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Nicht der Hauch einer Chance

von Gabi

Kapitel 2

Der Morgen kam viel zu früh. Der Zauber der Nacht, das Gefühl des unberührbaren Zwischenlebens wurde unbarmherzig von der aufgehenden Sonne vertrieben. Klar und hell stand sie am Himmel; klar und hell beleuchtete sie die Situation, in der sich die beiden befanden.
Shakaar erhob sich, wobei er Serinas Oberkörper behutsam aufrichtete. Sie war es nicht gewohnt, auf hartem Felsuntergrund zu schlafen und hatte sich so viel wie möglich von Shakaars Brust als Unterlage genommen. Als sie jetzt verschlafen in die Sonne blinzelte, wirkte sie wie ein kleines Mädchen, das sich verlaufen hatte. Sie hatte nicht genügend geschlafen, und der Schlaf, den sie gefunden hatte, war unruhig gewesen. Ein wenig apathisch beobachtete sie nun Shakaar, wie dieser seine Muskeln dehnte, um die Verspannungen durch den ungemütlichen Schlafplatz und ihr zusätzliches Gewicht wieder aus ihnen herauszubekommen.
Sie strich sich ihr Haar aus den Augen, die Szenerie um sie herum erschien ihr wie ein Traum und sie war sich noch nicht im Klaren darüber, ob es ein guter oder ein schlechter Traum war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr wieder völlig bewusst war, wo sie sich befand und was geschehen war. Als es schließlich deutlich vor ihrem Bewusstsein stand, stöhnte sie auf.
Shakaar beendete sofort seine Dehnungen und kniete sich zu ihr hinunter. „Serina?“
„Dir zur Flucht zu verhelfen ist ein Kapitalverbrechen“, erklärte sie tonlos, so als sei ihr dies erst jetzt richtig bewusst geworden.
Er nickte, während er ihr half, die widerspenstigen Haare in eine gewisse Ordnung zu bringen. Das cardassianische Rechtssystem war sehr streng - worauf die Cardassianer stolz waren. Was Serina getan hatte, konnte zu einer Verurteilung führen, falls sich ihr Vater und dessen Bekannter nicht vorgenommen hatten, den Vorfall zu verschweigen. Und das war ein Punkt, über den Serina erst Gewissheit haben würde, wenn sie zurückgekehrt war.
„Du musst rasch zurück und...“, er stolperte wieder über die Worte und beschloss, sehr langsam auf Bajoranisch weiterzusprechen, ihr Nicken versicherte ihm, dass sie verstand. „Du musst ihnen sagen, dass ich dich gezwungen habe, du hattest keine andere Wahl...“
„Als ihnen die Tür ins Gesicht zu schlagen?“ fragte sie ungläubig. „Du warst auf der anderen Seite des Raumes und hattest keine Waffe. Wie hättest du mich dazu zwingen können?“
„Gehirnwäsche?“ schlug Shakaar ein wenig hilflos vor. „Ich habe dich mit einem bajoranischen Zauber belegt... erzählt man sich so etwas nicht vielleicht über unsere Religion?“
„Nicht dass ich etwas davon gehört hätte.“
Er setzte sich. „Dann sag die halbe Wahrheit. Ich habe dich verführt, um die Möglichkeit zur Flucht zu erhalten oder um deinem Vater eins auszuwischen. Du bist noch jung, sie werden es dir nachsehen.“
„Aber das stimmt doch überhaupt nicht!“
„Und? Diese kleine Notlüge wird meine Reputation bei deinen Leuten sicherlich nicht verschlimmern. Das macht überhaupt nichts aus“, merkte er mit einem schiefen Lächeln an.
„Dir vielleicht nicht - aber mir.“
„Aber du bist noch jung und unerfahren, ich habe meine Tricks. Es wäre keine Schande für dich, wenn du...“
„Doch nicht der Teil“, entgegnete sie heftig. Sie zeichnete mit dem Finger Kreise auf den Boden. „Ich will keine Lügen über dich verbreiten. Ich könnte es nicht...“
„Serina, sieh mich an.“ Shakaar fasste ihr für ihn so ungewohnt gewachsenes Kinn und zwang ihr Gesicht nach oben. „Es geht jetzt nicht um die Ehre von irgendjemandem. Ich werde keinen Unterschied für mich bemerken. Aber für dich hängt sehr viel davon ab, was du deinem Vater erzählst. Es geht jetzt um dein Leben, nicht um meines.“ Als ihr Ausdruck nicht einsichtiger wurde, legte er die freie Hand auf seine Brust und fügte hinzu: „Wir beide wissen, was wir empfinden. Ist das nicht das einzige, was zählt?“
Sie machte ihr Kinn aus seiner Hand frei. „Ich soll also zurück, den schlechten Berichten über dich einen weiteren hinzufügen und dich dann vergessen und mein Leben fortführen?“
„Ganz genau.“
„Und an das, was ich dabei fühle, denkst du überhaupt nicht?“ wollte sie wissen, der Trotz in ihrem Gesicht wurde deutlich von dem Schlucken gestört, mit welchem sie krampfhaft versuchte, ihre Tränen unten zu halten.
Shakaar stöhnte auf. „Natürlich denke ich daran, Serina. Aber bitte sei vernünftig und versuch dir für den Moment einmal vorzustellen, wie deine Zukunft aussehen wird.“
„Das ist mir gleichgültig“, murmelte sie. Ihr Blick senkte sich wieder zu den Kreisen auf dem Boden, die noch im Gesteinssand zu sehen waren.
Er schüttelte den Kopf, so dass sie es nicht sehen konnte. Warum hatten die Propheten ihn mit dieser Situation schlagen müssen? Es konnte sich dabei nur um die Strafe dafür handeln, dass er gestern Abend nicht widerstanden hatte. Serinas Gedankengänge schienen sich in ihren eigenen Bahnen zu bewegen, was außerhalb davon lag, interessierte sie überhaupt nicht. Aber es war Shakaars Pflicht, das Leben der jungen Frau nicht noch weiter zu ruinieren. Mit einem lauten bajoranischen Fluch erhob er sich.
Serina blickte erschrocken auf und wich ein wenig zurück. Sie war sich nicht sicher, ob Shakaars Ausbruch ihr gegolten hatte oder der Situation im Allgemeinen. Sie wollte ihn nicht gegen sich aufbringen. Sie würde es nicht ertragen, wenn er wütend auf sie wurde. Doch sie konnte jetzt auch nicht einfach gehen, ihrem Vater erzählen, dass der bajoranische Hund sie für seine eigenen Zwecke getäuscht hatte. Sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte. Sie hatte Angst vor ihrem Vater, sie hatte Angst vor Shakaar, doch die meiste Angst hatte sie vor ihren eigenen Gefühlen. Was immer in sie gefahren war, diesen fremden Bajoraner anzuflehen, mit ihr zu schlafen, sie konnte es nicht mehr sagen. Sie hatte die Erfahrung haben wollen, ja, sie hatte höchstwahrscheinlich mit dem Gedanken gespielt, vor ihren Freundinnen damit angeben zu können, dass sie einen Exoten hatte verführen können. Es hätte ein Spiel werden sollen, es war ihr klar gewesen, dass er sie am nächsten Tag verlassen würde und sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekam. Genau deswegen hatte sie ihn ja darum gebeten. Es war sicherer so.
Doch das war davor gewesen. Sie wollte nicht mehr, dass er ging.
Vielleicht entstand das Gefühl in ihr aus Verzweiflung, vielleicht aus völlig überzogenen romantischen Vorstellungen, vielleicht als Fluchtgedanke - sie besaß keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, um das sagen zu können. Sie fühlte sich alleine gelassen mit all dem Tumult in ihrem Herzen, alleine in dieser unwirtlichen Gegend, alleine mit einem Mann, der sie nun sicherlich hassen musste - und sie hatte nicht richtig schlafen können, weil alles um sie herum zu kalt, zu hart und zu unheimlich gewesen war.
Die Tränen brachen unkontrolliert aus ihr hervor.
Shakaar war augenblicklich an ihrer Seite. Die Flüche, die er nun murmelte, waren um etliches leiser als der erste, der Serina so erschreckt hatte.
„Shhhh, hör auf zu weinen“, bat er sie. Er zog sie in seinen Schoß und wiegte ihren Körper ein wenig wie bei einem Baby. „Das ist alles kein Beinbruch. Sobald du wieder bei dir Zuhause bist und eine Nacht darüber geschlafen hast, wirst du auch erkennen, dass alles nur halb so schlimm ist. Ich bringe dich jetzt in die Stadt zurück...“
„Ich liebe dich.“ Sie sagte es nur zögerlich, so als ob diese Worte ans Licht der Sonne gezerrt jegliche Berechtigung verlören - und sie sagte es auf Bajoranisch.
Er senkte seinen Kopf in ihr Haar. „Oh, Serina. Das meinst du nicht so... du bist durchein...“
Ihre Hand tastete sich an seinem Kiefer entlang und hielt ihm den Mund zu. „Sei still, bitte sei still! Ich will nicht, dass du es zerredest.“
Und Shakaar schwieg. Da war nichts mehr, was er hätte sagen können - oder dürfen. Er hielt sie fest, solange bis sie keine Tränen mehr in sich finden konnte und danach noch ein wenig länger.

Der Weg den Berg hinauf nahm sich beschwerlich an und sie waren die ganze Zeit über der Sonne ausgesetzt, die heiß auf die Felslandschaft hinunter brannte. Wenn auch die Hitze Serina nichts ausmachte, da sie ein wärmeres Klima von ihrem Heimatplaneten her gewohnt war, so taten das Geröll, die scharfen Felskanten und das Gestrüpp ihren Teil. Als Shakaar schließlich stehen blieb, glaubte die junge Frau, dass ihre Beine ein einziges Meer von Wunden sein mussten. Aber sie hatte im Moment nicht die Kraft, an sich hinunter zu sehen. Sie wusste nicht genau, warum Shakaar angehalten hatte, aber es tat gut, schenkte es ihr doch einen Moment, in dem sie sich an den breiten Rücken des Bajoraners lehnen und das Gewicht ein wenig von ihren Füßen nehmen konnte.
Der Grund für Shakaars Pause offenbarte sich augenblicklich. Weiter oben am Hang löste sich eine Gestalt aus den Felsen, mit denen sie bisher für einen Vorbeikommenden völlig unsichtbar verschmolzen war. Die Waffe war auf die beiden Ankömmlinge gerichtet.
„Shakaar? Shakaar Edon...?“
Er hob seine Hände und beschirmte die Augen vor der Sonne. „Nerys? Bist du das?“
„Edon!“ Die Gestalt ließ die Waffe sinken und kam rasch den Hang hinunter gesprungen. „Den Propheten sei Dank, wir waren in Sorge um dich. Wir haben dich nicht mehr orten...“ Sie war nun bei ihm angekommen, doch als sie ihm um den Hals fallen wollte, bemerkte sie die Gestalt hinter ihm. Kiras Augen verengten sich gefährlich als sie das schwarze Haar und die geschuppte Haut erkannte. „Was hat das zu bedeuten?“ Ihre Waffe hob sich augenblicklich zu Shakaars Brust. „Wenn du glaubst, ich lasse mich vom Äußeren täuschen, dann kannst du dir jemanden anderes suchen. Beweis es mir!“
Er lächelte ein wenig über Kiras Misstrauen, doch sie hatte recht: Vertrauen konnte in diesen Zeiten tödlich sein.
„Ich könnte dir 1000 Begebenheiten über dich erzählen, die kein Cardassianer wüsste...“
„Dann fang damit an“, sie schwenkte den Lauf des Phasers ein wenig vor seiner Brust, um ihm zu zeigen, dass sie nicht die Absicht hatte, irgendwelche Geduld an den Tag zu legen. „Ich sage dir, wann es genug ist.“
Shakaar nickte ergeben. „Die Kira Nerys, die ich kenne, besitzt ein reizendes dunkles Muttermal, das man nur sehen kann, wenn man zufälligerweise hinter ihr steht, während sie sich zum Haare waschen in einem Teich vorbeugt. Es liegt an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels direkt an...“
„Okay! DAS ist genug.“ Kira presste ihm mit einem Grinsen die Phasermündung in die Brust, diesmal um ihm zu verdeutlichen, dass er den Mund halten sollte. „Jede normale Person hätte mit irgendetwas Zivilisiertem angefangen - du musst echt sein!“ Dann steckte sie den Phaser in ihren Gürtel und löste ein Detektionsgerät aus seinem Holster. Sie packte Shakaars rechten Arm, um einen Bereich knapp unterhalb seiner Schulter zu scannen. Der Mann zuckte mit einem kleinen Aufschrei zurück.
„Er war gebrochen, Nerys“, erklärte er vorwurfsvoll, während er sich den Oberarm rieb.
„Das erklärt, warum wir kein Signal mehr erhalten haben.“ Kira betrachtete die Werte auf ihrem Scanner unberührt von Shakaars Beschwerde. „Der Sender ist beschädigt.“
Serina hatte das Zusammentreffen der beiden Bajoraner nur verwundert betrachtet. Die beiden sprachen viel zu schnell, als dass sie hätte verstehen können, um was es ging. Hier und da schnappte sie ein ihr bekanntes Wort auf. Als Shakaar jetzt jedoch seinen Arm hielt, konnte sie nicht mehr nur untätig hinter ihm stehen. Sie nahm allen Mut zusammen und trat zwischen ihn und die fremde Bajoranerin.
Kira sah überrascht von den Anzeigen auf. Ihre Lippen formten ein stummes „Was?“. Dieses zierliche Mädchen, das deutlich entkräftet war, stellte sich vor sie, um - sie blickte zu Shakaar empor - diesen Berg von Bajoraner vor ihr zu schützen. Beinahe hätte Kira laut aufgelacht.
Sie steckte ihren Scanner nun ebenfalls zurück in den Gürtel. „Edon, würdest du mir jetzt bitte erklären, wer das hier ist?“
„Lass uns zuerst ins Lager gehen, dann muss ich es nicht zweimal sagen.“
Sie nickte und begann, den Hang wieder hinaufzusteigen, den sie vorher hinuntergekommen war.
Shakaar strich der Cardassianerin über die Haare. „Schaffst du es?“ fragte er sie in ihrer Sprache. „Es ist nicht mehr weit.“
Serina nickte tapfer, nur um zwei Schritte später mit ihrem Fuß umzuknicken. Shakaar konnte sie gerade noch auffangen. Mit leichtem Kopfschütteln packte er ihren schmalen Körper und hob sie seinem rechten Arm zum Trotz hoch. Dann setzte er mit großen Schritten der davoneilenden Kira Nerys nach.
Im Lager angekommen versammelte sich in kürzester Zeit der Großteil der Gruppe um ihren Anführer. Seit Shakaars Verschwinden vor ein paar Tagen waren sie in fieberhafter Suche nach ihm gewesen. Dass der Sender, der jedem Widerstandskämpfer eingepflanzt wurde, bei ihm nicht zu orten war, hatte ihre Suche nicht gerade vereinfacht. Nun waren sie hin und her gerissen zwischen der Erleichterung, ihn unversehrt wieder in ihrer Mitte zu wissen, und der misstrauischen Neugierde darüber, dass er eine Cardassianerin mitgebracht hatte.
Shakaar hatte Serina abgesetzt und hob nun seine Arme, um das Gemurmel zum Verstummen zu bringen.
„Ich bin froh, wieder hier zu sein“, begann er, woraufhin er zustimmende Rufe erntete. „Aber...“ Die Kämpfer wurden ruhiger. „Es war leichtsinnig, das Lager nicht sofort nach meinem Verschwinden zu räumen. Ich kann es euch nicht oft genug erklären: Wir müssen unsere Stellung sofort ändern, wenn einer von uns nicht mehr zurückkommt. Die Gefahr ist viel zu groß, dass die Cardassianer einen Überfall starten...“
„Keiner hier glaubt, dass du irgendwas verrätst, Edon!“ Shakaar erkannte die rothaarige Lupaza als Ursprung des Einwurfes.
„Das ehrt mich zwar“, bemerkte er in ihre Richtung gewandt. „Aber ist dennoch keine Entschuldigung. Ich will, dass das in Zukunft nicht mehr vorkommt.“ Er wartete das allgemeine Nicken ab. Dann atmete er tief durch. „Ihr habt bemerkt, dass ich nicht alleine gekommen bin.“ Dieser Umstand war sicherlich niemandem aus der Gruppe entgangen. „Ihr Name ist Serina...“
Das Mädchen sah bei der Nennung ihres Namens unsicher zu Shakaar auf. Wie vorher verstand sie so gut wie nichts von dem, was um sie herum gesprochen wurde. „Sie hat mir das Leben gerettet und sich selbst dabei in große Gefahr begeben. Sie wird hier im Lager bleiben, bis ich mir darüber im Klaren bin, was ich mit ihr mache. Sie versteht unsere Sprache, wenn wir langsam sprechen, spricht selbst aber nur Cardassianisch. Ich will, dass sie hier wie ein Gast behandelt wird und nicht wie eine Gefangene. Wer ihr ein Haar krümmt, verantwortet sich vor mir persönlich. Ist das klar?!“ Herausfordernd betrachtete er die Menge. Wer immer sich seiner Entscheidung entgegenstellen wollte, der sollte es hier und jetzt tun. Doch wie erwartet kam keine Widerrede. Einige nickten, andere betrachteten Serina. Wenn sie wirklich ihrem Anführer das Leben gerettet hatte, dann sollte sie für den Moment geduldet werden - Cardassianerin oder nicht.
Als sich die Versammlung wieder auflöste, kamen Shakaars engste Kampfgefährten auf ihn zu. Lupaza und Furel umarmten ihn nacheinander, während Kira grinsend daneben stand.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es einmal so gut tun könnte, dich vor dem Mittagessen zu sehen“, bekannte Lupaza.
Shakaar schlug ihr gut gelaunt auf die Schulter. „Charmant wie immer, meine Liebe.“ Dann wandte er sich an Serina, die immer noch verschüchtert an seiner Seite stand, und sagte betont langsam. „Komm, wir sehen uns jetzt einmal deine Beine an, und dann brauchst du dringend etwas zu essen und einen Platz um zu schlafen. Du siehst aus, als wolltest du mir jeden Moment wegkippen.“
Sie nickte nur, sie war sich immer noch nicht sicher, was sie aus dieser Situation machen sollte. Die Bajoraner erschienen ihr zwar nicht direkt feindselig, aber es war nicht zu übersehen, dass sie ein Eindringling war, und nicht unbedingt erwünscht.
Die drei anderen Bajoraner begleiteten sie in einen der hinteren Bereiche der Höhlen, die sie momentan als Stützpunkt verwendeten. Hier war es ruhiger, da nur die vorderen Bereiche als Durchgang benutzt wurden.
„Haben wir zurzeit Wasser?“
Furel bejahte und machte sich daran, eine Schüssel zu besorgen. Kurz darauf saß Serina auf einigen Decken, Kira hielt ihre zerschlissenen Schuhe in der Hand, die diese gedachte gegen brauchbare Stiefel auszutauschen, und Shakaar wusch das Blut und den Staub von ihren Unterschenkeln und Füßen. Es stellte sich heraus, dass sie nur oberflächliche Schnittwunden hatte, die leicht mit einem Hautgenerator verheilt werden konnten.
Nach einem leichten Essen, während welchem Shakaar der jungen Frau seine Begleiter vorstellte, drängte er sie dazu, sich hinzulegen und den Schlaf zu suchen, den sie in der letzten Nacht nicht gefunden hatte. Doch Serina war zögerlich. Shakaar war nun wieder in seiner gewohnten Umgebung, doch für sie war es so fremd wie es nur sein konnte. Die Decken waren zwar weicher als der glatte Fels, aber von bequem waren sie dennoch weit entfernt. Sie war es nicht gewohnt, in einer Höhle zu schlafen. Sie vermisste einen klimatisierten Raum. Es verschreckte sie, dass sich so viele Leute um sie herum in einer Sprache unterhielten, die sie nicht verstand. Und was würde geschehen, wenn sie nun schlief? In was für eine Umgebung und Situation hinein würde sie wieder erwachen? Was, wenn Shakaar fort war und sich nur noch feindliche Terroristen um sie herum befanden? - Was hatte sie bloß darauf bestehen lassen, mit ihm mitzukommen? Sollte er am Ende doch recht haben? War sie hoffnungslos romantisch?
„Bitte, lass mich nicht alleine.“ Sie streckte ihre Arme nach ihm aus, während er sie zudeckte. Shakaar warf einen kurzen, etwas unangenehm berührten Seitenblick auf seine Gefährten, beugte sich dann aber doch zu ihr hinunter. „Ich lasse dich nicht allein. Ich werde um die Ecke sein. Wenn du mich brauchst, rufst du und ich komme.“ Er küsste sie auf die Stirnzeichnung.
Ihre Hände schlossen sich in seinem Nacken. „Versprochen?“
„Ich schwöre es dir bei den Propheten.“
Sie zog seine Lippen auf die ihren und küsste ihn intensiv. Hinter Shakaars Rücken starrten sich die drei anderen überrascht an. Lupaza vollführte mit der Hand ein paar obszöne Gesten in Kiras Richtung, doch diese zuckte nur mit den Schultern.
Schließlich erhob sich Shakaar wieder vom Lager. Es dauerte genau so lange bis sie um jene erwähnte Ecke gebogen waren, bevor Lupaza ihm den Weg versperrte. „Okay, jetzt raus mit der Sprache. Was ist zwischen euch beiden?“
Shakaar ließ sich auf einer der provisorischen Bänke nieder und rief einem der Vorübergehenden zu, dass er einen Arzt und einen Techniker bräuchte, die nach seinem Implantat sahen. Dann sah er zu seinen drei Gefährten auf, die ihn im Halbkreis umringt hatten.
„Setzt euch erst einmal.“
Sie taten wie ihnen geheißen. „Und?“
„Ich habe einen Fehler begangen“, gestand er, dann erzählte er, was sich in der Woche ereignet hatte. Als er bei der letzten Nacht angekommen war, konnte Lupaza sich natürlich eine entsprechende Bemerkung nicht verkneifen. „Du hast mal wieder mit dem falschen Körperteil gedacht, Edon.“
Er funkelte sie böse an. Wenigstens einmal wäre er gerne vor ihrer spitzen Zunge sicher. „Das ist nicht sonderlich hilfreich, Lupaza“, bemerkte er verärgert.
„So wenig wie eine Cardassianerin in unserem Einsatzlager“, konterte sie unbeeindruckt.
„Was hast du mit ihr vor?“ fragte Kira dazwischen, um zu verhindern, dass die beiden womöglich aneinander gerieten.
Er wirkte unsicher, als er sie anblickte. „Ich weiß es nicht. Sie muss zu ihrer Familie zurück, aber das muss sie erst einmal selbst einsehen. Ich kann sie unmöglich den gesamten Weg in die Stadt zurück schleppen. Sie...“, er stockte und warf Lupaza einen kurzen vernichtenden Blick zu, der jeden dummen Kommentar verbot. „glaubt, dass sie mich liebt.“
Lupazas geflüstertes „Armes Ding“ war nur von dem neben ihr sitzenden Furel zu verstehen. Laut meinte sie: „Und was ist mit dir? Wie stehst du zu ihr?“
„Ich könnte ihr Vater sein.“
„Das mag zwar stimmen, beantwortet die Frage aber nicht.“ Lupaza breitete abwehrend die Handflächen aus, als Shakaar auffahren wollte. „Das war nur eine neutrale Bemerkung, Edon.“
Kira beobachtete die beiden nachdenklich. Normalerweise steckte Shakaar Lupazas Foppereien mit einem Schulterzucken weg. Heute war er ungewohnt angespannt. Die Sache mit dem Mädchen musste ihn mehr mitnehmen, als er es vor ihnen gestehen wollte. Als er jetzt meinte: „Ich mag sie, aber ich würde sie lieber weit fort in der Stadt wissen.“ war sie sich nicht sicher, ob er das wirklich meinte. Mit gemischten Gefühlen sah sie dem Moment entgegen, an welchem die rosaroten Träume zerplatzten. Und wenn Serina nicht so bald wie möglich das Lager verließ, würde er rasch eintreffen.

Der neue Morgen war kühler als der letzte. Serina hatte sich eine Decke um die Schultern geschlungen, als sie aus dem Höhleneingang trat. Sie trug immer noch das dünne weiße Kleid, welches sie ausgesucht hatte, um möglichst anziehend auf den Bajoraner zu wirken. Es war weder für Bergtouren noch für Nächte in Höhlen gedacht gewesen. Alles wirkte so irreal. Sie befand sich mitten unter den Mitgliedern einer gesuchten Terroristengruppe, deren Anführer sie zur Frau gemacht hatte. Wider Erwarten hatte sie gestern Mittag durchgeschlafen. Erst spät in der Nacht war sie aufgewacht, verwirrt und unsicher, wo sie sich überhaupt befand. Im Rest der Höhle war es still gewesen, so war sie herumgeschlichen. Sie war überrascht gewesen, dass die Bajoraner genauso unkomfortabel wie sie selbst schliefen. Keine Betten, keine abgeteilten Räume, nichts. Die einzige Privatsphäre lag in dem Abstand, in welchem man seine Decke zu seinem Nebenmann für die Nacht aufschlug. Serina konnte sich nicht vorstellen, so zu leben. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht gehabt, wie die „abtrünnigen Bajoraner“ lebten, wie sie ihr Vater immer genannt hatte. Die meisten hatten ihre Alltagskleidung noch an, lediglich die Stiefel waren ausgezogen. Der Geruch in der großen Höhle war entsprechend abgestanden. Sie hatte schließlich Shakaar in einer Ecke ausmachen können und war zu ihm hinübergegangen. Der Mann war bei ihrer Annäherung aufgewacht, sein Schlaf konnte nur leicht gewesen sein. Er hatte seine Decke zusammengerollt und war mit ihr in einen weiter entfernt gelegenen Ausläufer des Höhlensystems gegangen. Dort hatten sie sich geliebt. Dieses zweite Mal war der Schmerz ausgeblieben und die Empfindungen waren intensiver gewesen. Sie hatte den glatten Körper des Bajoraners nicht mehr von sich lassen wollen. Heute Morgen war er noch neben ihr gewesen, als sie wieder erwacht war. Doch ein zweites Mal wollte sie ihn nicht aufwecken und hatte sich aus der Höhle geschlichen.
Dass sie hier draußen nicht alleine war, konnte sie daran erkennen, dass die Sonnenstrahlen in unregelmäßigen Abständen auf metallischen Waffen in den Felsen um das Lager herum aufblitzten. Der Stützpunkt wurde rund um die Uhr streng bewacht. Doch sie fühlte sich einigermaßen sicher, dass niemand auf sie schießen würde. Shakaar hatte ihr gestern Nacht erklärt, was er seinen Leuten befohlen hatte. Das hier war zwar keine geordnete cardassianische Einheit, aber ohne militärische Disziplin hätte es der Widerstand nicht so weit gebracht. Und so vertraute sie dem Gehorsam der Terroristen gegenüber Shakaar.
Jemand sprach sie von hinten an. Serina wirbelte erschrocken herum. Sie hatte das Gesagte nicht verstanden, entweder weil sie zu sehr in Gedanken gewesen war oder weil das Bajoranisch zu schnell gesprochen worden war.
„Du frierst doch sicherlich an den Füßen?“ wiederholte die Frau, die ihr gestern als Kira Nerys vorgestellt worden war, ihre Worte. Es war beinahe fließendes Cardassianisch.
Serina sah sie verwundert an und Kira deutete ihren Blick richtig. „Ich bin in einem Arbeitslager aufgewachsen. Dort lernst du zwangsweise Cardassianisch. Edon wurde frei in einem Dorf geboren.“
Die Cardassianerin nickte, dass sie den Unterschied verstand. Sie fürchtete sich ein wenig vor den anderen Bajoranern und wusste nicht, was sie mit ihnen sprechen sollte. In jeder Geste erwartete sie Verachtung. Doch die junge Frau mit den langen rotblonden Haaren schien es nicht darauf angelegt zu haben, ihr verbal etwas anzutun. Sie hielt ein Paar Stiefel in der Hand, auf die sie nun deutete.
„Es wäre besser, du ziehst etwas Vernünftiges an. Das gilt auch für dein Kleid. Das, was davon übrig ist, ist zwar ganz hübsch, aber es sieht mir reichlich dünn aus.“ Kira lächelte ein wenig. Ihr war diese Cardassianerin zwar genauso ein Dorn im Auge wie sie das für Lupaza war, aber um Shakaars Willen wollte sie es im Frieden versuchen. Sie ahnte, was sie ihm bedeutete, es war ihr nicht entgangen, dass der Anführer heute Morgen nicht mehr dort gelegen hatte, wo er gestern Nacht eingeschlafen war. Und das Mädchen vor ihr wirkte viel zu verschreckt, um in ihr eine Feindin zu sehen.
Serina strich sich verlegen über das Kleid, bevor sie es selbst mit einem schwachen Lächeln versuchte. Kira empfand, dass sie das für eine Cardassianerin beinahe hübsch erscheinen ließ.
„Sehr passend ist das wohl wirklich nicht.“
Kira schüttelte den Kopf. „Komm mit, wir suchen dir etwas Praktischeres.“
Serina folgte ihr in die Höhle zurück. „Kira...“, sie machte eine Pause, irgendwie wollte sie austesten, ob sie die Bajoranerin wirklich mit ihrem Namen ansprechen durfte.
Kira blieb stehen und drehte sich um. Ihr Name aus dem Mund einer Cardassianerin klang seltsam fremdartig. „Nerys... nenn’ mich Nerys, niemand sagt hier Kira zu mir.“
„Nerys“, versuchte Serina, sie fuhr sich unbewusst durch die Haare. „Du hast doch auch so lange Haare... Gibt es hier irgendeine Möglichkeit... etwas mit ihnen zu machen?“
Kira musste darüber grinsen, wie stockend die Cardassianerin diese banale Frage hervorbrachte; wahrscheinlich gerade deswegen, weil sie so banal war.
„Wir besitzen sogar Bürsten, wenn es das ist, was du meinst“, antwortete sie mit freundlichem Spott. Serina nickte erleichtert, sie fühlte sich besser, wenn sie wusste, dass sie wenigstens ihre Frisur in Ordnung bringen konnte. Es mochte eine lachhafte Geste sein, aber sie würde ihr helfen.
Kurze Zeit später saß sie auf einem blankpolierten Felsenstück in einer Kammer der Höhle, ihr Kleid war gegen eine zu weite Hose und ein zu großes Hemd getauscht worden, doch zumindest die Stiefel passten einigermaßen. Kira stand hinter ihr und flocht ihr das Haar zu einem Zopf. Die Szene war für die Bajoranerin reichlich ungewohnt. Sie hätte nicht gedacht, dass sie jemals so nah an einen Cardassianer herankommen würde, um ihn zu frisieren. Doch Serina wirkte so gänzlich unschuldig, dass Kira trotz ihres tiefverwurzelten Hasses sie nicht verachten konnte. Die Bajoranerin hatte immer gegen Soldaten gekämpft, einen cardassianischen Militärangehörigen so nah zu haben hätte sie nicht ertragen. Aber bei diesem Mädchen war es etwas anderes. Sie ahnte, was Serina in Shakaar auslöste - man wollte sie einfach beschützen.
„Hier seid ihr!“ Shakaars Stimme hinter ihnen klang so angestrengt neutral, dass überdeutlich wurde, dass er sich Sorgen gemacht hatte.
Serina drehte sich herum. Über ihr Gesicht legte sich ein Strahlen beim Anblick des Bajoraners, der immer noch damit beschäftigt war, einen neutralen Gesichtsausdruck zu halten. „Ich hatte mich nur gewundert...“ Mit einem fast schüchtern zu nennenden Lächeln kam er zu ihnen herüber.
Kira betrachtete die beiden nachdenklich. Shakaar konnte erzählen, was er wollte. Das war weitaus mehr als nur „mögen“. Sie hatte ihren Anführer noch nie so ... unsicher ... erlebt. Wie er jetzt vor Serina niederkniete und „Hast du gut geschlafen?“ fragte - auf Cardassianisch! Sie hatte ihn nur einmal Cardassianisch sprechen hören und das war, als er Gul Tarkeen einen Todesgruß entgegen geschrien hatte, kurz bevor er diesen im Zweikampf tötete.
Kira spürte, wie eine kalte Hand ihr Herz berührte. Das hier konnte nur in Tränen enden. Es gab nicht den geringsten Hauch einer Chance, dass ein bajoranischer Widerstandsführer eine cardassianische Geliebte hatte. Sie verließ den Raum, sie brauchte Luft.
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