TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Jahreszeiten

von Heidi Peake

Kapitel 1

Forever he is of my life
And I of his
My dreams will search him out
And guilt will find him
(Marc Almond)




Das Dumme an der Zukunft ist, dass es keine Möglichkeit gibt, sich darauf vorzubereiten, bis sie schließlich eintrifft.

Dreizehn Jahre im bajoranischen Untergrund hatten Kira Nerys gelehrt, sich immer auf das Schlimmste einzustellen. Auf diese Weise gab es keine unangenehmen Überraschungen. Genaugenommen gab es überhaupt nur wenige Überraschungen.

Sich auf das Schlimmste vorzubereiten ist eine sichere Art, es dann auch geschehen zu lassen.

In nur elf kurzen Monaten hatte Bareil nicht nur dafür gesorgt, dass sie dies realisierte, er hatte überdies die Gewohnheiten ihres bisherigen Lebens gebrochen. In seiner Gegenwart hatte ‘Das Schlimmste’ gewissermaßen keine Macht über sie. So hatte er langsam Lage um Lage ihrer sorgfältig errichteten Verteidigungsmauern abgetragen. Sie fielen beim Anblick seiner lächelnden Augen zusammen, sie verwitterten im Angesicht seines Glaubens, bis sie nackt und ohne Verteidigung vor ihm stand. Das Wesen, als welches sie geboren, nicht das, welches sie geworden war. Offen für alle Verletzungen waren keine erfolgt.

In diesen kurzen segensreichen Monaten hatte sie sich dem sorglosen Glauben hingegeben, dass es eine Zukunft ohne Schmerzen gab, ohne Furcht und ohne Hass. Für diese kostbaren Momente war sie sicher in der Gewissheit gewesen, dass sie nicht nur wahrhaftig an die Propheten glaubte, sondern dass, solange sie bei Bareil war, die Propheten an sie glaubten - und dass sie vergaben.

Dann war er fortgegangen.

Ohne Warnung. Ohne Grund. Ohne irgendeine Chance, sich darauf vorzubereiten.

Nun war da nichts, wo seine Liebe gewesen war, nichts, um sie vor dem Schmerz abzuschirmen, nichts, um die Ohren der Propheten für ihre Gebete zu öffnen. Und wenn sie nach vorne blickte, um die Zukunft zu sehen, war alles, was sie sah - nichts.

Alles, was ihr blieb, um diese Leere zu bekämpfen, war die Erfahrung von dreizehn Jahren Überleben im bajoranischen Untergrund, dreizehn Jahre voller Schmerz, voller Furcht, voller Hass, und voller Erwartung des Schlimmsten.

Der Teil ihres Bewusstseins, der immer noch zu Selbstironie fähig war, versicherte ihr einmal mehr, dass diese Vorbereitung nun gut zu gebrauchen war.



„Was genau“, fragte sie vorsichtig, während sie den resignierten Blick in den Augen ihres Commanders mied, „ist das Unangenehmste, was passieren kann, wenn ich ablehne?“

Benjamin Sisko seufzte.

„Ich wäre sehr unglücklich“, bekannte er mit einem halbherzigen Lächeln. Zu seiner Überraschung schienen die Worte auf seinen ersten Offizier eine größere Wirkung zu haben als das die Androhung von Disziplinarstrafen und das Zitieren von Starfleet-Vorschriften jemals gehabt hatten. Er sonnte sich für einen Augenblick in dem warmen Gefühl, welches diese Erkenntnis mit sich brachte, bevor er etwas ernster fortfuhr. „Auf Bajor wie auf der Erde wird es einfach als unhöflich erachtet, eine persönliche Bitte wie diese ohne einen sehr guten Grund abzulehnen. Und wenn man den zerbrechlichen Zustand des Friedens zwischen Cardassia und Bajor...“

„Persönliche Bitte?“ unterbrach Kira überrascht, „Sie wollen damit sagen, dass es nicht eine von Ihren Ideen war, damit ich ‘mit meiner Trauer fertig werde, indem ich mich meiner Verantwortung stelle’?“

Das Lächeln des Commanders wurde breiter. „Nicht wirklich, obwohl es natürlich diesen zusätzlichen Vorteil hat. Gul Dukat verlangte ausdrücklich nach Ihnen, um ihn während seines Aufenthaltes hier durch die Station zu führen...“

„Nun, das ist dann natürlich etwas anderes.“ Major Kira schlug die flache Hand heiter auf die Tischplatte vor sich und machte sich daran aufzustehen. „Ich kann es unmöglich übernehmen.“

Sisko hob eine Augenbraue. „Und warum?“

Halb von ihrem Stuhl erhoben lehnte sich die Frau nun über den Tisch. „Weil ich mir sicher bin, dass es irgendwo eine Starfleet-Vorschrift gibt, welche die Leute davon abhält, ihren eigenen Tod zu fordern! Ich verspreche Ihnen, Commander, wenn ich ‘aber natürlich’ zu jedem Wimmern dieses hochtrabenden Schwätzers spielen muss, dann werden die außergewöhnlichen Dinge, die er hier zu sehen bekommt, früher oder später auch eine Reise durch das Wurmloch beinhalten - ohne die Umgrenzungen eines Shuttles oder eines Raumanzuges.“

Commander Sisko studierte das ärgerliche Gesicht seines ersten Offiziers für einen Augenblick, ihre blitzenden Augen, ihre geblähten Nasenflügel. So viel unkontrollierte Emotion wartete darauf, sich entladen zu können. Mit der physischen Gegenwart Vedek Bareils schien auch sein beruhigender Einfluss aus ihrem Leben verschwunden zu sein. Bareil war einer der vorurteilfreiesten Männer, die er jemals getroffen hatte, er fragte sich nicht zum ersten Mal voller Sorge, wie dieser Friede, der auf der Hingabe und Vision des Geistlichen erbaut worden war, ohne die Führung des Vedek überleben sollte.

„Haben Sie sich jemals gefragt, warum Dukat Sie so wütend macht?“ fragte er schließlich ruhig.

Die Frage brachte Kira für einen Moment aus dem Gleichgewicht.

„Weil er Dukat ist!“ stammelte sie. „Weil er zugesehen hat, wie Tausende von Bajoranern sich zu Krüppeln geschuftet haben auf dieser Station! Weil...“

„... weil er ein Cardassianer ist?“

Kira öffnete ihren Mund, schloss ihn dann aber ohne Erwiderung. Sie wusste nur zu gut, wo dieses Gespräch enden würde, und sie versuchte verzweifelt zu verhindern, dass es dort ankam. Das war natürlich das Irritierende an Dukat: Dass er der Feind war.

Immer noch.

Ganz gleich, wie viele Jahre vergehen würden oder welche Art von Verträgen unterzeichnet werden würden, er würde immer der Feind bleiben.

Und das war ganz genau die Haltung, für deren Ausrottung Bareil sein Leben gegeben hatte.

‘Aber ich kann nicht vergeben, so wie du es getan hast’, dachte sie verzweifelt, ‘Ich habe nicht diese Stärke!’

Die ruhige und mitfühlende Sorge, welche sich in den Augen des Commanders reflektierte, ließ sie ohne eine Angriffsfläche für den Schmerz und die Frustration, die in ihr empor stieg. Resigniert sank sie in den Sessel zurück. Sie hatten viel gemeinsam, Sisko und Bareil, in ihrer eigenen ruhigen Art. Es gab nicht viele Personen, die ihr ohne ein Wort zu sagen den Wind aus den Segeln nehmen konnten so wie es diese beiden vermochten. Sie hätten den Weg für Bajors Zukunft bereiten sollen! Es hätten ihr offener Geist, ihre Anerkennung der Propheten sein sollen, ihre persönliche Stärke, die der Verweigerung nach Machtstreben entstammte.

Aber Bareil war tot und Sisko nicht mehr als eine Notwendigkeit für Kai Winn - und wahrscheinlich noch weniger für die cardassianische Regierung.

Und so war alles, was der Zukunft blieb - Major Kira Nerys und Gul Dukat.

Sie schenkte dem Commander ein Grinsen, welches die Nackenhaare aufstehen ließ.

„Ich denke, der heutige Tag ist genauso gut wie jeder andere, um wahnsinnig zu werden! ... hatte der Gul auch irgendwelche besonderen Wünsche, was die Kleidervorschrift betrifft?“

„Komisch, dass Sie das erwähnen...“

* * *


Nach nur einer Stunde wankte die Zukunft von Bajor und Cardassia gefährlich.

Es hatte ohne Zweifel etwas mit der Art zu tun, in welcher Dukat ihre Galauniform als „süß“ bezeichnet hatte.

Es hatte etwas mit der Tatsache zu tun, dass jede Neuerung, die vom Benutzer berührt werden konnte, ohne diesen in zwei Hälften zu spalten, ein Stück ‘verweichlichter’ Technologie war - und natürlich wesentlich schlechter als das cardassianische Original.

Es hatte definitiv etwas damit zu tun, dass Dukat jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit ergab, viel zu nahe bei ihr stand oder sie an Orten im Vorbeigehen streifte, an denen es schlicht zu viel Raum gab, um die Notwendigkeit eines Vorbeistreifens zu rechtfertigen.

„Die Wahrheit ist: Wenn er am anderen Ende des Habitatrings stehen würde, die Wand anstarrte und seine eigene Luft aus einem Tank atmete, wäre er immer noch zu nah für meinen Geschmack.“

Kira beobachtete mit Verachtung, wie Dukat seine Hand auf die Schulter eines der Dabo-Mädchen legte, indem er vorgab, den Spieltisch eingehender beobachten zu wollen.

„Würde sich die Vorstellung verbessern, wenn er am anderen Ende stünde, die Wand anstarrte und nicht atmen würde?“

Wie üblich zeigte nicht die kleinste Ausdrucksveränderung an, ob Constable Odo einen Witz gemacht hatte oder nicht. Kira schenkte ihm einen anerkennenden Blick.

„Wissen Sie was? Das würde es in der Tat. Soll ich es ihm vorschlagen?“

Als ob er ihre Worte gehört hätte, wählte Dukat diesen Augenblick, um flüchtig aufzusehen. Seine Augen trafen diejenigen Kiras, seine Miene unlesbar.

Es waren diese Blicke, die sie mehr als alles andere irritierten. Von Anfang an hatte sie den Eindruck gewonnen, dass er mit ihr alleine sein wollte. Und langsam gingen ihr die öffentlichen Plätze aus, an welche sie ihn schleppen konnte.

„Vielleicht sollten Sie versuchen herauszufinden, was er hier überhaupt möchte, bevor Sie irgendwelche drastischen Schritte unternehmen?“ schlug Odo vor. Der Blick war seiner Aufmerksamkeit ebenfalls nicht entgangen. „Dies ist kein offizieller Besuch. Die Cardassianische Regierung weiß weder, dass Dukat auf dieser Station ist, noch würde es sie interessieren.“

Kira schenkte ihm ein gestresstes Lächeln. „Nun, bisher sieht es danach aus, als ob er hier wäre, um mit mir zu Abend zu essen. Er hat mich eingeladen.“

Für einen Augenblick schien das rudimentäre Gesicht des Wandlers beinahe entsetzt.

„Und Sie haben akzeptiert?“

„Nicht... mit so vielen Worten. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass eine kleine romulanische Armee die Station in Roten Alarm versetzt, bevor es dazu kommt.“

Nach kurzem Schweigen räusperte Odo sich. „Vielleicht sollten Sie annehmen.“

„Hey?“ Der verwunderte Ausdruck auf Kiras Gesicht brachte ein kleines Lächeln auf dasjenige von Odo.

„Ich dachte, es könnte vielleicht helfen, über andere Dinge nachzudenken...“

„Andere Dinge als was? Odo, es geht mir auf die Nerven, dass mir jeder vorschlägt, ich solle etwas hirnerweichend Dämliches unternehmen, nur um über meine Trauer hinweg zu kommen. Ich komme darüber hinweg, auf meine Art! Bareil war ein außergewöhnlicher Mann, so kann es vielleicht eine außergewöhnlich lange Zeit dauern...“

„Das wird es, wenn Sie nicht aufhören, sich selbst die Schuld zu geben.“

„Schuld geben? Was ist los mit Ihnen? Ich gebe mir nicht die Schuld an seinem Tod. Ich habe nicht darauf bestanden, dass er sich mit einer Horde von Echsen beschäftigt, während sein Leben...“

„Ich habe nicht gesagt, dass Sie sich die Schuld an seinem Tod geben. Eher dafür, dass Sie nicht tief genug an seine Vision glauben?“

Kira presste ihre Lippen zusammen und beschloss, ein paar einzigartig unspektakuläre Flaschen auf Quarks Tresen zu beobachten. Bis zu dieser verdammten Aufgabe war sie die einzige hochrangige Bajoranerin gewesen, die jeden Kontakt mit Cardassianern seit dem Friedensvertrag gemieden hatte. Sie war damit durchgekommen, weil sie sich offiziell in Trauer befand. Sie war in Trauer gewesen, sie war es immer noch. In Trauer um den Mann, den sie mehr geliebt hatte als jemanden zuvor, für den sie bereit gewesen war zu kämpfen und sogar zu sterben. Und am Ende musste sie herausfinden, dass sie nicht imstande war, an das zu glauben, an das er geglaubt hatte. Der Frieden, für den er gekämpft hatte, war so fremdartig für sie wie der Mann am Dabo-Tisch, der auf gewisse Weise zu einem Symbol dieses Friedens für sie geworden war. Genauso wie er ein Symbol des Krieges dargestellt hatte. Dukat war irritierend, nicht weil er Cardassianer, sondern weil er Cardassia war. An einem Punkt in der Vergangenheit hatte er aufgehört, eine Person für sie zu sein, und war stattdessen zu einem Symbol geworden. Ein Symbol für das Leben, welches Bajor 50 Jahre zuvor genommen worden war, als der erste seiner Art einen Fuß auf ihren Planeten gesetzt hatte. Ein Symbol für das Leben, das ihr genommen worden war, weil ihr in einem Arbeitslager geboren nur Hass als Zukunftsaussicht blieb. Ein Symbol für das Leben, das sie Bareil genommen hatten.

Bareil war gestorben, damit dieser Mann am Dabo-Tisch stehen und mit den jungen Mädchen flirten konnte.

Sie konnte immer noch nicht den Sinn dahinter erkennen.

Sie war es einfach nicht wert, um ihn zu trauern.

„Was für einen Nutzen könnte ein Abendessen mit Dukat denn möglicherweise haben?“ fragte sie schließlich nachdenklich.

„Vielleicht finden Sie heraus, was für den Vedek so wichtig war. Vielleicht finden Sie einen Weg, um die Vergangenheit zu vergessen.“

„Ich habe nicht vor zu vergessen! Zu viele gute Bajoraner sind dafür gestorben, dass ich niemals vergessen werde.“

Odo schenkte ihr einen Blick aus den Augenwinkeln. „Ja, das sind sie. Und jetzt kommt dieser eine Mann daher und stirbt, so dass Sie eine Chance bekommen, es trotz allem zu tun. Ihr Bajoraner seid eine seltsames Volk, nicht wahr?“

Kira starrte die Hände an, die sie vor ihrem Körper zusammengedrückt hatte.

„Ich weiß nicht, wie ich vergessen kann, Odo“, gestand sie lautlos. „Nicht einmal für ihn. Könnten Sie so etwas vergessen?“

Die Aufmerksamkeit des Wandlers hatte sich einmal mehr auf Dukat fixiert, der mittlerweile sein Interesse an Dabo verloren hatte und in ihre Richtung schlenderte. „Mein Volk lebt zu lange, um sich den Luxus des Nichtvergessens leisten zu können“, antwortete er schlicht.

„Das ist etwas, was ich an der Station, wie sie jetzt ist, mag.“ Der Gul hatte sie erreicht und betrachtete die beiden steifen und formellen Figuren, die Seite an Seite standen, die Beine ein wenig auseinander, als ob sie in Habachtstellung wären, ihre Arme vor ihren Körpern verschränkt. Ein sarkastisches Lächeln breitete sich über seinen dünnen Lippen aus. „Es gibt hier immer das eine oder andere erfreute Gesicht, damit ein Gast sich willkommen fühlt.“

Odo neigte seinen Kopf knapp in einer begrüßenden Geste.

„Beim Sicherheitsdienst hat man nicht viel zu lächeln“, informierte er sein Gegenüber.

Dukat lachte gutmütig. „Ich weiß, ich weiß. Und Bajoraner ebenfalls nicht. Manchmal frage ich mich, wie es Starfleet aushält, in der Gegenwart von so fröhlichen Seelen zu sein.“

Kira erwiderte das Lächeln gereizt. „Sie haben gelernt, uns aus dem Weg zu gehen.“

„Nun, dann werde ich diese Tradition ehren. Bis heute Abend, Major?“

Das Lächeln auf Kiras Gesicht wurde nun eindeutig bösartig. „Ich kann es gar nicht abwarten! Ich empfehle klingonisches Essen. Da man es mit den Fingern isst, gibt es weniger Möglichkeit, jemanden unabsichtlich zu erstechen.“

Für einen Augenblick sah Dukat sie einfach nur an, dann brach er wieder in Gelächter aus.

„Ich sehe, dass Sie das zukünftige Verhältnis zwischen Cardassia und Bajor aus ganzem Herzen befürworten. Klingonisches Essen soll es sein.“ Er neigte seinen Kopf, dann fuhr er mit einem Grinsen fort. „Allerdings besteht da immer noch die Gefahr, dass man sich das Genick bricht, wenn man auf etwas ausrutscht, das sich vom Teller gestohlen hat.“

Als er an ihnen vorbei auf den beinahe verlassenen Korridor marschierte, gelang es ihm abermals, Kiras Schulter leicht zu streifen. Sie holte tief Luft und unterdrückte das Bedürfnis, ihn hier und jetzt zu erschießen. Manche Opfer waren zu schwer zu bringen, selbst im Namen des Friedens.

* * *


„Haben Sie jemals über die Zukunft nachgedacht und waren von der Aussicht gelangweilt?“

Nach beinahe fünfzehn Minuten schweigenden Essens kam die Frage aus mehr als einem Grund überraschend für Kira. Sie blickte von ihrem Teller auf und versuchte, den Ausdruck auf Dukats Gesicht zu lesen. Es wurde ihr plötzlich klar, dass sie einen Großteil ihres Lebens damit zugebracht hatte, die Gesichter von Cardassianern nur zu studieren, um ihre Waffe in Anschlag zu bringen. Und einen ebenfalls nicht zu vernachlässigenden Teil, um festzustellen, ob jemand sofort ausgelöscht werden musste, oder zu Gunsten eines wichtigeren Opfers ignoriert werden konnte. Sie hatte schlicht niemals zuvor versucht, ihre Gesichtszüge zu lesen. Alles, was sie also jetzt bemerkte, als sie Dukat ansah, war ein Cardassianer, der sie seinerseits betrachtete, über einer reichlich unpassenden Szenerie von zwei großen Kerzen auf einem Esstisch in einem der Gästequartiere von DS9. Seine Miene war undurchdringlich.

„Langeweile“, räumte sie schließlich ein. „hat niemals eine allzu große Rolle in meiner Zukunft gespielt.“

Dukat hob sein Glas und nippte daran.

„In meiner ebenfalls nicht. Bis jetzt. Ich kann nicht behaupten, dass es ein angenehmes Gefühl ist.“

Sie versuchte herauszufinden, ob das als blasierter Seitenhieb auf sie zu verstehen war, weil sie bisher nicht besonders viel zu einem Gespräch in seinem Quartier beigetragen hatte. Aber er war zu ernst dafür. Die Zukunft, auf die er sich bezog, war größer als dieser Raum.

Endlich beschloss sie, dem Ausdruck, den sie auf seinem Gesicht zu erkennen glaubte, einen Namen zu geben. Es war schlicht und einfach Traurigkeit.

„Sie und ich, Major“, fuhr er schließlich fort, nachdem die Stille endlos zu werden schien. „wir beide sind Anachronismen geworden.“

Kira legte die Gabel vorsichtig neben ihren Teller, um sich dann auf ihrem Stuhl zurückzulehnen.

„Anachronismen? Ich kann nicht behaupten, dass dies das Netteste ist, was jemals jemand zu mir gesagt hat, aber es fällt garantiert unter eine der originelleren Bezeichnungen.“

Dukat schenkte ihr ein verschwörerisches Grinsen. „Ich bemühe mich“, sagte er, dann wurde er wieder ernst. „Wir sind Soldaten. Und uns sind gerade die Kriege ausgegangen.“

„Das ist der Sinn eines Friedensvertrags, wenn ich mich nicht irre.“

„In der Tat! Aber was ist mit uns? Was ist mit Ihnen, Kira Nerys?“

Sie verengte ihre Augen, als sie ihr Gegenüber studierte. Er versuchte, jovial zu sein, sogar ein wenig schmeichelnd, seine übliche Rolle, aber da war eine Ernsthaftigkeit in seinen Worten, die etwas in ihr berührte. Langsam begann sie zu realisieren, dass Dukat hierhergekommen war, um mit ihr zu sprechen - weil er sie als seine Seelenverwandte ansah, jemanden wie ihn.

Und weil das, was die Zukunft in ihm entfachte, nicht so sehr Langeweile war, sondern Furcht.

Er brauchte jemanden zum Reden. Der Gedanke war so ungewöhnlich, dass sie zu lachen begann.

„Es mag Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, lieber Gul, aber ich habe schon seit einigen Jahren einen erfüllenden Posten in der Armee auf dieser Station inne. Bisher beinhaltete er nicht das Gurgeldurchschneiden von irgendjemandem - und ich gedenke, das auch so beizubehalten...“

„Sie haben niemandes Kehle durchgeschnitten, aber Sie waren immer bereit dazu, oder nicht? Sie haben diese Stelle angenommen, um sicher zu gehen, dass kein Cardassianer jemals wieder ohne Ihre persönliche Erlaubnis einen Fuß auf diese Station setzen würde. Jetzt sehen Sie sich an - Sie essen mit Gul Dukat zu Abend. Und es gibt gar nichts, was Sie dagegen unternehmen können. Denn dies hier“, er ließ seine Faust so heftig auf die Tischplatte krachen, dass die Gläser schwankten, „dies ist, was die Zukunft für uns bereithält, Major. Etikette und diplomatisches Geplauder! Ich bin darin nicht gut, und ohne Sie beleidigen zu wollen, wage ich zu sagen, dass Sie darin noch schlechter sind!“

„Sind Sie deswegen hierhergekommen?“ Die gehässigen Kommentare, welche sich in ihrem Kopf aufreihten, um Dukats Ausbruch zu beschreiben, schafften es aus irgendeinem Grund nicht über ihre Zunge. „Um herauszufinden, wie ich mich halte?“

Dukat blickte sie einen Moment an, dann lächelte er ein Lächeln ohne jede Boshaftigkeit. Es war ein sehr ungewöhnlicher Anblick für Kira, nicht einmal unangenehm. „So könnten Sie es nennen. Ich glaube, ich muss es einfach hören, dass noch jemand - dass Sie - es genauso hassen, wie ich das tue.“ Er schloss den Raum und die weitere Umgebung mit einer Handbewegung ein. „Die Welt, in der wir gekämpft haben, ist zu Geschichte geworden“, erklärte er. „Die Welt, für die wir gekämpft haben... nun ich denke, keiner von uns wusste jemals genau, was das sein sollte - nur wie es nicht sein sollte. Aber es war todsicher nicht dieser nette, brüderliche, friedliche Ort. Dies ist die Welt eines Vedeks, nicht eines Soldaten! Doch Sie und ich sind Soldaten. Wir sind vom Krieg gezeichnet, wir können nicht vorgeben als gänzlich glänzende, neue Wesen zu existieren, nur weil sie eine Unterschrift auf ein Schriftstück gesetzt haben. Jetzt haben sie uns diese kuschelige neue Welt gegeben und wir können nichts tun...“

„Als sie zu akzeptieren?“ unterbrach Kira leise. Sie wollte nicht, dass er fortfuhr. Zu viel von dem, was er gesagt hatte, schien direkt aus der dunkelsten Ecke ihrer Seele zu stammen. Die Welt eines Vedeks, in der Tat! Aber ohne den Vedek in ihr, was war sie dann wert? Sie realisierte, dass sie bereit war, diesen Frieden zu hassen, weil er sie ihrer alten Existenzgrundlage beraubt hatte, und mit einem grausamen Schlag auch der einzig möglichen Alternative, die sie jemals in ihre Gedankenwelt gelassen hatte. Wenn sie den Frieden nicht mit Bareil haben konnte, dann wollte eine nagende Stimme in ihrem Kopf überhaupt keinen Frieden. Diese Stimme pflichtete jedem Wort von Dukat bei.

Eine weitere Aussicht, die furchterregend neu für sie war.

„Können Sie es akzeptieren? Hat sich mein Name schon seinen Weg auf Ihre Liste der zehn bevorzugtesten Personen gebahnt?“ Dukat lehnte sich über den Tisch vor, sein Gesicht befand sich nun nur Zentimeter von ihrem entfernt. Er war näher als es je ein Cardassianer gewesen war ohne das spitze Ende ihres Dolches zwischen seinen Rippen zu spüren. Sie kämpfte gegen eine plötzliche Erinnerungsflut an - die Lager, die Shakaar, die Freunde, die sie in Schlachten verloren hatte, die Gewalttätigkeiten, deren sie Zeugin geworden war, die Gewalttätigkeiten, die sie selbst im Namen der Freiheit begangen hatte. Und jetzt erklärte ein Schriftstück, dass alles in Ordnung war. Ihre eigene Regierung hatte beschlossen, die Trauer über die Toten zu beenden, noch ehe alle gezählt worden waren. Es war alles verkehrt!

Sie brachte ein vages Lächeln zustande.

„Sie waren schon immer auf der Liste. Fragen Sie mich nur nicht ‘bevorzugt für was’.“

Dukat erwiderte ihr Lächeln. „Das ist das, was ich an Ihnen so mag, Kira. Sie werden nicht aufhören zu kämpfen bis sie tot sind - und ich werde es ebenfalls nicht.“ Er sank in seinen Stuhl zurück, beobachtete die Lichtpunkte, die im Glas vor ihm reflektiert wurden. „Im Moment sind wir beide effektiv tot.“

„Und was wollen Sie dagegen unternehmen?“ Kira schob ihren Stuhl zurück, bereit, das Essen und die Unterhaltung zu beenden. Die Gedanken, die Dukat in ihr erweckte, waren nicht angenehm.

„Ich weiß es nicht. Ich möchte es beenden. Wie es sich gehört. Wir haben unsere Leben für eine Sache riskiert, die gerade wenig wichtiger als das Menü auf einem diplomatischen Bankett gemacht wurde. Wir verdienen mehr als das.“ Er stand nun ebenfalls auf und griff nach Kiras Teller. Im gleichen Moment hatte sich Kira nach vorne gebeugt, um dasselbe zu tun. Für einen Augenblick standen sie einander gegenüber, beide mit dem Teller in der Hand.

„Diejenigen, die nicht überlebt haben, haben mehr als das verdient“, sagte er.

Mit der leichtesten Kopfbewegung ließ Kira den Teller los.

Schlimmer noch als die Unfähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, ist, Auge in Auge mit ihr zu stehen und sich selbst sagen zu müssen ‘dachte ich’s mir doch!’

Wenn sie nun die Zukunft betrachtete, war das einzige, was sie sehen konnte, das Gesicht dieses einen Cardassianers.

Sie hatte ihn gehasst. Es war ein Hass, der auf gewisse Weise zur Gewohnheit geworden war, genährt eher von fehlenden Alternativen als durch einen wahren Grund. Im Vergleich mit den meisten Cardassianern seines Ranges war Dukat aus dem Krieg relativ unbefleckt hervorgegangen. Er war mehr von der Notwendigkeit getrieben worden, nicht von der puren Lust an den Dingen, die er getan hatte. Nicht unähnlich ihr selbst.

Sehr ähnlich ihr selbst.

Die Alternative dazu, Dukat zu hassen, war es, Kira Nerys zu hassen, und dazu war sie nicht bereit.

Dies war die logische Zukunft, die sich aus ihrer Vergangenheit entwickelte, nicht wirklich unvorhersehbar. Es war eigentlich das, was sie erwartet hatte: ein Leben, in dem sie das hasste, was sie getan hatte und warum sie es getan hatte.

Und dennoch gab es da eine Stimme in ihrem Kopf, die ihr ruhig, aber eindringlich erklärte, dass es Alternativen gab, dass sie nur ihre Augen öffnen musste, um die Möglichkeiten zu sehen.

Es war die Stimme, die sie in diesen vergangenen Monaten bei Verstand gehalten hatte.

Es war Bareils Stimme.
Rezensionen