm. Die Darstellerin der Soriell stimmte in das Lied des Sturms ein. Der tiefe Bass und die helle Sopranstimme vereinten sich und schallten im Einklang durch den Opernsaal, machten während nur einer Strophe die Wandlung von einem einfachen Lied zu einer von heroischen Orchesterklängen begleiteten Arie durch.
„Unfassbar, dass sich Kortar und Soriell alleine jenen Kreaturen stellen mussten, die alle anderen für ihre Götter gehalten haben.“
Korrd zuckte zusammen, als er die Stimme von Captain Kor hinter sich hörte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Vorhang der Loge zur Seite geschoben worden und Kor eingetreten war.
„Sie kommen spät“, erwiderte Korrd und deutete auf den Platz auf der Bank neben sich. Kor setzte sich. Die beiden schwiegen solange die Arie andauerte. Erst als der Gesang endete und die Hornbläser des Orchesters mit einem langen und monotonen Solo begannen, sagte Korrd leise: „Das Stück ist fast zu Ende. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie noch aufkreuzen würden.“
„Ich bin auch kein wirklicher Freund der Oper. Das Interessanteste ist doch immer nur der Schluss. Warum also volle vier Stunden hier rumsitzen.“
„Die Jugend!“, kommentierte Korrd. „Einfach keine Geduld mehr. Sie wissen es nicht einmal zu schätzen, wenn der Kanzler des Imperiums Ihnen ein solches Privileg gewährt.“ Korrd goss ein zweites Glas Blutwein ein und reichte es dem Captain der Klothos.
„Ich fand es sinnvoller, mich nochmals mit den Kommandanten unserer Flotte in Verbindung zu setzen und sicherzugehen, dass sie die letzten Änderungen unseres Angriffsplan auch erhalten haben und sie umsetzen können. So kurz vor unserem Abflug die Oper zu besuchen halte ich für Zeitverschwendung. Wir hätten uns besser schon gestern auf den Weg gemacht.“
„Nur die Ruhe, Kor. Wir verfolgen unsere Strategie seit über einem Jahr. Da kommt es auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht an. Die Flotte wird ganz sicher nicht ohne uns losfliegen, falls es das ist, was Ihnen Sorge bereitet.“
„Sie wissen, wie ungeduldig die Kommandanten der Schiffe sind“, gab Kor zu bedenken. „Wir sollten sie möglichst nicht durch weitere Verzögerungen provozieren. Sonst stehen wir vielleicht plötzlich so alleine da, wie Kortar und Soriell.“
Das Hornbläsersolo endete, als monströse Gestalten die Bühne betraten. Es wurde an der Zeit, dass sich die beiden wackeren Klingonen den Göttern stellten. Kortar und Soriell stimmten zusammen mit dem Orchester die Arie des Zorns an. Wuchtige Trommelschläge untermalten Kortars rhythmische Kampfschreie und dramatisches Saitenzupfen begleitete Soriells unendliche scheinende Liste an Vorwürfen an den Fek'lhr, den obersten Gott, und die Kos’karii, den Nebengöttern.
Die Darsteller der Kos’karii, gekleidet in schillernde Gewänder, die an Schuppenhaut erinnern sollten, bildeten eine Reihe vor dem hünenhaften Fek'lhr-Darsteller, der mit seiner eigenen Bassstimme regelrecht die Stimme von Kortar zu bekämpften und zu versuchen schien, sie aus dem Rhythmus zu bringen. Doch es gelang ihm nicht. Kortar und Soriell hoben ihre Schwerter und stachen mit ihnen auf die Kos’karii ein, bis deren Schuppengewänder völlig rot vor Blut waren.
Dies war eines der wenigen Stücke, die im Opernhaus vom Qam-Chee aufgeführt wurden, bei denen noch echtes Blut vergossen wurde. Ganz wie es die Tradition verlangte.
„Es wird immer schwieriger, Freiwillige für die Rollen der Kos‘karii zu finden“, kommentierte Kor leiste. Korrd brummte zustimmend. Auch er fand es schade, dass sich selbst die renommiertesten Opernhäuser auf Kronos inzwischen die Kos’karii-Darsteller aus den Todeszellen der Gefängnisse beschaffen mussten. Die zum Tode verurteilten Sträflinge verfügten meist nicht über das mindeste dramaturgische Talent, was schließlich dazu geführt hatte, dass die Arie des Zorns nur noch in ihrer Kurzfassung Teil des Stücks war. Während die Nebengötter früher noch einen ganz ansehnlichen Kampf abgeliefert haben, ehe sie getötet wurden, ließen sich die Sträflinge einfach nur abschlachten.
Als Kortar und Soriell mit den Kos’karii fertig waren, stand ihnen nur noch der Gott Fek'lhr im Wege. Der Gott war eine riesige, verzerrte Darstellung eines Klingonen, mit sabbernder Schnauze, wilder Haarmähne und Klauen statt Händen. Kortar und seine Geliebte griffen Fek’lhr gleichzeitig an, doch die langen Krallen des Gottes waren ebenso hart wie die Klingen der Schwerter. Fek‘lhr schlug wild um sich und schleuderte Soriell zur Seite. Als die Frau zu Boden sank, bekam sie jedoch Fek’lhrs Arm zu fassen und zog ihn mit sich hinab. Dies war der Moment, in dem sich die Geschichte des klingonischesn Volkes für immer verändert hatte. Kortar zögerte nicht und stieß sein Schwert in den Leib des Monsters. Der letzte Gott der Klingonen war tot.
„Wie sich die Klingonen wohl entwickelt hätten, wenn Kortar bereits zu Lebenszeit Anerkennung gefunden hätte?“, fragte sich Kor, als er beobachteten, wie Soriell und Kortar zusammen die Leichen der Götter in eine Grube in der Mitte der Bühne warfen. Die Grube stellte die tiefste Schlucht von Kronos dar. Viele Historiker nahmen heute an, dass es sich sogar um jene Schlucht handelte, an deren Rändern die Stadt Qam-Chee errichtet worden war.
Wehmut erfasste die beiden Klingonen in der Loge, als plötzlich zu düsteren Orchesterklängen die Komparsen wieder auf die Bühne stürmten, Kortar und Soriell umringten und in die Höhe stemmten. Doch es ging ihnen nicht darum, sie zu für ihre Taten zu feiern.
Die Bühnenscheinwerfer tauchten die Szene nun in rotes und oranges Licht. Es sah aus, als ob die Bühne brennen würde, während die Komparsen die Kortar- und Soriell-Darsteller ebenfalls in die Grube warfen.
Getreu der Sage waren Kortar und Soriell von den anderen Klingonen dafür bestraft worden, dass sie die Götter getötet hatten. Die Klingonen der Ersten Zeit hatten einfach nicht begriffen, dass die beiden etwas Gutes für sie getan hatten. Sie verdammten Kortar und Soriell dazu, den Rest der Ewigkeit im Reich der toten Götter, dem Gre’thor, zu verbringen. Noch Tausende von Jahren später glaubten die Klingonen, dass sie nach dem Tode dorthin kamen, wenn sie in Schande starben. Ins Reich der toten Götter, wo Fek’lhr über die Ehrlosen herrschte wie einst in der Ersten Zeit. Und wo Kortar dazu verdammt war, mit seinem Schiff die Ehrlosen zu den Toren von Gre’thor zu bringen und dabei die Kos’karii-See befuhr, wo die hässlichen Götter schwammen und die Ehrlosen zum Sprung ins Wasser verführten, wo sie auf ewig von den Kos’karii aufgefressen wurden, ohne jemals zu sterben und ohne dass die Kos’karii jemals satt wurden.
Der schwarze Vorhang fiel und genauso wie die Zuseher auf den Parterre-Plätzen erhoben sich auch Korrd und Kor und applaudierten. Es war nicht gerade ein tosender Applaus, aber das war bei diesem besonderen Stück, das schon so oft in allen möglichen Varianten aufgeführt worden war und dessen Thema allseits bekannt war auch nicht zu erwarten gewesen.
Die beiden Offiziere in der Loge warteten nicht ab, bis die – überlebenden – Schauspieler vor den Vorhang traten um sich ihren Einzelapplaus abzuholen. Stattdessen verließen sie die Loge in Richtung Foyer.
„Es hat mehrere Generationen gedauert, ehe die Klingonen der Erste Zeit kapiert hatten, dass Kortar ihnen mit dem Sturz der Götter einen Gefallen getan hatte“, erzählte Korrd. „Erst dadurch konnte sich die klingonische Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, entwickeln. Völlig unabhängig von Kreaturen, die sich als Götter bezeichnen.“
„Und jetzt streben wir selbst nach der Macht von Göttern“, ergänzte Kor. Korrd lachte auf und schlug seinem jungen Begleiter kameradschaftlich auf den Rücken, während er antwortet:
„Gut gesprochen, Kor. Wenn alles wie vorgesehen läuft, dann liegt diese Macht bald in den Händen des gesamten klingonischen Volkes. Wir werden zu einem Volk, das mit dieser Macht im Rücken jede Forderung durchsetzen wird, jedes Ziel erreichen kann und den Rest der Galaxis dazu bringen wird, sich vor dem Klingonischen Imperium zu fürchten.“
„Sofern wir …“, begann Kor, doch er unterbrach sich sofort, als ob er den Gedanken lieber verjagen denn aussprechen wollte.
„Was ist, Kor? Was wollten Sie sagen?“, drängte Korrd.
„Ich teile natürlich Ihre Hoffnungen, Commander“, stellte Kor vorweg klar, ehe er seine Bedenken äußerte. „Aber was ist, wenn wir das, was wir auf Sarathong V finden, nicht für uns nutzen können? Was, wenn auch die ersten Prototypen der Waffe nicht kontrollierbar sind und nicht nur unsere Feinde, sondern auch alle Klingonen beeinflussen?“
Dieser Gedanke war Korrd natürlich nicht fremd, er hatte es nur noch nie gewagt, über dieses Thema zu reden. Mit wem auch? Der Archivar und Chardin waren fest überzeugt, beinahe schon gläubig, dass sie auf Sarathong V alle Geheimnisse der Ahnen aufdecken konnten. Und der Hohe Rat war viel zu begeistert von der Vorstellung, dort den Schlüssel zur Allmacht zu finden, dass er eine offene Diskussion darüber unterband. Selbst Kor hatte bis vor ein paar Sekunden nie irgendwelche Zweifel an ihrem Vorhaben geäußert. Aber der Captain war genauso wie Korrd ein Offizier – wenn auch noch nicht besonders lange – und dachte in ähnliche Bahnen.
„Wenn wir auf Sarathong nichts finden oder zumindest nichts, das uns einen Vorteil verschaffen könnte, dann steht uns im schlimmsten Fall ein interstellarer Krieg gegen die Föderation bevor“, sagte Korrd. Seine Augen waren voller Sorgen, als er zur leeren Loge blickte und an das dachte, was er auf der darunter liegenden Bühne gesehen hatte. „Und wir haben keine Götter mehr, die uns dann beistehen könnten.“
Düstere Gedanken begleiteten die beiden Klingonen, als sie jeweils ihre Sprechfunkgeräte hervorholten und sich auf ihre Schiffe im Orbit über Qam-Chee beamen ließen. Diese Gedanken würden sie noch bis in den Laurentianischen Graben und in den Azure-Nebel begleiten und noch viel weiter. Zumindest so lange, bis sie mit ihrer Armada Sarathong V erreicht und sich Gewissheit verschafft hatten.
Nur noch ein Tag trennte sie von der Gewissheit.
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