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Machtspiele

von Martina Bernsdorf

Prolog

Es war ein seltsames Gefühl zurückzukehren.
Leeta blickte aus dem Sichtfenster des überfüllten Shuttles, eingehüllt in die Gesprächsfetzen der Bajoraner, die sich dicht an dicht dräntgen, alle bestrebt darauf, Deep Space Nine zu verlassen, ehe der verhaßte einstige Feind mit grauen Kampfuniformen und geschuppten Hälsen die Station wieder in seinen Besitz nehmen konnte. Sie ließ die Spekulationen an sich vorbeitreiben, die davon handelten, ob das Dominion nun das kleinere Übel war, ob der Friedensvertrag mit Cardassia noch Bestand hatte, oder ob der Nichtangriffspakt nur eine Finte war, um Bajor ohne Widerstand wieder besetzen zu können. Ängste, Hoffnungen und Zweifel standen in den Gesichtern der Bajoraner, wurden in Worte gekleidet, glitten an Leeta vorbei, ohne ihr Bewußtsein auch nur mehr zu streifen als der flüchtige Kuß von Seide auf Haut, kaum fühlbar, kaum genug, um sie zu belasten.
Vielleicht hätte sie sich die gleichen Gedanken gemacht, wenn an ihrer Seite ein Mann gewesen wäre, ein kleiner Mann, der mit bajoranischen Ohrring an seinen überdimensionalen Ohren reichlich lächerlich auf die meisten Bajoraner wirkte, aber nicht auf sie. Vielleicht hätte sie dann mit ihm dieselben Fragen ausgetauscht, hätte dieselben Gedanken gehegt, dieselben Zweifel daran, ob die Sternenflotte gewinnen würde und sie ihre Freunde wiedersehen würden. Dieselben Ängste, ob Bajor vielleicht wieder Opfer einer Militärherrschaft würde. Aber Rom war nicht hier, und somit waren all ihre Gedanken und all ihre Gefühle weit weg von diesen Fragen, weit weg von diesem Shuttle, voll von flüchtenden Bajoranern, sie waren auf DS9, sie waren bei dem kleinen Ferengi mit den schiefen Zähnen, den großen Ohren und dem Herzen aus Gold.
Warum hatte er sie weggeschickt? Leeta drückte die Stirn gegen die kalte Sichtplatte des Shuttles und starrte auf die schillernd blaugrüne Kugel hinab, zu der sie zurückkehrte, ohne sie bewußt wahrzunehmen. Natürlich wußte sie, warum Rom darauf bestanden hatte, daß sie nach Bajor flog mit all den anderen Bajoranern, niemand wußte, wie die Ankunft des Dominion und den mit ihnen verbündeten Cardassianern aussehen würde. Ob der Nichtangriffspakt sie schützte, wieviel wert die Neutralität im Endeffekt hatte, und ob man dem Wort des Dominion Glauben schenken durfte, daß sie nicht als Eroberer kamen, daß sie nicht vorhatten, Bajor zu annektieren oder zu besetzen.
Ihr Herz hing an der Station, die schon lange Zeit ihre Heimat war, mehr Heimat war als Bajor, das sie verlassen hatte, als sie noch sehr jung gewesen war und doch schon einige Lektionen des Lebens hinter sich hatte. Einige Lektionen über Bajoraner, Cardassianer und darüber, daß es selten klare Machtverhältnisse gab, selten ein klares Bild von Weiß oder Schwarz, Gut oder Böse. Ihre Erinnerungen schweiften kurz zu einem verbitterten jungen Bajoraner in einem Flüchtlingslager, der sie eine cardassianische Hure genannt hatte, der gegen den Korb mit Essen trat, den Leeta ihm gebracht hatte. Essen, das für ihren Bruder Leben oder Tod bedeuten konnte und das er ihr samt seinen bitteren Worten, keine Schwester mehr zu haben, entgegengeschleudert hatte. Sie erinnerte sich an die Blicke der Bajoraner, die sie verachteten, weil sie für einen alten Cardassianer den Haushalt führte. Niemand hatte sie je gefragt, ob ihre Dienste für ihn über das hinausgingen, niemand hatte je gefragt, warum sie diese Anstellung übernommen hatte. Niemand hatte je nach ihr gefragt.
Niemand außer Rom.
Man hielt sie für dumm, ein Dabomädchen, das mit flinken Fingern das Daborad drehen konnte und mit ihren äußeren Reizen die Spieler zu betören und abzulenken vermochte. Sie wußte, daß die meisten, die sich um das Daborad drängten, nur darauf bedacht waren, schnelles Latinum zu machen, und vielleicht noch das dumme, naive Dabomädchen ins Bett zu ziehen.
Niemand fragte nach ihren Träumen, ihren Gedanken, ihren Wünschen, Hoffnungen und Vorstellungen.
Keiner außer Rom.
Der kleine Ferengi, den so viele selbst für dumm hielten, hatte danach gefragt, hatte Anteil an ihrer Gedankenwelt genommen und sie Anteil an seiner nehmen lassen, und vielleicht war er so erstaunt darüber gewesen, was er fand, wie sie es gewesen war. Sie hatte in dem kleinen Ferengi, der im Schatten seines Bruders Quark immer so sehr zu verschwinden schien, jemanden gefunden, der ihr selbst ähnlich war. Jemand, der zu großem Mut fähig war, wenn es auch ein Mut war, den selten jemand anerkennen würde, weil er mehr im Stillen blühte und nicht wortreich auf seine Taten aufmerksam machte. Jemand, der sie von ganzem Herzen liebte, ohne daß er dabei an ein schnelles Vergnügen oder seinen eigenen Vorteil dachte.
Roms Liebe heilte viele Wunden, von denen Leeta nicht einmal gewußt hatte, daß sie noch immer existierten. Rom betete sie an, hing an ihren Worten, so als würde sie große Weisheiten verkünden und sorgte sich um sie.
Viele hatten laut gelacht, als Rom und sie ein Paar wurden, die freundlicheren unter ihnen hatten still gelächelt und ihre Scherze nur hinter ihren Rücken gemacht, aber Leeta wußte, daß sie es dennoch alle getan hatten. Am Daborad hörte man viel. Sie wußte, daß viele über den kleinen, nach bajoranischen Maßstäben häßlichen Ferengi und das dumme, bajoranische Dabomädchen lachten und es für eine seltsame Laune des Schicksals hielten, daß gerade sie sich gefunden hatten.
Leeta wußte, daß wohl niemand begriff, was sie in Rom sah. Ebenso wie wohl niemand begriff, was Rom in ihr sah, nicht das betörend schöne Dabomädchen, sondern Leeta.
Leeta, die träumte. Leeta, die sich mehr Gedanken machte als man ihr allgemein zutraute. Leeta, die mit anderen mitfühlte, selbst wenn sie wußte, daß man über sie nur lachte. Leeta mit all ihren Fehlern und all ihren Stärken. Wenn der kleine Ferengi in ihre Augen sah, dann wußte sie, daß er der Einzige war, der wirklich sie sah. Nicht das schmückende Beiwerk, nicht das Sexhäschen, nicht das dumme Dabomädchen, sondern sie bis zum Grunde ihrer Seele, jenseits aller Masken.
Und nun war sie allein.
Sie fühlte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten und an ihren langen Wimpern fingen. Sie hatten nur so wenig Zeit gehabt, gerade genug, um sich mitten im Trubel der Evakuierung noch das Jawort zu geben, nicht einmal die Zeit für die Hochzeitsnacht war geblieben.
Jetzt war Rom auf Deep Space Nine, mitten im Feindesland, um für die Föderation zu spionieren und zusammen mit Odo und Major Kira den Versuch zu unternehmen, die Sternenflotte in ihrem Kampf gegen das Dominion und Cardassia zu unterstützen.
Leeta schloß die Augen und fühlte, wie die Tränen über ihre Wangen kullerten. Ihr war egal, was die anderen Leute an Bord dachten. Auf dem Evakuierungs-Shuttle waren Tränen ohnehin nichts Ungewöhnliches und sie hatte schon vor langer Zeit aufgehört, sich Gedanken darüber zu machen, was andere von ihr dachten. Einst hatte sie sogar bewußt mit den falschen Bildern gespielt, die man sich von ihr machte, um zu überleben.
Damals hatte sie für das Leben ihres Bruders alle möglichen Konsequenzen in Kauf genommen, selbst die, daß er sie vielleicht für ihre Taten haßte.
Seitdem hatte sie keinen Menschen je wieder so nahe an ihr Herz kommen lassen, bis jetzt, und für Rom würde sie wiederum alles tun, um ihm zu helfen, ihn zu retten, egal, welche Konsequenz dies für sie selbst auch haben mochte.
Bei ihrem Bruder hatte sie versagt.
Bei Rom würde sie das nicht.
Leeta öffnete die Augen wieder und starrte erneut auf ihren Heimatplaneten hinab, der ihr seltsam fremd geworden war und nun mehr ein Exil bedeutete als Heimat, denn ihre Heimat war nicht hier, sie war auch nicht auf DS9, sondern ruhte allein im Herzen eines kleinen Ferengi, dessen Mut und Herz soviel größer waren als er selbst.
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