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Das Bildnis deiner Seele

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Staubflocken tanzten in den Sonnenstrahlen, die sich durch die Risse in der Mauer des Hauses kämpften.
Kira betrachtete diesen lautlosen Tanz im Licht mit einem abwesenden Blick, ihr Körper mochte hier sein, ihre Gedanken waren Lichtjahre entfernt, an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit, und so sehr Kira die schönen Bilder der Vergangenheit auch heraufbeschwören wollte, so sehr glitten ihre Gedanken wieder und wieder zu der stillen Gestalt auf der medizinischen Liege zurück.
Sie schloß kurz die Augen und konnte den Glanz seines dunklen Haares in der unerbittlichen Helligkeit der Krankenstation sehen, konnte das Licht sehen, das sich auf der metallenen Platte brach, dort wo Dr. Bashir Teile seines Gehirnes ersetzt hatte.
Sie konnte sich an den Geruch in der Krankenstation erinnern: scharf, medizinisch und behaftet mit den Schatten des Todes. Aber auch an den Geruch von Bareil: an sein Rasierwasser, das sie ihm zum Sommerfest geschenkt hatte und von dem er immer behauptet hatte, es wäre zu sinnlich für einen Vedek.
Sie erinnerte sich an das Lächeln, das diese Worte begleitet hatte und daß sie es immer an ihm riechen konnte, wenn sie sich trafen.
Die Erinnerung an ihn stand ihr so deutlich vor Augen, sie konnte sich an jede kleine Falte um seine Augen erinnern, und es schien ihr, als müsse sie nur die Hand ausstrecken, um ihn berühren zu können.
Kira öffnete die Augen wieder und starrte auf ihre Hand, die sie ausgestreckt hatte. Sie bewegte die Finger, so, als sehe und fühle sie diese Hand das erste Mal in ihrem Leben. Sie schloß die Finger langsam zu einer Faust, und nichts als Luft war in ihr gefangen, es gab niemanden mehr, der diese Hand ergreifen würde.

Kira bemerkte den Blick des Wirtes, der sie fragenden musterte. Welch einen Anblick mußte sie bieten? Mit ausgestreckter Hand und geschlossenen Augen vor einem Glas bajoranischen Bieres zu sitzen, mußte sehr seltsam wirken.
Sie senkte die Hand und versuchte die Erinnerungen zu bannen, doch es gelang ihr nicht. In ein paar Tagen würde sich Bareils Todestag das erste Mal jähren. Ein ganzes Jahr, Kira konnte es kaum fassen, es schien ihr soviel länger her zu sein, und gleichzeitig brannte der Schmerz in ihrem Herzen, wie an dem Tag, an dem sie sah wie er starb.
Es war ein langsames Abgleiten in den Tod gewesen, er hatte das Bewußtsein nicht wiedererlangt, und Kira würde nie wissen, ob er ihre Worte gehört hatte, die sie an seinem Bett sprach.
Kira starrte in ihr Bierglas, so als wären dort die Antworten des Lebens zu finden. Sie fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, gerade jetzt ihren Urlaub zu nehmen und von DS9 zu fliehen.
Denn nichts anderes war es gewesen, als eine Flucht, eine Flucht vor dem mitleidigen Funkeln in Dax´ blauen Augen, vor Siskos Verständnis und Odos Freundschaft.
Kira wollte keinen ihrer Freunde um sich haben, denn sie wollte nicht, daß sie jemanden hatte, an den sie sich klammern konnte, niemanden, der versuchen würde, sie zu trösten. Sie wollte keinen Trost! Sie wollte Bareil!
Aber er war tot, war gestorben, für einen Friedensvertrag mit den Cardassianern, für Kai Winn und ihre intriganten Spielchen.
Er hatte sie allein gelassen! Kira versuchte Zorn zu empfinden, alles war besser, als dieses Gefühl der Leere in ihrer Seele, und doch konnte sie diesen Funken von Wut nicht in sich entfachen, was ihr sonst immer so leicht gefallen war.
Kira ließ ihren Blick über die Tische schweifen. An den meisten saßen Landarbeiter, Bajoraner, die hier lebten und versuchten dem kargen Boden, verseucht und ausgelaugt von dem cardassianischen Raubbau, neues Leben einzuhauchen.
Ihre Aufgabe hatte wenigstens Sinn.
Kiras Gedanken schweiften zu Shakaar: Er vermißte sein Leben als Farmer, alles, was er je gewollt hatte, war, Felder zu bestellen, seine Hände in die fruchtbare Erde zu graben, das Leben, das Bajor umspann, auf diese Weise zu fühlen, er war immer ein Teil dieses Bodens gewesen.
Ob er wohl verstand, daß sie nun allein sein mußte? Daß sie nicht den Trost seiner starken Arme um sich annehmen konnte? Diese Tage gehörten ihr und ihrer Erinnerung, ihrer Trauer.
In seinen graublauen Augen war seine Verletztheit zu sehen gewesen, als sie ihm erklärte, daß sie ihre Urlaubstage allein in der Dakhur-Provinz verbringen wollte. Shakaar wußte, was dies bedeutete, daß sie ihre Tage allein mit der Erinnerung an Bareil verbringen wollte.
Sie hatte gesehen, wie er seine breiten Schultern zusammensinken ließ, so als sei ihm bewußt, daß er gegen die Erinnerung an einen Toten nicht kämpfen konnte. Er war mitfühlend und verständnisvoll gewesen, aber Kira hatte gewußt, daß er dies nur für sie war, weil er sie liebte - und daß er im Grunde seines Herzens litt.
Wie gerne hätte sie die Hand ausgestreckt und ihm alles erklärt. Aber konnte sie es denn sich selbst erklären?
„Hey, Kleine.“ Die Stimme eines Mannes riß sie aus ihren Gedanken, sie blickte zu dem breitgebauten Farmer auf, der sich mit einem Blick auf seine Freunde, die ihm aufmunternd zugrinsten, an Kiras Tisch setzte.
Der Farmer lächelte sie an und schnippte mit dem Finger nach dem Wirt. „Schenk dem Rotschopf noch mal ein Glas Bier auf meine Rechnung ein!“
Kira blickte den Bajoraner an. „Nein, danke!“ Sie sah, wie in seinen Augen ein wenig Verwirrung über ihre schroffe Ablehnung aufblitzte.
„Es ist selten, daß sich hierher Besuch verirrt, ich will nur freundlich sein, Rotschopf!“ Er grinste gutmütig.
Kira starrte in ihr Glas und ignorierte den Mann.
„Woher kommst du?“ Der Farmer fühlte sich unsicher, er wollte gerne mit der fremden Frau reden. In ihren nachtschwarzen Augen konnte er Einsamkeit und Trauer sehen, ein Gefühl, das er gut kannte.
Kira sah wieder auf, sie wußte, daß der Farmer es nicht böse meinte, und doch konnte sie das Aufflackern von Wut in sich verspüren, einer Wut, die sie begrüßte, heraufbeschwor, alles war besser, als diese furchtbare Leere.
„Laß mich in Ruhe, ich will allein sein!“ Ihre Stimme war eisig, und der Farmer runzelte die Stirn.
„Nein, ich glaube nicht, daß du allein sein willst, keiner will allein sein!“ Mit diesen Worten griff er nach ihrer Hand.
Kira riß ihre Hand zurück und schlug hart mit der Faust zu. Der Farmer stürzte von seinem Stuhl, landete unsanft auf dem Boden und tastete benommen nach seiner blutenden Oberlippe.
Kira sprang auf, die Freunde des Farmers waren nun ebenfalls auf den Beinen, Fäuste wurden geballt. Kira wußte, daß sie im Unrecht war, der Farmer, den sie geschlagen hatte, hatte nur nett sein wollen. In seinen Augen hatte sie sogar eine Art von Trauer erkannt, die sie selbst verspürte.
Aber sie wollte diesen Kampf, sie wollte die Leere mit Wut füllen, die den Schmerz in Schläge umleitete.
Jemand packte ihren erhobenen rechten Arm von hinten, und Kira hieb mit ihrem linken Ellenbogen nach dem Mann, der einen dumpfen Laut von sich gab und sie losließ.
„Sie geht, wie eine fleischfressende Rastipode und schlägt zu, wie ein wildgewordener Klingone!“ Die Stimme des alten Mannes klang trotz seines Schmerzes belustigt.
Kira starrte ihren vermeintlichen Gegner an, der sie schwach angrinste und ächzend seinen Magen hielt.
„Mullibok!“
„Du kennst diese Furie?“ Einer der Männer, der neben dem benommenen Farmer stand und ihm die Hand reichte, blickte Mullibok erstaunt an.
Dieser grinste leicht und fuhr sich mit der Hand durch sein graues Haar. „Ja, sie hat mein Haus auf Jerrado niedergebrannt!“ Er legte seinen Arm um Kiras Schulter. „Man könnte also sagen, wir sind gute Freunde!“
„Du hast einen seltsame Geschmack, was deine Freunde angeht, Mullibok!“ Nakorn wischte sich das Blut von seiner Lippe.
„Natürlich, sonst würde ich euch alle wohl kaum zu meinen Freunden rechnen!“ Mulliboks trockener Humor nahm den Farmern die Anspannung, sie senkten die Fäuste und schüttelten nur leicht die Köpfe.
„Würdest du einen alten Mann, dem du mindestens eine Rippe gebrochen hast, nach Hause begleiten, Nerys?“
Kira sah Mullibok an, sie fühlte sich schuldig, und seine Worte trafen sie noch mehr. „Vielleicht sollten wir nach DS9 fliegen, Dr. Bashir....“ Kira brach ab, als Mullibok herzhaft zu lachen begann, etwas, daß er wohl nicht getan hätte, wenn er sich wirklich eine Rippe gebrochen hätte.
„Bei den Propheten, Nerys! Ich bin ein alter Mann, aber kein Tattergreis! Alle Achtung vor deinem Kampfgeschick, aber von so einem Fliegengewicht wie dir braucht es einiges mehr, um mich wirklich zu verletzen!“
Er grinste, als er das Aufblitzen von Zorn in ihren Augen sah. „Ah, ja, das habe ich doch wirklich vermißt, dieses Temperament!“ Er bot ihr seinen Arm an und nickte ihr aufmunternd zu.
Kira schüttelte den Kopf und hakte sich bei Mullibok unter. Er war ein sturer alter Mann, vielleicht mochte sie ihn deshalb so sehr.

* * * * *

D
er Abend war kühl, Kira zog ihre Jacke enger um sich, sie hatte bewußt auf ihre Uniform verzichtet und zivile Kleidung gewählt. Sie war nicht hier als Major Kira Nerys, sondern als eine Frau, die nicht wußte, wie sie trauern, wie sie die Leere in ihrem Herzen füllen sollte.
Sie mochte Shakaar, vielleicht liebte sie ihn sogar, aber er war nicht Bareil, und er konnte die Leere nicht immer vertreiben, vielleicht weil sie ihm auch nie die Chance dazu gegeben hatte. Wann hatte sie ihn je wirklich in ihr Herz sehen lassen?
Sie hatte ihm nie über Bareil erzählt, nicht davon, was sie für ihn empfunden hatte, wie er gewesen war, wie sie ihn geliebt hatte.
Kira hatte sich mit dem Gedanken selbst etwas vorgemacht, daß sie ihm all diese Dinge verschwieg, um ihn zu schonen, aber das war nicht der wahre Grund.
Aber wo lag dieser?
Wollte sie keinen Trost? Wollte sie kein Verständnis? Wollte sie überhaupt, daß jemand ihre Hand in der Dunkelheit ergriff?
„Ah, die Nacht riecht nach den Blüten der Yamaksträucher!“ Mullibok zog geräuschvoll die Luft ein und gab ein melancholisches Seufzen von sich.
In Kira weckte der Geruch nur Erinnerungen an Bareil, so wie alles in den letzten Tagen und Wochen sie an Bareil zu erinnern schien.
„Was ist passiert, Nerys?“
Kira sah Mullibok erstaunt an. Sie Stimme des sich sonst so griesgrämig gebenden Mannes war erstaunlich sanft.
„Nichts“, Kira brachte dieses Wort trotzig hervor, was Mullibok dazu veranlaßte, eine Augenbraue zu heben.
„Nichts, aha! Du schlägst also diesen armen Burschen Nakorn, der nichts Böses im Sinn hatte, einfach so zusammen und willst dich nur aus reinem Vergnügen mit den ganzen Farmern prügeln?“
Kira fühlte sich wie ein Kind, das man mit der Hand in einer Keksbüchse erwischt hatte, sie fühlte sich ertappt und schämte sich gleichzeitig.
„Ich wollte allein sein, er hätte das respektieren sollen!“
Mullibok nickte leicht. „Nun, wirst du mich noch mal schlagen, wenn ich dir sage, daß niemand im Grunde seines Herzens allein sein will?“
Kira sah den alten Mann an, in seiner Stimme schwang ein alter Schmerz, ein Gefühl, das sie so gut kannte.
„Trauer ist eine gefährliche Sache, Nerys! Trauer kann einen auffressen und nur noch eine leere Hülle zurücklassen!“
Kira senkte den Kopf. „Ich habe vor einem Jahr den Mann verloren, den ich mehr geliebt habe, als ich es je für möglich gehalten hätte! Er gab mir das Gefühl, vollständig zu sein, er half mir meine innere Zerrissenheit nach der cardassianischen Besatzung zu heilen.“
Mullibok nickte. „Und nun, da er tot ist, ziehst du all das in Zweifel, was du durch seine Liebe gewonnen hattest?“
Kira blieb abrupt stehen. „Nein!“
Doch konnte sie das wirklich so vehement ableugnen? Hatte sie nicht ihr inneres Gleichgewicht, das sie mit Bareil gefunden hatte, wieder verloren? Sie zweifelte am Sinn ihrer Aufgabe, am Sinn ihres Lebens - eines Lebens ohne Bareil.
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