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Verlorener Glaube

von Emony

Kapitel 1

Für heute hatte sie ihre Pflichten erfüllt und ihren Dienst beendet. Die Abende in Quarks Etablissement zu verbringen, war zu ihrer liebsten Erholungstätigkeit geworden. Obgleich der Ferengi grundsätzlich so gar nicht ihr Typ war, mochte sie ihn auf seltsame Weise. Er war so anders, als die übrigen Vertreter seines Volkes, und sie genoss, dass er sie allem Anschein nach gern hatte. Er ließ kaum eine Möglichkeit aus mit ihr zu flirten und war ihr gegenüber ungewohnt spendabel, was allein schon ein deutliches Indiz dafür war, dass er sie wirklich gern hatte. Dadurch fühlte sie sich auf DS9 nicht mehr ganz so fehl am Platz, wie noch vor einigen Wochen.

Kira Nerys hatte sie eindringlich davor gewarnt, sich auf den Ferengi einzulassen. Sie ließ sehr deutlich durchblicken, dass Quarks Interesse nur vorgetäuscht sein könnte.

Ro zweifelte nicht an der Gerissenheit des Ferengi. Sie hatte sämtliche Berichte ihres Vorgängers Odo gelesen, der stets darum bemüht gewesen war, ein ganz besonderes Auge auf Quark und dessen ‚Geschäfte‘ zu haben.

Ihr Instinkt sagte ihr jedoch, dass Quark kein übler Kerl war. Ihre eigenen Nachforschungen hatten ergeben, dass er das Herz am rechten Fleck hatte.

„Sagen Sie, Laren“, begann Quark schließlich ein Gespräch mit ihr, wobei er sich lässig über die Theke hinüber zu der Bajoranerin lehnte, und keinen Zweifel daran ließ, dass sie seine volle Aufmerksamkeit besaß. „Weshalb tragen Sie Ihren Ohrring auf der linken Seite?“

Ro versteifte sich unwillkürlich und nippte an ihrem Drink, um sich die Worte durch den Kopf gehen zu lassen. Mit seiner Frage hatte er, wenn auch bestimmt nicht absichtlich, ihre Achillesverse getroffen. Natürlich wäre es leichter, den Ohrring auf der korrekten Seite zu tragen, wie es alle anderen Bajoraner taten. Niemand würde jene Frage stellen, die nun über Quarks Lippen gekommen war und sie in das Dilemma stürzte, ihm entweder eine dreiste Lüge aufzutischen oder ihm schlichtweg den Grund zu erzählen.

Sie entschied sich für die Wahrheit. Erneut nahm sie einen Schluck des Blue Dreams, den sie aufgrund von Quarks Empfehlung heute zum ersten Mal bestellt hatte, der ihr aber eine Spur zu süß war. Vor ihrem inneren Auge tauchte ein hochgewachsener Cardassianer auf, der ihr ein freundliches Lächeln schenkte. Sie konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie klein und hilflos sie sich stets in der Gegenwart der breitschultrigen Soldaten vorgekommen war. Auch hatte sie nie eine cardassianische Frau zu sehen bekommen, so dass sie als Kind immer davon ausgegangen war, die grauhäutigen Monster hätten keine eigenen Frauen und würden deshalb die Bajoranerinnen mit Gewalt nehmen.

„Laren?“, hakte Quark nach. Sie schien direkt durch ihn hindurch zu blicken und wirkte weit weg. Er befürchtete eine unpassende Frage gestellt zu haben, dabei wollte er doch einfach nur mehr über die Frau erfahren, die ihn so ungeheuer faszinierte. Seit Jadzia Dax war ihm keine Frau mehr begegnet, für die er sich ernsthaft interessiert hatte. Er legte seine linke Hand über ihre Rechte, in der sie ihr Glas hielt.

Ro schüttelte die Erinnerung an den Raum fort, in den der Cardassianer sie damals geführt hatte. Ein mattes Lächeln huschte über ihre Züge. „Das hat mit meinem Glauben zu tun“, sagte sie schließlich in der Hoffnung, diese Antwort würde Quark genügen.

Für einen Moment nickte dieser nachdenklich, denn davon war er ohnehin ausgegangen. „Dann gehören Sie also einer anderen Glaubensrichtung an?“ Kira hatte einmal erzählt, dass es einige wenige Bajoraner gab, die die Pah-Geister verehrten und ihren Ohrring zur Demonstration daher auf der anderen Seite trugen. Ob Ro eine Anhängerin jener Glaubensrichtung war, die Kira als Sekte beschrieben hatte?

Sie deutete ein Kopfschütteln an, löste ihre Hand aus seiner Berührung und trank ihr Glas aus. „Ich habe meinen Glauben verloren“, sagte sie dann mit einem Hauch Bitternis in der Stimme. Quarks Gesichtsausdruck wechselte von Überraschung zu sichtlichem Erstaunen. „Ich trage meinen Ohrring auf der linken Seite, seit ich gezwungen war mit anzusehen, wie mein Vater brutal gefoltert wurde.“

Sofort schalt sich Quark gedanklich einen Idioten, dass er ihr so törichte Fragen stellte. Im Grunde war er erleichtert, dass sie jener Sekte offenbar nicht angehörte. Er hatte damit lediglich sein Interesse an ihr bekunden wollen und hatte damit ungewollt schlimme Erinnerungen wachgerufen, was er zutiefst bedauerte. „Ich wollte nicht unsensibel sein. Verzeihen Sie mir die dummen Fragen, es geht mich ja auch nichts an“, versuchte er daher die Richtung des Gesprächs zu wechseln.

Für einen sehr langen Moment sahen sie einander an. Ro Laren versuchte schließlich abzuwägen, ob sie Quark alles erzählen sollte oder nicht. Sie mochte ihn wirklich gern und wenn jemals mehr aus ihrer Freundschaft werden sollte, verdiente er die ganze Wahrheit. Er musste wissen, mit wem er es zu tun hatte.

Quark seinerseits suchte fieberhaft nach einem anderen Thema, das sie von ihren Erinnerungen ablenken würde, doch es fiel ihm absolut nichts ein. Ihre Stimme veranlasste ihn schließlich, seine Überlegungen einzustellen.

„Ich war noch sehr klein“, begann sie ihm daher ihre Geschichte zu erzählen, „und wie jedes Kind ganz versessen auf Süßigkeiten. Süßes war damals rar auf Bajor, müssen Sie wissen. Ein Luxus, den nicht viele Bajoraner zur Zeit der Besatzung genießen konnten.“

Quark sah ihrem Blick an, dass es ihr nicht leicht fiel, diese Erinnerung Revue passieren zu lassen. Erneute drängte alles in ihm danach, sie zu unterbrechen und das Thema zu wechseln. Es schien ihr jedoch wichtig zu sein, ihm dieses Erlebnis zu schildern und vielleicht würde es ihr sogar helfen, irgendwann darüber hinwegzukommen. Ihm wurde ganz übel, als sie ihm davon berichtete, wie sie dem Cardassianer in kindlicher Naivität in den abgeschiedenen Raum gefolgt war, wo zwei weitere Soldaten auf sie warteten.

„Ich war so unglaublich dumm“, fuhr sie fort, „und glaubte tatsächlich, dass es auch gute Cardassianer gibt. Ich wollte diesem Mann folgen. Nahm an, dass er Mitleid mit mir hatte, weil ich so dürr und halb verhungert war. Er hätte mir nicht mal Süßigkeiten anbieten müssen, ich wäre ihm auch für ein Stück trockenes Brot gefolgt. Ich war so hungrig und ich hatte meinen Vater nicht mehr finden können, der für die Essensrationen hatte anstehen wollen.“

Quark fühlte, wie sein Magen mit jedem weiteren Satz rebellierte. Wenn Kira ihm von den gesichtslosen Opfern der Cardassianer erzählt hatte, von Leuten, die ihm einfach fremd gewesen waren, hatte er emotionalen Abstand halten können. Natürlich waren diese Schilderungen nicht weniger grausam gewesen, aber eben abstrakter. Vor seinem geistigen Auge spielte sich Ro Larens Erzählung jedoch wie ein Holoroman ab, den er nicht abschalten konnte. Jedes Wort, jeder Satz formte Bilder in seinem Geist, vor denen er die Augen nicht verschließen konnte, obwohl er es so gerne wollte. Seine Fantasie ging in unvorstellbarer Weise mit ihm durch.

„Und dann sah ich meinen Vater endlich wieder. Ich war so froh …“ Tränen schimmerten in ihren Augen, die so gar nicht zu dem Lächeln passen wollten, das sich über ihre Lippen legte. Quark war dankbar, dass sie ihn aus seiner Fantasievorstellung holte. „Sie ließen mich zusehen, während sie ihn prügelten. Sie zwangen mich hinzusehen, als ich meinen Blick abwenden wollte.“ Sie machte eine Pause, in der sie sichtlich um ihre Beherrschung rang. Quark war sich ziemlich sicher, dass sie ihm seine Fassungslosigkeit ansehen konnte.

Dass sie sich inmitten des Etablissements befanden, hatte nicht nur Ro Laren für den Moment vergessen, sondern auch Quark, der wie gebannt an ihren Lippen hing. Unsägliche Erleichterung breitete sich zunehmend in ihm aus, als Ros verprügelter Vater vor seinem geistigen Auge erschien. Er hatte befürchtet, diese Cardassianer hätte sich an dem Mädchen vergangen. Nach allem was er von Kira wusste, hatten manche auch davor keine Skrupel gehabt. Wie, fragte sich Quark nicht zum ersten Mal, vermochte ein so zivilisiertes Volk, wie die Cardassianer es doch zu sein schienen, zu solcher Grausamkeit imstande zu sein? Ihr Verhalten gegenüber den Bajoranern erinnerte eher an das zügellose Verhalten von Tieren.

Quark schämte sich insgeheim, da ihn eine so ungeheure Erleichterung überkam, als Ro das, was er sich ausgemalt hatte, widerlegte. Was sagte es über ihn aus, dass ihm der zu Tode geprügelte Mann, dem er nie begegnet war, im Vergleich zu ihr egal war? Auch wenn er es nicht zugeben wollte, verstand er den Zorn der Bajoraner gegenüber den Cardassianern nun besser.

„Seitdem verabscheue ich Süßigkeiten“, erklärte Ro, womit sie Quark jäh aus seinen Überlegungen riss. „Und seit damals bin ich mir sicher, dass die sogenannten Propheten keine Götter sind. Ich habe meinen Glauben an sie verloren.“

Quark atmete tief durch und nickte schließlich. Dann holte er aus dem Regal hinter sich zwei Gläser und schenkte in jedes davon einen doppelten saurianischen Brandy ein. Er schob eines der Gläser zu Ro und stieß mit ihr an. „Ich glaube, den können wir jetzt beide brauchen“, sagte er.

Sie nickte bestätigend, ehe sie das Glas in einem Zug austrank. Der herbe Geschmack des Brandy war ihr deutlich lieber, als der des süßen Cocktails zuvor. Quark folgte ihrem Beispiel und stürzte den Brandy ebenfalls die Kehle hinunter.

„Ich hoffe, dass Sie jetzt nicht schlecht von mir denken?“, meinte Ro leise, fast schon ein wenig schüchtern.

Quark machte große Augen. „Wie könnte ich?“, fragte er entgegen und betrachtete die Frau eingehend. Seine Meinung schien ihr tatsächlich wichtig zu sein. „Was Sie durchgemacht haben war grauenvoll. Es ist kein Wunder, dass Sie dadurch ihren Glauben verloren haben.“ Noch während er mit ihr sprach, machte er sich eine geistige Notiz, ihr niemals Süßigkeiten zu schenken oder gar anzubieten. „Ich halte Sie nach wie vor für eine beeindruckende Frau, Laren.“

Das offene Kompliment des Ferengi war erfrischend und zauberte ein Lächeln auf ihre Züge. Sie fühlte sich unglaublich wohl in seiner Gegenwart. Vielleicht auch deshalb, weil er keine übertriebene Bestürzung heuchelte, wenn gleich er schockiert war. Er hörte ihr zu, nahm Anteil und schien sie zu verstehen. Mehr noch schien er ihre Eigenarten zu akzeptieren, die sie sonst so oft anecken ließ, ohne sich davon abschrecken zu lassen.

Um sie herum kehrte das Leben in der Bar allmählich zurück. Die Stimme einer Frau in Ros Rücken rief „Dabo!“, worauf allgemeiner Jubel ausbrach.

Quark nahm sein Bestell-PADD zur Hand und warf Ro einen entschuldigenden Blick zu. Gewinner tranken gern. Manche gaben sogar Runden aus, wenn sie besonders zufrieden auf einer Glückssträhne surften.

„Gehen Sie nur“, ermutigte Ro den Ferengi, „ich laufe nicht weg.“

Wie beiläufig ließ sie einen Zeigefinger über den äußeren Rand seiner übergroßen Ohrmuschel streichen, woraufhin Quark zuerst erschauerte und dann breit grinste, ehe er sich nickend aufmachte, um eilends seine Kundschaft zu bedienen.

~fin
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