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Nicht der Hauch einer Chance

von Gabi

Kapitel 3

Gallitep. Mahnmal cardassianischer Willkür und Verachtung. Man sprach in bajoranischen Kreisen nur hinter vorgehaltener Hand von diesem Arbeitslager. Wer immer hinter seinen Mauern verschwand wurde nicht wieder gesehen. Seit Monaten hatte die Shakaar geplant, ein Zeichen bajoranischer Stärke zu setzen, indem sie diese Anlage angreifen wollte. Sie hatten Wochen um Wochen vergehen lassen, jede noch so kleine und unwichtig erscheinende Information zusammengetragen. So waren sie durch Geduld und Unermüdlichkeit auch in den Besitz der technischen Unterlagen gelangt. Shakaar hatte darauf bestanden, dass jedes Mitglied seiner Gruppe sich den Lageplan einprägte. Er selbst war überzeugt davon, seinen Weg durch Gallitep mittlerweile mit geschlossenen Augen finden zu können.
Und nun stand der Tag bevor. Sie hatten nur diese eine Chance. Es würde der erste bajoranische Angriff in dieser Größenordnung werden, die Cardassianer hatten noch keine Vorstellung davon, zu was sie alles fähig waren. Nach diesem Tag würden sie gewarnt sein. Wenn dieser Anschlag auf Gallitep fehlschlug, würde es so rasch keine zweite Möglichkeit geben.
Shakaar stand am Höhleneingang und überwachte die Aktivitäten seine Gruppe. Sie hatten drei Transporter aus deren Verstecken geholt. Nun wurden Waffen und Instrumente eingeladen. Jeder wusste, was er zu tun hatte, die Wichtigkeit dieses Tages lag als spürbare Anspannung in der Luft. Er selbst hatte monatelang nur auf diesen Moment hin gelebt, nicht ahnend, dass jemand dazwischen kommen würde, der imstande war, seine Aufmerksamkeit zu teilen.
Serina erschien an seiner Seite. Misstrauisch beobachtete sie nun ebenfalls die vielen Waffen, die verladen wurden. Sie hatte noch nie ein solches Vernichtungspotential auf einem Haufen gesehen. Und sie hatte aus den Wortfetzen, die sie verstand, schließen können, wofür all dies eingesetzt werden sollte.
Shakaar bemerkte ihren Blick. Er wandte sich von seinen Leuten ab und sah sie an. „Serina“, er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Es ist besser, du bleibst in der Höhle und wartest, bis wir zurückkommen. Ich will nicht, dass du zwischen die Fronten gerätst, das ist nicht dein Krieg, den wir kämpfen.“
„Ihr kämpft gegen Cardassianer“, flüsterte sie tonlos. Bisher hatte sie es irgendwie geschafft, all das Wissen, das sie über den bajoranischen Untergrund von ihrem Vater her wusste, gekonnt zu verdrängen und durch Bewunderung für diesen Mann vor ihr zu ersetzen. Er war so wunderbar, es musste einfach alles gelogen sein, was über ihn gesagt wurde.
Shakaar ging vor ihr in die Hocke. „Ja, wir kämpfen gegen Cardassianer“, gestand er. „Serina, du wusstest das von dem Moment an, in dem du erfahren hast, wer ich bin. Ich habe mein Leben lang gegen die Soldaten deines Volkes gekämpft.“
Sie nickte. Natürlich wusste ihr Verstand das. Hier und da überfielen Bajoraner Außenposten, und Shakaar war einer von ihnen. Doch die enormen Waffen sahen für sie nicht nach einem kleinen Überfall aus. Konnte er nicht für sie damit aufhören? Konnte er nicht für sie in Frieden mit ihrem Volk leben?
Sie wagte es nicht, ihn darum zu bitten.
Shakaar zog sie an sich und küsste sie. Es war ihm mittlerweile gleichgültig geworden, ob seine Leute die Zärtlichkeiten sahen, die er mit der Cardassianerin austauschte. „Serina, bitte bleib jetzt in der Höhle. Wir fliegen bald ab. Wenn es gut geht, dann sind wir vor morgen Abend wieder zurück, “ Er zögerte kurz, doch er musste den nächsten Satz hinzufügen. „Wenn wir nach zwei Tagen nicht wieder hier sind, dann will ich, dass du in die Stadt zurückgehst. Wenn du den Berg hinunterläufst, kannst du sie im Tal liegen sehen. Bitte versprich mir das.“
„Du wirst mich verlassen?“ Sie starrte ihn entsetzt an.
„Nein!“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht, solange es in meiner Macht steht, das zu entscheiden. Aber wir sind im Krieg. Es ist sinnlos sich vorzumachen, es würde immer nur die anderen treffen. Keiner von uns hat die geringste Garantie dafür, den Einsatz zu überleben.“
Serina biss sich auf die Lippe. Sie ertrug es nicht, wenn Shakaar so redete. Warum konnte er nicht wenigstens versuchen, die Wirklichkeit ein kleines wenig zu leugnen? Wem war denn mit der Wahrheit geholfen?
„Warum macht ihr das?“ wollte sie nur leise wissen. Jedes weitere Wort hätte sicherlich wieder ein Tränenschwall begleitet, und das wollte sie verhindern.
Er küsste sie noch einmal auf die Stirn - sie hatte das Gefühl, einen Abschiedskuss für immer zu erhalten. „Weil wir müssen.“ Dann löste er sich mit einer letzten Berührung ihrer Haare von ihr und ging zu den Transportern hinüber.
Serina blieb noch eine Weile im Höhleneingang stehen. Doch in ihr reifte der Entschluss, dass sie nicht alleine zurückgelassen werden wollte. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, zu was Shakaar fähig war.

Serina hatte Angst, anders konnte sie das Gefühl nicht beschreiben, welches mit Gewalt von ihrem Magen Besitz ergreifen wollte. Sie kauerte an der Wand im Schutz der Felsen. Die Bajoraner waren so sehr mit den Vorbereitungen des Angriffs beschäftigt gewesen, dass es ihr gelungen war, in einem unbeobachteten Moment in den Frachtraum eines der Transporter zu schleichen und sich dort zu verstecken. Nach der Landung hatte sie ebenfalls die allgemeine Geschäftigkeit ausgenutzt, um sich davonzustehlen. Nun hockte sie in einigem Abstand von dem Felsvorsprung, auf dem sich ein Teil der Widerstandskämpfer eingefunden hatte. Eine zweite Einheit war im Schutz der Felsen den Hang weiter hinunter geklettert.
Die Sonne war am Untergehen und warf ein stechend scharfes Licht über die Szenerie. Nicht weit von der Cardassianerin entfernt lagen die Bajoraner in Stellung, die sie über die letzten Tage wenn nicht als Freunde so doch zumindest nicht als Feinde bezeichnen gelernt hatte. Und obwohl eine gespenstische Ruhe über ihnen lag, hatte die Geschäftigkeit in den letzten Minuten ihren Höhepunkt erreicht. Mit angespannten Gesichtern wurden Waffen herumgereicht, Zieleinrichtungen fixiert, Koordinaten und Zeiten verglichen. Die Bewaffnung dieser unscheinbar aussehenden Personen stand derjenigen einer cardassianischen Truppe in nichts nach. Niemand durfte einen Fehler machen, es konnte der letzte sein. Aber das war nicht das Schlimmste, ein Fehler konnte die Gruppe und die gesamte Mission in Gefahr bringen. Serina wagte nicht offen zu atmen aus Angst, die Geräusche ihrer Lungenflügel würden die Spannung zerreißen und sie verraten.
Was sie von den Gesichtern sehen konnte, gefiel ihr nicht. Nerys mit ihrem Puppengesicht konnte so hübsch wirken, wenn sie lächelte, doch jetzt lag eine Maske über ihren Zügen, die sie älter und gefährlicher aussehen ließ als es Serina bisher erlebt hatte. Die Entschlossenheit trat deutlich hervor. Das Universum war ausgeschaltet, es gab nur noch diesen grauen Block vor ihnen. Den Hochsicherheitstrakt Gallitep. Und die Umgebung würde erst dann wieder irgendeine Relevanz erhalten, wenn diese Mauern gebrochen oder sie selbst tot war.
Doch der schlimmste Anblick war für Serina derjenige von Shakaar. Sie hatte sich in den sanften Ausdruck in seinen Augen verliebt, den weichen Zug um seinen Mund, wenn er lächelte. Jetzt war er Stein. Mit dem Blick eines Greifvogels verfolgte er jede Bewegung, die in seiner Gruppe vor sich ging, kein Zeichen, keine Waffenveränderung blieb von ihm unbemerkt. Und wenn er von Zeit zu Zeit zu den Mauern hinüber sah, die sich in der Ebene unter ihrer Stellung auftürmten, dann stand der blanke Hass eines Rachegottes in seinen hellen Augen. Äußerst schmerzlich wurde ihr bewusst, dass für ihn Bajor und sein Hass gegen ihr Volk an erster Stelle standen, sie hatte niemals auch nur den Hauch einer Chance gehabt, dagegen anzukommen.
Die Sonne ging unter. Shakaar hatte diese Zeit gewählt, weil sie dann mit den weiten Strahlen angreifen konnten, während die Verteidigung des Lagers gegen die Sonne kämpfen musste. Es sollte mit der modernen Sensorik der Cardassianer nicht lange einen Unterschied ausmachen, doch in den ersten Momenten war der Vorteil auf ihrer Seite, bis sich die Instrumente den Lichtverhältnissen angepasst hatten.
Er hob den Kopf, augenblicklich erstarrte jede Bewegung in den Reihen der Bajoraner. Das Zeichen, welches er einem Außenposten gab, wurde von diesem an die weiter unten liegenden Reihen weitergeleitet. Seine Gefährten lagen am Rand der Ebene in Deckung. Es war eine weite Strecke über die schutzlose Ebene bis zu den Mauern Galliteps, daher war bisher noch kein Versuch unternommen worden, dieses Lager anzugreifen. Es galt als Selbstmordkommando. Doch Shakaar hatte die besten Schützen seiner Gruppe in dieser höher gelegenen Stellung versammelt. Ihre Aufgabe war es, Feuerschutz zu geben, ganz gleich auf welche Kosten. Sie hatten lange gebraucht, bis sie ein Arsenal an weitreichenden Waffen zusammenbekommen hatten. Diese Geschütze - zum Teil cardassianischer Herkunft, zum Teil von Frachterpiloten unter Einsatz deren Leben nach Bajor geschmuggelt - waren gefährlich zu handhaben und sie hatten nicht viel Übung damit. Doch sie hatten monatelang auf jede noch so kleine Annehmlichkeit verzichtet, um jeden Energiespeicher, den sie horten konnten, für diese Waffen aufzubewahren. Für diesen einen Tag.
Shakaar senkte seinen Kopf auf die Brust. Serina sah, wie in der gesamten Reihe die Waffen niedergelegt wurden und die Bajoraner es ihrem Anführer gleichtaten. Sie wusste, dass sie nun zu ihren Propheten beteten. Eine weitere Eigenschaft, die sie nie ganz begriffen hatte. Auf Cardassia war das sklavische Festhalten an einer Religion schon vor etlichen Jahrhunderten überholt worden. Doch hier auf Bajor war es noch ein fester Bestandteil des Lebens quer durch sämtliche Bevölkerungs- und Bildungsschichten.
Für diesen einen Moment entspannten sich Shakaars Züge wieder, für diesen einen Moment war er wieder der Mann, in den sie sich verliebt hatte.
Doch der Moment ging vorüber und Shakaar schulterte die schwere Waffe, die ihn schier zu erdrücken schien. Kira lag an seiner Seite mit demselben Exemplar. Es war der Cardassianerin ein Rätsel, wie die junge Frau dieses Instrument überhaupt halten konnte, geschweige denn, damit schießen.
Shakaar atmete noch einmal tief durch, dann gab er das Signal - und um Serina herum tat sich die Hölle auf. Sie schrie auf als die Waffen losgingen, doch ihre Stimme verhallte ungehört gegen den Lärm. Die beiden Gruppen an den Flanken konzentrierten ihre Strahlen jeweils gebündelt auf zwei Punkte im Verteidigungsschirm des Lagers, die sich bei der Auswertung der technischen Daten als die schwächsten Stellen ergeben hatten. Keine Sekunde nach dem Beginn des Beschusses wurden die Verteidigungstürme der Anlage aktiviert. Jetzt nahm die mittlere Front um Shakaar und Kira ihre Aufgabe auf. Sie versuchten auf die Phasertürme zu zielen und diese zu vernichten. Die cardassianischen Strahlen rissen Gesteinsbrocken aus dem Fels ihrer Stellung, doch sie hielten nicht inne. Die Waffen besaßen nicht nur eine durchschlagende Kraft, sie stellten in diesem Meer aus Feuer und Gesteinsregen auch die einzige reale Substanz dar, an der man sich festhalten konnten - und das taten die bajoranischen Frauen und Männer mit ihrem Leben und all ihrem Hass.
Ein Schrei gellte durch den Rauch und riss fast augenblicklich wieder ab, aber es war nicht auszumachen, von wo genau er gekommen war. Eine Explosion nahm einen Teil des Simses mit sich, auf welchem die Bajoraner lagen. Aufgeregte Stimmen wurden laut, Bajoraner sprangen auf und wechselten ihre Stellung. Waffen wurden aus leblosen Händen gerissen, um im nächsten Augenblick wieder auf die cardassianische Festung gerichtet zu werden.
Wimmernd hatte Serina die Arme um den Kopf geschlungen, doch kein Druck war fest genug, um die Schreie von ihren Ohren fern zu halten. Sie konnte ihr Gesicht so tief sie wollte in ihrem Hemd vergraben, der verbrannte Geruch fand seinen unbarmherzigen Weg. Sie wollte nicht mehr auf sehen, sie wollte nur, dass es aufhörte.
Es schien wie eine Ewigkeit aus Rauch und Schreien bis eine weitere Explosion kurzzeitig den dunkelwerdenden Himmel erhellte. Der Triumphschrei aus nächste Nähe zeigte an, dass es sich um ein cardassianisches Ziel handelte, welches eben in Feuer aufgegangen war. Serina hob den Kopf ein wenig, einer der Phasertürme stand in einer Stichflamme. In den Reihen der Bajoraner war nicht eine Sekunde eine Feuerpause entstanden. Nun stürmten auch die Kämpfer auf der Ebene vor. Jeder Phaser, der sich auf die angreifende Truppe konzentrieren wollte, wurde augenblicklich von der oberen Stellung unter Dauerfeuer genommen. Wenn die Energie einer Waffe zur Neige ging, wurde sie weggeworfen und durch eine neue ersetzt. Niemand hielt sich mit Aufladen auf. Wenn einer der Bajoraner fiel, wurde sein Ziel sofort von einem anderen ins Visier genommen. Sie hörte gebrüllte Kommandos und wünschte sich jedes Mal, Shakaars Stimme ausmachen zu können. Aber es war unmöglich, über den Kampflärm irgendetwas Konkretes festzuhalten.
Serina konnte nun deutlich verbranntes Fleisch riechen. Ihr Magen rebellierte. Nur nicht darüber nachdenken, nur nicht darüber nachdenken. Sie wiederholte diesen Satz wie ein stummes Gebet in ihrem Kopf.
Dann erhob sich ein Kampfschrei als die Bajoraner auf dem Sims aufsprangen und den Hang hinunter stürmten, um sich ihren Kampfgefährten anzuschließen. Die Türme der Anlage hatten aufgehört zu feuern.
Vorsichtig hob Serina den Kopf. Der Gesteinsstaub legte sich allmählich wieder und es wurde ruhig auf dem Sims. Die letzten schrägen Strahlen tauchten die Stellung in rotes Licht. Zerfetzte Körper lagen in grotesken Haltungen herum. Als sie einen einzelnen, abgetrennten Arm ausmachen konnte, fiel Serina auf die Hände und übergab sich.
Die Ebene stand in Flammen, doch die Schutzschirme waren gefallen. Den ersten Bajoranern gelang es, nahe genug an das Gebäude heranzukommen, um die Sprengsätze gezielt zu legen. Eine Reihe von Explosionen erfolgte, die nicht nur Cardassianer im Inneren des Lagers mit sich riss. Sie sahen wie Teile der Wandverkleidung diejenigen Gefährten trafen, die sich nicht rasch genug aus dem Radius der Druckwelle hatten werfen können, doch in ihren Köpfen war im Augenblick kein Platz für Entsetzen oder Trauer. Ungeachtet der Tode, die um sie herum gestorben wurden, stürmten die noch Lebenden vorwärts. Keine Macht der Welt konnte sie mehr davon abhalten, dieses Lager, das Mahnmal cardassianischer Unterdrückung, dem Erdboden gleich zu machen.
Nach einer langen Zeit von Schreien, Schüssen und Explosionen wurde es ruhig auf der Ebene. Serina stand erschöpft auf. Sie glaubte, ihre gesamten Eingeweide erbrochen zu haben. Sie wusste nicht, wo sie hingehen sollte, aber sie wusste, dass sie nicht hier oben bleiben wollte, als einzige Lebende unter Toten. Mit Ekel stieg sie über Leichenteile und rannte dann den Hang hinunter. Im Lager auf der Ebene war noch Phaserfeuer zu hören. Sie wusste, dass sie dort nichts zu suchen hatte, aber sie rannte dennoch darauf zu. Sie wollte jemanden Lebendiges sehen, es brannte wie ein Zwang in ihrem Herzen. Mit verzweifelter Entschlossenheit versuchte sie, die Toten zu ignorieren, die auch auf der Ebene lagen. An den Lagermauern angekommen bot sich keine Besserung für Serinas verwundete Seele. Waren es bisher nur Bajoraner gewesen, traf sie nun auf die ersten Cardassianer. Ihre eigenen Landsleute lagen ermordet in den Gängen herum. Die Bajoraner hatten dieses Gebäude angegriffen, was konnten sie anderes erwarten, als dass sich die stationierten Truppen verteidigen würden? Aber was hatten diese Soldaten getan, um es zu verdienen, so verachtend abgeschlachtet zu werden. Wider ihren Willen sah Serina die gebrochenen Augen, die teilweise ausgestreckten Hände, so als wollten sie nach Hilfe rufen. Mit tränenverschleiertem Blick ging die junge Frau weiter, nur noch von dem Wunsch getrieben, jemanden Lebendiges zu sehen. Sie erreichte schließlich eine Halle, die vor wenigen Stunden noch die Kommandozentrale dargestellt hatte. Nun lag sie in Trümmern. Hier kämpften noch vereinzelte Cardassianer gegen eine Übermacht an Bajoranern. Wenn man es ihr erzählt hätte, hätte sie es nicht geglaubt, dass es für dieses im Allgemeinen so unterwürfige und feige Volk möglich wäre gegen eine Militäreinheit ihres eigenen Planeten anzukommen. Doch ihre Augen erzählten ihr eine andere Geschichte. Hass war eine mächtigere Waffe als Phaser und Photonen. Sie sollte nicht hier im Eingang des Korridors stehen, ein verirrter Schuss konnte sie nur zu leicht treffen. Doch im Augenblick war ihr das völlig gleichgültig. Es wäre sogar besser gewesen, denn sie wusste nicht, wie sie mit dieser Realität würde weiterleben können. Wie konnten Bajoraner, die sie noch am Tag zuvor als freundlich angesehen hatte, sich zu solchen verachtenden Bestien verwandeln?
Ein cardassianischer Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit nach oben. Auf der Brüstung, welche die Kommandoeinheit umgab, standen Shakaar und der cardassianische Truppenführer, wie sie an der Uniform ausmachen konnte. Der Schrei war aus Shakaars Kehle gekommen, es war ein cardassianischer Todesgruß und es lag alle Verachtung in den Worten, die der Bajoraner aufbringen konnte. Mit einem Messer holte er aus und schnitt dem Soldaten die Kehle durch bevor er ihn unter dem Jubel der anderen Kampfgefährten über die Brüstung hinunterstieß.
Serina sackte an der Wand zusammen und begann zu schreien, bis ihre Lungen den Dienst aufgeben würden.
Es war Kira Nerys, welche das Mädchen als erste bemerkte. Mit großen Schritten war sie bei ihr, ihr verrußtes, verletztes Gesicht zeigte zum ersten Mal wieder etwas anderes als den Blutrausch des Kampfes. Die Cardassianerin hätte nicht hier sein dürfen.
„Serina! Bei den Propheten....“
Das Mädchen schrie noch schriller auf, als Kira es an der Schulter berührte. Mit panischem Blick zuckte sie vor ihr zurück. „Fass mich nicht an!“ Die Worte waren beinahe nicht mehr auszumachen. Es war deutlich, dass die Cardassianerin hysterisch geworden war.
„Komm zu dir!“ Kira packte sie an den Schultern und schüttelte sie heftig. Doch Serina begann damit „Mörder!“ zu schreien und wollte nicht wieder aufhören. Schließlich holte die Bajoranerin aus und schlug ihr unsanft ins Gesicht. Serina starrte sie mit aufgerissenen Augen an, hörte für den Moment aber mit dem Schreien auf.
Hinter den beiden hatten die Bajoraner damit begonnen, die Zellentüren zu öffnen, und die Insassen des Lagers strömten nach draußen. Der Anblick der Bajoraner war erbärmlich, teilweise waren sie von einer schweren Krankheit gezeichnet, teilweise wirkten sie wie Gespenster ihrer selbst. Auf manchen Gesichtern spiegelte sich Unglauben über die Situation wider, der Zustand kurz vor der Erkenntnis, was passiert war, doch etliche Blicke waren einfach nur leer.
Kira packte Serinas Kopf und zwang sie in Richtung der Gefangenen zu sehen. „Sieh sie dir an“, fauchte die Bajoranerin. „Nicht wir sind die Mörder, sondern deine ach so ehrenhaften Soldaten. Sieh dir an, was sie aus uns machen - sieh genau hin!“
Serina wollte den Kopf wegreißen. Dann begann sie wieder zu schreien, bis schließlich Kiras Ohrfeigen und ihre eigene totale Erschöpfung ihr eine gnädige Bewusstlosigkeit verschafften.

Das Erwachen kam ungewollt für sie. Sie hätte sich gewünscht, ewig in der barmherzigen Dunkelheit zubringen zu können. Bevor sie die Augen aufschlug, hörte sie die Stimmen. Gedämpftes Gemurmel und leise Rufe verliehen ihrer Umgebung die Qualität eines Insektenschwarms. Serina beschloss, die Augen so lange wie möglich geschlossen zu halten, doch mit dem Erwachen ihres Bewusstseins kehrten auch die Bilder zurück: Abgeschlachtete Cardassianer, nahezu verhungerte und ausgemergelte Bajoraner, Kira, wie sie wütend auf sie einschlug, Shakaar mit hässlich verzerrtem Gesicht und Blut an den Händen... Sie riss die Lider auf, die Realität um sie herum konnte nicht entsetzlicher sein als die Erinnerungen, die sie jagten. Sie befand sich wieder in einer Höhle, angenehm gedämpftes Licht empfing sie, nicht die grelle, alles aufdeckende Sonne. Für diesen nebensächlichen Umstand war sie dankbar. Wenn sie den Kopf ein wenig bewegte, konnte sie die Bajoraner sehen. Die unterirdischen Gewölbe waren angefüllt mit ihnen, die gesamten Insassen von Gallitep mussten sich hier befinden. Es stank entsetzlich, nach Tod und Verwesung. Wer auch nur die geringsten medizinischen Kenntnisse besaß und sich noch bewegen konnte, half bei der Versorgung der Verletzten. Das leise Stöhnen, welches die Grundmelodie der sonstigen Stimmen bildete, war einziger Zeuge dafür, wie viele Frauen und Männer hier in Schmerzen lagen.
Serina betrachtete die Szene eine geraume Zeit lang schweigend. Sie wollte nicht auf sich aufmerksam machen, sie wusste nicht, was sie hätte sagen, wie sich verhalten sollen. Sie wollte nicht den Hass in den Gesichtern der Bajoraner sehen, sie wollte nicht so enden wie die Soldaten in der Anlage: Überrannt von einem wütenden Mob. Sie wollte ihre klare Sichtweise der Welt wieder, die Kenntnis davon, was Gut und Böse war. Sie wollte auch in Zukunft Cardassianerin sein ohne immer wieder an die entsetzlich behandelten Bajoraner denken müssen. Sie wollte wieder in Liebe an Shakaar denken können, ohne das Blut zu sehen. Sie wollte aus diesem Alptraum aufwachen. Das konnte nicht die Realität sein. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, niemand hatte je davon gesprochen, also konnte es nicht wahr sein. Wo war sie hin, die romantische Jugend, die sie ihr eigen hatte nennen können? Die Sorglosigkeit? Die Hoffnung?
Eine Gestalt löste sich aus der Menge und kam auf sie zu. Es war Shakaar, was sie aber erst erkannte, als er vor ihr stand. Seine rechte Gesichtshälfte bis zur Schulter hinunter wies Verbrennungen auf, dort wo die schwere Waffe an seiner Haut gelegen hatte. Sein Ohr blutete, das Metall des Ohrrings hatte beim Schmelzen seine Spuren hineingefressen.
Serina sprang auf und wich soweit es ging an die Wand zurück. Sie wollte nicht, dass er sie berührte, vor ihrem inneren Auge hielt er immer noch das Messer, mit welchem er den Cardassianer getötet hatte.
„Serina?!“
Ihr Blick huschte panisch zwischen seinen Augen und seinen Lippen hin und her. Doch sie konnte den kalten Glanz nicht mehr in ihnen sehen, nicht die verkniffene Linie. Shakaars Züge wirkten sehr, sehr müde und unendlich verletzt durch ihr Zurückweichen. Er blieb stehen, wo er war, machte keine Anstalten, sich weiter zu nähern. Seine ausgestreckten Arme sanken nutzlos an die Seite seines Körpers zurück.
„Serina, es tut mir leid“, seine leise Stimme brach beinahe. „Du hättest nicht dort sein sollen, du hättest das nicht sehen dürfen. Ich würde mein Leben dafür geben, wenn ich es ungeschehen machen könnte.“
Sie sahen sich stumm an. Shakaar versuchte verzweifelt, die Gefühle, die ihn jagten, in seinen Blick zu legen, um die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihnen geöffnet hatte. Und Serina versuchte mit all ihrer jugendlichen Macht, ihre Empfindungen für ihn an die Oberfläche zu holen und alles andere tief in ihrem Inneren zu vergraben - doch es gelang ihr nicht, nicht in diesem Augenblick.
„Wir führen einen Krieg“, erklärte er resigniert. „Ich weiß, dass das Militär diese Tatsache vor euch zurückhält. Ihr seht einen Planeten, auf dem es sich angenehm leben lässt. Die manchmal auftretenden unangenehmen Aufstände einzelner am Rand sind auf fehlgeleitete Gemüter zurückzuführen und nichts, was die Städte betrifft. Aber das stimmt nicht, Serina. Es ist unser Planet, auf dem ihr euch niedergelassen habt, es ist unser Volk, welches leidet. Wir werden nicht aufhören, bis diese Erde wieder uns gehört - oder wir alle tot sind.“ Sein Blick senkte sich zu Boden. „Und wir werden nicht aufhören zu töten, solange das die einzige Sprache ist, die verstanden wird.“ Er sah wieder auf. „Kannst du das nicht begreifen?“
Sie setzte zum Nicken an, weil der Schmerz in seinem Blick ihr weh tat, weil es Shakaar war, der zu ihr sprach, weil es immer gut getan hatte, ihm Recht zu geben und ihm die Führung zu überlassen...
Dann schüttelte sie den Kopf.

An den Ausläufern blieben sie stehen. Die Stadt war im Tal gut auszumachen, sie würde ihren Weg ohne Probleme ab hier alleine finden. Sie drehte sich zu ihrem Begleiter um. Seine hellen Augen verrieten im Augenblick nicht, welche Gefühle hinter seiner Stirn herrschen mussten. Sie hob die Hand, um vorsichtig über seine Verletzungen zu streichen, er blinzelte kurz, dann lächelte er wieder.
„Finde deinen Weg, Serina. Ich werde für dich beten. Du hast mein Leben gerettet - ich flehe zu den Propheten, dass ich deines nicht zerstört habe.“
„Das hast du nicht, Edon. Du hast mich aus einem Schlaf herausgerissen, den ich weiterschlafen wollte. Ich sollte dich dafür hassen, aber ich bringe es nicht über mich.“ Sie wandte sich rasch ab, ihre Tränen forderten wieder ihren Tribut. Mit raschen Schritten ging sie auf die Stadt zu. Nur einmal drehte sie sich noch um. Er stand immer noch dort, wo sie ihn verlassen hatte. Seine Augen erschienen ihr verschleiert, doch das konnte an ihren eigenen Tränen liegen. Bei ihrem Volk hatte sie noch nie einen Mann weinen sehen. Und auch die cardassianischen Worte, die sie glaubte, im Wind zu hören, mochten ihrer Einbildung entspringen: Ich liebe dich.


EPILOG

Die junge Cardassianerin war zur Frau geworden. Es war schneller geschehen, als es ihr lieb gewesen war. In einer Nacht hatte sich eine Welt für sie geändert. Sie konnte nicht mehr die Patrouillen ihres eigenen Volkes oder die arme bajoranische Bevölkerung der Städte sehen ohne an Gallitep zu denken.
Sie hatte in der Stadt eine Anstellung in einem Büro gefunden, so dass sie sich eine kleine Wohnung leisten konnte. Nach Hause konnte sie nicht zurückkehren. Lange Zeit hatte sie Gesellschaft gemieden, sie wollte alleine sein, wollte über alles nachdenken, was sie erlebt hatte. Wie konnten die wenigen Stunden einer Nacht diese Macht über ein Leben haben? Und sie hatten es gleich zweimal für Serina gehabt.
Schließlich hatte sie begonnen, sich so vorsichtig wie möglich umzuhören und war auf andere Cardassianer gestoßen, die von den Geschehnissen außerhalb der Städte ahnten, die nicht blind alles guthießen, was das Militär vertrat. Es waren noch wenige, doch ihre Zahl würde zunehmen, dessen war Serina sich sicher. Und sie wollte eine von ihnen sein. Das war sie sich, ihrem Volk und Bajor schuldig. Wenn sie Shakaars Liebe verloren hatte, dann musste es einfach einen Sinn haben - jeder andere Gedankengang hätte sie früher oder später in Verzweiflung gestürzt.
Eine Zukunft gab es für sie und ihn nicht, hatte es nie gegeben. Doch manchmal erschien ein großer Bajoraner im Schutz der Dunkelheit vor ihrem Fenster - und manchmal war er am nächsten Morgen noch bei ihr.
Denn er hatte recht behalten, was sie fühlten lag nur in ihren eigenen Herzen. Das stärkste Vernichtungsfeuer brannte irgendwann zu ende. Und was dann noch übrigblieb, war das, was sie definierte.
Es mochte nicht viel sein.
Es mochte nicht einmal genug sein.
Doch in kalten Nächten gab es ihr die Stärke, auf den nächsten Morgen zu harren.

ENDE
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