TrekNation

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Mit einem Lächeln

von Martina Strobelt

Kapitel 1

In der Übungshalle war es dämmrig. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen, doch das störte die beiden Cardassianer nicht, die hier unter dem Gelächter und den anfeuernden Rufen ihrer Kameraden miteinander rangen.
„Auseinander!“
Dieser barsche Befehl ließ die Zuschauer der Prügelei schlagartig verstummen. Sie wichen zurück und bildeten eine Gasse für den Offizier, der nun zu den Kämpfenden trat, die sich nach wie vor auf den Steinfliesen wälzten.
„Ich sagte auseinander, und zwar sofort!“
Die Stimme des Offiziers bebte vor Zorn und diesmal erzielte er die gewünschte Wirkung.
Die Kontrahenten lösten sich voneinander, standen hastig auf und nahmen Haltung an.
„Wer von euch hat damit angefangen?“
Die beiden Soldaten tauschten einen kurzen Blick. Der Ältere hatte ein blaues Auge und seine Nase sah aus, als ob sie gebrochen war. Der Jüngere blutete aus einer Wunde an der Stirn. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, überlegte es sich dann jedoch anders und presste schweigend die Lippen zusammen.
„Ich habe euch etwas gefragt!“, sagte der Offizier scharf. „Also schön, wie ihr wollt“, fuhr er fort, als die Soldaten statt einer Antwort nur schweigend die Köpfe senkten. „Eine Woche Arrest für jeden von euch. Das wird euch lehren, wie man sich als Angehörige des cardassianischen Militärs zu benehmen hat.“

* * *

Fauchend löste sich der Schuss aus der Mündung des Lasergewehres, verfehlte den von der jungen Bajoranerin anvisierten Baum und brannte sich in den Stamm eines seiner Nachbarn. Wutentbrannt schleuderte sie die Waffe zu Boden.
„Verdammt, der Lauf ist völlig verbogen!“
„Natürlich ist er das.“ Der junge Bajoraner, der an einem der anderen Bäume lehnte und ihre Bemühungen belustigt beobachtete, grinste. „Hier gibt es niemanden, der eine einwandfreie Waffe besitzt. Wir verfügen leider nicht über den Luxus von Replikatoren, die uns bei Bedarf mal eben einige Hundert neue Gewehre liefern.“
„Aber wie soll man denn mit so einem Schrott kämpfen?“
„Glaub mir, Laren, wenn du dich erst daran gewöhnt hast, wirst du feststellen, dass man keinen geraden Lauf braucht, um Cardassianer zu erschießen. Also los, versuch es noch einmal, aber diesmal solltest du die Waffe ein wenig mehr nach links halten.“
„Nach links?“
„Von mir aus auch nach rechts, kommt drauf an, nach welcher Seite das Ding verbogen ist. Probier es einfach aus. Es ist alles eine Sache der Übung.“
„Hoffentlich.“ Ro Laren hob das Gewehr auf und brachte es erneut in Anschlag. „Meinst du, dass Laila mich heute Nacht mitnehmen wird?“ Sie betätigte den Auslöser, doch wieder blieb das ursprüngliche Ziel unversehrt.
„Wenn du bis dahin nicht besser triffst, bestimmt nicht.“ In gespielter Furcht warf sich ihr Gefährte auf die Knie. „Ihr verehrten Propheten, habt Erbarmen und bewahrt mich reuigen Sünder davor, jemals in der Nähe eines der Ziele dieser Meisterschützin zu stehen. Ich verspreche, dass ich niemals wieder über euch und eure Diener lästern werde, oder ... “
Von einem Lachanfall geschüttelt, brach er ab. Doch seine Erheiterung hielt nur so lange an, bis ihre Faust an sein Kinn krachte.
Ehe er wusste, wie ihm geschah, lag er bereits rücklings auf der Erde, über sich ihr zorniges Gesicht, dessen Ausdruck ihn trotz seines schmerzenden Kinns erneut zum Lachen brachte.
„Gnade, edle Herrin, ich flehe Euch an, schlagt mich nicht!“, wimmerte er in einem Tonfall, der sie noch mehr reizte.
Unter lautem Wehklagen wehrte er ihre wütenden Hiebe ab, als plötzlich eine ärgerliche Stimme erklang: „Kyan, Laren, hört sofort auf!“
Die beiden jungen Bajoraner fuhren herum, sprangen auf und blickten direkt in die funkelnden Augen ihrer Anführerin. Laila hatte die Hände in die Seiten gestemmt und ihre finstere Miene verhieß nichts Gutes.
„Das versteht ihr also unter Schießübungen.“ Sie bückte sich und hob das Lasergewehr auf, das Ro während der Prügelei fallen gelassen hatte, und warf es dem Mädchen zu. „Kein Wunder, dass du immer noch so schlecht triffst, wie an dem Tag, an dem du zu uns gestoßen bist!“
„Das ist nicht wahr!“, begehrte Laren hitzig auf. „Ich bin schon viel besser geworden, oder Kyan?“
Ihr Freund verdrehte die Augen. „Sie verfehlt ihr Ziel nicht mehr um Lichtjahre, sondern nur noch um ein, zwei Meter und ...“ Er verstummte mitten im Satz, griff sich ans Herz und sank mit einem Aufschrei zu Boden.
„Bei den Propheten, was hast du?“, rief seine Anführerin erschrocken.
„Ich verende“, hauchte Kyan. „Larens tödlicher Blick hat mich durchbohrt und nun ...“
„Das reicht!“ Lailas Nasenflügel bebten. „Ich habe endgültig genug von dir und deinen dummen Witzen! Anscheinend willst du nicht begreifen, dass wir in einer Welt leben, in der für solche Narrheiten kein Platz ist!“
Von einem Moment auf den anderen wurde er ernst. „Warum? - Weil wir am Abend nicht wissen, ob wir den nächsten Morgen noch erleben? Was ist falsch daran, ab und zu mal zu lachen, all das Grauen unseres jämmerlichen Daseins für einige Minuten der Freude und der Heiterkeit zu vergessen? Ich für meinen Fall habe keine Lust, ständig Trübsal zu blasen. Vielleicht laufe ich in der nächsten Stunde schon einer cardassianischen Patrouille in die Arme. Dann will ich in dem guten Gefühl sterben, nicht nur bittere Erinnerungen mit in mein Grab zu nehmen, sondern auch solche an fröhliches Gelächter, oder auch ...“ Seine Hand berührte sein Kinn. „... an eine kleine Rangelei unter Freunden an einem schönen Frühlingstag. „Wenn ich deswegen für dich ein Narr bin, kann ich es nicht ändern. Wenn du so viel Wert auf Leidensmienen in deiner Umgebung legst, rate ich dir, Laren heute Nacht mitzunehmen. Sie weiß ebenso wenig wie du, wie man lächelt, von lachen gar nicht zu reden!“
Damit drehte Kyan sich um und ließ die beiden Bajoranerinnen einfach stehen.
Voller Zorn wollte Ro ihm nachrennen, wurde jedoch von ihrer Anführerin aufgehalten. „Lass ihn, Laren.“ In Lailas Stimme schwang kein Ärger mehr, nur unendliche Traurigkeit. „Er hat recht. Du und ich, die meisten von uns haben nicht nur das Weinen, sondern auch das Lachen verlernt.“
„Weil es nichts zu lachen gibt“, sagte das Mädchen hart. „Nicht in einem Bajor, das von den Cardassianern beherrscht wird! - Und wenn Kyan das nicht einsieht, dann ist er wirklich ein Narr!“

* * *

Die Arrestzelle war ursprünglich nur für einen Insassen gedacht und selbst dafür war sie ziemlich eng. Den beiden Cardassianern, die man hier zusammen eingesperrt hatte, bot sie keine Möglichkeit sich auszustrecken, ohne dass sie einander in die Quere gekommen wären.
Nachdem sie über vier Tage stumm jeder für sich in einer Ecke gekauert hatten, brach der Ältere schließlich als erster das Schweigen: „Für einen Neuling hast du gar nicht schlecht gekämpft.“
„Du warst auch ganz gut, für dein Alter.“
„Na, da soll sich doch noch einer über den bajoranischen Widerstand beschweren. Immerhin hält er uns alle gut in Form. Ich heiße übrigens Geron.“
„Ragur. Bist du schon lange hier auf Bajor stationiert?“
„Seit fünf Jahren, und wenn du mich fragst, dann war jeder Tag davon ein Tag zu viel.“
„Warum? Ich finde, dass Bajor eine schöne Welt ist. Ich wünschte, wir hätten zu Hause auf Cardassia auch so eine üppige Vegetation.“
Einen Moment lang starrte Geron seinen jüngeren Gefährten verblüfft an, dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. „Ein Soldat, der die Natur liebt, ich hätte nie gedacht, dass so etwas überhaupt existiert.“
Ragurs Wangen röteten sich. „Ich wollte nie Soldat werden, sondern ... “ Er zögerte.
„Was?“, hakte Geron nach. „Nur raus damit, ich verrate es keinem weiter, mein Wort drauf.“
„Wissenschaftler“, kam es leise zurück. „Am liebsten ... Botaniker. - Das ist ein Studium, das vom Zentralkommando durchaus als wertvoll eingeschätzt wird, als wichtig für die Erschließung und Kolonialisierung anderer Planeten und ...“
„Du musst dich nicht rechtfertigen, nur weil du nicht zum Militär wolltest.“ Der Ältere machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die Armee ist kein angenehmer Ort, jedenfalls nicht für die unteren Ränge. Aber wenn du lieber studiert hättest, warum ... verstehe,“ unterbrach er sich selbst, als er den verlegenen Gesichtsausdruck des Jüngeren bemerkte. „Deine Familie hatte nicht genug Geld, was?“
Ragurs Wangen glühten. „Meine Eltern sind kurz nach meiner Geburt gestorben. Sie waren auch hier auf Bajor, Farmer, die sich eine neue Existenz aufbauen wollten. Sie sind bei einem Angriff der Rebellen ums Leben gekommen. Ich hatte keine Verwandten, also brachte man mich zurück nach Cardassia.“
„Eine Kriegswaise also, kein Wunder, dass man dich in die Armee gesteckt hat. Aber dass du Bajor für eine schöne Welt hältst, obwohl deine Eltern von Terroristen hier ermordet wurden ...?!“ Gerons Tonfall machte deutlich, dass er an Stelle seines Kameraden andere Gefühle für diesen Planeten gehegt hätte.
Ragur hob in einer fast hilflosen Geste die Schultern. „Die Erde, die Pflanzen, sie können nichts dafür.“
„Was ist mit den Bajoranern, hältst du die etwa auch für unschuldig?“
„Sofern sie zum Widerstand gehören, ganz sicher nicht.“
„Und die anderen?“
„Ich weiß es nicht genau, ich habe nie darüber nachgedacht.“
„Das solltest du aber. Hinter jedem Zivilisten steckt ein Sympathisant der Rebellen. Glaub mir, es gibt keine unschuldigen Bajoraner. Sie stecken alle unter einer Decke, wenn es darum geht, uns anzugreifen. Du darfst keinem von ihnen trauen. Sie lächeln dich an und stoßen dir gleichzeitig im Namen ihrer Propheten ein Messer zwischen die Rippen. Ob Freiheitskämpfer oder Bauer, sie alle sind eine ständige Bedrohung für jeden von uns. Aber du hast recht, natürlich sind die Terroristen am schlimmsten. Eine gefährliche Brut. Solange wir sie nicht ausgemerzt haben, wird keiner von uns hier jemals sicher sein.“
Geron zog die Stirn kraus, doch dann, plötzlich entspannten sich seine Gesichtszüge zu einem breiten Grinsen. „Sag mal, weißt du eigentlich noch, warum wir uns neulich überhaupt geprügelt haben?“
„Du hast behauptet, ich hätte dich in der Übungshalle angerempelt.“
„Tatsächlich?“ Geron lachte. „Na sowas, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“
„Das überrascht mich nicht, da ich das ja nie getan habe.“ Ragur fiel in sein Lachen ein.
Die Wachen, die draußen auf dem Gang standen, wunderten sich, was so komisch daran war, sich zu zweit eine Zelle teilen zu müssen, die nur für einen vorgesehen war.
Vielleicht war es ja gar kein Gelächter, das durch die dicke Holztür nach außen drang. Es konnten genauso gut auch Schreie sein, ja, möglicherweise schlugen die beiden da drinnen sich gerade gegenseitig tot, oder sie hatten ganz einfach den Verstand verloren.

* * *

Die Morgenluft war frisch, ihr fehlte noch die Wärme des Tages. Doch die junge Bajoranerin, die zwischen den hohen Bäumen entlang ging, spürte die Kühle nicht. Zorn war ein gutes Mittel gegen Kälte, und davon empfand Ro Laren im Moment mehr als genug ...
Natürlich hatte Laila sie neulich nachts nicht mitgenommen, und sie würde es auch künftig nicht tun, solange ihre Schießkünste sich nicht besserten. Ihre Anführerin hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie bei ihren Aktionen nur Leute gebrauchen konnte, die ihre Ziele auch mit einem verbogenen Lauf zu treffen vermochten. Vergeblich hatte Ro darauf hingewiesen, dass es andere Arten gab, um Cardassianer zu töten, dass sie mit dem Messer, der klassischen Waffe aller Widerstandskämpfer, besser als manch anderer umzugehen verstand. Laila hatte nichts gelten lassen und ihre Worte klangen immer noch in Ros Ohren:
„Du bist noch so jung, Laren, du wirst noch viele Gelegenheiten erhalten, gegen die Besatzer zu kämpfen, glaub mir, viel zu viele ...“
Kyan, bei dem sie sich beschwert hatte, hatte nur mit den Achseln gezuckt. Wahrscheinlich hielt er sie auch für ein Kind, obwohl er mit seinen siebzehn selbst nur knapp zwei Jahre älter war als sie. Er hatte gemeint, dass Laila bekannt dafür sei, wie ungern sie halbe Kinder in dem Kampf führte, erst recht seit sie im letzten Winter ihre jüngere Schwester bei einem Angriff auf ein Munitionsdepot verloren hatte. Vermutlich machte sie sich immer noch Vorwürfe, weil sie entgegen ihrer eigenen Überzeugung den Bitten ihrer Schwester nachgegeben hatte, die damals ungefähr im gleichen Alter gewesen war wie sie, Laren ...
Aber auch wenn sie sich tausendmal die Schuld am Tod ihrer Schwester gab, hatte ihre Anführerin trotzdem kein Recht, ihr zu verbieten an Angriffen auf die Cardassianer teilzunehmen. Sie war eine Bajoranerin, sie wollte nicht nur zuschauen, wie andere für die Freiheit ihrer Heimat kämpften. Dafür war sie nicht aus dem Flüchtlingslager geflohen ...
Vielleicht sollte sie Lailas Gruppe verlassen und sich einer anderen anschließen, der Shakaar, oder, noch besser der Khon Ma. Nach dem, was sie von den Leuten dort gehört hatte, waren sie um einiges härter und kompromissloser als Laila. So wie jeder Bajoraner wäre sie zwar am liebsten zur Gruppe des berühmten Li Nalas gegangen, aber er operierte in einer weit entfernten Provinz. Die Khon Ma hingegen stellte eine echte Alternative dar, ja, sie sollte wirklich mal darüber nachdenken. Wenn sie bei Laila blieb, würde sie sich vermutlich noch eine halbe Ewigkeit mit diesen verdammten Schießübungen plagen müssen, bevor sie mal auf etwas anderes als auf Bäume zielen durfte ...
Ro warf dem Lasergewehr in ihrer Hand einen bösen Blick zu. „Ich hasse dich! -- Dich und deinen verdammten verbogenen Lauf!“ Einem spontanen Impuls folgend holte die Bajoranerin weit aus und schleuderte die Waffe hoch in die Luft, wo sie einige Kreise beschrieb, um dann einige Meter über ihr in der Krone eines Baumes zu landen.
Ernüchtert starrte Ro nach oben. Sie hasste das Gewehr, weil es sie jedes Mal verriet, wenn sie den Abzug betätigte, aber ohne die Waffe fühlte sie sich nackt und hilflos. Sicher, sie hatte noch ihr Messer, aber was zählte das schon, wenn sie einer cardassianischen Patrouille in die Arme lief?
Was zählt das Gewehr bei deinen Schießkünsten?
Ro ignorierte dieses spöttische Wispern in ihrem Inneren. Sie musste die Waffe unbedingt zurückbekommen. Mochte sie selbst auch mehr schlecht als recht damit umgehen können, Lasergewehre waren rar, und sie verspürte keine Lust, Laila den Verlust von diesem dort zu erklären. Prüfend musterte die Bajoranerin den glatten Baumstamm. Es würde nicht einfach werden, aber sie war schon immer eine gute Kletterin gewesen, sie würde es schon schaffen ...
„Na sowas, wen haben wir denn da?“
Beim Klang dieser Stimme spürte Ro, wie sich ihre Nackenhaare einzeln aufrichteten. Eine Patrouille, und sie war praktisch unbewaffnet ...
Sie unterdrückte den Impuls, ihr Messer zu ziehen, sie hatte ein hitziges Temperament, aber sie war keine Selbstmörderin. Ganz langsam drehte sie sich um, wobei sie vermied nach oben zu sehen. Solange die Cardassianer das Gewehr in den Ästen nicht entdeckten, konnte sie ihnen mit etwas Glück weismachen, aus einem der Dörfer zu stammen. Scheinbar demütig senkte sie die Lider und ließ ihren Blick verstohlen über die Cardassianer gleiten. Es waren drei, wobei einer von ihnen noch sehr jung war, kaum ein paar Jahre älter als sie selbst. Mit ihm wäre sie sicher fertig geworden, aber die anderen beiden sahen nicht so aus, als ob sie leicht zu überrumpeln waren.
Einer von ihnen, vermutlich der Anführer, trat so dicht an sie heran, dass sein heißer Atem ihr ins Gesicht schlug. „So allein im Wald, Kleine. Hat dir noch niemand gesagt, wie gefährlich das ist? Du könntest überfallen werden oder wilden Tieren begegnen.“
Das bin ich bereits, dachte Ro, während sie einen Schritt nach hinten machte. Sie wäre gerne noch weiter zurückgewichen, doch da ihr Rücken bereits den Baumstamm berührte, war das leider nicht möglich. Daher beschränkte sie sich darauf, flach zu atmen, um nicht mehr als unbedingt nötig von der Luft, die der Cardassianer ausstieß, in ihre Lungen zu saugen.
„Ich wollte nur ein paar Beeren sammeln.“ Sie hoffte, dass das einigermaßen glaubwürdig klang, dass ihre Stimme, ihre Augen nicht verrieten, was sie wirklich empfand. Längst bereute sie, ihr Messer nicht sofort gezogen zu haben. Vorhin hätte sie dazu noch die Chance gehabt, doch jetzt würde sie sich nicht einmal mehr ansatzweise in Richtung ihres Stiefels bücken können, ohne dass sich diese cardassianischen Fäuste da um ihre Kehle legen würden.
Im Flüchtlingslager war sie mehr als einmal Zeugin geworden, wie die Wachen einem Bajoraner, der das Unglück gehabt hatte, ihr Missfallen zu erregen, mit bloßen Händen das Genick gebrochen hatten. Vermutlich gehörte es zur Grundausbildung cardassianischer Soldaten zu lernen, wie man Bajoranern einfach mal so eben den Hals umdrehte.
„Beeren sammeln, tatsächlich?“ Der Anführer der Patrouille lachte. „Was für eine langweilige Beschäftigung für so ein reizendes, kleines Ding. -- Findet ihr nicht auch?“, wandte er sich an seine beiden Kameraden.
„Verdammt langweilig“, stimmte der Ältere von ihnen mit einem breiten Grinsen zu. „Aber wie ich Sie kenne, Hauptmann, haben Sie bereits eine gute Idee, wie Sie dem hübschen Kind die Zeit ein wenig vertreiben können.“
Ro spürte, wie ihr der Schweiß in einem dünnen Rinnsal den Nacken hinabzufließen begann. Im Flüchtlingslager waren Vergewaltigungen an der Tagesordnung gewesen und auch in Lailas Gruppe gab es mehr als eine Frau, die von Cardassianern geschändet worden war. Bisher war ihr ein solches Schicksal erspart geblieben, doch wie es aussah, würde sich das nun hier auf dieser Waldlichtung ändern. Warum hatte sie nicht ihr Messer gezogen als sie es noch konnte? Aber jetzt war es zu spät. Gegen drei Soldaten konnte sie allein nichts ausrichten, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie es ihnen nicht so schwer wie möglich machte ...
Ohne Vorwarnung riss sie ihr rechtes Knie hoch und rammte es dem Offizier zwischen die Beine. Der laute Schmerzensschrei, mit dem der Cardassianer zurücktaumelte und zu Boden sank, erfüllte die Bajoranerin mit tiefer Befriedigung. Sie tauchte nach links weg und begann zu rennen.
Die Hand des älteren Soldaten zuckte zum Phaser.
„Nein!“, stieß sein Vorgesetzter, begleitet von einem Stöhnen, hervor. „Ich will das kleine Biest lebend! - Los fangt sie!“
Ro lief so schnell sie konnte, aber sie verfügte nicht über die Ausdauer zweier durchtrainierter Soldaten. Hinter sich hörte sie die Schritte ihrer Verfolger, die immer näher kamen, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie instinktiv den Weg zum Lager eingeschlagen hatte. Wenn sie nicht sofort die Richtung wechselte, würde sie die Cardassianer direkt dorthin führen.
Laila, Kyan und die meisten der anderen Widerstandskämpfer befanden sich zurzeit Meilen entfernt in den Bergen, wo sie einem cardassianischen Nachschubtransport auflauerten. Im Lager hielten sich außer einigen Wachposten nur Kranke, Verwundete und einige Kinder auf. Nicht auszudenken, was für ein Blutbad die Soldaten unter ihnen anrichten würden ...
Links von ihr erstreckte sich eine tiefe Schlucht und zu ihrer rechten bahnte sich ein reißender Fluss seinen Weg durch die Landschaft, entweder sie rannte in diese Richtung weiter, oder ...
Kurzentschlossen blieb die Bajoranerin stehen und zog ihr Messer. Der ältere Cardassianer erreichte sie zuerst. Abrupt hielt er an, als er die blinkende Klinge in ihrer Hand entdeckte.
„Lass das besser, Kleine! Ich will dir nicht weh tun.“ Er lachte anzüglich. „Das überlasse ich dem Hauptmann. Der versteht sich wie kein anderer darauf, euch Bajoranerinnen zum Jammern und Betteln zu bringen.“
„Keinen Schritt näher!“ Drohend hob Ro ihr Messer.
Immer noch lachend sprang der Soldat nach vorne, wich geschickt ihrem Hieb aus und schlug mit aller Kraft auf ihren Unterarm, der mit einem hässlichen Knirschen brach.
Gegen ihren Willen entrang sich ein Schrei aus ihrer Kehle, ihre Finger lösten sich vom Griff des Messers, das mit einem leisen Klirren zu Boden fiel. Der Schmerz, der ihren Körper durchjagte, war so stark, das Ro glaubte, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Sie brach auf die Knie, wie aus weiter Ferne vernahm sie die Stimme des Cardassianers:
„Ich hatte dich gewarnt, Mädchen, aber du wolltest ja nicht hören!“ Er beugte sich über sie und packte sie an den Schultern.
Mit letzter Kraft Riss Ro ihren unverletzten linken Arm hoch, kämpfte gegen die Nebel, die ihr Bewusstsein einhüllten, und rammte ihm ihre Faust in den Unterleib.
Ihr Angriff traf den Soldaten unvorbereitet. Er gab einen gurgelnden Laut von sich, während er sich zusammenkrümmte und nach Luft rang.
Die Bajoranerin wartete nicht, bis er sich erholt hatte, sie rollte sich zur Seite, rappelte sich hoch und begann zum zweiten Mal an diesem Morgen - diesmal jedoch in die entgegengesetzte Richtung - zu rennen. Doch sie kam nicht weit. Benommen durch den Schmerz hatte sie den jüngeren Soldaten vergessen, der das Geschehen beobachtet hatte und sich ihr nun in den Weg stellte. Verzweifelt ließ Ro sich einfach nach vorne fallen. Der Aufprall warf den Cardassianer zu Boden, wobei er die junge Bajoranerin mit sich riss.
In unzähligen Stunden hatte sich Ragur in staubigen Übungshallen auf den Nahkampf mit bajoranischen Terroristen vorbereitet. Aber in seiner Vorstellung waren es immer hünenhafte Gegner gewesen, die versuchten ihn zu töten. Gewissenlose, brutale Mörder, so wie die, die seine Eltern umgebracht hatten ...
Kein schlankes Mädchen mit großen dunklen Augen und langem seidigem Haar, fast noch ein Kind und dazu noch verletzt ...
Instinktiv hatte er ihr, kaum dass sie beide die Erde berührt hatten, die Arme auf dem Rücken verdreht und presste sie nun mit dem Gewicht seines Oberkörpers nieder. Jetzt stöhnte sie schmerzerfüllt, worauf er seinen Griff etwas lockerte.
Ihre Brust hob und senkte sich in raschen Atemzügen. Ihre Augen funkelten ihn hasserfüllt an, doch in ihren Tiefen flackerte unverkennbar Angst. Ihr Gesicht war blass. Durch den Stoff seiner Uniform konnte er die Wärme ihres weichen Körpers spüren, das leichte Zittern, den beschleunigten Schlag ihres Herzens ...
Bei dem Gedanken, was der Hauptmann mit dem Mädchen tun würde, überkam ihn Ekel, mehr noch, Übelkeit. Sie hatte einen cardassianischen Offizier und seine Untergebenen angegriffen, sie hatte ihn angegriffen ...
Aber hatte sie denn eine andere Wahl gehabt ...
Ragur wusste, dass Vergewaltigungen in den Reihen der Armee als Kavaliersdelikt galten, aber er hatte sich nie vorstellen können, eine Frau mit Gewalt zu nehmen, auch keine Bajoranerin. Selbst wenn dieses Mädchen tatsächlich, wie vom Oberkommando behauptet, einer minderwertigen, unterentwickelten Rasse angehörte, gab es doch gewisse Grenzen.
Zumindest sollte das so sein ...
Aus den Augenwinkeln bemerkte der junge Soldat, dass sein Kamerad aufgestanden war und sich ihnen langsam näherte.
„Gut gemacht, Ragur. Der Hauptmann wird sehr zufrieden sein. Ich bin sicher, dass er dir zur Belohnung erlauben wird, dich auch ein wenig mit ihr zu amüsieren, ehe er sie erschießt.“
Jetzt war die Übelkeit so stark, dass Ragur befürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Auf seiner Stirn bildeten sich winzige Schweißtropfen, sein Herzschlag hatte sich inzwischen bestimmt dem der Bajoranerin angepasst.
„Los, fangt sie!“
Auf Subordination stand der Tod, aber wie sollte er es mit seinem Gewissen vereinbaren, das Mädchen seinem Vorgesetzten auszuliefern?
Sie war noch so jung, so wehrlos ...
Er kämpfte mit sich, dann traf er eine Entscheidung.
„Gehörst du zum Widerstand?“, raunte er so, dass nur sie es hören konnte.
Terroristen hatten seine Eltern getötet, eine Rebellin würde er nicht schonen, niemals ...
Ro starrte ihn groß an. Dieser Cardassianer war anders als die anderen beiden, das spürte sie ebenso instinktiv, wie sie ahnte, dass eine ehrliche Antwort auf diese Frage ihr Schicksal besiegeln würde. Daher schüttelte sie stumm den Kopf.
„Du schwörst es?“
Er musste sicher sein, das war er seinen Eltern, das war er sich schuldig ...
Ro zögerte. Die Schritte des anderen Soldaten klangen bereits gefährlich nah. Was spielte ein falscher Schwur schon für eine Rolle, da es doch um ihr Leben ging, ja schlimmer noch ...
Die Bajoranerin entschied, dass die Propheten ihr alles verzeihen würden, sie konnten doch unmöglich von ihr verlangen, sich um einiger Worte wegen zu opfern ...
„Ja“, hauchte sie. „Ich schwöre es, bei den Propheten!“
„Also schön“, flüsterte Ragur ebenso leise, während seine Hände sie freigaben. „Dann lauf!“ Er rollte sich mit einer schnellen Drehung von ihrem Körper, gerade in dem Moment, da der andere Cardassianer sie erreichte.
Ro begriff nicht, was den jungen Soldaten bewogen hatte, ihr zu helfen, und genaugenommen war es ihr gleich. Nur ein Narr hätte diese unverhoffte Chance nicht genutzt ...
Die Bajoranerin spannte sämtliche Muskeln, dann schnellte sie mit einem Satz in die Höhe, rammte dem älteren Soldaten den linken Ellenbogen in die Rippen, schickte noch einen heftigen Tritt in seinen Magen hinterher, um ganz sicher zu gehen, dass er für einige Minuten wenigstens nicht imstande sein würde, ihr zu folgen, dann rannte sie los.
Der Aufschrei des Soldaten, mit dem ihre Aktion belohnt wurde, klang wie Musik in ihren Ohren. Hinter sich vernahm sie lautstark Verwünschungen, die sowohl ihr, als zweifellos auch dem jungen Soldaten galten, doch sie achtete nicht darauf.
Mochte sie auch ihr Gewehr verloren haben, sie lebte, und bis auf den gebrochenen Arm war sie unverletzt. Die Propheten hatten ihre Hand über sie gehalten, und sie würden ihr auch die Lüge verzeihen, die sie in ihrem Namen ausgesprochen hatte, da war sie ganz sicher ...
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