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Die Schneeballschlacht

von RedRose

Die Schneeballschlacht


'Endlich', Dr. McCoy seufzte innerlich auf. Dieses offizielle Treffen mit dem Präsidenten von Alpha VI war vorbei und sie konnten nach draußen. "Sie" waren Jim, Spock, Scotty, Uhura, Chekov, Sulu und seine Wenigkeit.
Der Grund, warum McCoy das Ende des Treffens kaum erwarten konnte war, dass es während des Termins plötzlich angefangen hatte zu schneien.
"Der Winter fängt bei uns aber früh an", war dazu der Kommentar des Präsidenten gewesen, denn eigentlich war es noch Herbst auf Alpha VI - nun ja, Spätherbst, um genau zu sein, aber immerhin.
Doch McCoy war dieser frühe Winteranfang recht. Er empfand das Tanzen der Flocken draußen vor den Fenstern als entspannend und es erinnerte ihn daran, was man mit Schnee alles anstellen konnte: Schneebälle formen, Schneemänner bauen, Schneeengel machen...

Gespannt hatte er zugesehen, wie nach und nach immer größere Flocken vom Himmel gefallen waren, bis die komplette Landschaft bedeckt war. Nun, nachdem es aufgehört hatte zu schneien, konnte er es kaum erwarten, sich wie ein Verrückter in das kalte Weiß zu stürzen und mit den anderen eine Schneeballschlacht zu veranstalten. Dass Einige das eventuell für kindisch halten und dagegen sein würden - vor allem ein gewisser spitzohriger Geselle - war ihm egal. Er würde Spock schon noch davon überzeugen, dass es das Beste für ihn war, mitzumachen, wenn er nicht von einem riesigen Haufen Schnee begraben werden wollte.
Leonard McCoy grinste in sich hinein, während Kirk dem Präsidenten von Alpha VI nochmals die Hand schüttelte und sie alle geschlossen das Regierungsgebäude verließen.
"Na los, Jim", lächelte McCoy seinen Freund an. "Als Captain hast du die Ehre, den ersten Schneeball zu werfen."
"Schneeball?", Kirk lachte. "Pille, das ist nicht dein Ernst. Wir kommen gerade von einem offiziellen Termin und sind auf dem Weg zum Treffpunkt mit anderen Mitgliedern der Crew, von wo wir auf die Enterprise zurückgebeamt werden. Und dann wartet auch schon unsere nächste Aufgabe auf uns."
"Ach komm, jetzt hab dich nicht so." Der Schiffsarzt blickte den Captain bittend an. "Guck dich doch mal um: Das ist Schnee, Jim. Schöner, frisch gefallener Schnee. Wann, meinst du, werden wir das in den nächsten Jahren nochmal sehen? Hm?"
"Na ja...", Kirk zögerte und warf einen kurzen Blick zu Spock, der zwar nichts sagte, dessen Augen aber Bände sprachen. Er war - wie erwartet - eindeutig nicht für diesen Vorschlag. Kirk wandte sich um, wo Scotty, Uhura, Chekov und Sulu mit wenigen Metern Abstand hinter ihnen herliefen und sich unterhielten. 'Scotty ist eigentlich für jeden Spaß zu haben und würde sicher mitmachen', dachte der Captain. 'Sulu und Uhura bestimmt auch und unser Youngster Chekov sowieso.' Kirk lächelte. Ja, so eine kleine Schnellballschlacht konnte lustig werden!

So stimmte er schließlich dem Vorschlag von Pille zu und wandte sich an seine Offiziere: "Gut, Leute, hört mal her. Dr. McCoy möchte gern eine Schneeballschlacht veranstalten und ich denke, dass das in Ordnung geht, solange sie nicht länger als 5 Minuten dauert, damit wir es noch rechtzeitig zum Treffpunkt schaffen. Sind Sie einverstanden?"
Lächelnd vernahm der Captain die freudigen und zustimmenden Ausrufe seiner Leute, von denen als Einziger Spock mit wie üblich unbewegter Miene dastand.
"Na, dann fang ich mal an", erklärte Jim Kirk und bückte sich, um etwas Schnee aufzunehmen.


"He, von hinten ist unfair!", rief McCoy und verzog das Gesicht ob der Kälte, die sich durch den Schnee in seinem Nacken ausbreitete. Chekov hatte ihn dort getroffen und grimmig formte der Arzt einen extra großen Schneeball, um es dem Grünschnabel mal so richtig zu zeigen. Doch als er sich aufrichtete, stutzte er. Genau in seinem Blickfeld, nur wenige Meter entfernt, stand plötzlich Spock. Der Vulkanier hatte sich die ganze Zeit über aus der Schneeballschlacht herausgehalten und so gut wie unsichtbar gemacht, denn bis jetzt hatte McCoy ihn nicht gesehen. Doch jetzt stand er seitlich vor ihm, steif und unbeweglich wie immer und hatte ihn anscheinend noch nicht gesehen. Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Doktors aus. Einen dicken Schneeball in der Hand, der Vulkanier, der ihn nicht bemerkte - eine solche Gelegenheit würde er sicher nicht noch einmal bekommen!

So leise wie möglich stapfte er durch den hohen Schnee näher an den Vulkanier heran, der sich immer noch nicht rührte. Dann holte er aus - und traf Spock tatsächlich mit voller Wucht seitlich im Gesicht!
"Haha! Getroffen!" Die Freude darüber, ausgerechnet Spock voll erwischt zu haben, ließ McCoy jubeln. Doch er jubelte nur eine oder zwei Minuten, denn dann traf ihn plötzlich ein Schneeball an der Schulter!

Erschrocken wirbelte er herum. Hinter ihm, immer noch am gleichen Platz wie zuvor, stand Spock und blickte ihn überrascht an. "Stimmt etwas nicht, Doktor?", fragte er.
"Allerdings." McCoys Augen verengten sich zu Schlitzen und er blickte sein Gegenüber prüfend an. "Wenn ich es nicht besser wüsste, Mr. Spock, würde ich sagen, dass Sie mich gerade mit einem Schnellball beworfen haben!"
Spock zog seine Augenbraue hoch. "Ich bin Vulkanier, Doktor. Der Vulkan ist ein Wüstenplanet, sodass mir so etwas wie Schnee vollkommen fremd ist."
"Mag sein, aber Ihre Mutter ist ein Mensch und Sie sind als Kind sicher häufig auf der Erde zu Besuch gewesen und können daher sehr wohl wissen, was Schnee ist", argumentierte der Doktor und ließ keinen Zweifel daran, dass er dem Wissenschaftsoffizier kein Wort glaubte.
"Das stimmt, aber ich war nie zur Winterzeit auf der Erde." In dem Blick des Vulkaniers lag fast so etwas wie Ehrlichkeit. Aber eben nur fast...
McCoy brummelte etwas vor sich hin und ging an Spock vorbei. Kaum war er ein paar Meter gelaufen, traf ihn erneut ein Schneeball im Rücken!
Augenblicklich blieb der Arzt stehen. Dann drehte er sich langsam um.

Spock stand immer noch am selben Fleck wie vorher, hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und hätte eigentlich wie immer ausgesehen, wenn da nicht seine Augen gewesen wären: Diese braunen Augen mit diesem schalkhaften Ausdruck, der ihn ganz klar als denjenigen entlarvte, der die beiden Schneebälle nach ihm geworfen hatte - und dem das offensichtlich auch noch Spaß machte!
"So, Mr. Spock", murmelte McCoy und beugte sich nach unten, um eine große Menge Schnee aufzunehmen, "Sie meinen also, Sie können mich zum Narren halten, ja? Das, mein Lieber, bedeutet Krieg!"

Wenige Minuten später waren beide klatschnass von den Schneebällen, die sie jeweils aufeinander geworfen hatten. McCoy war inzwischen ganz schön außer Atem. Spock forderte ihn mehr, als er gedacht hatte. Vielen seiner Schneebälle hatte der reaktionsschnelle Vulkanier entkommen können und ihm selbst dafür leider viele verpasst. Doch Aufgeben war für ihn nie infrage gekommen, dafür war die Wut darüber, dass der Wissenschaftsoffizier ihn so gelinkt hatte, einfach zu groß gewesen.
Doch nun konnte der Arzt nicht mehr. "Waffenstillstand!", rief er Spock zu, der gerade dabei war, einen neuen Schneeball zu formen, und setzte sich auf den Hosenboden.
Der Vulkanier richtete sich auf und hob überrascht die Augenbraue. "Heißt das, Sie geben auf?", erkundigte er sich.
"Waffenstillstand heißt Waffenstillstand und nicht Aufgeben, Sie Genie!", mit einem tiefen Seufzer legte sich der Doktor lang ausgestreckt in den Schnee und schloss die Augen.
Das Geräusch von näher kommenden Schritten brachte ihn jedoch dazu, seine Augen wieder zu öffnen. Spock blickte ihn von oben herab an. "Denken Sie nicht, Doktor, dass Sie sich in dieser Kälte... - wie heißt es noch? Ach ja... den Tod holen?"
Leonard McCoy lachte. "Oh doch, Spock. Aber es ist herrlich. Der weiche Schnee unter Ihnen und über Ihnen der strahlend blaue Himmel. Sollten Sie auch mal ausprobieren."
Da er nicht damit rechnete, dass der Vulkanier seiner Empfehlung Folge leistete, schloss der Arzt erneut die Augen. Doch zu seiner Überraschung knackte der Schnee wenig später links von ihm und als er seine Augen öffnete und sich umsah, lag tatsächlich Spock neben ihm!
"Sie haben recht. Es ist wirklich entspannend, im Schnee zu liegen."
"Ja, man holt sich eben nur den Tod dabei", erwiderte McCoy trocken.
"Das ist richtig. Doch immerhin holen wir ihn uns gemeinsam."

Diese Aussage des Vulkaniers machte den Arzt stutzig und er drehte sich auf die Seite, um ihn anzusehen. "Was soll das denn heißen?"
"Nun...", Spock unterbrach sich kurz, bevor er weitersprach: "Ich habe Sie vorhin provoziert und das auf eine nicht sehr höfliche Art und Weise und..."
"...jetzt bereuen Sie es etwa, mich reingelegt zu haben?"
Ohne, dass er es wollte, kamen diese Worte aus dem Mund des Arztes. Doch die Reaktion des Vulkaniers zeigte ihm, dass sie richtig lagen: Schuldbewusst wich dieser seinem Blick aus!
"Ach, Spock..." Verlegen und auch ein wenig gerührt versuchte McCoy, die Bedenken des Wissenschaftsoffiziers zu zerstreuen. "Ich weiß doch, dass Sie das nicht so meinen und außerdem... ist mir so ein hinterhältiges Verhalten von Ihnen nicht unbekannt!"
Spocks Kopf ging nach oben. "Das ist nicht wahr, Doktor."
"Oh doch, glauben Sie mir!"
"Nein."
"Doch."

Sie stritten sich eine Weile herum, bis Spock seinem "Nein" plötzlich mit Körpereinsatz Ausdruck verlieh: Kurzerhand packte er den Arzt bei den Schultern und drückte ihn nieder. Dabei amüsierte ihn der verwirrte Blick McCoys sichtlich.
"Zum letzten Mal, Doktor", erklärte er und hatte dabei ein vergnügtes Glitzern in den Augen, "ein solches hinterhältiges Verhalten, wie Sie es nennen, lege ich normalerweise nicht an den Tag. Stimmen Sie mir da jetzt endlich zu?"

Der Arzt sagte nichts dazu. Ihm wurde mit einem Mal bewusst, wie körperlich nah der Vulkanier ihm gerade war - die Hände auf seinen Schultern, das Gesicht nicht allzu weit weg von seinem - und dass ihm durch diesen Umstand trotz der Kälte irgendwie warm wurde. Seltsamerweise nicht von außen, sondern von innen heraus...
McCoy hätte Spock wirklich gerne zugestimmt, damit dieser ihn endlich losließ, doch zu seinem Entsetzen merkte er, dass er plötzlich einen Kloß im Hals hatte, der ihm das Sprechen zunächst unmöglich machte, und dieses fröhliche Leuchten, was in den braunen Augen des Vulkaniers lag, verblüffte ihn so sehr, dass er noch nicht mal wusste, was er überhaupt sagen sollte...
Doch schließlich schaffte er es, sich aus diesem seltsamen Zustand zu befreien und erklärte mit leicht heiserer Stimme: "Ich stimme Ihnen zu, Spock. Wahrscheinlich... ist heute einfach nicht unser Tag."
Der letzte Satz hatte eigentlich scherzhaft klingen sollen, doch kaum hatte er ihn ausgesprochen, merkte McCoy, dass dieser Satz alles andere als lustig geklungen hatte und ihn sogar einen kleinen, schmerzhaften Stich im Herzen spüren ließ.

Nach den Worten des Arztes veränderte sich das Verhalten des Wissenschaftsoffiziers. Das fröhliche Leuchten verschwand aus seinen Augen und fast gleichzeitig ließ er die Schultern des Arztes los. Dann stand er schnell auf. "Sie haben recht, Doktor. Heute ist wohl nicht unser Tag", sagte er, ohne ihn anzusehen.
Betreten und verwirrt blieb McCoy - er hatte sich zwischenzeitlich aufgesetzt - im Schnee sitzen und blickte den Vulkanier an, der ihm den Rücken zudrehte. Ein seltsames Schweigen herrschte zwischen ihnen.
Plötzlich jedoch drehte sich der Vulkanier wieder zu ihm und hielt ihm seine Hand hin. "Wir sollten los. Die anderen sammeln sich und ich glaube, wir gehen gleich weiter zum Treffpunkt."
Perplex nahm der Doktor die kalte Hand des Wissenschaftsoffiziers und ließ sich hochziehen. Dann gingen sie gemeinsam zu den anderen.



Viele Jahre später


Dr. Leonard McCoy und Admiral a. D. saß in seinem kleinen, aber gemütlichen Zimmer in der Altersresidenz, die speziell für ehemalige Angestellte der Sternenflotte gebaut worden war. Er starrte die schmalen Lichtstreifen auf dem Boden an, die durch die Ritzen der zugezogenen Rollos fielen. Die digitale Uhr direkt über der Zimmertür zeigte 14.50 Uhr an.
Sein Blick ging zu der Fernbedienung, die auf dem Tisch lag. Er müsste nur die Hand ausstrecken, sie nehmen und könnte dann die elektronischen Rollos hochfahren lassen, genauso, wie er alles Elektronische in seinem Zimmer mit nur einem Tastendruck bedienen konnte. Doch er hatte einfach keine Lust dazu. Im Gegenteil, die Dunkelheit gefiel ihm und passte herrlich zu seinem Gemütszustand an diesem Tag.

Außerdem würde pünktlich in 10 Minuten Tess mit Kaffee und Kuchen hereinkommen; darüber schimpfen, dass er hier im Dunkeln saß, die Rollos hochfahren und ihm anschließend ihre üblichen Vorhaltungen machen von "Sie müssen sich mehr bewegen" bis "Sie verrotten noch in diesem Zimmer, wenn Sie nicht mal rausgehen." McCoy reagierte meistens mit irgendwelchen schroffen Sprüchen, welche die junge Pflegerin aber gut wegstecken konnte. Sie war die Einzige, die mit dem deprimierten Arzt und Admiral a. D. zurechtkam und diejenige, der er sich zumindest ab und zu öffnete und auch private Dinge erzählte. Die 20-jährige Pflegerin kümmerte sich deshalb fast ausschließlich um ihn. Immer wieder versuchte sie ihn dazu zu überreden, sein Zimmer zu verlassen, Spazieren zu gehen, Kontakt mit den anderen Bewohnern zu suchen, z. B. zusammen mit ihnen zu essen und so weiter. Bis jetzt hatte sie jedoch keinen Erfolg gehabt.

Der Türsummer ertönte und riss den alten Mann aus seinen Gedanken.
"Hallo, Admiral, hier ist Tess. Ich bringe Ihnen Kaffee und Kuchen", sagte die Stimme der Pflegerin durch die Sprechanlage und nur eine Minute später stand sie mit einem Tablett im Zimmer.
"Ach, Admiral. Warum sitzen Sie denn schon wieder im Dunkeln?" Genervt stellte Tess das Tablett auf dem Tisch ab, nahm die Fernbedienung und ließ die Rollos hochfahren.
"Sie wissen doch ganz genau, wo die Fernbedienung ist. Warum machen Sie denn die Rollos nicht hoch, wenn Sie Ihren Mittagsschlaf beendet haben?"
"Das habe ich Ihnen doch schon tausend Mal gesagt, Tess. Weil ich die Dunkelheit mag", erwiderte der alte Mann und bewunderte heimlich das hübsche Profil der jungen Frau. Am besten gefielen ihm an ihr ihre langen braunen Haare, die sie immer zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, und die dunklen braunen Augen. Und ihr Charakter, ja, der war natürlich auch nicht schlecht - ganz im Gegenteil.
"Die Dunkelheit ist aber nicht gut für Sie, Admiral. Sie sind depressiv."
"Das bin ich nicht. Außerdem habe ich Ihnen gesagt, dass Sie mich nicht "Admiral" nennen sollen. Ich bin Arzt, verdammt noch mal, und diese verdammte Beförderung mit diesem dämlichen Titel interessiert mich nicht!"
"Gut", Tess seufzte, "wenn Ihnen das so lieber ist... Doktor."
"Ja, ist es. Vielen Dank auch." McCoy warf ihr einen bösen Blick zu und wandte sich dem herrlichen Stück Sahnetorte zu, dass auf dem Tablett neben einer kleinen Kanne Kaffee und einer Tasse stand.
"Sie verpassen draußen einen herrlichen Wintertag. Es hat über Nacht geschneit - Wollen Sie nicht mal sehen?" Tess war an die große Fensterfront seines Zimmers getreten und sah hinaus.
"Nein, Danke. Mit Schnee können Sie mich jagen." Der alte Mann schob sich eine Gabel voll Sahnetorte in den Mund.
"Aber warum denn? Es sieht wirklich schön aus."
"Nein, ich will nicht."
"Wirklich? Nicht einmal rausschauen?", Tess schien ehrlich überrascht zu sein. Meistens konnte sie ihn wenigstens dazu überreden, einmal aus dem Fenster nach draußen zu schauen. Doch diesmal weigerte sich der alte Mann wirklich hartnäckig, wie sie sehr deutlich aus seiner Stimme heraushören konnte.
"Nein", schnell wichen die blauen Augen McCoys den forschenden Dunklen von Tess aus. Er wusste, dass seine junge Pflegerin ahnte, dass seine Abneigung gegen Schnee etwas mit einem Erlebnis von ihm zu tun haben musste, was er gerne vergessen würde. Und damit lag sie auch - leider - verdammt richtig.

Seit der Schneeballschlacht von damals mit Spock hatte sich etwas Grundlegendes bei McCoy geändert. Seit dieser Schneeballschlacht hatte er gewusst, dass er seit längerem - oder schon immer?! - mehr für den Vulkanier empfunden hatte als Freundschaft. Und die letzte Bemerkung und auch das seltsame Verhalten von Spock am Schluss hatten in ihm den Verdacht geweckt, dass es dem Wissenschaftsoffizier ähnlich ging. Doch er hatte es nie geschafft, mit ihm darüber zu reden, schlimmer noch: Er hatte das Gefühl, mit seinen unbedachten Worten "Wahrscheinlich ist heute einfach nicht unser Tag" etwas zwischen ihm und dem Vulkanier zerstört zu haben, was nicht mehr zu retten war!
Seitdem hasste Leonard McCoy den Winter und ganz besonders den Schnee, denn jedes Mal, wenn es schneite, musste er wehmütig an Spock und die verpasste Chance denken.

Plötzlich ertönte ein lautes Pfeifen, und McCoy zuckte erschrocken zusammen. Er blickte Tess an, die ihn ebenfalls zunächst nur verwirrt ansah. Dann jedoch verstand sie: "Es ist die Sprechanlage - die Rezeption", erklärte sie knapp und ging schnell zur Tür, wo sie auf einen Knopf drückte.
"Zimmer 1156, Zimmer Admiral McCoy, Tess Swanson hier", meldete sie sich.
"Hallo Tess, hier ist Wanda von der Rezeption. Ist Admiral McCoy da?"
"Ja. Was ist los?"
"Hier ist jemand, der ihn gerne besuchen möchte. Er sagte, er kommt unangemeldet, deshalb wollte ich nachfragen, ob der Admiral Zeit für ihn hat."
"Äh, ja ... einen Moment", Tess warf einen fragenden Blick zu McCoy.
"Fragen Sie sie, wer mich besuchen will", flüsterte dieser ihr zu, ziemlich überrascht von der Tatsache, dass er unangemeldeten Besuch bekam.

Jim hatte ihn vor ca. einem halben Jahr besucht und er wusste, dass er jetzt an irgendeiner Reise durch den Weltraum teilnahm, wo jeweils an mehreren Planeten Station gemacht wurde. Seine Tochter Joanna war wie er Ärztin geworden und diente auf einem Raumschiff, war also ebenfalls irgendwo im Weltall unterwegs. Andere enge Freunde, die ihn hier besuchten, hatte er nicht; zu den anderen ehemaligen Offizieren der Enterprise war der Kontakt eingeschlafen und McCoy bezweifelte, dass sie überhaupt wussten, dass er jetzt hier lebte.
Wer also sollte ihn bitte besuchen wollen?

"Wanda, der Admiral fragt, wer ihn besuchen möchte", erklärte Tess.
Eine Sekunde lang herrschte Schweigen am anderen Ende. McCoy spürte, wie sich die alten Muskeln in seinem Körper anspannten und er beugte sich in seinem Sessel etwas weiter nach vorne, um Wandas Antwort genau mitzubekommen.
"Nun ja...", Wanda klang zögerlich und sie hatte ihre Stimme gesenkt, "eigentlich soll ich es nicht sagen, weil es wohl eine Überraschung sein soll, aber... der Mann, der zu Admiral McCoy möchte, ist der vulkanische Botschafter Spock."

Die angespannten Gesichtszüge des ehemaligen Arztes entgleisten nach den Worten der Rezeptionistin. Sein Mund öffnete sich vor Erstaunen, seine Augen weiteten sich und sogar seine Gesichtsfarbe wurde noch ein Spur blasser, als sie es sowieso schon war.
'Spock', dachte er. 'Spock... warum? Warum ist er hier? Was zum Teufel will er von mir?'

"Doktor?" McCoy schreckte auf. Tess stand vor ihm und ihre dunkelbraunen Augen blickten ihn besorgt an. "Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie atmen so schwer..."
"Tue ich das?" McCoy hielt kurz inne. Tess hatte recht, er röchelte schon fast geradezu vor sich hin und auch sein Herzschlag hatte sich in den letzten Minuten bestimmt verdoppelt.
Er atmete einmal tief durch und versuchte, sich zu beruhigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Dass dieser verdammte Vulkanier wohl einmal sein Tod sein würde, hatte er zwar gewusst, aber so einfach wollte er es ihm dann doch nicht machen!
"Keine Sorge, Mädchen", sagte er an Tess gewandt, nachdem er sich beruhigt hatte, "mit mir geht's noch nicht zu Ende. Sagen Sie Wanda, dass Mr. Spock zu mir kommen kann."

Bis zu Spocks Ankunft schaffte es der Admiral a. D. äußerlich ruhig zu bleiben, um Tess nicht weiter zu beunruhigen. In seinem Innern jedoch fühlte es sich an, als ob ein Orkan in seinem Körper toben würde: Sein Herz pumpte wie verrückt, das Blut rauschte in seinen Ohren, sein Hals war trocken und seine Hände zitterten, was er nur dadurch verbergen konnte, dass er sie fest zu Fäusten geballt hatte.
Obwohl er die Ankunft von Spock erwartete, zuckte er bei dem Geräusch des Türsummers zusammen. Tess öffnete die Tür und der Vulkanier trat ein.

McCoy konnte später nicht mehr genau sagen, was er erwartet hatte, bevor der Vulkanier in sein Zimmer getreten war. Klar war jedoch, dass er total überrascht war, als er Spock nach dieser gefühlten Ewigkeit wiedersah.
Es überraschte ihn, wie anders er aussah. In seiner Erinnerung war Spock so geblieben, wie er ihn zuletzt gesehen hatte. Nun wurde dieses Bild zerstört und durch ein Neues ersetzt, und zwar durch das eines viel älteren Spock. Der Vulkanier hatte im Alterungsprozess ein paar Kilos mehr draufbekommen - er als Mediziner sah so etwas sofort - und auch die Falten in seinem Gesicht waren tiefer geworden, einige waren sogar hinzugekommen. Einzig die schwarzen Haare schienen noch nicht vom Alter betroffen zu sein - McCoy jedenfalls kamen sie so schwarz und glänzend vor wie eh und je.

Während er Spock so betrachtete, bemerkte er plötzlich, dass auch der Vulkanier ihn musterte und ihm wurde schlagartig klar, was er selbst für ein Bild abgeben musste: schneeweißes, noch kaum vorhandenes Haar, das Gesicht eingefallen und faltig, zusammengesunkener Körper, blass - ein Bild des Jammers!
'Verdammt', dachte er. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Blick seiner jungen Pflegerin zwischen den beiden Männern hin und her ging. Sie schien verwirrt zu sein, was er nur zu gut verstehen konnte, immerhin hatten sie sich noch nicht einmal begrüßt, sondern starrten sich wie zwei Verrückte an!
McCoy beschloss, dass sie sofort damit aufhören mussten, wenn sie sich nicht komplett lächerlich machen wollten. Daher räusperte er sich und bemühte sich um ein freundliches Lächeln.
"Hallo, Mr. Spock", sagte er und hoffte, dass der Ton seiner Stimme möglichst normal war und nichts von seiner inneren Anspannung preis gab. "Schön, dass Sie mich besuchen kommen. Darf ich Ihnen Tess vorstellen? Sie unterstützt mich ein bisschen in dieser... äh ... Einrichtung."
Der alte Arzt vermied bewusst das Wort "Pflegerin", auch wenn sich Spock wahrscheinlich schon denken konnte, welche Funktion Tess hatte. Ein bisschen Würde musste man sich schließlich bewahren, selbst wenn man aussah wie eine lebende vertrocknete Rosine.
"Guten Tag." Tess lächelte Spock an, der ihr zunickte. "Möchten Sie vielleicht auch ein Stück Kuchen und einen Kaffee?"
"Nein, danke." Der Vulkanier schüttelte leicht den Kopf und Leonard McCoy konnte nicht verhindern, dass sein altes Herz einen leichten Hüpfer machte, als es nach so langer Zeit seine Stimme hörte.
"Gut... ich würde Sie dann allein lassen, wenn Dr. McCoy mich nicht noch braucht..."
"Nein, danke Tess. Gehen Sie ruhig, Mr. Spock und ich kommen zurecht."
"In Ordnung." Die junge Frau lächelte ihm nochmal zu und verließ das Zimmer.

Nun waren sie allein. Admiral und Doktor a. D. Leonard McCoy und der vulkanische Botschafter Spock, zwei Männer, die sich sehr lange nicht gesehen hatten.
Wie einige Minuten zuvor sahen sie einander an, doch diesmal musterten sie sich nicht, sondern blickten in die Augen des jeweils anderen, beide auf der Suche nach etwas, das verriet, wie es dem anderen ging und was gerade in seinem Kopf vorging.
Der Arzt war der Erste, der dieses Unterfangen aufgab. "Kommen Sie, Spock. Wollen Sie sich nicht setzen?", fragte er, doch zu seiner Überraschung schüttelte der Vulkanier wieder nur leicht den Kopf. Anstatt sich zu setzen, trat er ans Fenster und blickte hinaus. McCoy musterte Spocks Rücken und ihm fiel auf, dass er sehr gerade war, schon fast zu gerade. Spock lief zwar immer herum, als ob er einen Stock verschluckt hätte, doch diese starre Haltung war selbst für ihn übertrieben. 'Er ist genauso angespannt wie ich', dachte der alte Mann und irgendwie tröstete ihn diese Erkenntnis und nahm ihm den Druck, selbst besonders ruhig wirken zu müssen.

"Haben Sie vielleicht Lust, rauszugehen, Admiral? Es hat geschneit."
"Genau aus dem Grund möchte ich nicht rausgehen, Spock. Ach ja, und lassen Sie das bitte mit dem 'Admiral'. Ich bin in erster Linie Arzt außer Dienst."
"Nach meiner Erinnerung mochten Sie Schnee früher sehr", auf die letzten Worte des Doktors ging der Vulkanier nicht ein.
"Tja, Dinge ändern sich eben." Ein leicht bitteres Lächeln erschien auf McCoys Gesicht. "Nichts bleibt so, wie es war. Finden Sie nicht, dass wir beide dafür zwei gute Beispiele sind?"
Der vulkanische Botschafter drehte sich zu ihm um, blickte ihn an und man konnte deutlich sehen, wie der Blick seiner braunen Augen weich wurde. "Doch, da haben Sie recht, Doktor."

Einige Minuten lang herrschte Stille im Zimmer. Keiner der beiden Männer wusste, was er sagen sollte. McCoy wusste, dass er Spock fragen sollte, was er hier bei ihm wollte nach all den Jahren, doch er hatte ein komisches Gefühl bei dem Gedanken daran, weshalb er lieber seinen Mund hielt.
Schließlich jedoch hielt er dieses seltsame Schweigen zwischen Ihnen nicht mehr aus. "Nun kommen Sie schon, Spock. Setzen Sie sich zu mir und wir unterhalten uns ein wenig. Mich interessiert nämlich ehrlich gesagt sehr, was Sie die letzten Jahrzehnte so getrieben haben, außer alt und faltig zu werden wie ich."

Nach einem kurzen Zögern leistete der Vulkanier der Aufforderung des ehemaligen Arztes der Enterprise Folge. Auf die Fragen, die McCoy ihm stellte, antwortete er zunächst zurückhaltend; öffnete sich dann jedoch nach und nach. Kurz darauf unterhielten sich die beiden alten Männer so, als wären sie nie voneinander getrennt gewesen. Sogar die altbekannten kleinen Frozeleien zwischen ihnen stellten sich fast automatisch ein.
Für McCoy war dieses Gespräch mit Spock wie ein Jungbrunnen. Mit einem Mal fühlte er sich nicht mehr wie 140, sondern höchstens 90 oder 100 Jahre alt. Seine Knochen schmerzten nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Stunden und er konnte sogar seine Arme, die ihm normalerweise vorkamen, als wären sie 10 Tonnen schwer, unbehindert heben und mit den Händen beim Reden gestikulieren.
McCoy wäre kein guter Arzt außer Dienst, wenn er nicht genau wusste, dass dies mit seiner starken Zuneigung zu diesem spitzohrigen faltigen Mann zu tun hatte, der ihm gegenüber saß. Doch er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, denn bei diesem Gespräch war er etwas, was er schon monatelang nicht mehr richtig gewesen war: Glücklich.

"Tja, da tummeln Sie sich also viel auf Romulus herum", fasste McCoy schließlich Spocks Tätigkeit zusammen. "Aber was Sie da machen, können Sie mir wirklich nicht erzählen?"
"Können tue ich schon, ich möchte und darf es nur nicht", stellte der Vulkanier genau klar und blickte mit einem Mal genau in blauen Augen des Doktors, dessen Herz darauf unwillkürlich einen großen Hüpfer machte. 'Mann, du bist ganz schön verknallt', dachte der ältere Mann und merkte, wie seine Wangen heiß wurden. Schnell wich er Spocks Blick aus und hoffte sehr, dass er seine roten Wangen nicht bemerkt hatte.
Stille trat zwischen den beiden Männern ein und Spock sah zum Fenster. Es wurde draußen bereits dämmerig.
"Hätten Sie jetzt vielleicht Lust nach draußen zu gehen, Doktor? Es ist noch nicht ganz dunkel."
"Lust hätte ich jetzt ehrlich gesagt schon", erwiderte McCoy, "doch ich fürchte, dass ich nicht mit Ihnen Schritt halten kann... ich benötige einen Stock zum Gehen und auch eventuell... einen Arm, an dem ich mich abstützen kann." Leonard vermied bewusst die Bezeichnung "Ihren Arm", um ein weiteres Rotwerden seinerseits zu verhindern. Er war wirklich unheimlich schlecht darin geworden, seine Gefühle vor dem Vulkanier zu verbergen! Früher auf der Enterprise war ihm das viel leichter gefallen.
"Ich bin gerne bereit, Sie zu stützen", erklärte der Vulkanier sofort und seine braunen Augen blickten ihn offen und ohne jede Ablehnung an. Kurz biss sich der alte Mann ihm gegenüber noch leicht zögernd auf die Unterlippe, doch dann nickte er.
"Gut, packen wir es an, Mr. Spock. Mein Wintermantel müsste da vorne im Schrank hängen..."


Wenige Minuten später traten Botschafter Spock und Dr. McCoy, Admiral und Arzt außer Dienst, aus dem Turbolift der Altersresidenz.
Wanda an der Rezeption bemerkte als Erste, wer aus dem Turbolift stieg, und konnte es im ersten Moment nicht glauben. Dieser alte Mann mit dem Gehstock, der von dem vulkanischen Botschafter gestützt wurde, war doch dieser McCoy, den sie nur einmal kurz bei der Anmeldung und dann nie wieder gesehen hatte! Dieser Querulant, der eigentlich nur in seinem Zimmer hockte und mit dem nur Tess klarkam!
Verblüfft verfolgte sie mit weit aufgerissenen Augen, wie die beiden Männer durch die sich automatisch öffnende Tür nach draußen gingen. Nachdem sie jedoch den ersten Schock überwunden hatte, piepte sie Tess an.
"Ja, hier Tess?"
"Tess, du glaubst nicht, was gerade passiert ist..."
"Wanda, bist du das? Was ist los?"
"Äh ja, ich bin's, sorry. Du, ich muss dir unbedingt was erzählen - du wirst es nicht glauben...!"


"Doktor, kann es sein, dass Sie hier so eine Art Berühmtheit sind?", fragte Spock, während er mit McCoy langsam, aber stetig in dem verschneiten Park neben der Altersresidenz spazieren ging.
"Wie kommen Sie darauf?." Der alte Arzt gab sich ahnungslos und tat so, als hätte er die Blicke der anderen Bewohner, die mit ihren Verwandten oder auch allein in der Dämmerung spazieren gingen, nicht bemerkt.
"Mir ist aufgefallen, dass Sie und ich von anderen Bewohnern hier überrascht, manchmal auch verwirrt, angesehen werden. Wissen Sie, warum?"
Einige Sekunden schwieg McCoy nach dieser Frage von Spock. Sollte er ihm die Wahrheit sagen oder nicht?
Am Schluss entschied er sich für die Wahrheit, auch wenn es ihm unangenehm war, darüber zu sprechen. Denn jetzt, wo es ihm so gut ging, kam ihm sein vorheriges Verhalten dumm und kindisch und so gar nicht wie das eines weisen alten Mannes von 140 Jahren, der er nun war, vor.
Er räusperte sich: "Nun, es mag daran liegen, dass sie mich nicht so richtig kennen ... Ich bin eigentlich nie bei den Mahlzeiten da, weil ich immer auf meinem Zimmer esse und auch sonst verlasse ich ... oder habe ich ... mein Zimmer eigentlich nie verlassen."
Spock blieb nach den Worten seines alten Freundes abrupt stehen und drehte sich zu ihm. Auf seiner Stirn kräuselten sich tausende Falten, als er ihn mit hochgezogener Augenbraue ansah: "Wollen Sie mir sagen, dass Sie in den ganzen Monaten, die Sie hier sind, nicht einmal Ihr Zimmer verlassen haben?"
Ein dicker Kloß steckte bei dem Anblick von Spocks Miene in McCoys Hals. Anscheinend hatte er den Vulkanier mit seinem Geständnis überrascht ... und das nicht gerade angenehm. Doch es gab kein Zurück mehr.
"Ja", bestätigte er mit rauer Stimme und schluckte schwer, um den Kloß loszuwerden.

Spock schwieg, zeigte keine Reaktion. McCoys Hand lag immer noch auf seinem Arm, doch er hatte das Gefühl, gleich umzukippen und auf den vom Schnee geräumten, harten Betonweg zu fallen. Am Horizont färbte die untergehende Sonne den Himmel in die schönsten Rottöne, die man sich vorstellen konnte. Eine Krähe schrie von irgendwoher. Deutlich konnte man die Atemwölkchen von ihnen in der kalten, klaren Winterluft sehen. Mit einem Mal hatte McCoy das Gefühl, mit Spock allein in diesem Park zu sein.

Plötzlich jedoch bemerkte der Arzt außer Dienst eine Reaktion des Vulkaniers. Seine Augen bekamen einen besorgten Ausdruck, als er ihn zum zweiten Mal an diesem Tage, nach ihrer ersten Begegnung nach all diesen Jahren, musterte. Nach dieser Musterung blickten die braunen Augen von Spock in die Blauen von McCoy, und der ehemalige Arzt konnte nicht glauben, was er in diesen braunen Augen las: Wärme und tiefes Mitgefühl. Die Offenheit von Spock, ihm seine tiefsten Empfindungen zu zeigen, schockierte ihn zunächst. Doch dann berührte die Wärme in Spocks Blick sein altes Herz und riss seine Schutzmauern nieder. Seine Angst davor, ihm seine Gefühle zu zeigen, schrumpfte auf ein Minimum. McCoy wusste, dass er keine Angst vor Spock haben musste, denn die Gefühle, die er hatte - Einsamkeit, Trauer, das Vermissen der alten Zeiten - all diese Gefühle kannte auch der Vulkanier.

McCoy hätte ewig in diese braunen Augen schauen können, doch der Botschafter von Vulkan unterbrach den Blickkontakt.
"Da vorne ist eine Bank", sagte er und als der alte Arzt seinem Blick folgte, sah auch er die Holzbank, die nur wenige Meter von ihnen entfernt am Wegrand stand. "Möchten Sie sich ein wenig ausruhen?" McCoy nickte, für mehr war er noch zu überrascht. Sie setzten sich und beobachteten eine Weile den Sonnenuntergang.
Während sie dort saßen, kämpfte McCoy mit dem Wunsch, Spocks Hand zu nehmen und sich an ihn zu lehnen, doch er riss sich zusammen. Woher zum Teufel sollte er schließlich wissen, dass Spock dies überhaupt wollte, geschweige denn, ob er die gleichen Gefühle für ihn hatte, wie er für Spock! Er wusste zwar nun, dass Spock Verständnis für seine Einsamkeit und Trauer hatte, aber hier ging es um richtig tiefe Zuneigung - ums Eingemachte sozusagen. Außerdem wollte er vorher noch eine andere Frage klären, die eventuell auch klären konnte, wie Spock zu ihm stand. So schön es war, mit ihm zusammen der Sonne beim Untergehen zuzusehen, der ehemalige Schiffsarzt musste Gewissheit haben. Und es war nicht klar, ob es später noch Zeit oder Gelegenheit geben würde, den Vulkanier zu fragen.

Also nahm Leonard McCoy all seinen Mut zusammen: "Spock", er räusperte sich kurz, bevor er fortfuhr, "warum sind Sie hier? Warum besuchen Sie mich?"
Der Vulkanier antwortete nicht sofort und als er zu sprechen begann, sprach er langsam und zögerlich und es wirkte so, als wäre er unsicher.
"Nun ... ich wollte eigentlich die ganzen Jahre Kontakt zu Ihnen aufnehmen, habe Ihren Werdegang - unter anderem Ihre Ernennung zum Admiral - aufmerksam verfolgt. Aber ich hatte einfach ... nie Zeit, Sie zu besuchen." Die letzten Worte des Vulkaniers ließen den alten Schiffsarzt aufhorchen. Er blickte ihn an und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er diesen letzten Worten auf gar keinen Fall Glauben schenken sollte. Spock spürte McCoys Blick, erwiderte ihn endlich und deutlich konnte sein Gegenüber Schuld in dessen braunen Augen lesen. Spock schüttelte leicht den Kopf: "Vergessen Sie, was ich zuletzt sagte", erklärte er mit leiserer Stimme als zuvor. "Ich war - wie sagt man noch? - zu feige, um Sie zu besuchen."
Der Arzt und Admiral außer Dienst nickte langsam, nachdem die Worte des Vulkaniers zu ihm durchgedrungen waren. "Reden Sie weiter", bat er mit rauer Stimme und wandte sich wieder dem Sonnenuntergang zu. Hoffnung keimte in ihm auf und es fiel ihm schwer, sie zu kontrollieren. Konnte es wirklich sein, dass Spock nach all den Jahren noch immer etwas für ihn empfand?

"Dann kam das ... Projekt auf Romulus, an dem ich arbeite und jetzt habe ich wirklich nur noch wenig Zeit, um mich um andere Dinge zu kümmern. Doch je länger ich dort war, umso mehr musste ich an Sie denken und daran, dass ich Sie gern wiedersehen würde. So habe ich mir ein paar Tage frei genommen und bin hierhergekommen."
"Dieses Projekt ist Ihnen sehr wichtig, nicht wahr?", fragte McCoy.
"Ja. Wenn es gelingt, wird es das Universum in gewisser Weise verändern."
"Ich hoffe, nicht in schlechter Weise."
"Nein, ich denke nicht."
"Die Veränderung wird aber in jedem Fall logisch sein, nicht wahr?" Leonard McCoy konnte sich diesen Seitenhieb nicht verkneifen, doch er kam genau richtig, um die leicht angespannte Stimmung zwischen ihnen zu lockern.
Der vulkanische Botschafter sah ihn an, seine braunen Augen glänzten: "In jedem Fall wird die Veränderung logisch sein", bestätigte er und McCoy konnte nur erahnen, wie sehr ihm seine vorherige Bemerkung gefallen hatte.
Der alte ehemalige Schiffsarzt lächelte. "Dann ist ja alles gut."

'Gar nichts ist gut', dachte er jedoch kurz darauf genervt und verdrehte innerlich die Augen. McCoy hatte nun eine leise Ahnung, eine große Hoffnung, dass Spock ähnliche Gefühle wie er für ihn hegte, doch genau wusste er es immer noch nicht. Und wenn er es nicht bald schaffte, selbst die Initiative zu ergreifen, dann würde er es nie mit Sicherheit wissen. Und verdammt noch mal, mit 140 Jahren sollte man dazu doch eigentlich in der Lage sein, oder? Was hatte jemand in seinem Alter denn schließlich noch zu verlieren? Nichts, richtig. Und genau deswegen könnte es ja auch so schön einfach sein. Wenn, ja, wenn er nicht so einen dicken Kloß im Hals hätte, der ihn am Sprechen hinderte. Wenn er wüsste, was er sagen sollte oder zumindest mal vernünftig darüber nachdenken könnte, während Spock neben ihm saß. Wenn...

"Doktor, Sie zittern", McCoy zuckte zusammen und wandte sich dem Vulkanier zu. Besorgte braune Augen blickten ihn an.
"Äh... stimmt, Sie haben recht." Ein wenig perplex stimmte McCoy Spock zu. Verdammt, was war denn jetzt mit ihm los? Er fror doch gar nicht!
"Ist Ihnen kalt?" Mit einem Mal merkte der Arzt und Admiral außer Dienst, dass Spock neben ihm einige Zentimeter näher gekommen war. Er hatte das Gefühl, sein Herzschlag würde sich verdreifachen.
"Ähm ..." Schnell wich der ehemalige Schiffsarzt Spocks Blick aus. Er dachte daran, dass er wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen würde, sollte der Vulkanier noch näher kommen. Und dass er sich andererseits nichts mehr wünschte, als ihm nahe zu sein...
"Doktor ..." McCoy hatte keine Wahl, er musste Spock ansehen. Immer noch dieser besorgte Ausdruck in den schönen braunen Augen.
"Es ... es geht mir gut, Spock. Das Zittern ist glaub ich nur wegen der Aufregung ..." Ohne dass er es wollte, legte er beruhigend eine Hand auf die des Vulkaniers. Die Berührung sandte angenehme Schauer durch seinen Körper - fast augenblicklich hörte er auf zu zittern. Einzig sein schneller Herzschlag blieb. Vorsichtig legten sich Spocks Finger um seine Hand; hielten sie fest.

So saßen sie eine Weile dort, beide die Blickte auf ihre verschlungenen Hände gerichtet. Keiner von beiden traute sich, den anderen anzusehen, den nächsten Schritt zu tun. Jeder von ihnen musste sich zunächst an die Nähe des anderen, so schön sie auch war, gewöhnen.
Spock war derjenige, der den nächsten Schritt wagte. Vorsichtig berührte er mit seiner anderen Hand McCoys Wange, brachte ihn dazu, ihn anzusehen. Aufregung, Ruhe, Angst, Vertrauen - verschiedene widersprüchliche Gefühle spiegelten sich in den blauen Augen des Doktors wider. Doch Spock spürte auch die Sehnsucht seines alten Freundes, ihm nahe zu sein - ihre Hände hielten sich gegenseitig fest und keiner von beiden wollte die Hand des anderen loslassen.
Langsam näherte sich Spocks Gesicht McCoys, welcher langsam die Augen schloss. Als ihre Lippen sich berührten, zuckten beide kurz zusammen...

Wenig später lagen McCoys Hände in Spocks Nacken, während Spock seine Arme um McCoys Körper geschlungen hatte. Immer wieder küssten und streichelten sie sich.
Irgendwann lehnte McCoy erschöpft an Spocks Schulter, der den Arm um ihn gelegt hatte. Beide schwiegen und genossen die Nähe des anderen.
"Es tut mir Leid, Spock." Der ehemalige Schiffsarzt der Enterprise durchbrach die Stille. "Damals, auf Alpha VI bei der Schneeballschlacht ... Ich habe damals einfach nicht erkannt, was mit dir los war und was du mir sagen wolltest. Ich habe auch nicht gewusst, was ich für dich empfinde..." McCoy brach ab, er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte, welche Worte es gab, mit denen er seine Gefühle ausdrücken konnte.
"Ist schon gut, Leonard." McCoy spürte einen leichten, warmen Druck an seiner Schulter. "Ich habe mir später selbst Vorwürfe gemacht, mich nicht besser unter Kontrolle gehabt zu haben. Es war ein sehr schlechter Zeitpunkt, dir zu zeigen, was ich empfinde und ich kann deine Reaktion heute gut nachvollziehen. Ich denke, ich hätte an deiner Stelle nicht anders gehandelt."
Der Admiral und Arzt außer Dienst neben ihm lachte. "Große Worte, Spock. Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass du mal zugeben würdest, an meiner Stelle so zu handeln wie ich."
"Ich habe es nur vermutet", korrigierte ihn der Vulkanier. "Mit Sicherheit sagen kann ich es natürlich nicht."
"Natürlich", lächelte McCoy und schmiegte sich ein wenig enger an ihn.


Leonard McCoy kam erst kurz bevor das Abendessen serviert wurde zur Altersresidenz zurück. Gespannt beobachtete Tess durch die Glastür des Eingangsbereichs, wie er sich von seinem Besuch, dem vulkanischen Botschafter, verabschiedete. Sie gaben sich die Hand und winkten sich noch einmal zu, doch ihr Bauchgefühl sagte Tess deutlich, dass etwas zwischen den beiden passiert war, als sie zur Eingangstür kam, um McCoy zu stützen.
"Hallo, Tess."Er strahlte sie an und die junge Frau brauchte eine Sekunde, um auf die überraschend freundliche Begrüßung zu reagieren.
"Hallo, Doktor." Sie lächelte ihn an. "Soll ich mit nach oben kommen und Ihnen aus dem Wintermantel helfen?"
"Danke, gern." Sie gingen zu dem Turbolift und stiegen ein.
"Ich möchte in Zukunft übrigens mit den anderen Bewohnern im Speisesaal essen", erklärte McCoy, während sie hochfuhren.
"Tatsächlich?" Tess zog überrascht die Augenbrauen hoch, dann jedoch lächelte sie. "Ihr Besuch heute hat offensichtlich einen guten Einfluss auf Sie."
"Quatsch. Diese Entscheidung habe ich ganz allein getroffen." McCoy merkte plötzlich, dass er sein Glück wohl doch etwas zu offensichtlich gezeigt hatte und ruderte zurück.
"Kann sein. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass die Gesellschaft des vulkanischen Botschafters Ihnen heute gutgetan hat. Wann kommt er Sie wieder besuchen?"
Nur eine Sekunde nach ihrer Frage hielt der Turbolift. Während Tess ihm beim Aussteigen half, wurde McCoy knallrot, als er ihr antwortete: "Morgen..."


ENDE
Vielen Dank an Emony fürs Betalesen.
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