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Der zweite Eindruck

von Nerys

Kapitel 1

Der zweite Eindruck


Ausgesprochen zufrieden über den Verlauf des Gespräches mit dem Ferengi marschierte Benjamin Sisko über das Promenadendeck. Er versuchte sich vorzustellen, wie es hier aussehen mochte, wenn all die Schäden beseitigt waren und die Geschäfte geöffnet hatten. Das Leben sollte an diesen Ort zurückkehren. Ein Stück weit entfernt bemerkte er den Major, der mit ein paar Trümmerstücken in den Händen aus einer Nische hervor kam. Er war noch unschlüssig, was er von seiner ersten Begegnung mit dieser verbitterten jungen Frau halten sollte, die fortan sein Erster Offizier sein würde. Bevor er Kira zu erreichen vermochte, war sie wieder verschwunden. Er folgte ihr und entdeckte eine Öffnung, kaum mehr als ein Loch in einer Gitterwand. Neugierig beugte er sich ein Stück weit hinein.

„Major?“

Die Bajoranerin kam mit weiterem Metallschrott aus dem Durchlass hervor. Sie hatte ihre Uniformjacke ausgezogen, trug nur das weiße ärmellose Unterhemd. Ihre bloßen Arme waren schmutzig von den rußigen Rückständen. Sie sah ihn an, unterbrach ihre Arbeit jedoch nicht.

„Alle sind damit beschäftigt, die Primärsysteme zu reparieren.“ Ein zynisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich vermute, Sternenflottenoffiziere sind es nicht gewohnt, sich die Hände dreckig zu machen.“

Wortlos wandte Sisko sich um. Er hob eine verbeulte Erzlore auf und beförderte sie beiseite zu dem Haufen bereits aussortierter Trümmer. Demonstrativ präsentierte er Kira seine nun ebenfalls rußigen Hände. Diese hielt seinem Blick für einen Moment stand, ehe sie an ihm vorbei marschierte, um ein weiteres Stück Schrott zu ergreifen, das aufgestellt so hoch wie sie selbst war.

„Im Flüchtlingslager haben wir gelernt, das zu tun, was getan werden musste. Es spielte keine Rolle, wer man war.“

Sisko langte ebenfalls nach dem Metall, um ihr zu helfen, und legte es auf dem Haufen ab. Irritiert von seiner Initiative, die sie nicht erwartet hatte, hielt sie inne.

„Ich habe mich gerade mit unserem lieben Freund Quark unterhalten“, warf er ein, um das Gespräch weiter zu führen. „Er geht jede Wette ein, dass die Regierung stürzen wird.“

Die Bajoranerin sah ihn aus ihren harten nachtdunklen Augen an. Bitterkeit lag in ihrer Stimme. „Quark weiß sehr gut, wann es sich lohnt zu wetten. In einer Woche ist die Regierung weg. Genauso wie Sie.“

„Was wird dann mit Bajor passieren?“ Die Antwort war recht offensichtlich, doch er wollte es mit ihren Worten hören.

„Es gibt Bürgerkrieg.“ Sie wandte sich ab und schlüpfte wieder durch das Loch im Gitter, um den dort befindlichen Trümmerhaufen weiter zu bearbeiten. Sisko folgte ihr.

„Sie halten das für unvermeidbar?“ Er hockte sich neben sie.

„Die Einzige, die das verhindern kann, ist Opaka“, antwortete sie, im Schrott wühlend. Das Metall klapperte.

„Opaka?“ Der Commander hob fragend die Brauen.

Kira fuhr fort, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen. „Unsere geistige Führerin. Sie wird auch die Kai genannt. Unsere Religion ist das Einzige, was mein Volk noch zusammenhält. Auf ihren Rat würde jeder meines Volkes hören. Führer aller Splittergruppen haben versucht, zu ihr zu gelangen, aber sie lebt sehr zurückgezogen. Sie empfängt kaum Besucher.“

Ehe er darauf etwas zu erwidern vermochte, ertönte eine helle Kinderstimme ganz in der Nähe. Ein Junge kam zwischen den Trümmern hervorgekrochen und lief der Bajoranerin entgegen, die sich ihm sofort zuwandte.

„Was ist los, Solan?“ fragte sie ihn mit einer Sanftheit in der Stimme, die Sisko ihr niemals zugetraut hätte.

Der Bub blickte ängstlich auf den Trümmerhaufen. „Da war was, Mama! Ich hab es genau gesehen. Es war doppelt zu groß wie ein Höhlenishat und ganz furchtbar eklig!“

„Das war eine cardassianische Wühlmaus. Die knabbert viel lieber Kabel an als dich, glaub mir. Du musst dich nicht fürchten.“ Kira bedachte ihn mit einem beruhigenden liebevollen Lächeln. „Sag guten Tag zu Commander Sisko.“

„Guten Tag“, grüßte er den fremden Menschen wie geheißen, der ihm gehörigen Respekt einflößte, obwohl seine Züge wohlwollend waren.

Erst jetzt konnte Sisko sein Gesicht ganz sehen und musste sich bemühen, die Verblüffung zu verbergen. Der höchstens zehnjährige Junge war zur Hälfte cardassianisch. Über den bajoranischen Rillen verlief sein Nasenbein auf der Stirn zu dem charakteristischen löffelförmigen Wulst, welcher der reptilienhaften Spezies zueigen war. Lockiges rotbraunes Haar bildete einen starken Kontrast zu seiner fahl anmutenden Haut. Aus dunkelbraunen Augen musterte er den großen Menschen zögernd.

„Das ist mein Sohn Solan“, sagte Kira an den Sternenflottenoffizier gewandt.

Sisko lächelte das Kind warmherzig an. „Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.“

Er versuchte sich die Dienstakte des Majors, die er während der Reise gelesen hatte, in Erinnerung zu rufen. Die herrische Bajoranerin, in deren nachtdunklen Augen nur Misstrauen und Feindseligkeit lagen, war nicht älter als Mitte zwanzig. Er empfand Mitleid, als er daran dachte, was ihr in ganz jungen Jahren widerfahren sein musste, das zur Geburt dieses Mischlingskindes geführt hatte, das jetzt vor ihm stand. Umso bewundernswerter war ihr Umgang mit ihrem außergewöhnlichen Sohn, welcher etwas offenbarte, das er von seiner Frau und seinem eigenen Jungen einst gut gekannt hatte. Die bedingungslose Liebe einer Mutter. Ein Geräusch weckte die Aufmersamkeit aller drei. Sisko hob den Kopf und erblickte den graubärtigen Geistlichen, der ihn durch das Loch im Gitter betrachtete.

„Commander, es wird Zeit“, sprach der alte Mann mit ruhiger tiefer Stimme.

Ohne zu zögern oder eine Frage zu stellen, erhob Sisko sich, schlüpfte durch die Öffnung und folgte dem Vedek. Kira richtete sich ebenfalls auf. Verblüfft blickte sie dem dunkelhäutigen Menschen hinterher, während sie ihrem Sohn in Gedanken über das wirre Haar strich.
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