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Alte und neue Träume

von Emony

Kapitel 2

Als Christine mit dem Essen und dem Kaffee für McCoy zurück auf die Krankenstation kam, hatte sie das Gefühl die heilige Dreifaltigkeit bei einem Komplott ertappt zu haben. Mit einem saloppen „Also dann“, verabschiedete sich Captain Kirk von Doktor McCoy und dem Ersten Offizier Spock und huschte mit einem flüchtigen „Christine“ an ihr vorbei und hinaus auf den Korridor.

Wieso nur hatte sie das Gefühl, zu stören? „Komme ich ungünstig?“, fragte sie daher und trat nichtsdestotrotz an McCoys Schreibtisch heran, der zwischen ihm und Spock stand, um das Tablett darauf abzustellen.

„Ganz und gar nicht“, versicherte McCoy. „Danke, Christine.“ Er zog das Tablett mit seinem Mittagessen näher zu sich heran und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

Spock nahm dies zum Anlass, sich Christine zuzuwenden. „Hätten Sie einen Moment Zeit, Schwester Chapel?“

Sie konnte nicht anders, als McCoy einen giftigen Blick zuzuwerfen. Zweifellos war sie das Thema zwischen den drei Offizieren gewesen, ehe sie die Krankenstation betreten hatte. „Sind Sie mit meiner Arbeit unzufrieden?“, fragte sie daher gerade heraus und sah von McCoy zu Spock.

„Aber nein“, ließ McCoy sie wissen und legte sich eine Stoffserviette auf den Schoß, ehe er den Deckel anhob, um nachzusehen, was es zu essen gab.

„Schwester?“, hakte Spock nach und deutete auf den Nebenraum.

Sie fühlte sich, wie der Mittelpunkt eines ausgeprägten Komplotts. „Ich versichere Ihnen, dass es mir gut geht und dass mein Verlust meine Arbeit in keiner Weise …“

„Bitte, Schwester“, unterbrach Spock sie und deutete mit mehr Nachdruck zu dem Nebenraum.

Christine reckte das Kinn und gab nach. „Fein.“ Erhobenen Hauptes betrat sie den Nebenraum und drehte sich erst zu dem Halbvulkanier um, als sie das Zischen der Tür vernahm, die sich schloss und für Privatsphäre sorgte. „Was hab ich ausgefressen?“, wollte sie wissen und drehte sich zu Spock um, die Arme über der Brust verschränkt.

„Nichts“, war die stoische Antwort des Ersten Offiziers, als dieser die Hände auf seinen Rücken legte und Christine für einen sehr langen Moment eingehend musterte.

„Bekomme ich jetzt Stubenarrest?“, fragte sie frech heraus. Das war nicht der Tag für vulkanische Ratespiele. Sie wollte ihre Arbeit machen und den Tag hinter sich bringen. Ebenso den Tag darauf und den danach … Sie musste weitermachen – irgendwie.

Spock hob in bester vulkanischer Manier eine Augenbraue und schien seine nächsten Worte genau zu bedenken, ehe er sie aussprach. „Es gibt ein vulkanisches Ritual“, begann er dann und diesmal zog Christine die Brauen hoch, so dass ihre Stirn in dünnen Falten lag. „Es erlaubt mir, einen Teil Ihres Schmerzes zu absorbieren. Gleichzeitig kann ich Ihnen etwas von meiner … Kontrolle übertragen.“

„Sie wollen … was?“ Christine kam nicht umhin, Spock aus großen blauen Augen anzustarren.

„Dieses Ritual ist vergleichbar mit einer Geistesverschmelzung. Jedoch gibt es einige signifikante Unterschiede, die…“

„Moment“, bat Christine und hob beide Hände, um den Ersten Offizier zum Schweigen zu bringen. Zu ihrer Verwunderung hielt er tatsächlich in seiner Erklärung inne. „Sie wollen meinen Schmerz auslöschen?“

„Das ist eine höchst simple Darlegung eines solch komplexen Rituals…“

„Also?“, fragte sie und unterbrach den Führungsoffizier. Dass dies zutiefst unhöflich war, war ihr im Augenblick egal.

„Ja“, sagte er schlicht. „So können Sie es auslegen.“

Christine befeuchtete ihre Lippen und blinzelte einige Male, während sie die Tragweite überdachte, die ein solches Ritual mit sich brachte.

„Ich versichere Ihnen, dass es ungefährlich für Sie sein wird“, ließ Spock sie wissen, ganz so als könne er ihre Gedanken lesen und ihre Zweifel sehen.

Sie schüttelte den Kopf. „Und der Captain stimmt dem zu? Und auch Doktor McCoy? Ich meine, Sie wollen in meinen Verstand eindringen und … was genau tun? Meine Erinnerungen an Roger auslöschen?“

Spock legte den Kopf schief. „Keineswegs“, erwiderte er gefasst. „Es ist mehr so etwas wie ein Schleier, den ich über die Trauer lege und …“

„Nein.“ Christine schüttelte energisch den Kopf. Als Spock die Brauen wieder anhob und die erneute Unterbrechung scheinbar unbeeindruckt zuließ, wiederholte Christine ihre Worte. „Nein, kommt gar nicht in Frage.“ Sie konnte Spocks fragenden Blick sehen. „Ich brauche diese Trauer und den Schmerz. Sie sind ein Teil von mir und sie gehören zu den Erinnerungen, die ich mit dem Mann verbinde, den ich heiraten wollte.“ Spock hob lediglich eine verwunderte Augenbraue. „Es soll nicht leicht sein, Mister Spock. Wenn es leicht wäre, den Tod eines geliebten Menschen zu verkraften, müsste ich mich fragen, ob ich ihn wirklich geliebt habe oder nicht. Oder ob ich womöglich meine Menschlichkeit verloren habe. Ich möchte nicht, dass Sie es mir leichter machen. Ich möchte es aus eigener Kraft schaffen, diesen Verlust zu überwinden.“

Er nickte verständnisvoll.

Christine wusste, dass der Halbvulkanier nicht leichtfertig ein solches Angebot gemacht hatte. Dass es seine Art war, ihr als Freund zu helfen. Die Unterdrückung sämtlicher Emotionen, guter wie schlechter, war das Einzige, das er kannte. Er war so erzogen worden. „Ich danke Ihnen für das selbstlose Angebot, Mister Spock. Ich weiß es wirklich zu schätzen. Und ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für feige, weil ich es ausschlage.“

Spock straffte die Schultern. „Ganz im Gegenteil, Miss Chapel. Ich bewundere Sie für Ihre Entscheidung. Sie sind eine sehr starke Frau.“

„Sie hatten Angst, ich zerbreche daran?“, fragte sie und ein gerührtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Der Captain hat es befürchtet, ja.“

Der Captain. Sie war ihm also doch nicht egal.

„Da Sie jeden Tag den Launen Doktor McCoys ausgesetzt sind und dennoch täglich gerne und ausgesprochen pflichtbewusst Ihrer Arbeit nachgehen, habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass Sie Ihre innere Kraft wieder finden würden.“

Christine wusste beim besten Willen nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Letztlich entschied sie sich dafür zu lachen. Als McCoy ins Zimmer kam, um nach dem Rechten zu sehen, lachte Christine noch immer. Spock stand da und sah sie lediglich verwundert an.

„Was haben Sie nur getan, Spock? Jetzt hat sie den Verstand verloren!“, raunte McCoy und warf Spock einen düsteren Blick zu, während er besorgt auf Christine zuschritt.

Dass sie keineswegs den Verstand verloren hatte, bewies Christine in den übrigen Stunden ihrer Dienstzeit. Sie half dabei einige Techniker zu behandeln, die mit Platzwunden und leichten Verbrennungen als Notfälle in die Krankenstation kamen, nachdem eine Plasmaleitung im Maschinenraum geplatzt war. Offenbar war es zu einer massiven Überlastung gekommen.

Während sie dem Doktor ein Instrument nach dem anderen reichte und anschließend Verbände anlegte, hörte sie McCoys scheinbar endlosen Schimpftiraden über die Unfähigkeit von Mechanikern zu.

Kurz vor Feierabend tauchte dann noch Sulu auf, der von einer seiner fleischfressenden Pflanzen gebissen worden war. Christine rügte ihn für seinen Mangel an Vorsicht, während Doktor McCoy die zum Glück recht harmlose Verletzung rasch behandelte. Sulu musste versprechen, künftig besser aufzupassen, wenn er seine Fleischfresser fütterte.

Als auch der letzte Patient gegangen war, und sie die Krankenstation gemeinsam aufgeräumt hatten, wandte sich der Arzt mit sorgenvollem Blick an Christine.

„Möchten Sie ein leichtes Schlafmittel?“, fragte McCoy direkt, als sie im Begriff waren M’Benga die Station für die Nacht zu übergeben. „Es würde Ihnen sicher helfen, ruhiger zu schlafen.“

Sie wusste, McCoy meinte es nur gut mit ihr. „Nein, danke“, erwiderte sie daher und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich.“

„Wie könnte ich nicht? Sie sind doch meine Lieblingskrankenschwester“, sagte McCoy mit einem leichten Lächeln und legte seine eigene Hand auf ihre, um sie sanft zu drücken.

„Ich bin die einzige Krankenschwester an Bord.“

„Als ob das irgendwas aussagt“, winkte McCoy ab. Sein Lächeln wuchs in die Breite und sie erwiderte es.

Auch wenn sie das Mitleid der Crew zu Beginn des Tages ganz furchtbar gefunden hatte, war sie nun doch froh darüber. Sie war bei weitem nicht so allein, wie sie geglaubt hatte. Ja, sie hatte die Liebe ihres Lebens verloren. Aber dadurch hatte sie auch herausgefunden, was sie gewonnen hatte. Denn ganz ohne, dass sie es wirklich realisiert hatte, war sie zu einem wichtigen Teil der Crew geworden. Und die Offiziere, die sie bisher nur als Kollegen gesehen hatte, entpuppten sich als ihre Freunde.

Nein, sie war nicht allein.

Und dieses Wissen half ihr, nicht nur diesen Tag zu überstehen, sondern auch den darauf und alle weiteren die folgten.

Es war deutlich nach zehn am Abend, als das Signal ihrer Tür erklang. Verwundert zog sie den seidenen Bademantel enger und öffnete ihrem Besucher die Tür. Zu ihrer Überraschung stand dort der Chefingenieur, die Hände auf dem Rücken und etwas unsicher auf seinen Füßen wippend.

„Mr. Scott…“

„Miss Chapel.“

„Fehlt Ihnen etwas, Mr. Scott?“ Sie sah ihn besorgt an. Er wusste sicher, dass ihr Dienst seit Stunden vorbei war.

Er nickte leicht, ehe er eine dunkle, bauchige Flasche hinter seinem Rücken hervor zauberte. „Gesellschaft. Und ich hatte gehofft, Sie würden diesen feinen Tropfen mit mir probieren. Es ist ein saurianischer Brandy, mehr als dreißig Jahre alt…“

Christine war sich nicht sicher, was sie von dem Angebot halten sollte. Für gewöhnlich teilte Mr. Scott seine feinen Tropfen nicht mit irgendwem. Die selbst gebrannten Sachen ja, aber nicht die edlen. Die hob er für den Captain und den Doktor auf. Sie hatte McCoy oft von Scottys auserlesenen Brandys und Scotchs reden gehört.

Andererseits konnte sie jetzt wirklichen einen kleinen Schlummertrunk gebrauchen und sie wollte auch nicht unhöflich sein. Mr. Scott war ihr gegenüber stets anständig und zurückhaltend gewesen und sie glaubte keine Sekunde daran, dass er unlautere Absichten hegte. So wie sie ihn einschätzte, war dieses Angebot einfach seine Art für sie da zu sein.

„Um ehrlich zu sein“, sagte sie daher, „könnte ich selbst etwas Gesellschaft brauchen.“ Christine bat ihn lächelnd herein und ließ die Tür hinter ihm zu gleiten. Es war ein seltsames Gefühl, dass sie einen Mann in ihr Quartier einlud. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie nie zuvor jemanden in ihre Räume gebeten. Etwas unbehaglich, zog sie ihren Bademantel noch etwas enger.

„Wo sind die Gläser?“, fragte Scott und wandte sich zu ihr um. Er bemerkte offenbar, dass sie sich etwas unwohl fühlte. „Ich verspreche, ein Gentleman zu sein.“

Seine Worte brachten sie zum lächeln. „Ich weiß, dass Sie das sind. Es ist nur so seltsam… Bis gestern war ich verlobt…“ Zwar hatte sie Roger viele Jahre nicht gesehen, aber sie war keine Frau, die eine Verlobung auf die leichte Schulter nahm. ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘ war für Christine kein Argument gewesen, Roger zu vergessen, oder dass sie ihm zugesagt hatte, seine Frau zu werden.

Scotty nickte langsam und verständnisvoll. „Ich kann auf meinen Händen sitzen, wenn Sie sich dann wohler fühlen.“

Erneut lachte Christine. Sie musste wirklich lachen bei dem Gedanken. „Und wie wollen Sie dann trinken?“

„Das zeig ich Ihnen, wenn Sie mir verraten wo die Gläser sind“, zwinkerte er. Und er hielt was er versprach.

Drei Runden lang trank Scotty seine Drinks, während er auf seinen Händen saß. Während dessen erzählte Scotty ihr eine Menge lustiger Geschichten, um sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken und es funktionierte. Sie fühlte sich unglaublich wohl in seiner Gegenwart.

Christine hatte den Chefingenieur schon immer gemocht, war ihm jedoch nie so nahe gekommen, dass sie ihn hätte als Freund bezeichnen wollen.

Dieser Abend änderte jedoch so allerhand. Nicht nur, dass sie das Gefühl bekam, Scotty alles erzählen zu können, nein. Er strahlte eine beinahe greifbare Geborgenheit durch seine bloße Anwesenheit aus. Etwas, das sie in den letzten Jahren sehr vermisst hatte. Sie fühlte sich viel zu wohl, um dagegen anzukämpfen.

Sie war eindeutig zu viele Jahre abends allein ins Bett gegangen. Hatte sich eingeredet, dass sie ohne die direkte Nähe eines Mannes zufrieden war. Dass sie niemanden brauchte, der sie abends im Bett hielt und wärmte und ganz allgemein dafür sorgte, dass es ihr an nicht mangelte.

Sie hatte sich geirrt. Scottys bloße Anwesenheit machte es ihr beinahe schmerzhaft bewusst. Der saurianische Brandy trug sein Übriges dazu bei.

Nach der sechsten Runde fand Christine sich wohlig trunken an seiner Schulter und erzählte ihm, wie es gekommen war, dass Roger ohne ein Wort verschwunden war.

„Wenn Sie mich fragen“, sagte Scotty und seine Zunge wurde ihm allmählich schwer, doch das störte Christine nicht sonderlich, „ist er ein Idiot gewesen. Eine so schöne Frau lässt man doch nicht Jahre lang warten. Ich hätte es sicher nicht getan…“

Christine wurde plötzlich viel zu warm. Sie hob den Kopf von Scottys Schulter und sah dem Schotten tief in die Augen. Ihr Herz schlug furchtbar aufgeregt in ihrer Brust und plötzlich war der alte Traum verblasst… und durch einen neuen ersetzt. Scotty erwiderte ihren Blick, lächelte leicht und schien sich erst Sekunden später der Tragweite seiner Worte bewusst zu werden. Sie konnte ihm ansehen, wie die Erkenntnis Besitz von ihm ergriff.

„Das macht der Brandy“, sagte Christine und winkte leicht ab.

„Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit“, versicherte Scotty ihr und stellte sein leeres Glas auf dem Tisch ab. „Allerdings brauche ich keinen Brandy, um zu erkennen, wie schön Sie sind.“ Christine schluckte nur und presste die Lippen aufeinander. „Ich brauche ihn, um den Mut zu finden, es Ihnen zu sagen.“

Sie umrahmte sein Gesicht mit den Händen und legte ihre Stirn an seine. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und küsste ihn auf die Lippen. Es war ein harmloser, ängstlicher Kuss, den Scotty ebenso zurückhaltend erwiderte. Als sie ihre Lippen wieder von seinen trennte und ihn erneut ansah, lächelte er und hob leicht die Hände, wie um zu zeigen, dass er immer noch ganz brav war. Sie erwiderte sein Lächeln. „Ich brauche etwas Zeit.“

Er nickte verständnisvoll. „Und ich laufe bestimmt nicht weg“, sagte er, streichelte ihre Wange und erhob sich etwas schwerfällig. „Ich lasse dich jetzt lieber schlafen.“

„Wir könnten das bei Gelegenheit wiederholen“, sagte sie und ließ sich von ihm aufhelfen.

„Sehr gerne.“ Scotty nahm ihre rechte Hand in seine und führte sie zu seinem Mund, um einen Kuss auf ihren Handrücken zu platzieren. „Wir sehen uns morgen.“

„Ja“, nickte sie und fühlte, wie sich ein schützender Mantel tiefer Geborgenheit um sie legte.

Kaum, dass Scotty ihr Quartier verlassen hatte, ging sie ins Bett. In dieser Nacht gelang es ihr tiefer zu schlafen, als in den Nächten zuvor. Ob es an Scottys Brandy lag, der neu gefundenen Geborgenheit, der Hoffnung auf eine neue Liebe oder dem Wissen, dass sie von Freunden umgeben war, die sie durch diese schwere Zeit begleiteten, konnte Christine nicht sagen. Aber an diesem Abend schlief sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen ein, als ein neuer Traum Form annahm …


*Vremja vsjo lechit. = Die Zeit heilt alle Wunden. (Russisches Sprichwort)
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