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Im Namen der Gerechtigkeit

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Wahre Schlechtigkeit und wahrer Mut wohnen nie im selben Herzen
(Bajoranische Weisheit)


Die junge Frau stand allein an einem der riesigen Panoramafenster des Promenadendecks und starrte hinaus in die unendlichen Tiefen des Weltalls. Von dieser Seite der Station aus konnte man Bajor sehen und sie schien völlig in den Anblick des Planeten versunken zu sein. Gedankenverloren strich sie sich eine Strähne ihres halblangen dunklen, Haares aus der Stirn.
Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön, doch die großen ausdrucksvollen Augen über der geriffelten bajoranischen Nase, gaben ihrem Gesicht etwas äußerst Anziehendes.
Jedenfalls nach Ansicht des Sternenflottenoffiziers, der sie unbemerkt schon seit geraumer Zeit von der anderen Seite der Galerie aus beobachtete. Jetzt trat er neben sie.
„Herrlich, nicht wahr?“
Sie musterte ihn irritiert. „Bitte was?“
„Die Aussicht. Einfach wundervoll. Ich genieße es jedes Mal, hier zu stehen. Man fühlt sich so, wie soll ich es ausdrücken, majestätisch. Von hier oben wirkt der Planet da unten irgendwie so friedlich und schön, dass ...“
„Bajor ist schön“, unterbrach sie ihn kühl.
„Oh ja, natürlich. Bitte verzeihen Sie mir. Es lag keineswegs in meiner Absicht, Sie zu kränken. Übrigens, ich heiße Bashir, Doktor Julian Bashir. Ich leite die medizinische Abteilung hier auf DS9.“
„Ach tatsächlich“, erwiderte sie mit so offenkundigem Desinteresse, dass jeder andere entmutigt den Rückzug angetreten hätte. Nicht so Julian Bashir. Der Arzt hatte eine Schwäche für Herausforderungen und genau als eine solche sah er ihr abweisendes Verhalten an.
„Nach Abschluss meines Studiums ließ man mir die Wahl“, fuhr er mit einem gewinnenden Lächeln fort. „Ich hätte auf einem Föderationsschiff Dienst tun können, oder auf einer Sternenbasis, aber ich bat darum, hierher versetzt zu werden und wissen Sie auch warum?“
„Nein, aber ich nehme an, dass Sie nun vorhaben, mir Ihre Beweggründe in allen Einzelheiten zu erläutern. Wahrscheinlich bei einem netten, romantischen Abendessen zu zweit im hiesigem Kasino, habe ich recht, Doktor?“
Ihre Stimme klang spöttisch, doch der Arzt war viel zu erfreut, über seinen scheinbaren Erfolg, um es zu bemerken. „Oh, bitte, nennen Sie mich Julian. Und was das gemeinsame Abendessen betrifft, so ist das eine ganz hervorragende Idee. In der Tat wollte ich gerade vorschlagen, dass Sie und ich ...“
„Vergessen Sie es!“, unterbrach die Bajoranerin ihn so scharf, dass er zusammenzuckte. Angesichts dieser Reaktion glitt erstmals so etwas wie die Andeutung eines Lächelns über ihr Gesicht. „Hören Sie, Julian“, sagte sie mit Nachdruck. „Warum und wieso Sie hierhergekommen sind ist mir völlig gleich und ich lege auch keinen Wert auf Ihre weitere Gesellschaft. -- Weder jetzt noch später. Daher wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich in Ruhe lassen würden.“
Die Bajoranerin wandte sich ab und ließ den Arzt einfach stehen. Einige Sekunden starrte er ihr regungslos und sprachlos vor Verblüffung nach. Dann fasste er sich wieder und lief ihr hinterher. Gerade, als sie sich anschickte, die Treppe zum unteren Teil des Promenadendecks hinabzusteigen, hatte er sie eingeholt.
„Warten Sie, wenn Sie schon nicht mit mir ausgehen wollen, dann verraten sie mir doch wenigstens Ihren Namen.“
„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, wie aufdringlich Sie sind?“
„Aber ja doch“, antwortete er mit entwaffnender Ehrlichkeit. „Major Kira erwähnte bereits mehrmals etwas in dieser Art.“
„Major Kira?“
„Kira Nerys. Sie ist der Erste Offizier hier auf DS9 und die hübscheste Bajoranerin, die ich bisher zu Gesicht bekommen habe -- das heißt, bis ich Sie getroffen habe.“
„Sie geben wohl niemals auf, was?“
„Ich bin bekannt für meine Hartnäckigkeit. Vor mir können Sie nichts verbergen.“
Auf der Treppe herrschten, wie überall auf der Station, sehr trübe Lichtverhältnisse. So entging ihm der erschrockene, fast gehetzte Ausdruck, der bei seinen scherzhaft gemeinten Worten für den Bruchteil einer Sekunde in ihre dunklen Augen trat.
„Wie kommen Sie darauf, dass ich irgendetwas vor Ihnen verbergen will?“
„Nun ganz einfach, weil Sie aus Ihrem Namen ein solches Geheimnis machen.“
Die Bajoranerin begann ihren Weg nach unten fortzusetzen. Als sie die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht hatte, blieb sie stehen und drehte sich zu Bashir um, der ihr nach wie vor folgte.
„Sie werden langsam lästig.“ Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn. „Wenn ich Ihnen sage, wie ich heiße, lassen Sie mich dann endlich in Frieden?“
„Auch wenn es mir das Herz zerreißt.“
„Also gut“, gab sie widerwillig nach. „Es ändert zwar nichts, aber da Ihnen offenbar so viel daran liegt. Ich heiße Ro, Ro Laren.“

* * *

Julian Bashir sah der jungen Frau nach, bis sie in der Menge der Besucher und Händler auf dem Promenadendeck verschwunden war und fragte sich unwillkürlich, was er falsch gemacht hatte.
-- diese Bajoranerinnen. Ob er wohl jemals schlau aus ihnen werden würde? Sie schienen für seinen jugendlichen Charme ebenso unempfänglich zu sein wie Lieutenant Dax. --
„Sie wirken irgendwie verstimmt, Doktor.“
Lautlos war Garak neben den jungen Arzt ans Geländer getreten.
Wie immer, spürte Bashir in der Gegenwart des Cardassianers, wie seine Hände vor Aufregung feucht wurden. Garak war für ihn ein einziges Rätsel Die Vergangenheit des Cardassianers war ebenso undurchsichtig, wie die Umstände, die ihn dazu brachten, als einfacher Schneider sein Leben ausgerechnet hier auf einer bajoranischen Raumstation zu fristen. Viele hielten ihn für einen heimlichen Spion des cardassianischen Oberkommandos. Auch der Mediziner war davon überzeugt.
Aus irgendeinem Grund hatte Garak sich vor einiger Zeit entschlossen, seine Freundschaft zu suchen. Nach anfänglichem Unbehagen begann der Arzt, Gefallen an der Gesellschaft des Cardassianers zu finden. Ihre gelegentlichen Gespräche verwirrten und faszinierten ihn gleichermaßen. Wenn er ehrlich war, musste er sich sogar eingestehen, dass er anfing, Garak echte Sympathie entgegenzubringen. Trotzdem, ein Hauch von Misstrauen blieb. Seine widerstreitenden Gefühle spiegelten sich deutlich auf seinem Gesicht wider, was das leichte Lächeln verriet, das die Mundwinkel des Cardassianers umspielte.
„Diese Bajoranerinnen sind eigenartige Geschöpfe. Schwer zu zähmen, aber zweifellos äußerst pikant.“
„Wem sagen Sie das ...“, begann Julian, als ihm plötzlich die Bedeutung dieser Worte aufging. „Sie haben mich beobachtet.“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
„So wie das halbe Promenadendeck. Wenn Sie Ihre Privatangelegenheiten vor anderen verbergen wollen, Doktor, sollten Sie dafür eine etwas intimere Umgebung wählen.“
Der Arzt seufzte. „Ich hätte ein nettes Abendessen zu zweit ebenfalls vorgezogen. Doch wie Sie ja selbst gesehen haben, war die hübsche Ro leider anderer Meinung. Nun ja, wer wagt gewinnt, beim nächsten Mal ...“
„Wie sagten Sie, war der Name?“
„Ro“, erwiderte Bashir erstaunt. „Ro Laren. Kennen Sie sie etwa?“
-- verschwommene Erinnerungsfetzen -- eine andere Zeit -- ein anderer Ort -- Schreie -- ein gefesselter Mann, der um Gnade bettelte -- ein Kind mit weitaufgerissenen Augen --
„Garak, was haben Sie denn?“
Für einen kurzen Augenblick glaubte der Arzt, in den dunklen Augen des Cardassianers einen Ausdruck des Schmerzes zu entdecken. Dann war der Moment vorüber und Garaks Züge wirkten wieder so undurchdringlich wie immer.
„Bitte verzeihen Sie, Doktor. Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu beunruhigen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, nein, ich kenne niemanden dieses Namens. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, aber ich werde in meinem Geschäft gebraucht. Ein wichtiger Kunde, den ich nicht warten lassen kann. Aber wenn Sie einverstanden sind, können wir unsere nette Unterhaltung ja zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen. Vielleicht bei einem Abendessen in Quarks Etablissement?“
„Natürlich“, entgegnete Bashir schnell, bemüht, sein aufsteigendes Unbehagen zu unterdrücken.
Schweigend beobachtete er, wie Garak die Treppe zum Promenadendeck hinabstieg, die feindseligen Blicke ignorierte, die ihm von allen Seiten folgten und innerhalb weniger Sekunden ebenso in der wogenden Menge verschwand, wie kurz zuvor bereits Ro Laren. Dabei wurde der Arzt das Gefühl nicht los, ungewollt auf eines der unzähligen dunklen Geheimnisse gestoßen zu sein, die den Cardassianer umgaben -- und etwas warnte ihn davor, den Versuch zu unternehmen, es zu lüften.

* * *

Der hochgewachsene Terraner stand vor dem Schaufenster eines der zahlreichen kleinen Geschäfte am Rande des Promenadendecks und schien seine gesamte Aufmerksamkeit den Auslagen gewidmet zu haben. Einem aufmerksamen Beobachter wäre indessen aufgefallen, dass er für einen gewöhnlichen Besucher viel zu angespannt war.
Jetzt löste sich aus der Menge die Gestalt einer Frau. Als sie wie zufällig neben ihn trat, flog ein Schatten über sein Gesicht.
„Verdammt, Laren, wo bist du so lange gewesen?“ Seine blauen Augen funkelten, als er sich nervös das blonde Haar aus der Stirn strich.
„Es tut mir leid, Perry, aber ein sehr von sich eingenommener Sternenflottenoffizier hatte es sich in den Kopf gesetzt, mich zum Essen einzuladen. Es war gar nicht so einfach, ihn loszuwerden.“
„Das gefällt mir nicht.“ Er warf ihr einen missbilligenden Blick zu. „Wir dürfen um keinen Preis auffallen und du hast nicht Besseres zu tun, als dich ausgerechnet von einem Föderationsoffizier ansprechen zu lassen.“
Ro wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, da erklang dicht hinter ihr eine Stimme:
„Meine Güte, Perry, was kann Laren denn dafür, dass sich ein Mann für sie interessiert? Also hör auf, ihr Vorwürfe zu machen. Private Streitigkeiten können wir uns im Augenblick nicht leisten. Das gilt auch für dich, Laren. Der Erfolg unseres Unternehmens hängt davon ab, dass wir alle an einem Strang ziehen. Also reißt euch zusammen und versucht, miteinander auszukommen. -- Wenigstens dieses eine Mal.“
Gegen ihren Willen musste die Bajoranerin lächeln, als sie sich zu der Sprecherin umwandte, die unbemerkt hinter sie getreten war.


Genau wie Perry war auch Rayna in einer der Föderationskolonien entlang der cardassianischen Grenze aufgewachsen und hatte sich nach Abschluss des Friedensvertrages trotz der darin enthaltenen Neufestlegung des Grenzverlaufs, standhaft geweigert, ihre Heimat zu verlassen. Als klar wurde, dass die neuen Machthaber keinesfalls die Absicht hatten, die Zurückgebliebenen vor Übergriffen cardassianischer Zivilisten zu schützen, diese vielmehr heimlich unterstützen, war Rayna eine der ersten gewesen, die sich der Widerstandsbewegung, des Maquis angeschlossen hatte. Gerade 21 Jahre alt, wusste sie bereits alles darüber, wie man überlebte. Von klein auf hatte sie gelernt, zu kämpfen. Ihr Vater war ein kleiner, unabhängiger Frachtpilot gewesen, der ihr schon früh beigebracht hatte, sich gegen Piraten erfolgreich zur Wehr zu setzen. Ihre langen, kastanienroten Locken und das zarte Gesicht mit den großen, grünen, von einem dichten Kranz schwarzer Wimpern umschatteten Augen, täuschten nur allzu leicht darüber hinweg, dass Rayna, wenn es darauf ankam eine äußerst gefährliche Gegnerin war. Ein Irrtum, den schon viele mit ihrem Leben bezahlt hatten.
Darüberhinaus war sie aber auch die geborene Führerin. Dank ihrer starken Persönlichkeit fiel es ihr trotz ihrer Jugend leicht, sich Respekt zu verschaffen. Keiner verstand es so wie sie, zwischen anderen zu vermitteln, Gegensätze zu überbrücken und eine Gruppe unterschiedlichster Personen zu einer festen Einheit zusammenzuschweißen. Kein Wunder, dass sie ausgewählt worden war, diese Aktion des Maquis zu leiten.
„Nun, Laren“, fuhr sie jetzt fort. „Ist es dir gelungen, die Informationen zu beschaffen?“
Die Bajoranerin nickte. „Der rigellianische Frachter hat vor zwei Tagen hier an der Station angedockt. In drei Stunden wird er in Richtung der entmilitarisierten Zone aufbrechen. Wie wir bereits vermutet haben, befinden sich an Bord verschiedene Komponenten, die man für den Bau einer chemischen Waffe verwenden kann.“
„Diese verdammten Mistkerle“, stieß Perry hervor. „Und die großartige Föderation schaut weg, wie immer. Denen ist doch völlig egal, was in den ehemaligen Kolonien geschieht. Die Cardassianer und ihre Handlanger machen mit uns was sie wollen und die hohen Admiräle der Sternenflotte rühren keinen Finger.“
‘Im Gegenteil’, dachte Ro bitter. Erinnerungen stiegen in ihr auf.
-- Captain Picard, der im Auftrag des Oberkommandos von ihr verlangte, eine Gruppe rebellischer Kolonisten zu infiltrieren -- ihre Zweifel -- der innere Kampf, der schließlich dazu führte, dass sie desertierte und sich dem Maquis anschloss -- der Schmerz, den sie darüber empfunden hatte, den einzigen Menschen aus der ganzen Sternenflotte enttäuscht zu haben, an dessen Meinung ihr wirklich gelegen hatte --
„Laren, hast du mir überhaupt zugehört?“
„Nein, Rayna, entschuldige bitte, was hast du gesagt?“
„Ich habe dich gefragt, ob du einen Vorschlag hast, wie wir den Sprengsatz möglichst schnell und unauffällig an Bord des rigellianischen Schiffes schmuggeln können. Nach deinen Worten stehen uns dafür ja nur noch wenige Stunden zu Verfügung.“
„Das ist richtig. Es wird knapp werden, aber ich bin sicher, dass wir es schaffen werden. Es ist alles eine Sache des richtigen Timings.“
„Das klingt ja fast so, als ob du schon einen Plan hättest“, bemerkte ihre Anführerin überrascht. „Nun, dann lass mal hören, was du dir ausgedacht hast.“
Die Bajoranerin begann, ihr Vorhaben zu erläutern. Nach wenigen Sätzen nahm das Gesicht der Terranerin einen zunächst ungläubigen, dann beeindruckten Ausdruck an. Nach und nach wich auch Perrys anfängliche Skepsis widerwilliger Anerkennung.
„Sie hat recht“, gestand er schließlich ein. „Es wird knapp werden, verdammt knapp sogar, aber ich denke, es könnte funktionieren.“
Rayna nickte. „Ich bin der gleichen Ansicht. Außerdem haben wir ohnehin keine andere Wahl. Dieser Transport darf die entmilitarisierte Zone nicht erreichen. Die Folgen wären unvorstellbar. Selbst wenn es mich mein Leben kosten sollte, ich werde das verhindern.“
Die Terranerin streckte den rechten Arm aus.
Perry tat es ihr nach. „Wir werden es verhindern“, bekräftigte er. Ihre Hände trafen sich.
Ro zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, genau so lange, wie sie brauchte, um das Gesicht des einzigen Mannes, aus ihren Gedanken zu verbannen, dem es vielleicht noch gelungen wäre, sie von ihrem Plan abzubringen, dann schlug auch sie ein.
„Wir werden es verhindern“, wiederholte sie leise. „Im Namen der Gerechtigkeit.“

* * *

„Wir hätten besser in meinem Quartier essen sollen“, stieß Major Kira mit einem missbilligenden Blick auf den Nachbartisch hervor.
Zu dieser späten Stunde hielten sich außer Vedek Bareil und ihr lediglich noch zwei weitere Gäste in Quarks Bar auf. Sie waren in ein angeregtes Gespräch vertieft und schenkten den beiden Bajoranern keinerlei Beachtung. Nach Kiras Gesicht zu urteilen, genügte jedoch bereits die bloße Anwesenheit von Bashir und Garak, um ihr den Appetit zu verderben.
Sie wusste nicht, wer ihr mehr zuwider war. Der übereifrige Sternenflottenoffizier, der die Frechheit besessen hatte, Bajor eine Wildnis zu nennen, oder der Cardassianer, dessen Volk dafür verantwortlich war, dass sie im Grunde ihres Herzens gezwungen war, dem jungen Föderationsarzt zuzustimmen. Nach über 40 Jahren Besatzung war von Bajor tatsächlich nicht mehr viel übrig geblieben, als eine Wildnis. -- Dafür hasste sie die Cardassianer aus tiefstem Herzen.
Garak wandte ihr und Bareil den Rücken zu, ohne zu ahnen, welche Gefühle sein Anblick in ihr auslöste. Aber ihre Wut wäre ohnehin völlig wirkungslos an ihm abgeprallt. Nichts und niemand hatte es je geschafft, ihn aus der Ruhe zu bringen. -- Am allerwenigsten sie. Jeder ihrer Versuche hatte damit geendet, dass sie es gewesen war, die vom Zorn überrannt wurde. Beim letzten Mal hatte sie kurz davor gestanden, ihren Phaser zu ziehen und ihn einfach niederzuschießen.
Wenn er sie wenigstens ernst nehmen würde, aber nicht einmal das tat er. Vielmehr hatte er ihr mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich köstlich über sie und ihre Wut amüsierte. -- Dafür hasste sie ihn nur noch mehr und wenn Blicke töten könnten, hätte er hier und jetzt auf der Stelle sein Leben ausgehaucht.
„Wir hätten in meinem Quartier essen sollen“, wiederholte sie missmutig.
„Aber Nerys“, erwiderte Bareil mit einem Lächeln. „Das Gleiche hast du bereits gestern Abend, heute Mittag und heute Früh vorgeschlagen. Jedes Mal habe ich nachgegeben und du weißt ja selbst am besten, was dabei herausgekommen ist. -- Nicht etwa, dass ich mich beklage, im Gegenteil. Aber wenn ich während meines Aufenthalts auf DS9 nicht verhungern will, dann ...“
„Schon gut“, lenkte Kira ein. Es war selten genug, dass Bareil und sie die Gelegenheit bekamen, zusammen zu sein. Die letzten zwei Tage waren wie im Fluge vergangen. Morgen musste er zurück nach Bajor und die Propheten mochten wissen, wie lange es bis zum nächsten Wiedersehen dauern würde. -- Und sie hatte nichts Besseres zu tun, als ihren letzten gemeinsamen Abend mit ihrer schlechten Laune zu verderben. Bei diesem Gedanken fühlte sie Tränen in sich aufsteigen. Hätte ihr früher jemand gesagt, sie würde einmal eines Mannes wegen weinen, hätte sie ihn ausgelacht.
Für die Kira Nerys von damals war Liebe etwas, das den Betreffenden schwach und verwundbar machte. Das hatte sie im Singah-Flüchtlingslager gelernt, in dem sie aufgewachsen war und daran hielt sie auch während ihrer Zeit bei der Shakaar fest. In den dunklen Jahren der Besatzung hatte das Leben eines Bajoraners nicht sehr viel gegolten, und die Freiheitskämpfer ständig damit rechnen müssen, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben. Daher hatten sich etliche geweigert, festere Beziehungen einzugehen -- und sie, Kira Nerys, war eine davon gewesen.
Sie hatte sich jeden Mann genommen, der ihr gefiel, ohne weiter darüber nachzudenken. Und wenn er am nächsten Morgen von einer cardassianischen Patrouille erschossen worden war, dann hatte sie es als Willen der Propheten akzeptiert. Sie hatte jene Frauen bedauert, die am Tod eines bestimmten Mannes zerbrachen. Jeder Krieg fordert seine Opfer und was nützte es, zu weinen und zu klagen. Gelegentlich war es vorgekommen, dass ihr die Angehörigen eines Verstorbenen Gefühlskälte vorwarfen, doch die meisten hatten ihre scharfe Zunge und den heißen Zorn gefürchtet, mit dem sie auf solche Anschuldigungen reagierte. Kira war es gleich gewesen,
was andere von ihr dachten. Sie hatte ihre eigene Art zu trauern gehabt. Für jeden ihrer erschossenen Liebhaber, waren noch ehe die Totenlieder seiner Verwandten verklungen waren, zwei Cardassianer von ihrer Hand gestorben. -- Und ihr Herz hatte sich immer mehr verhärtet.
Dann war der Krieg vorbei gewesen und sie hatte feststellen müssen, dass sich ihre Vergangenheit nicht einfach abstreifen ließ. Jahrelang hatte sie ihre Gefühle verborgen und nun schien es zu spät zu sein, um diesen Zustand zu ändern. Zuerst hatte sie diese Erkenntnis mehr geschmerzt als sie sich jemals eingestanden hätte, doch angesichts der schier unüberwindlichen Probleme beim Wiederaufbau Bajors war ihr diese Tatsache nach und nach immer nebensächlicher erschienen. Hier war ein neuer Krieg, den sie zu führen hatte, für private Dinge blieb keine Zeit. Und die Mauer wuchs.
Dann trat Bareil in ihr Leben. Zuerst hatte sie sich gegen ihre Empfindungen gewehrt, doch langsam, fast unmerklich begann die Mauer unter seiner sanften Hartnäckigkeit zu bröckeln, bis sie schließlich in sich zusammenfiel und nichts mehr übrig blieb als eine Handvoll Staub, aus dem sich eine neue Kira erhob wie Phönix aus der Asche. Durch die Liebe des Vedeks begann sie Seiten an sich zu entdecken, von deren Existenz sie bisher nicht einmal geahnt hatte. Wenn sie in seinen Armen lag, wurde alles andere unwichtig. Er zeigte ihr, was Zärtlichkeit bedeutete -- und Leidenschaft. Seine bloße Gegenwart genügte, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Im Moment trug er zwar nur schlichte Zivilkleidung, doch sie stand ihm mindestens genauso gut wie die hellrote Vedekrobe und bei seinem Anblick wollte ihr Herz unter der Last der Gefühle fast zerspringen.
-- bei den Propheten, wie sehr sie diesen Mann liebte -- wie sehr sie ihn begehrte --
Bareil schien ihre Gedanken zu erraten. „Nerys“, sagte er weich. „Was hältst du davon, wenn wir nach dem Essen noch ein Dessert zu uns nehmen, in deinem Quartier?“
Seine dunklen Augen funkelten und sein Blick jagte ihr wohlige Schauer über den Rücken.
„Ich halte das für einen sehr guten Vorschlag. Wir sollten ...“
-- „Alle auf den Boden, sofort!“ --
Kira war eine Kriegerin. Sie reagierte instinktiv, als sie sich fallen ließ und den überraschten Bareil mit sich riss. Ihre rechte Hand zuckte zur Hüfte, da fiel ihr ein, dass sie sich auf dem Promenadendeck befanden. Hier war es niemandem erlaubt, eine Waffe zu tragen. Ein Befehl, der auch für sie galt. -- Und, seit der Sicherheitschef von DS9 sie vor einer Woche erwischt hatte, bedauerlicherweise auch für das schöne, scharfe Messer, das sie für gewöhnlich im rechten Stiefel trug. Ihre Versicherung, dass die Klinge nichts weiter als ein kleines Andenken an ihre Zeit beim Widerstand sei, ohne dass sie sich regelrecht nackt fühlen würde, war völlig wirkungslos an Odo abgeprallt. Schlimmer noch, er hatte darauf bestanden, dass sie ihm ihr Wort gab, das Messer zukünftig in ihrem Quartier zu lassen, wenn sie sich aufs Promenadendeck begab.
Kira unterdrückte einen Fluch und griff stattdessen nach ihrem Kommunikator.
Da erklang ein scharfes „Halt!“
Kira sah nach oben und erstarrte mitten in der Bewegung. Direkt über ihr stand eine junge Frau, fast noch ein Kind, die einen Phaser in der Hand hielt, dessen Mündung auf die Bajoranerin gerichtet war. Ihr linker Arm hing wie leblos herab, ihre Kleidung war blutverschmiert und sie schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Dennoch zweifelte Kira keine Sekunde daran, dass die andere ohne Zögern abdrücken würde, sollte sie versuchen, sich zur Wehr zu setzen. In den grünen Augen las die Bajoranerin die gleiche wilde Entschlossenheit, die sie selbst einst empfunden hatte, als es darum ging, einen übermächtigen Feind mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Für einen Augenblick spielte Kira mit dem Gedanken, es trotzdem zu riskieren. Es widerstrebte ihr, so einfach kampflos aufzugeben. Aber es ging hier nicht allein um sie. Ohne weiter nachzudenken hatte sie sich vorhin, kaum dass Bareil und sie den Boden berührt hatten, über den Vedek geworfen, bereit, ihn mit ihrem Körper zu schützen und er war viel zu überrumpelt gewesen, um sich dagegen zu wehren. Sie könnte es mit viel Glück vielleicht schaffen, einem Phaserschuss auszuweichen, aber dann würde unweigerlich Bareil an ihrer Stelle getroffen werden. -- Und lieber wäre sie einen qualvollen Tod gestorben, als das zuzulassen.
Aus den Augenwinkeln registrierte der Major, wie die übrigen Anwesenden von einer dunkelhaarigen Frau und einem blonden Mann in einer Ecke des Kasinos zusammengetrieben und gefesselt wurden. Quark protestierte händeringend und rief lauthals sämtliche für den Handel zuständigen Götter als Zeugen seiner absoluten Unschuld an, bis ihn eine Ohrfeige des Mannes schließlich zum Schweigen brachte, doch Kira achtete nicht darauf. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrer unmittelbaren Gegnerin.
„Wer sind Sie? Und was hat dieser Überfall zu bedeuten?“
Ehe die andere zu einer Antwort ansetzen konnte, durchbrach ein Piepen die Stille. Die junge Frau runzelte die Stirn, dann nickte sie knapp.
Die Hand der Bajoranerin glitt so vorsichtig zum Kommunikator, als ob sie befürchtete, die Unbekannte könne es sich doch noch anders überlegen.
„Kira.“
„Sisko hier. Was hat denn da so lange gedauert?“
„Entschuldigen Sie Commander, aber ...“
„Schon gut, ich weiß, dass Sie zurzeit dienstfrei haben, aber darauf kann ich im Moment leider keine Rücksicht nehmen. Ich brauche Sie hier auf der OPS und zwar umgehend.“
„Sir?“
„Es gab einen Zwischenfall. Jemand hat versucht, an Bord eines rigellianischen Frachters eine Sprengladung zu deponieren. Vermutlich handelt es sich um Angehörige des Maquis. Sie müssen sich noch irgendwo auf DS9 befinden. -- Ein Mann und zwei Frauen, von denen eine Bajoranerin ist. Sie heißt Ro Laren und gehörte bis vor kurzem noch der Sternenflotte an. Vermutlich ist sie die Anführerin. Die andere Frau wurde verletzt, sie können also nicht allzu weit gekommen sein. Sie und Odo werden mit einigen Sicherheitskräften die Station durchsuchen.“
„Ich denke, das ist nicht mehr nötig, Sir.“
„Was meinen Sie damit, Major?“
„Genau das, was ich gesagt habe, Commander. Sie können die Suche nach den Leuten abbrechen.“ Die Bajoranerin zögerte kurz, während sie den auf sie gerichteten Phaser nicht aus den Augen ließ. „Ich habe sie gerade gefunden.“
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