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Lieder meines Herzens

von Nerys

Kapitel 1

Lieder meines Herzens


Die kühle salzige Seeluft trug die leisen Klänge einer bajoranischen Flöte mit sich. Im nahen Hafen schaukelten die an knarrenden Stegen vertäuten Boote im rauen Wellengang. Dunkle Wolken am Horizont verhießen einen heraufziehenden Sturm. Der zerlumpte alte Mann, der vor der Mole auf dem gepflasterten Boden hockte, schien davon jedoch keine Notiz zu nehmen. Die Augen des Flötenspielers waren geschlossen, während er seinem Instrument eine langsame melancholische Melodie entlockte, und sein faltiges wettergegerbtes Gesicht zeigte kaum eine Regung. Er weilte ganz bei seiner Musik.

Joss beschleunigte ihre Schritte, als sie den verhärmten Bajoraner bemerkte, um ihn und sein Gefiedel möglichst rasch hinter sich zu lassen. Ein jäher Zug an ihrem Arm hielt sie zurück, sodass sie einen irritierten Blick über die Schulter hinter sich warf. Ihre Freundin, mit der sie Hand in Hand ging, war stehen geblieben, um verzückt den Flötenklängen zu lauschen.

„Wie wunderschön“, flüsterte Atreia mit einem Leuchten in den blauen Augen.

Die junge Bajoranerin gab ein kaum hörbares Seufzen von sich. „Können wir bitte weitergehen? Ich will im Trockenen sein, bevor das Unwetter die Küste erreicht.“

„Die Wolken sind noch weit genug draußen. Lass uns dem alten Mann nur ein paar Minuten zuhören.“

„Wenn es denn sein muss“, ergab Joss sich. Sie versuchte sich auf die Geräusche der Wellen und der Seevögel zu konzentrieren, doch schon nach kurzer Zeit ließ sie Atreias Hand los, um sich ein Stück weit zu entfernen. Sie bückte sich nach einer weißen Feder, die im trüben Grau diamanthell strahlte. Behutsam strich sie mit der Fingerkuppe über den weichen gefransten Rand. So zart, so filigran fühlte es sich an, und doch vermochten die Vögel Wind und Wasser zu trotzen. Zwei Arme legten sich von hinten um ihre Taille und sie spürte Atreias warmen Atem im Nacken. Die Feder entglitt ihrer Hand, um tänzelnd wie eine dicke Schneeflocke herab zu gleiten.

„Hast du keinen Sinn für schöne Melodien?“ fragte die junge Cardassianerin neckisch. „Bajoranische Lieder können so sanft und leicht sein. Sie berühren mich mehr als die meines eigenen Volkes.“

Joss schälte sich aus der Umarmung ihrer Freundin und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Musik bedeutet mir nichts.“

Verdattert über die plötzliche Bitterkeit in ihrer Stimme blickte Atreia sie an. Sie wollte nachhaken, doch der düstere Ausdruck im Gesicht der Bajoranerin brachte sie dazu den Mund wieder schließen. Schweigend ließen die beiden den gepflasterten Weg hinter sich, marschierten ein Stück weit über den von Treibgut gesäumten Sandstrand und überwanden einige feuchte glitschige Felsen, um zur nächsten Bucht zu gelangen. Kaum zehn Minuten nachdem sie das gestrandete Wrack des Fischerbootes erreicht hatten, zog das Unwetter über die Küste. Durch Ritzen zwischen den Planken drang Wasser in den Rumpf, doch vor der ärgsten Nässe waren sie geschützt. Nebeneinander hockten sie auf den zerschlissenen Decken, die Joss als Schlafstatt dienten und lauschten dem Trommeln des Regens auf Holz. In Gedanken begann Atreia die melancholische Melodie des Flötenspielers vor sich hin zu pfeifen.

„Hör auf damit!“ fuhr Joss sie scharf an.

„Was hast du gegen etwas so Schönes wie es die Musik ist?“ Die Cardassianerin musterte ihre Freundin verständnislos.

Die junge Frau wich dem durchdringenden Blick aus und starrte mit übertriebenem Interesse die Maserungen in der hölzernen Wand an. Ganz vermochte sie sich der stillen Hartnäckigkeit Atreias jedoch nicht entziehen. „Meine Schwester liebte die Musik.“

„Oh“, kam es verblüfft über Atreias Lippen. „Du hast nie erwähnt, dass du eine Schwester hast.“

Joss‘ Miene verdüsterte sich und sie wandte sich rasch ab. „Nicht mehr. Koreen ist vor Jahren gestorben. Ich habe dir erzählt, wie ich aus dem Arbeitslager entkommen bin.“

„Durch einen Spalt unter dem Zaun“, erwiderte die Cardassianerin leise. Sie spürte, dass ihrer Freundin dieses Gespräch Unbehagen bereitete, und vermied es daher, sie zum Weiterreden zu drängen. Sie musste die Worte selbst finden.

„Das war nicht die Wahrheit“, fuhr Joss nach einer Weile des drückenden Schweigens endlich fort. „Koreen liebte es, abends in den Schlaf gesungen zu werden und auch ich habe es immer genossen, den Liedern zu lauschen. Sie war erst drei, als unsere Mutter starb, und ich zehn. Im Lager ist es für Kinder ein Todesurteil, wenn es niemanden mehr gibt, der sich um sie kümmert. Koreens Vater war einer der Wachsoldaten, von dem ich mittlerweile glaube, dass er unsere Mutter wirklich irgendwie mochte. Er brachte uns in die Siedlung in ein Waisenhaus. Von da an kümmerte ich mich um meine Schwester und ich sang immer für sie, weil sie das zum Lachen brachte. Sie war entzückend, wenn sie vor Freude strahlte. Sie war mein Ein und Alles.“

Behutsam ergriff Atreia die Hände der Bajoranerin, die sich kalt und zittrig anfühlten. „Was ist aus ihr geworden?“

Joss rang für einen Moment um ausreichend Festigkeit in der Stimme, damit sie weitersprechen konnte. „Die anderen Kinder hassten Koreen, weil sie zur Hälfte cardassianisch war, und quälten sie ständig, wenn ich nicht hinsah. Sie war so neugierig und nutzte jeden unbeobachteten Moment, um auf Entdeckungsreise zu gehen. An einem Tag konnte ich sie nicht finden, obwohl ich in jedem Winkel nach ihr suchte. Ihr kleiner Körper lag draußen vor dem Hinterausgang und Blut sickerte unter ihren schönen dunklen Haaren hervor. Bei ihr fand ich einen blutigen Stein. Sie war eiskalt und weiß wie Schnee. Ich habe nie erfahren, wer es getan hat. Nachdem ich sie begraben hatte, sang ich das letzte Mal ihr Lieblingslied für sie. Ich konnte sie nicht beschützen, Atreia… ich habe versagt, jämmerlich versagt…“

Die Cardassianerin zog sie wortlos in ihre Arme und drückte ihren schmalen bebenden Leib an sich. Sie musste selbst erst verdauen, was sie soeben erfahren hatte. Es gab keine Worte, die Joss in dieser Situation Trost zu spenden vermochten, so hielt sie ihre bitterlich weinende Freundin fest, wiegte sie hin und her wie ein kleines Kind. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Joss‘ Kopf vollkommen ruhig an ihrer Brust geborgen lag. Liebevoll streichelte sie ihr über die wirren blonden Locken. Es fiel ihr schwer, das Leid zu begreifen, das die Bajoranerin in ihrem jungen Leben schon erfahren hatte. Das war einer der Momente, in denen sie sich wirklich schuldig fühlte, Cardassianerin zu sein.
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