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Der Schattentempel

von Martina Bernsdorf

Prolog

In den kalten Wüstennächten der Tamakuwüste konnte man Herikos, das dunkle Auge der Propheten, in einer Klarheit sehen, die ihn mit Ehrfurcht erfüllte. Der dunkelste Stern des Systems war eine astronomische Besonderheit, seine Umlaufbahn um die bajoranische Sonne war so lang und seine Rotation so gering, dass sich sein Standort am Himmelszelt nie zu verändern schien, zumindest nicht während einer Lebensspanne. Wann immer Davin seinen Blick in den Himmel gerichtet hatte, hatte Herikos unverändert im Norden gestanden, ein dunkler Stern, den man nur an dem strahlend leuchtenden Ring erkennen konnte, der ihn umgab.
Davin wusste, dass dieser strahlende Glanzring von den Gasen erzeugt wurde, die Herikos umgaben. Auf ihnen reflektierte sich das Licht der bajoranischen Sonne und so eine Helligkeit um die Dunkelheit des Sternes erzeugte, die das Licht noch intensiver machte.
Aber Davin war nicht an den astronomischen Besonderheiten von Herikos interessiert gewesen, von jeher hatte er an den Stern als das dunkle Auge der Propheten gedacht.
In den ältesten Schriften fanden sich Hinweise, dass es zwei Himmelsaugen gab, eines hell und strahlend, voller Sternenglanz und Farbenwirbel, und eines, das dunkel war, nur umgeben von dem Abglanz seines hellen Bruders. Es hieß, es sei das erloschene Auge der Propheten, das blinde Auge, das Auge, unter dem das Böse gedieh.
In manchen Schriften fand sich der Hinweis, dass das helle Auge der Propheten der Eingang zum Himmelstempel sei, so wie das dunkle Auge der Propheten über dem Schattentempel stehe.
Davin fröstelte und schlang im kalten Wind seine Arme um sich. Er hörte in der Ferne das Heulen des Windes, fast wie ein singen, verführerisch, klagend, lachend, weinend. Der junge Prylar lauschte angestrengt. In den letzten Tagen hatte er sehr viel gesehen und sehr viel gehört, das er nicht für möglich gehalten hätte, und vielleicht waren wirklich etwas draußen, im Wüstenwind.
Der Wind spielte mit seinem dunkelbraunen Haar, in das sich einige schlohweiße Strähnen mischten, die er vor wenigen Tagen noch nicht getragen hatte.
Sonnenlicht kroch langsam über den Horizont, der Tag kam schnell über die Wüste, eroberte Düne für Düne, das rote Licht der Wüstendämmerung wirkte wie frisch vergossenes Blut. Davin blickte auf seine Hände, in der Erwartung, Blut daran zu sehen, aber natürlich war keines dort, er hatte es gestern Abend sorgsam abgewaschen.
Davin drehte sich um, sein Blick glitt über seine Fußspuren, an denen der Wüstenwind bereits nagte. In wenigen Stunden würde er sie vollständig verschlungen haben, keine Spuren von ihm würden zurückbleiben, so, als habe er für diese Wüste nie existiert. Das Lager wirkte von hier aus ruhig und friedlich, aber es war der Friede des Todes. Die Spuren des Kampfes der Nacht waren auf diese Entfernung nicht zu sehen, und Davin empfand das als eine Barmherzigkeit der Propheten. Er wollte nicht mehr in die gebrochenen Augen seiner Freunde starren müssen, die von seiner eigenen Hand zu den Propheten geschickt worden waren.
Davins Blick wanderte weiter, zu den machtvollen Säulen des Tempels, der sich an die steilen Berghänge des Tamakugebirges lehnte und dennoch machtvoller wirkte, als das Bergmassiv. Er zögerte nur kurz, ehe er sich in Bewegung setzte. Der Tag war zu kurz, um sich länger in den Betrachtungen zu verlieren, zu kurz, um weiterhin zu hadern und zu klagen oder gar an den Propheten zu zweifeln.


* * * * *

Heulende Stimmen, gekreischte Worte, süße Versprechungen, all das griff nach Davin ebenso wie die Hände, die an ihm zerrten. Er fühlte, wie seine rote Robe unter diesen gierigen Händen riss, mit einer Körperdrehung wand er sich frei, rannte einige Schritte hin zum Licht, das schräg durch den einzigen Ein-und Ausgang fiel. Er konnte entkommen, das wusste er in diesem Augenblick der Klarheit in all dem Sturm der Stimmen, aber nur, wenn er zuließ, dass sie auch entkamen.
Die Entscheidung fiel Davin so leicht, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er presste das heilige Buch enger an seine Brust und erhob seine Stimme über den Lärm. „Versiegelt den Tempel!“ Er hoffte, dass die Vedeks und Prylare, die die Versuchungen der Nacht überlebt hatten, seine Worte überhaupt vernahmen.
Davin drehte sich um und musterte mit einer seltsam süßen Gelassenheit, die man nur im Bewusstsein des Todes fühlen konnte, die Feinde. Grüne Augen flackerten im Dämmerlicht des fensterlosen Tempels, gierig, hasserfüllt, schmeichelnd, verführerisch.
„Propheten, steht mir bei.“ Davin flüsterte diese Worte und hörte hinter sich das Geräusch von Stein auf Stein, er warf einen letzten Blick über seine Schulter, dorthin, wo der Lichteinfall schmaler wurde, dorthin, wo seine überlebenden Brüder und Schwestern den Abdeckstein bewegten. Von diesem Winkel aus konnte er Herikos nicht sehen, er konnte den Himmel nicht sehen, und selbst, wenn er es vermocht hätte, am Tage konnte man das dunkle Auge der Propheten nicht wahrnehmen.
Er fühlte, wie jemand an ihm vorbeihuschen wollte, zum Licht, aus dem Tempel hinaus, in die Freiheit. Davin griff mit einer blitzschnellen Bewegung zu, ein Kreischen und ein Schlag beantworteten seine Aktion. Das heilige Buch landete auf dem Boden, aber es war nicht mehr wichtig, jedes Wort, das darin stand, war in Davins Seele.
Blut rieselte über seine Lippen, ein weiterer Schlag ließ ihn zu Boden gehen, Dunkelheit umfing ihn, als sie über ihn herfielen, aber er lächelte, denn diese Dunkelheit war nicht allein sein sterbendes Bewusstsein, sondern auch die Dunkelheit, die der Abdeckstein verursachte, der mit einem letzten Knirschen von Stein auf Stein den einzigen Zugang versiegelte.
Grüne Augen glühten hasserfüllt, Hände rissen an ihm, Blut floss.
Davin schloss seine Augen und dachte an Herikos, an das dunkle Auge der Propheten, und in seinen letzten Sekunden wusste er, dass er dieses Auge geschlossen hatte, vielleicht, wenn die Propheten gnädig waren, für immer.

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