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Eine Welt zerbricht

von Gabi

Kapitel 1

Der heißeste Platz in der Hölle gebührt denjenigen, die in Krisenzeiten neutral bleiben
(Benazir Bhuto)




Das Erste, das ihm auffiel, war die Kälte. Der Wind, der ihnen nach Verlassen des Terminals entgegen blies, trug das Versprechen in sich, dass es erst der Beginn war. Der Winter würde bald Einzug auf dieser Hälfte Bajors halten.

Obwohl ihn nicht direkt fror, zog er seine Thermojacke unwillkürlich enger um sich. Auf seiner Heimatwelt war es entschieden wärmer.

Er lachte kurz humorlos auf. Der Schwall kühler Luft, der dadurch in seine Lungen geriet, verursachte einen leichten Kratzhusten. ‘Heimatwelt’! Dies hier war seine Heimatwelt - oder zumindest derjenige Planet, auf welchem er vor 22 Jahren geboren worden war. Doch nicht einmal das Klima schien ihn nun willkommen zu heißen. Es verwunderte ihn nicht.

”Sind alle da?” Er blickte sich zu den jungen Bajoranern um, welche nach ihm einzeln oder in kleinen Gruppen die Identifikationskontrolle hinter sich gelassen hatten und nun ebenfalls das Terminal verließen. Erwartungsvoll umrahmten sie ihn, trotzten dem Wind und warteten auf die Weisungen ihres Anführers.


I



Die ersten Bajoraner kehrten auf die Station zurück.

Der Premierminister signierte den letzten Versetzungsbescheid und händigte das Padd dem wartenden Offizier aus. Es waren nun drei Monate seit der Evakuierung von Deep Space Nine vergangen. Drei Monate, in welchen ihr aller Schicksal im Ungewissen gelegen hatte, drei Monate, in denen seine Aufgabe vornehmlich darin bestanden hatte, die Situation nach außen hin als vollkommen normal erscheinen zu lassen, dafür zu sorgen, dass das Leben auf Bajor seinen geregelten Gang nahm. Nun war es eben nicht mehr die Föderation, die ihnen Unterstützung gewährte, sondern das Dominion - welchen Unterschied machte das schon?

Die traurige Wahrheit war, dass es einen gewaltigen Unterschied machte.

Shakaar Edon erinnerte sich an nicht sehr viele Dinge, die ihm in seinem Leben so schwer gefallen waren, wie vor drei Monaten den Nichtangriffspakt zu unterzeichnen.

Der Vorta hatte mit seiner Jem’Hadar-Garde den Raum verlassen, bei sich trug er das Schriftstück, welches Bajors Schicksal besiegeln sollte. Shakaar stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster und blickte in die beginnende Dunkelheit hinaus. Was hatte er eben getan? Wie hatte er den Vertrag unterzeichnen können? Wie hatte er sich selbst zu einer Marionette in diesem Spiel degradieren lassen können, in welchem er nicht für eine Minute die Chance gehabt hatte, die Oberhand zu gewinnen? Was für einen Nutzen hatte das Abkommen? Wenn Bajor es brach, dann würde es sich innerhalb kürzester Zeit auf der falschen Seite eines Krieges wiederfinden, dem der immer noch geschwächte Planet nichts entgegenzusetzen hatte. Und wenn das Dominion das Abkommen brach? Wer würde das überhaupt bemerken? Es existierte auf dieser Seite der Linie kein Planetenbund, vor dessen oberster Gerichtsbarkeit ein solcher Nichtangriffspakt seinen Verteidiger gefunden hätte. Es existierte nicht einmal eine obere Gerichtsbarkeit. Wer würde sich darum kümmern, wenn Bajor überrannt wurde? Es war kein Pakt, sondern eine Farce - von der Gnade des Dominion abhängig.

Warum hatte er es getan?

”Der Abgesandte hat uns darum gebeten...”

Shakaar wirbelte herum, erschrocken blickte er in die hellen Augen der Kai. Er hatte gedacht, auch sie hätte den Konferenzraum verlassen.

”... und es gibt uns ein wenig Zeit.” Sie lächelte nicht. Ein seltener Anblick für das geistliche Oberhaupt Bajors - und ein untrügliches Zeichen dafür, dass auch sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlte.

Shakaar lehnte sich gegen den Fensterrahmen zurück, während er sich von dem Schreck, aus seinen Gedanken gerissen worden zu sein, erholte. Die beiden Bajoraner, welche die größte Macht in den Händen hielten, waren Gegner. Sie hätten gemeinsam für Bajor arbeiten sollen: Religion und Staat. Doch es ging nur langsam mit Bajors Aufstieg voran, weil sie einander blockierten. Welch Ironie, dass ihrer beider Unterschriften nun so einhellig nebeneinander ausgerechnet unter einem Vertrag prangten, welcher sehr wohl die letzte freie Handlung Bajors darstellen konnte.

Kai Winn und Premierminister Shakaar hatten sich zu einer Zeit kennengelernt, als Bajor keine äußere Gefahr mehr drohte. Von der ersten Sekunde an war zwischen der orthodoxen Priesterin und dem ehemaligen Rebellenführer kein gutes Wort gewesen. Beide hatten sie ihre eigenen, sehr bestimmten Auffassungen davon gehabt, was das Beste für Bajor war - und natürlich entsprachen diese Auffassungen einander so gut wie überhaupt nicht.

Doch nun war Bajor bedroht. Es war schon beinahe eine Naturkonstante, dass eine Bedrohung von außen das Innere einte - und Bajor war kein Planet, der sich den Naturgesetzen entgegenstellte.

”Ich habe Angst”, flüsterte Shakaar, bevor die Überraschung darüber einsetzte, dass er es laut vor der Kai bekannte. Sein Erstaunen wurde noch größer, als er ihre Erwiderung hörte: ”Ich auch.”


Der Premierminister blickte dem Offizier nach, welcher das Padd mit sich genommen hatte. Darauf befanden sich die Namen desjenigen Sicherheitspersonals, welches innerhalb des nächsten Tages auf die Station - er konnte sich nicht einmal in seinen Gedanken dazu durchringen, ihr den Namen Terok Nor zu verleihen - zurückkehren würde.

Die Bitte war vor zwei Tagen von dem Gestaltwandler Odo gekommen, welcher immer noch seine frühere Funktion als Sicherheitschef auf der Station einnahm. Shakaar wusste, dass der Constable durch seine Abstammung aus dem Dominion eine einmalige Stellung in diesem Krieg hatte, insofern hoffte er, dass dieser sie gut nutzen würde. Im Augenblick lag die Hoffnung für Bajor zu einem guten Teil auf dem Einfluss des Gründers. Dass nun von offizieller Seite - und sicherlich gegen den Willen der cardassianischen Verbündeten - bajoranisches Militär zurückgefordert wurde, wertete der Premierminister als ein gutes Zeichen. Vielleicht konnten sie endlich damit aufhören, verschüchtert abzuwarten, und beginnen, aktiv einzugreifen. Die Frauen und Männer waren von ihm handverlesen worden, ohne Ausnahme ehemalige Widerstandskämpfer, bei denen er sich sicher sein konnte, dass sie niemals vergaßen.

* * *


„Und ich bin immer noch der Meinung, dass es ein großer Fehler ist, sicherheitsrelevante Bereiche mit Bajoranern zu besetzen.”

”Wie schön für Sie. Doch niemand hat Sie nach Ihrer Meinung in diesem Fall gefragt.” Sonderbotschafter Weyoun wusste genau, wie sehr eine solche Antwort den cardassianischen Gul reizte - und genau deswegen gab er sie auch.

Das verärgerte Zucken um den linken Mundwinkel, welches Dukat einen Moment zu spät unter Kontrolle bekam, war alles an Befriedigung, was der Vorta wollte. Es lag ihm fern, eine offene Konfrontation mit dem zumindest auf dem Papier so bezeichneten Verbündeten zu entfachen, doch von Zeit zu Zeit war es notwendig, klarzustellen, wer die neue Macht im Alpha-Quadranten war. Es war ihm ohnehin ein Rätsel, wie der Gul unbeirrbar an seinem Glauben einer Vormachtstellung Cardassias festhalten konnte. Offensichtlich sah er die einfachsten Tatsachen nicht.

”Odo selbst hat die Wiedereinsetzung seines Sicherheitspersonals angeordnet”, Weyouns Stimme wurde ein wenig leiser und gefährlicher. ”Und Sie wollen doch nicht tatsächlich an der Urteilsfähigkeit des Gründers zweifeln?”

”Aber nein, wie könnte ich.” Es gelang Dukat, gerade so viel kalkulierten Spott in seine Worte zu legen, dass der Vorta zwar die Augenbrauen zusammenzog, jedoch nichts erwiderte. Dieser kindische Glaube würde eines Tages noch der Untergang des Dominion sein, dessen war Dukat sich sicher - trotz all der offensichtlichen Realität, die dagegen sprach. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, während er sich gegen das Aussichtsfenster im Kommandanturbüro lehnte. Womit hatte er es verdient, dass er immer wieder mit Rassen zu tun hatte, denen nichts wichtiger war als am Aberglauben an irgendwelche höhergestellten Wesen festzuhalten? Er wünschte sich, nur einmal auf jemanden zu treffen, der für sich selbst dachte.

Unwillkürlich glitt sein Blick zum Tisch und dem darauf befindlichen Baseball. Während seine Miene nach außen souverän blieb, seufzte er innerlich. Warum erschien ihm momentan nur eine Gegnerschaft mit Sisko so viel erstrebenswerter als eine Partnerschaft mit Weyoun?

”Ich habe die Hälfte meines Lebens mit diesen Bajoranern verbracht”, setzte er erneut zu einer Erklärung an, mit wenig Hoffnung, dass er diesmal zu dem Vorta durchdrang. ”Ich weiß, zu was sie fähig sind - und wie weit man ihnen trauen kann. An der Spitze ihrer reichlich ineffizienten Regierung steht ein Mann, der sein Leben damit zugebracht hat, Cardassianer zu töten...”

”Bajor hat einen Pakt mit dem Dominion, nicht mit Cardassia”, korrigierte Weyoun ihn augenblicklich mit dieser kindlichen Begeisterungsfähigkeit, die Dukat jedes Mal die Wände hinauftrieb.

Der Gul stöhnte innerlich auf und musste seine Hände aktiv am Fensterbord halten, um nicht seine Stirn damit abzustützen. ”Was glauben Sie, was das für einen Unterschied für Bajor macht?”

”Sie werden es sehen, Dukat”, Weyoun ließ sich nicht von ihm beirren. ”Sie können immer nur an das Schlechte glauben. Was Ihnen fehlt, ist Glauben.”

Und du hast genug für zwei. Der Cardassianer lächelte gezwungen. ”Hoffen wir nur, dass nicht Sie es sehen werden. An Ihrer Stelle würde ich ernsthaft mit dem Gedanken spielen, Jem’Hadar Truppen nach Bajor zu entsenden, nur, um die allgemeine Ordnung aufrechtzuerhalten und den Kooperationswillen des Dominion zu zeigen, natürlich”, fügte er in einer beinahe gekonnten Nachahmung von Weyouns Tonfall hinzu.

”Wir sind doch alle Freunde, Dukat. Und Freunde entsenden keine Soldaten gegeneinander.” Die aufrichtige Überzeugung, mit welcher der Vorta diesen Satz hervorbrachte, veranlasste den Gul dazu, sich vom Fenstersims zu erheben und ohne ein weiteres Wort das Büro zu verlassen.

In dem Augenblick, in welchem sich die Türen hinter dem Cardassianer geschlossen hatten, kippten Weyouns Mundwinkel nach unten. Er wusste, dass er imstande war, einen Gegner in vollständige Nervosität zu lächeln und setzte diese Waffe bewusst ein. Wenn man gestattete, sich aus der Fassung bringen zu lassen, dann hatte man das Spiel schon verloren. Der Vorta war ein Großmeister in diesem Spiel, und manchmal hatte er das Gefühl, dass dies auch die einzige Möglichkeit war, um mit all den unterentwickelten Völkern umzugehen, mit welchen die ihnen bekannten Quadranten bevölkert waren. Womit hatte er es verdient, dass er immer wieder mit Rassen zu tun bekam, die keinerlei Visionen besaßen?

Er beugte sich zu der Kommunikationseinheit auf dem Tisch vor und aktivierte eine Verbindung zum Hauptstützpunkt des Dominion im Alpha-Quadranten, Cardassia Prime.

* * *


Seit Ausbruch des Krieges waren die Kontrollen auch auf Bajor strenger geworden, doch noch blieben die strategisch wichtigen Bereiche auf dem Planeten frei von Vorta, Jem’Hadar oder Cardassianern. Nach außen wirkte diese einsame Welt am Rande des Infernos, welches von hier bis Sektor 001 tobte, tatsächlich neutral. Eine Neutralität jedoch, welche aufgezwungen worden war. Die ersten Auswirkungen davon würden nicht lange auf sich warten lassen.

Missmutig schob der Premierminister die Statistik beiseite, welche die Unumgänglichkeit der Realität in Zahlen festhielt. Bajors Bevölkerung war zur Versorgung mit Grundnahrungsmitteln immer noch auf Importe angewiesen. Sechs Jahre nach der Befreiung des Planeten war der Boden noch längst nicht zu seiner früheren Fruchtbarkeit zurückgekehrt. Es war ihnen gelungen, die Produktion im Kunsthandwerk wieder aufzunehmen, auch wenn sie noch ein Abglanz der früheren Größe war. Somit waren sie immerhin imstande zu handeln: Der Export bajoranischer Kunst gegen den Import von Getreide. Dieser Import war nun abgeschnitten. Es waren zwar noch Vorräte vorhanden, jedoch nur für eine begrenzte Zeit, wie die Statistik ihm unerbittlich mitteilte.

Shakaar warf das Padd frustriert auf den Tisch. In Augenblicken wie diesem wünschte er sich eine planetenweite Replikatorausstattung und eine unerschöpfliche Energiemenge, um diese anzutreiben. Nutzlose Wünsche, dennoch schlichen sie sich immer wieder in sein Denken. Wäre es anders gekommen, wenn sie nicht so lange gezögert hätten, der Föderation beizutreten?

Nein, er schüttelte stumm den Kopf, er wusste, was dann geschehen wäre. Bajor wäre der erste Planet gewesen, der fiel. Sisko hatte es vorausgesehen. Er hatte sich in seinen eigenen Reihen einen zweifelhaften Ruf eingehandelt, um Shakaars Volk zu retten. Die Propheten hätten nicht weiser wählen können.

”Es wird die Lage nicht bessern, wenn du die Zahlen an der Tischkante zertrümmerst.” Im Augenwinkel sah Shakaar wie Sarish Rez sich bückte, um das Padd aufzuheben, welches durch den Aufprall über die Tischplatte hinweg auf den Boden geschlittert war. Er wandte nun seine gesamte Aufmerksamkeit dem Adjutanten zu. ”Die Lage sicherlich nicht, aber meine Frustration.”

”Und?”

Shakaars Augen blickten ihm fragend entgegen. ”Und... was?”

”Hat es deine Frustration gebessert?” Der Ausdruck des Mannes war gezwungen neutral, doch der Premierminister konnte trotz der Ernsthaftigkeit der Lage das schwache Glitzern in dessen Augen erkennen.

Abermals schüttelte er den Kopf, diesmal jedoch mit der Andeutung eines Lächelns. ”Natürlich nicht.” Dann beschloss er, das Thema zu wechseln. ”Lass uns das bitte morgen weiter diskutieren, ich muss erst morgen Abend vor der Ratsversammlung erscheinen, und ich möchte die Angelegenheit überschlafen.”

Sarish nickte lediglich. Er wusste aus Erfahrung, dass eine durchwachte Nacht bei Shakaar auch keine neuen Einsichten brachte. Sie hatten über kurz oder lang schlicht keine anderen Optionen als das Dominion um Unterstützung zu bitten. Das wusste auch Shakaar, doch noch stand der Stolz des ehemaligen Rebellenführers der letzten Erkenntnis im Weg. Der Premierminister war kein Politiker sondern ein Soldat, welcher nicht durch eigenen Wunsch sondern durch eine Verkettung schicksalhafter Umstände an die Spitze eines Planeten katapultiert worden war, der immer noch gebeugt stand. Und manchmal war sich Sarish nicht sicher, ob Shakaar überhaupt irgendetwas dagegen hätte, wenn man ihn hier und jetzt abwählte.

Sein Vorgesetzter hob den Blick und unterbrach damit die Gedankengänge des Adjutanten. ”Was steht für heute Abend noch auf meinem Terminplan?”

”Jemand möchte dich sprechen”, informierte Sarish ihn,”... jemand von Cardassia...”

”Cardassia?” Shakaars Stimme nahm augenblicklich den lauernden Tonfall an, den er sich in den langen Jahren des Untergrunds angeeignet hatte.

”Soll ich hier bleiben?” fragte der Adjutant. Shakaar nickte, bevor der andere fortfuhr: ”Ich weiß nicht, was sie möchte...” Das Nicken stoppte und wurde durch ein Kopfschütteln ersetzt.

Die Blicke der beiden Männer trafen sich, Shakaar gab sich jede Mühe, wie ein unschuldiger Junge zu wirken. Sarish Rez stöhnte leise. ”Habe ich erwähnt, dass sie alt und hässlich ist...?”

Shakaar ließ sich nicht beirren. Er verstaute die vertraulichen Unterlagen, die auf seinem Tisch lagen, und winkte dem anderen, dass er gehen und die Frau hereinbitten solle. ”Bleib im Vorraum. Ich signalisiere sofort, wenn etwas nicht in Ordnung ist.”

”Gut.” Diese Anweisung stellte den Adjutanten zufrieden. Er legte den Terminplaner auf den Tisch und erhob sich von seinem Platz.

Shakaars Finger berührten das Display. ‘Tirek’, las er da. Was mochte eine Cardassianerin von ihm wollen?

”Ich möchte Asyl beantragen.”

Der Premierminister hob den Kopf. Er hatte in seinen Überlegungen überhört, dass sich die Besucherin bereits im Raum befand. Vor ihm stand eine Cardassianerin mit einem durch und durch cardassianischen Kind auf dem Arm. Die Verwunderung verzögerte die Bedeutung ihrer schlichten Worte ein wenig. Schließlich schüttelte er sanft den Kopf. Es war ihm rätselhaft, was die Frau mit ihrer Bitte bezweckte. Eine Cardassianerin, die um Asyl ersuchte, mutete ihn surrealistisch an. Der Tag war lang gewesen. Und auch wenn Shakaar diese Termine liebte, weil sie ihn ein wenig aus der Isolation befreiten, in welcher er sich sonst in alleiniger Gegenwart von Politikern und Militärangehörigen fühlte, hatte er heute doch schon mehr als zwanzig Bajoraner empfangen, die ihn mit den unterschiedlichsten Anliegen aufgesucht hatten. Ein leichter Kopfschmerz hatte sich über die letzten Stunden beharrlich eingenistet, und er sehnte sich nach einem warmen Bad.

Noch während er die Antwort formulierte, glitten seine Finger über den Sensor, welcher Sarish alarmieren würde, für den Fall, dass sich der Premierminister bedroht fühlte. Shakaar konnte noch immer nicht völlig unvoreingenommen vor einen Angehörigen Cardassias treten. Die Worte der Frau erregten in gleichem Maß sein Misstrauen wie seine Verwunderung.

”Cardassia ist ein freier Planet, Bajor hat einen Nichteinmischungspakt unterzeichnet. Ich kann nicht...” Endlich begriff sein Gehirn, was seine Augen ihm die ganze Zeit schon versucht hatten mitzuteilen. ”Serina?” Seine Finger zogen sich von der Sensorplatte zurück. In einer einzigen eleganten Bewegung hatte er seinen Sessel zurückgestoßen und war um den Tisch herum geeilt. ”Serina!”

Auf der Miene der Cardassianerin, die ihn bislang interessiert, aber neutral, gemustert hatte, brach die Sonne durch. Alles an ihr hatte begonnen zu strahlen, die hellen grauen Augen, die Lippen, die Grübchen, die sich zwischen ihren schuppigen Kieferleisten bildeten, sogar ihr blauschwarzes Haar schien einen zusätzlichen Glanz anzunehmen. Dies war natürlich reine Einbildung, wie Shakaar sich selbst sagte, doch das änderte nichts daran, dass sein Herz seinen gewohnten Rhythmus zu verlieren schien. Die letzten zehn Jahre stürzten im Lidschlag eines Augenblicks zusammen, lösten sich auf in Traumsequenzen, um bereitwillig der Erinnerung den Weg zu räumen. In der Grausamkeit des Krieges hatten sie für eine kurze, kostbare Zeit eine hoffnungslose Liebe gelebt: Der Widerstandsführer und das viel zu junge cardassianische Mädchen. Sie hatten es nicht geschafft, gegen die Mauern in ihren Köpfen anzukommen. So viel sie konnten, hatten sie sich von dem schwachen Glitzern der Sterne gestohlen, und waren dann beide wieder in der Nacht des Krieges verschwunden.

Seine Arme schon halb erhoben musste sich der Bajoraner intensiv ermahnen, nicht zu vergessen, dass sie beide heute andere waren. Serina hatte eine Familie, das war nicht zu übersehen. Es war höchst unangebracht, wenn er sie beide nun in eine peinliche Situation brachte, nur weil er für den Moment vergaß, wo und wer er war. Mit größerer Gelassenheit als er fühlte, vollführten seine Arme die Bewegung zu Ende.

”Serina. Ich kann es nicht glauben. Sag, dass ich nicht träume.” Er hatte ihre Schultern gefasst - wie gut diese sich anfühlten...

”Du...”, sie zögerte, Unsicherheit flackerte kurz in ihren Augen auf. „Sie...? Premierminister...”

Edon”, sein Griff verstärkte sich, während Freude und Sehnsucht zugleich in sein Lachen zu schleichen versuchten, „bei den Propheten, nenn mich nicht anders als Edon!”

Sie lachte nun ebenfalls. Schwarze Strähnen fielen ihr ins Gesicht und verdeckten einen Teil ihres beinahe schüchtern gesenkten Kopfes.

Sie hat sich nicht verändert, schoss es Shakaar durch den Kopf. Er wusste nicht, inwieweit diese Feststellung seinem Wunschdenken oder realistischer Beobachtung entsprang.

Mit dem Arm, der nicht das Kind hielt, umfasste Serina seinen Rücken und drückte ihn an sich. ”Du träumst nicht, Edon.”

Er genoss für einen Augenblick die Berührung. Dann löste er sich widerwillig und schob sie auf Armeslänge von sich. ”Serina, was machst du hier?” Er besann sich seiner Rolle als Gastgeber und bot ihr den Sessel vor seinem Tisch an. Mit einem leichten Nicken nahm sie Platz. Das Baby in ihrem Arm bekam von all dem nichts mit, es schlief friedlich.

Shakaar kehrte zu seinem eigenen Sessel zurück. ”Was machst du hier?” wiederholte er seine Frage. Was er sie wirklich fragen wollte, Fragen wie ”Wie geht es dir?”, ”Was hast du in all der Zeit getan?”, ”Warum hast du dich nie gemeldet?”, ”Wie ist dein Mann?” oder ”Warum bist du überhaupt verheiratet?”, drängte er mit einer gewissen Willensanstrengung in den Hintergrund seines Bewusstseins zurück. Sie war nicht zu einem persönlichen Besuch bei Shakaar Edon hier, sondern hatte um einen Termin beim Premierminister gebeten.

”Ich...”, sie zögerte, als ob ihr erst in diesem Moment die Tragweite dessen aufging, was sie tat. Doch dann atmete sie durch und fuhr fort: ”Ich möchte dich und Bajor warnen.”

”Warnen?” Shakaars Brauen zogen sich zusammen.

”Sie werden euch nicht in Ruhe lassen. Sie werden versuchen, euch zu unterwerfen. Sie werden es wieder tun.”

Shakaar hatte sich unbewusst versteift. Die Finger seiner rechten Hand hatten sich um den Terminplaner geschlossen, bis die Kanten des Datenpads sich schmerzhaft in seine Handfläche bohrten. Es war nicht so, dass Serina ihm hier etwas völlig Unerwartetes eröffnete. Er wusste es, tief in seinem Herzen hatte er es vom Moment der Unterzeichnung des Nichtangriffspakts gewusst. Doch es barg eine ganz andere Qualität in sich, diese Befürchtungen offen ausgesprochen zu hören.

Die Cardassianerin schien den plötzlichen Schmerz in seinen Augen zu sehen, denn sie hörte auf zu sprechen. Eine Zeitlang saßen sie nur da und schwiegen. Der Premierminister starrte sein Gegenüber an, doch er sah nicht wirklich sie. Sein Blick ging ins Leere, der innere Konflikt deutlich im Zucken seiner Kiefermuskeln zu erkennen. Visionen eines geknechteten Planeten erschienen vor seinem inneren Auge, nein, keine Visionen sondern Bilder tatsächlicher Geschehnisse. Die Vergangenheit holte die Zukunft ein und machte die Aussicht nur noch schwerer erträglich.

Schließlich schloss er seine Lider für einen Moment, was den Bann zu lösen schien. Sein Blick fiel auf die verkrampfte Hand, und er ließ ein wenig ruckartig das Datenpad fallen. Unbewusst gesellte sich seine Linke der Rechten hinzu und rieb die schmerzende Handfläche, während er sprach: ”Was für Informationen hast du - und vor allem, woher hast du diese Informationen?”

Sie sah zu Boden und schließlich auf das schlafende Baby in ihrem Arm. Shakaar hatte das Gefühl, Stunden vergingen, bevor sie endlich antwortete: ”Mein Mann ist Gul Tirek aus dem Führungsstab von Dukat.”

”Das ist nicht dein Ernst....”, war das erste, was Shakaar über die Lippen kam. Es war nicht sehr sinnvoll, nur spontan. Natürlich war es ihr Ernst, das konnte er ihr ansehen. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und verschränkte die Finger beider Hände vor seinem Kinn. ”Jetzt erzähl mir von vorne, was du weißt.”

* * *


Es war nicht allzu oft, dass sich Dukat in Quarks Bar blicken ließ, die Jem’Hadar-Soldaten, die meist nur herumsaßen, um sich einzugliedern, und nichts taten, irritierten ihn zu sehr. Doch nach Gesprächen mit Weyoun spürte er stets ein beinahe unbändiges Verlangen danach, sich in der Gesellschaft möglichst vieler Cardassianer zu bewegen. Und die meisten seiner Landsleute waren nun einmal um diese Stationszeit in der Bar anzutreffen.

Er setzte sich an einen freien Tisch und sorgte dafür, dass Quark ihn schon bald bemerkte. Ein wenig missmutig ließ er seinen Blick über die Bar schweifen. Wenn der Vorta so sehr darauf bestand, das bajoranische Sicherheitspersonal wieder zuzulassen, sollte er auch dafür sorgen, dass die bajoranischen Barmädchen zurückkehrten. Sie boten einen eindeutig angenehmeren Anblick als der Ferengi, der ihm nun seinen bestellten Kanar brachte.

Mit dem Glas in der Hand lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, auf was er sich eigentlich eingelassen hatte. Er hatte persönlich seine Heimat in die Hand des Dominion gegeben. Sie hatten die Unterdrückung durch die Klingonen durch einen Pakt mit dem Unberechenbaren ersetzt. Die Situation, wie sie sich ihm jetzt bot, war weitaus der vorherigen vorzuziehen. Dies war ein Aspekt, den er dem Detapa-Rat sehr leicht hatte plausibel machen können. Die Frage blieb allerdings, wer in ihrer momentanen Situation die Zügel in der Hand hielt. Dieser Vorta maßte sich für seine Begriffe zu sehr an, das Recht auf seiner Seite zu haben.

Es war ein unglücklicher Zug, dass Odo eingewilligt hatte, seinen Part im Stationsrat von Terok Nor einzunehmen, das spielte dem Vorta in die Hände. Dukat traute dem Gestaltwandler nicht einmal so weit, wie er ihn sehen konnte. Dieser hatte schon unter den Cardassianern hier gearbeitet, unter den Bajoranern, unter der Föderation und nun als Mitglied des Dominion. Es schien Dukat nicht nur das Äußere des Gründers zu sein, welches elastisch war.

All diese Unterwürfigkeit, diese Halboffenheit, dieses diplomatische Geschwätz von Seiten des Dominion widerte ihn zutiefst an. Er war ein Mann der klaren Fakten - und wenn keine vorhanden waren, dann war er es gewohnt, sich klare Fakten zu schaffen. Wir sind doch alle Freunde - das war so ziemlich das genaue Gegenteil von Klarheit.

Er bemerkte, wie Damar die Bar betrat und sich suchend umblickte. Sogleich gab Dukat seine lässige Haltung auf und setzte sich so auf den Stuhl, dass er gut vom Eingang her zu sehen war. Wie erwartet, bemerkte sein Adjutant ihn und hielt auf ihn zu.

”Ihr Gesicht sieht nach Nachrichten aus”, begrüßte der Gul den Näherkommenden. ”Ich hoffe, es sind gute.”

Damar setzte sich ihm gegenüber auf den Stuhl und schob ein Datenpad über den Tisch. ”Sie ist tatsächlich nach Bajor geflogen. Sie hatten Recht!”

Dukat gönnte sich ein zufriedenes Lächeln, als er die Nachricht las. ”Natürlich hatte ich recht, Damar. Unterschätzen Sie niemals die Anhänglichkeit einer jungen Frau. Wir sollten ihr eine Belobigung aussprechen für ihre persönliche Aufopferung für die Heimat.”

Das Lächeln lag noch auf seinen aristokratischen Zügen, als er sich wieder mit dem Glas in der Hand zurücklehnte.

Soeben hatte er damit begonnen, klare Fakten zu schaffen.
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