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Ein anderes Leben

von Nerys

Zweiter Teil

Zweiter Teil

So leise wie es ihr schwerfälliger Leib zuließ, stieg Kira aus dem Bett. Die dünnen halb durchscheinenden Vorhänge verrieten ihr, dass es draußen gerade zu dämmern begann. Als Vedek war Bareil daran gewöhnt, mit dem ersten Tageslicht zum Morgengebet aufzustehen, doch sie wollte ihn nicht früher als nötig wecken. Sein Hinweis auf den Dachboden vom Vorabend hatte ihre Neugier angestachelt. Sacht schloss sie die Schlafzimmertür hinter sich und wandte sich dem Durchgang am Ende des Flurs zu. Dahinter lag eine steil nach oben führende Treppe. Das Dachgeschoß des Hauses erwies sich in der künstlichen Beleuchtung als geräumig. Am Tage mochte das große Schrägfenster genügend Licht für die Staffelei spenden, die dort stand. Kira studierte eingehend mehrere an die Wände gelehnte und offenbar fertig gestellte Malereien. Sie hatte sich wider ihre Familientradition nie für Kunst interessiert, doch diese Werke erreichten sie. Viel Gefühl und vielleicht sogar Talent lag in ihnen, aber die meisten wirkten irgendwie melancholisch. Es fiel ihr ausgesprochen schwer zu glauben, dass sie diese geschaffen haben sollte, und doch trugen alle am unteren Bildrand ihren Namen. Auf der Staffelei entdeckte sie eine Leinwand mit dem noch unfertigen Portrait einer bajoranischen Frau. Die schönen weichen Gesichtszüge waren beinahe vollendet, aber ein Teil des dunkelblonden Haars bestand noch aus skizzenartigen Konturen. Fasziniert betrachtete Kira die blauen Augen, die unglaublich lebendig wirkten, obwohl sie nur mit Malfarben geschaffen waren. Sie streckte die Fingerspitzen nach dem Gemälde aus, wollte es berühren, als ob es dadurch wirklicher werden würde.
„Du solltest das Bild zu Ende malen“, sagte Bareils Stimme hinter ihr.
Überrascht wandte sie sich zu ihm um. Sie war so von dem Portrait gefangen, dass sie ihn nicht kommen gehört hatte. „Ich glaube nicht, dass ich das kann. Wer ist sie?“
Der dunkelhaarige Mann runzelte besorgt die Stirn. „Nerys, bist du sicher, dass es dir gut geht? Das ist deine Mutter. So wie du dich an sie erinnerst, hast du mir erklärt.“
Kira beäugte die Malerei skeptisch. Nach all den Jahren wusste sie kaum noch etwas von ihrer Mutter, am wenigsten wie sie ausgesehen hatte. Vielleicht war dieses Bild ihr ähnlich, vielleicht auch nicht.
„Ich werde Frühstück machen“, wechselte Antos das Thema, da er ihr Zögern zu spüren schien, und schickte sich an, den Dachboden wieder zu verlassen.
„Warte!“ Sie folgte ihm mit hastigen Schritten. Es widerstrebte ihr, allein zurückzubleiben. „Weißt du schon, was du in deine Schriftrolle schreiben wirst?“
Die Frage zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Viel mehr freue ich mich darauf, den Tag mit dir und Aries zu verbringen, bevor ich mich übermorgen nach Ashalla begeben muss. Ich hoffe nur, dass Kai Opaka die Vedek-Versammlung diesmal mit ihrer Anwesenheit beehrt. Wir brauchen sie.“
„Kai Opaka??“ entfuhr es Kira verblüfft. „Was ist mit Winn?“ Fast sofort schalt sie sich für den unüberlegten Ausspruch.
„Wie kommst du auf Vedek Winn? Du weißt doch, dass sie vor zwei Jahren von uns gegangen ist. Ihr Leben war ein hoher Preis für den Friedensvertrag mit Cardassia, aber sie bezahlte ihn gerne, weil sie darauf vertrauen konnte, dass Opaka und ich unser gemeinsames Werk vollenden. Premierminister Jaros Politik gegen die Föderation und den Abgesandten macht all diese Arbeit, die viele Zeit, die ich dich allein ließ, langsam wieder zunichte. Opakas Einfluss schwindet immer mehr.“ Er schüttelte leicht den Kopf, als wolle er seine tristen Gedanken vertreiben. „Wir sollten uns das Fest heute nicht davon verderben lassen. Ich hoffe nur, dass es nicht zu Ausschreitungen kommen wird.“
„Jaro Essa ist immer noch Minister. Wieso?“, murmelte die junge Frau halblaut. Die Dinge, die sie da gerade hörte, machten ihr Angst. In ihren Erinnerungen war nichts so geschehen.
„Er ist ein Despot mit dem Militär hinter ihm, wer sollte ihn vertreiben? Ihm wäre es bei seinem Putsch dafür fast gelungen, die Sternenflotte von Deep Space Nine zu verjagen, hätte Opaka ihn nicht davon abgehalten, sich gegen den Abgesandten zu stellen. Es war klug, ihre Unterstützung an die Verträge mit der Föderation zu binden. Ich wünschte nur, sie hätte sich danach nicht wieder vollkommen zurückgezogen.“
Als die Station zur Sprache kam, auf der sie praktisch eben noch gelebt hatte, riss sie die Augen auf. „Deep Space Nine… wer ist dort der Verbindungsoffizier?“
„Major Onnas Rhen, warum fragst du? Er ist Jaros Marionette.“
Kira gab keine Antwort mehr. Es fiel ihr schwer, all das zu verdauen, was sie gerade gehört hatte. Auch verstand sie nicht alle Zusammenhänge, aber eins wurde ihr klar. Li Nalas war nicht nach Bajor zurückgekehrt. Sie war nicht da gewesen, um nach ihm zu suchen. Somit hatte es niemanden gegeben, der genügend Einfluss auf das Volk nehmen konnte, um Jaros Aufstieg zur Macht zu verhindern. Andererseits schien Onnas an ihrer Stelle dafür gesorgt zu haben, dass Sisko mit der Kai nicht durch das Wurmloch flog. Oder vielleicht war es ihm nur gelungen, das Runabout vor dem verhängnisvollen Absturz zu bewahren. Opaka war nicht wie Winn. Die Propheten hatten sie wirklich berührt. Sie lebte für ihren Glauben, das Streben nach Macht war ihr fremd. Kira dachte an den Aufstieg des Kreises in ihrer Erinnerung. Jaros Macht zerfiel mit dem Auffliegen der cardassianschen Beteiligung an den Waffenlieferungen der Kressari. Sie selbst hatte den unwiderlegbaren Beweis, ein Padd mit dem Fingerabdruck eines Guls, in die Kammer der Minister gebracht.
„Liebes, wo bist du nur dauernd mit deinen Gedanken?“ Bareil bewegte seine Hand vor ihren Augen auf und ab, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie blickte ihn irritiert an, schien unendlich weit weg gewesen zu sein. In einer anderen Wirklichkeit.
Kira zuckte mit den Schultern und bemühte sich, ihm ein zuversichtliches Lächeln zu schenken. Inzwischen hatten sie den Dachboden verlassen und durchquerten den Flur im Obergeschoß.

Vor der Tür mit den bunten Zeichen, die den Namen Aries bildeten, blieb die junge Frau stehen, während Bareil über die Treppe nach unten verschwand. Sacht öffnete sie den Zugang, um den Raum dahinter zu betreten. Der Junge war bereits wach. Er saß aufrecht in seinem Bett, zwei Spielzeugraumschiffe in den Händen.
„Guten Morgen“, sagte die junge Frau an Aries gewandt, der sofort in seinem kleinen Raumgefecht innehielt und die Schiffe sinken ließ. „Na, freust du dich schon auf den Tag heute?“
Der Bub nickte heftig. „Au ja! Das wird toll!“
Sie lächelte leicht über seinen Enthusiasmus. Nachdem das Peldor-Fest zunächst mit den offiziellen Empfängen und Dankesreden der Vedeks begann, stand der zweite Tag ganz im Zeichen ausgelassener Feierlichkeiten. Kira hatte das Fest nur ein einziges Mal auf Bajor verbracht, gemeinsam mit Shakaar im Trubel Ashallas, während sie sonst immer auf der Station geblieben war, um mit den dort ansässigen Bajoranern zu feiern.
Aries ließ erneut die Spielzeugraumer aufeinander zudonnern und imitierte Explosionsgeräusche. „Wenn ich groß bin, will ich auch ein Raumschiff fliegen und den himmlischen Tempel sehen!“
„Das wirst du bestimmt eines Tages“, antwortete Kira. Sie verzog das Gesicht, als die winzigen Füßchen des Babys heftig gegen ihre Bauchdecke traten.
Aries, dem das nicht entging, grinste breit. „Mein kleiner Bruder ist auch wach, ja?“
„Oder dein Schwesterchen“, setzte sie verträumt lächelnd hinzu.
„Nein, ich will lieber einen Bruder“, widersprach der Bub sofort. „Mädchen sind blöd.“
„Wenn du älter bist, wirst du anders denken, glaube mir. Zeit aufzustehen, dein Vater wartet mit dem Frühstück.“
Flugs war Aries auf den Beinen. Sie half ihm dabei, sich anzuziehen, während er unablässig davon plapperte, was er mit seinem kleinen Bruder, der Joval heißen sollte, alles machen würde. Er war ein Kind des Friedens, dessen Sorgen sich darauf beschränkten, ob der Tag lang genug war, um auf dem Fest alles zu sehen und zu erleben, was es dort gab. Auch unten beim Küchentisch hörte er nur auf zu reden, wenn er von seinem belegten Mapa-Brot abbiss. Kira bekam kaum mit, was er wie ein Wasserfall erzählte, weil ihr immer noch Bareils Worte in den Ohren klangen. Wie konnte es sein, dass sich das Geschick Bajors ohne ihren Anteil so verändert hatte? Sie war nur eine Soldatin, eine von vielen und ersetzbar.

Auf dem Hauptplatz von Hathon schienen sich alle Einwohner des ganzen Landkreises versammelt zu haben. Trauben von Bajoranern scharten sich um die einzelnen Stände, die neben Erinnerungsstücken, Essen und Getränken auch verschiedene lustige Aktivitäten für Kinder und Erwachsene boten. Es war ein Feuerwerk aus bunten Farben und ausgelassenen Stimmen. Nachdem Bareil und Kira ihre Schriftrollen verfasst und in eins dafür aufgestellten Feuer geworfen hatten, in denen auch Bateret-Blätter verbrannt wurden, die ihren aromatischen Duft verströmten, wandten sie sich dem Treiben um sich herum zu. Zwischen den vielen Festbesuchern patrouillierten immer wieder Sicherheitskräfte in den ockerfarbenen Uniformen des bajoranischen Militärs. Aries hatte schon die ganze Zeit einen Stand ins Auge gefasst, bei dem man mit einem Ball auf eine Pyramide aus hölzernen Würfeln schießen konnte. Freilich zogen ihn mehr die vielen Preise an, die es zu gewinnen gab, als das Spiel selbst. Auf dem obersten Regal, wo die Dinge standen, für die man die meisten Punkte benötigte, hatte der Junge das Modell eines alten Solarseglers entdeckt, das ihn faszinierte. Er zupfte seinen Vater vehement am Ärmel im Versuch, ihn zum Mitspielen zu bewegen.
„Bitte Papa, bitte“, maulte er, während Antos hart blieb.
„Ich werde es versuchen“, gab Kira an seiner Stelle nach und trat vor den Stand.
Bareil rollte mit den Augen, während er ein paar Münzen aus der Tasche fischte. „Bist du sicher, dass du weißt, was du tust? Du warst noch nie gut bei solchen Spielen.“
„Es soll auch nur Spaß machen, oder?“ Sie blickte ihn herausfordernd an.
Der Ball lag weich in ihrer Hand. Es war ein kleines Wurfmesser, das ihr schon öfter das Leben gerettet hatte. Der erste Versuch musste das Ziel treffen, eine zweite Chance gab es nicht. Sie fixierte die Holzwürfel, den ungeschützten Hals eines cardassianischen Soldaten. Eine leichte Bewegung aus dem Handgelenk schickte den Ball auf den Weg. Er traf den Schlüsselstein, der die ganze Pyramide in sich zusammenfallen ließ. Der ältliche Bajoraner auf der anderen Seite des Standes stöhnte leise und händigte ihr widerwillig das Modellschiff aus, das Aries ihr sofort mit glänzenden Augen abnahm.
„Ich bin beeindruckt.“ Antos grinste sie an. „Hast du das Zielen etwa auch in der Klosterschule gelernt?“
„So in etwa“, gab sie zurück. Ihre Widerstandskollegen bei der Shakaar hatten es ihr beigebracht, so wie viele andere Dinge, die eine Halbwüchsige nicht wissen sollte. Sie griff nach seiner warmen Hand, die zu halten ein wunderbares Gefühl war, das sie von Erinnerungen an Cardassianer und Waffen ablenkte.

Das langsame Umherschlendern hatte Kira nach einiger Zeit müde gemacht. Lange auf den Beinen zu sein, fiel ihr mit dem rundlichen Bauch schwer. Sie saß nun, mit Aries’ halbaufgegessenem Jumja-Stick in einer Hand und dem Modellsegler auf dem Schoß, vor dem sich drehenden Karussell auf einer Bank. Der Junge winkte ihr jedes Mal begeistert zu, wenn er auf seinem Sitz ein paar Meter über ihr vorbei schwebte. Bareil setze sich neben sie und blickte sie von der Seite her an.
„Wo warst du?“
Er lächelte breit. „Bei den Ständen dort drüben. Das hier ist für dich, weil du für mich das kostbarste Geschenk bist.“
Überrascht bemerkte sie in seiner Hand eine lichtblaue Perle, die an einer filigranen silbernen Kette hing. Antos legte ihr das Schmuckstück um den Hals, wo es an ihrem Dekolletee anziehend glitzerte. Zutiefst gerührt über die Geste und seine Worte, wollte sie etwas erwidern, doch in diesem Moment vernahmen beide Lärm, der nicht zu dem konstant ausgelassenen Geräuschpegel des Festes passte. Einige Kerripates entfernt am Rand des großen Brunnens im Zentrum des Platzes stand eine Gruppe von Bajoranern, die sich offensichtlich in einer hitzigen Debatte verstrickt hatten. Kira versteifte sich unwillkürlich, als sie zwei der Männer, einer hochgewachsen und dunkelblond, der andere ein bulliger verwegener Charakter, sowie die große Frau mit dem wilden roten Haar erkannte. Shakaar! Furel und Lupaza - beide waren höchst lebendig! Ihre vier wütend aussehenden Kontrahenten trugen an der Brust deutlich sichtbar das Symbol des Kreises. Anhänger von Jaro. Sie widerstand mühsam der Versuchung, sich an die Seite ihrer Freunde zu stellen, die sie in dieser Realität freilich nicht erkennen würden.
„Warte hier auf Aries“, bat Bareil sie nachdrücklich. „Ich bin gleich zurück.“
„Antos, überlass das den Sicherheitskräften“, beschwor sie ihn besorgt.
Die Männer, die Shakaar und seinen Begleitern gegenüber standen, wirkten nicht empfänglich für die Diplomatie eines Geistlichen. Er legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter, ehe er sich umwandte und in Richtung der Debattierenden ging. Unsicher folgte ihr Blick jedem seiner Schritte. Durch den allgemeinen Trubel und die Entfernung vermochte sie nicht zu verstehen, was gesprochen wurde, als er zwischen die beiden streitenden Parteien trat. Mimik und Gestik verrieten ihr jedoch, dass seine Vermittlungsversuche keinen Erfolg verhießen. Auf einmal stieß ihn der Hüne, der die Kreis-Anhänger anzuführen schien, grob beiseite. Furel verlor die Beherrschung und attackierte den Angreifer seinerseits mit der verbliebenen mächtigen Faust. Von beiden Seiten versuchten Shakaar und Lupaza vergeblich ihn zurückzuhalten.
„Mama, ich will noch mal!“
Kira starrte Aries an, der mit geröteten Wangen vor ihr aufgetaucht war und sie aus seinen großen braunen Kinderaugen voller Begeisterung musterte.
„Vielleicht später.“ Ohne weiter zu überlegen, drückte sie ihm den Jumja-Stick in die Hand und zog ihn an der anderen mit sich. Mittlerweile brüllten die Bajoraner einander lautstark an, sodass die Worte schon zu verstehen waren, ehe sie mit dem Buben die Gruppe erreichte.
Furel, der dem Hünen an Körperkraft überlegen war, hatte es geschafft, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. „Du wirst dich bei Vedek Bareil entschuldigen!“
Der dunkelhaarige Mann spuckte nur verächtlich aus. Seine drei Begleiter stürzten sich gleichzeitig auf den Gegner, um ihn gemeinsam niederzuringen.
„Hört auf!“ schrie Kira, sich völlig vergessend.
Bareil wirbelte erschrocken zu ihr herum. „Bitte geh, Nerys!“
„Ihre reizende Gemahlin, nehme ich an?“ Der stattliche Bajoraner schlich lauernd um sie herum, wie ein Raubtier um seine Beute. Ängstlich klammerte sich Aries an sie. „So einen Umgang sollte jemand wie Sie nicht pflegen, meine Liebe. Was für ein Vorbild ist das für Ihren Sohn?“
„Freiwillig gibt sich keiner von uns mit euch Unruhestiftern ab“, brummte Lupaza verdrießlich. „Jaro kann stolz darauf sein, so mutige Anhänger um sich zu haben, die zu dritt auf einen Mann losgehen, dem ein Arm fehlt.“
Mit einer raschen Kopfbewegung signalisierte der Hüne seinen Begleitern, Furel in Ruhe zu lassen. Dieser richtete sich schwer atmend mit blutverschmiertem Gesicht auf. Unbeherrschter Zorn schimmerte in seinen Augen, als er erneut auf den Kreis-Anhänger losging. Alles geschah so schnell, dass Kira keine Zeit blieb, einen rationalen Gedanken zu fassen. Der dunkelhaarige Bajoraner hielt auf einmal ein glänzendes Messer in der Hand, mit dem er seinen unbewaffneten Gegner angriff. Im Versuch ihrem Gefährten zur Hilfe zu eilen, warf Lupaza sich zwischen die Streitenden. Die Klinge fuhr bis fast zum Heft in ihren Leib. Furel schrie wie ein verwundetes Tier, als sie stöhnend zu Boden sank. Den Tod ihrer Freundin, die früher fast wie eine Mutter für sie gewesen war, zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit zu erleben, ertrug Kira nicht. Dies war nicht ihr Bajor. Und der Bub, den sie nachdrücklich in Bareils Arme schubste, war nicht ihr Sohn. Nicht von alldem entsprach der Wirklichkeit in ihrem Inneren. Das Modell des Solarseglers zerbrach scheppernd auf dem Boden, als sie es fallen ließ, um das neben Lupazas reglosem blutenden Körper liegende Messer zu ergreifen. Gebrochen hockte Furel bei seiner Gefährtin und die anderen Männer standen verdattert im Kreis um die beiden herum. Die Szenerie hatte bereits eine Menge von Schaulustigen angelockt. Kira schleuderte die Klinge mit aller Kraft gegen den Hünen. Er war zu perplex, um den Angriff kommen zu sehen, und mit einem hässlich schmatzenden Geräusch durchstieß die scharfe Waffe seinen Kehlkopf. Hellrotes Blut strömte aus der Wunde, während er wie in Zeitlupe nach hinten kippte. Der milde sonnige Tag, der so angenehm begonnen hatte, verschwamm in Farben und Formen. Licht und Dunkelheit flossen ineinander. Von einem unbestimmten Ort klang die hallende Stimme Opakas.

Abrupt hob Kira den Kopf. Sie hockte auf dem staubigen Boden in der Düsternis einer schäbigen Behausung. Ein Sammelsurium technischer Gerätschaften beanspruchte nahezu jeden freien Platz in dem muffigen Raum. Bilder jagten durch ihren Geist. Latha Mabrin, der sich zum Gebet niederkniete, ehe eine Explosion aus Flammen ihn verschlang. Ein gepflegter Garten vor einem hübschen Wohnhaus. Die verkohlten Überreste Trentin Falas auf der Transporterplattform des Runabouts. Das vor Aufregung gerötete Gesicht eines kleinen Jungen. Das klaffende Loch in der Außenwand des Quartiers der O’Briens. Antos, der sie voller Liebe anlächelte. Silaran Prins entstellte und von Rachegelüsten verzerrte Züge. Eine silberne Kette mit einem lichtblauen Stein um ihren Hals. Sie ertastete nur den Kragen ihrer Uniform. Was war wirklich? Was existierte nur in ihrem Kopf? Hatte Opakas pagh ihr tatsächlich so etwas wie eine zweite Chance gewährt? Eine Möglichkeit zu sehen, was vielleicht hätte sein können. Die Aussicht eine Familie mit dem Mann zu haben, den sie einst so geliebt hatte, und ihr eigenes Baby in sich zu spüren, war unglaublich verlockend. Doch es blieb eine Lüge. Ein Bajor, das von Jaros Kreis, von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit beherrscht wurde, war keines, zu dem sie gehören mochte. Jetzt endlich begann sie zu begreifen, dass die Propheten sie stets auf ihrem Weg geleitet hatten. All die Kämpfe, die Gewalt und die ständige Gegenwart des Todes waren ihr Schicksal, ein Teil von ihr, und hatten sie zu dem gemacht, was sie nun war. Eine Soldatin. Eine Kriegerin. Ein Faden im verworrenen Geschick ihres geliebten Bajors.
Das vertraute Surren des Transporters durchbrach die drückende Stille und drang wie durch einen dicken Nebelschleier in Kiras Gedankenwelt. Drei Gestalten rematerialisierten sich in unmittelbarer Nähe. Erst als das besorgte Gesicht Doktor Bashirs direkt vor ihr erschien und er begann, sie mit einem medizinischen Tricorder zu scannen, bemerkte sie wirklich, dass sie nicht länger allein war. Sisko und Odo begleiteten den Arzt. Selbst im wächsernen Gesicht des Formwandlers glaubte sie eine Spur von Erleichterung zu erkennen. Dankbar sah sie zu ihren Kollegen, ihren Freunden auf, die sie gesucht und gefunden hatten Der dunkelhäutige Mensch, dem sie einst mit so viel Misstrauen begegnet war, reichte ihr die Hand, um ihr auf die Beine zu helfen. Das war die Welt, in die sie gehörte. Sie zweifelte nicht mehr.
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