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Eine Vorstellung von Wahrheit

von Gabi

Kapitel 1

„Vertrauen ist das Gefühl, einer Person sogar dann glauben zu können,
wenn man weiß, dass man an ihrer Stelle lügen würde.”
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Sie drehte das Gerät in ihren Händen, zum wievielten Mal in der letzten Stunde hätte sie nicht sagen können. Es wirkte fast zu unscheinbar für die großen Veränderungen, die es imstande war hervorzurufen. Ein Zylinder, nur ein wenig größer als ihre Hand.

„Bitte vernichte es, ich möchte nicht zurückkehren.” Kira Nerys lachte verbittert auf. Wie naiv war sie gewesen, jedes Wort hatte sie ihm geglaubt. Dass er ein neues Leben beginnen wollte, hier auf dieser Seite des Spiegels. Für einen flüchtigen Augenblick hatte sie sogar daran geglaubt, dass er dieses neue Leben mit ihr verbringen könnte. Wie rasch hatte sie nach dem Strohhalm gegriffen, den Bareil Antos für sie dargestellt hatte, und dabei vollständig übersehen, dass er auf Sumpfland gewachsen war. Sie war eingebrochen, erst bis zu den Knien, dann bis zum Hals.

”Bitte vernichte es, ich möchte nicht zurückkehren.” Und dennoch hatte er so ehrlich geklungen, klangen seine Worte jetzt noch in ihren Ohren nach Wahrheit.

Er war gegangen, dorthin zurück. Er hatte nicht den Mut, die Kraft oder das Selbstvertrauen gehabt, sich offen ihrem eigenen Spiegelbild zu widersetzen. Sie hatte ihn verachtet in diesem Augenblick, ihn und seine Schwäche. Als sie vor nunmehr weniger als einem halben Tag im Tempel gestanden hatte, waren es nicht einmal seine Lügen gewesen, die sie so sehr getroffen hatten, nicht die Tatsache, dass er sie erfolgreich benutzt und verführt hatte. Das alles hätte sie ihm verzeihen können, sie hatte sich geradezu danach gesehnt, ihm zu verzeihen. Doch sie hatte in seinen Augen die Schwäche gesehen, das Unvermögen, den Kopf zu erheben und frei zu sein. Er war ein Sklave, ein Sklave der Intendantin und seiner eigenen geringen Selbstachtung. Kira Nerys hatte von jeher Schwäche verachtet.

Nun saß sie hier, die multidimensionale Transporterverbindung in Händen, mit welcher dieser andere Bareil seinen Weg in ihr Universum gefunden hatte, und sie fragte sich, ob es richtig war. Wäre sie imstande gewesen, ihn zu halten? Hätte es nicht vielleicht nur eines Wortes des Vertrauens bedurft? Was, wenn nicht alles gelogen war? Was, wenn der Mann auf seine eigene, linkische Art versucht hatte, ihr einen Hilferuf zu senden? Wie viel Stolz war sie imstande zu schlucken, um auf jemanden zuzugehen, der ihr etwas bedeutete? Selbst wenn dieser mit falschen Karten spielte. Er hätte sie töten können, er hätte sie verletzen können, er hätte die Träne der Propheten an sich nehmen können - doch er hatte nichts davon getan. Er war gegangen wie er gekommen war: Mit leeren Händen, den Launen der Intendantin ausgeliefert. Sie hatte ihn mit eisigen Augen verabschiedet, fest entschlossen, jedes Gefühl, welches sie mit ihm und dem Mann, dem er so ähnlich sah, verband, zu verdrängen. Sie war seit Jahrzehnten alleine gewesen, sie kannte diese Rolle.

Kira stellte die Transporterverbindung auf dem Tisch ab und stand auf. Vedek Bareil hatte sie stets aufgefangen. Wenn sie Schwäche zeigte, wenn ihr Glauben nicht so fest wie der seine gewesen war, hatte er ihr niemals Verachtung entgegen gebracht. War es nicht an der Zeit, einen Teil davon zurückzuzahlen?

Schon auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer hatte sie sich der Hälfte der Uniform entledigt. Auch der Rest war in kürzester Zeit gegen Freizeitkleidung getauscht. Die Taschen der langen Jacke nahmen die Transporterverbindung problemlos auf. Kurz hielt sie an der Tür inne und überlegte, ob sie jemanden von ihrem Vorhaben unterrichten sollte. Doch sie entschied sich dagegen. Wenn Captain Sisko wüsste, was sie vorhatte, würde er es ihr verbieten. Auf diese Weise machte sie es für beide ein wenig leichter, indem sie nicht direkt gegen ein Verbot verstieß. Den Computer wies sie an für morgen früh einen Fehltag für sie einzutragen. Dann warf sie ihrem Quartier noch einen Blick zu und trat hinaus in den Korridor.

Ihr Ziel war einer der Frachträume. Kira wusste nicht genau, wie die Transporterverbindung funktionierte, doch sie konnte sich gut vorstellen, dass sie ohne Zielwahl im Paralleluniversum an derselben Stelle materialisieren würde, an der sie hier startete. Nach allem, was sie aus den knappen Worten Bareils und der Intendantin gezogen hatte, war Terok Nor nach wie vor nicht mehr in der Hand der Bajoranerin, so dass ihr Ziel der Planet selbst sein musste.

* * *



Bajor. Es war ein seltsames Gefühl, den Planeten, ihr so vertraut und doch so fremd, zu sehen. Die Bauwerke, die sich in der Umgebung des Shuttlehhangars in den Himmel türmten, sprachen eine kältere Sprache als es die stets mit spirituellen Motiven versehene Architektur ihres eigenen Universums tat. Die Gebäude dieses Bajors waren zweckmäßiger und ein wenig abweisender gestaltet. Kira konnte sofort erkennen, dass der Finger der Propheten hier weit weniger die Bewohner berührte als er dies in ihrer Welt tat.

Nun stand sie hier, nicht völlig sicher, in welche Richtung ihre nächsten Schritte gehen sollten. Einen Bajoraner auf einem gesamten Planeten zu finden, war eine völlige Unmöglichkeit. Sie musste einen wie auch immer gearteten Anhaltspunkt für sich festlegen. Die vage Idee hatte sich in ihren Kopf gesetzt, als sie noch auf DS9 die Transporterverbindung betrachtet hatte. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit groß, dass Bareil auch in diesem Punkt gelogen hatte. Er hatte die Provinz Dahkur als seine Herkunft genannt - zufällig jenen Landstrich, in welchem Kira ihre Jugend und ihre Widerstandszeit verbracht hatte. Doch es war der einzige Hinweis, den sie hatte, ganz gleich wie vage er sein mochte. Sie versuchte, sich im Nachhinein ins Bewusstsein zu rufen, wie er gewirkt hatte, als er ihr die Geschichte seiner großen verlorenen Liebe erzählt hatte. Wie viel Lüge war in diesen Worten gewesen, wie viel Wahrheit? Doch dies erwies sich als ein sinnloses Unterfangen. Kira konnte sich an die Stimmung des Abends erinnern, nicht an einzelne Details. Nur dieses Gefühl des Glücks. Sie hatte es genossen, ihm zuzuhören, seine Stimme war von flamboyanter Übertreibung zu Melancholie gewechselt, beide Nuancen hatte er mit Charme beherrscht. Und sie hatte ihm beide ohne jeden Zweifel geglaubt.

Major Kira Nerys ballte die Fäuste in den Taschen ihrer Jacke. War es ein Verbrechen, glücklich zu sein? Jedes Mal, wenn sie in ihrem Leben dieses unbeschreiblich befreiende Gefühl von Vertrautheit und Liebe erlebt hatte, war der Preis dafür hoch gewesen - in den meisten Fällen zu hoch, viel zu hoch. Der Tod hatte ihr Personen genommen, das Leben einen weiteren Teil und Verrat den Rest. Wenn sie zurückblickte, war es immer nur sie selbst gewesen, die geblieben war - nur sie selbst. Sie hatte sich entschieden, dass dies genug war. Doch diese Entscheidung war ihr von außen aufgezwungen worden. In den seltenen Augenblicken, in welchen sie die Zeit fand, über sich selbst nachzudenken - und die sie so gut es ging mied - wurde es ihr unangenehm bewusst, dass Einsamkeit nicht immer reichte.

Sie lockerte ihre Finger, im Versuch, dadurch einen Teil des Zorns aufzulösen. Als sie trotzig ihr Kinn Richtung Dahkur hob, war sie sich nicht mehr sicher, ob sie hierhergekommen war, um Bareils pagh zu retten oder ihm ins Gesicht zu schlagen.


* * *



Der Transport zum Pendant ihrer Heimatprovinz war problemlos vonstattengegangen. Nur einmal hatte Kira das Gefühl erhalten, dass ein Mitreisender sie heimlich musterte, da dieser wohl die Intendantin kannte. Ansonsten war sie eine Bajoranerin unter vielen, was ihre leicht angespannten Nerven erheblich beruhigte.

Bareil hatte von Dahkur als einer Minengegend gesprochen - immerhin in diesem Punkt hatte der Dieb die Wahrheit gesagt. Wo nach ihrer eigenen Erfahrung Felder standen, Getreide, welches seine Existenz dem noch ausgelaugten Boden abtrotzte, war hier das Land aufgerissen. Sie schüttelte den Kopf, während sie dem Strom der Bajoraner aus dem Terminal folgte. Sie hatte immer geglaubt, dass es der Cardassianer bedurft hatte, um ihren blühenden Planeten zu zerstören, doch wie es aussah konnten das Bajoraner sehr gut ohne Hilfe bewerkstelligen. Gräben und Förderbänder zerfurchten lieblos den außerhalb der Siedlungsgrenzen liegenden Boden, mächtige Maschinen dominierten das Bild und ließen sogar die in der Ferne angrenzende Gebirgskette klein wirken.

Die Siedlung selbst wirkte nicht minder trostlos als ihre Umgebung. Kira fühlte sich unwillkürlich in ein Arbeitslager versetzt, nur dass es in diesem Szenario Terraner waren, welche in schmutziger Kleidung schweigend und desillusioniert durch die Straßen stolperten. Den Part der Cardassianer hatten bewaffnet ihre eigenen Landsleute übernommen. Sie fühlte sich nicht wohl beim Anblick der Abneigung in diesen Gesichtern. Sie musste sich mit Gewalt daran erinnern, dass es nicht ihr eigenes Bajor war, über welches sie sich hier Gedanken machte, um zu verhindern, dass Schamgefühl sie überkam. Wie hatte sie bei ihrer ersten Erfahrung mit diesem Paralleluniversum Sehnsucht nach dieser starken Rolle Bajors empfunden, wie hatte sie sich gewünscht, ihre eigene Welt könnte einen Teil der Macht erlangen. Doch wenn sie jetzt in den Gesichtern den Preis dafür las, wollte sie nichts davon. Solange eine Vormachtstellung mit Herabwürdigung anderer verbunden war, konnte Kira sich das einfach nicht wünschen. Selbst in den harten Zeiten, in welchen sie Tag für Tag um ihr Leben gegen die Cardassianer gekämpft hatte, war der einzige Wunsch in ihrem Herzen eine Vertreibung der Besatzungsmacht gewesen. Niemals hatte sie sich gewünscht, den Spieß umzudrehen. Wenn Bajor frei und mächtig war, dann musste es das von innen heraus sein, alleine, würdig und groß. Niemals auf Kosten irgendeiner anderen Rasse. Ihr Bajor mochte noch einen langen Weg zu gehen haben, doch wenn Kira die Augen dieses Planeten hier sah, dann wusste sie mit absoluter Klarheit, dass es der richtige Weg war.

Ihr Blick stets zu beiden Seiten schweifend, ob sie ein vertrautes Gesicht erblickte, ging Kira die vom Terminal in die Stadt führende Straße entlang. Nun gut, sie war in Dahkur angekommen, als Zielterminal hatte sie diejenige Stadt gewählt, in welcher Bareil nach eigener Erzählung seine Freundin verloren hatte. Es war ein Schuss ins Ungewisse, die einzige Information, die sie über ihn und diese Welt besaß. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie von hier aus fort¬fahren sollte. Doch die Eindringlichkeit, die sie überhaupt erst zu diesem Schritt getrieben hatte, war noch längst nicht von ihr abgefallen und ließ sie jeden Gedanken an eine erfolglose Suche für den Moment vergessen.

Während sie die Straße hinabging, setzte Regen ein. Hart, durchmischt von Hagel, begann er auf die Siedlung herab zu prasseln. Mit einem leisen Fluch zog Kira ihre Jacke über den Kopf und floh in den Windschatten einer Häuserzeile. So heftig, wie das Unwetter eingesetzt hatte, vermutete sie, dass es rasch vorbeiging - zumindest war dies auf ihrem eigenen Bajor die Regel. Doch es verstärkte ihren Entschluss, die Suche nicht auf offener Straße fortzuführen. Von einem der bajoranischen Passanten hatte sie rasch die Lage desjenigen Lokals erfahren, auf welches sie gewisse, irrationale Hoffnung setzte.

Als sie schließlich vor der Eingangstür stand, zögerte sie dann doch ein wenig. Ihr Blick glitt über das Namensschild, welches auf die Straße hinaus angebracht war, und die verzierte, geschwungene Buchstabenführung einer älteren bajoranischen Hochsprache verwendete. Sie bemerkte flüchtig, dass sich in den vertieften Ecken des Metallschildes Algen angesiedelt hatten, während sie darüber nachdachte, welcher Gedankengang sie dieses Lokal hatte wählen lassen. Hier war angeblich Bareils Freundin von einem Betrunkenen erschossen worden, als sie sich vor Bareil warf, um diesen vor den ungezielten Schüssen zu schützen. Wenn Kira sich nun diese Geschichte vor Augen führte, dann klang sie reichlich pathetisch, ideal, um eine romantisch veranlagte Person einzulullen, die sich ohnehin nichts sehnlicher wünschte, als bei diesem Mann zu sein: Der arme Dieb, der endlich sein bisschen Glück in der kalten Welt gefunden hatte, nur um dieses schließlich vor seinen Augen sterben zu sehen... Kira berührte die Transporterverbindung in ihrer Jackentasche. Doch wäre sie überhaupt hier, wenn sie überzeugt war, dass er nur gelogen hatte? Ein Teil von ihr glaubte gegen jede Wahrscheinlichkeit, und dieser Teil war stark genug, sie bis hierher zu treiben. Wenn sie selbst an Bareils Stelle gewesen wäre, und seine Geschichten wahr, dann wäre sie hierhergekommen. Wenn der Verlust in seinen Augen, die Melancholie in seiner Stimme keine Lüge gewesen war, wenn er die Selbstverachtung bei seinem Abschied wirklich verspürt hatte, dann erschien Kira dieses Lokal als die ideale Widerspiegelung seines Inneren.

Sie betätigte den Türöffner. Und wenn sie ihn hier nicht fand, dann überzeugte das vielleicht auch den Teil in ihr, welcher sie unbarmherzig antrieb.

Aufgrund des Regenschauers war das Lokal sehr gut besucht. Der Schwall frischer Luft, welcher mit ihr den Raum betreten hatte, brauchte sich schon nach wenigen Schritten auf. Die stickige Luft und der etwas unangenehme Geruch nach Schweiß und feuchter Kleidung füllten bald jede Pore. Kira rempelte links und rechts Gäste an, als sie sich zielstrebig ihren Weg zum Tresen bahnte. Die Blicke, die ihr dabei zugeworfen wurden, machten ihr deutlich, dass ihr Pendant zumindest in dieser Umgebung keine Unbekannte war. Kira hatte keine Vorstellung davon, welche Stellung die Intendantin außerhalb ihres früheren Herrschaftsbereiches, Terok Nor, hatte. Die Mienen, die sie in der rauchigen Atmosphäre ausmachen konnte, waren nicht freundlich gesonnen, jedoch handelte es sich um die Art von Feindseligkeit, welche aus Angst herrührte. Dies konnte Kira nur recht sein. Wenn die Intendantin hier in Dahkur dieselbe Aura verbreitete wie auf Terok Nor würde sich ihr zumindest niemand mit unangenehmen Fragen in den Weg stellen. Sie versuchte, so arrogant wie möglich zu blicken, während sich die Menge der Gäste in Richtung Tresen nun von selbst teilte. Kira hatte das Herz des Lokals eigentlich auf direktem Weg angestrebt gehabt und wunderte sich nun ein wenig, als der sich bildende Durchgang nach links abgelenkt wurde, hin zu einem Ende der langen Tischplatte. Die Gäste des Lokals schienen eine exaktere Vorstellung davon zu haben, wohin sie wollte, als sie das selbst hatte.

Mit geradezu meisterhafter Eleganz schaffte sie es, nicht zu stolpern, als sie erkannte, wer sich am Ende der Gasse befand. Sie zwang die arrogante Überlegenheit wie eine Maske über ihre Züge. Innerlich rasten ihre Gedanken. Dort saß er, scheinbar die Welt und sich selbst vergessen, und starrte in ein leeres Glas. Die Art, wie er blickte und die Umgebung überhaupt nicht wahrnahm, zeigte, dass es nicht sein erstes leeres Glas an diesem Abend war. Selbst als sie neben ihm stehen blieb, sah er nicht auf. Erneut kämpften in ihrem Inneren das Mitleid mit ihm und der Ärger darüber, dass er sich so jämmerlich gehen ließ, um die Vorherrschaft. Da sie im Augenblick die Rolle der Intendantin spielte, gewann der Ärger. Sie packte das leere Glas und riss es ihm aus der Hand. ”Du hattest entschieden zu viel, Antos!” Mit einem lauten Knall stellte sie es außerhalb seiner Reichweite ab.

Der dunkelhaarige Mann blickte überrascht auf. Als er sie erkannte, huschte für einen Bruchteil Angst über seine Züge, bevor er sich weit genug im Griff hatte, um ein Lächeln aufzusetzen, welches irgendwo in der Mitte von Resignation und trotziger Herausforderung lag. ”Ich hätte nit...” Ein kurzes Schulterzucken sollte den Knoten auf seiner Zunge entschuldigen, beim zweiten Anlauf wurde sein Murmeln jedoch noch unverständlicher. Kira verspürte gute Lust, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, und das nicht nur, weil es eine passende Reaktion für ihr Pendant darstellen würde. So wie er jetzt war konnte sie hier keine zwei vernünftigen Worte mit ihm wechseln. Vor allem war sie sich der Blicke sehr wohl bewusst, die gewiss von jeder Ecke des Lokals im Moment in ihre Richtung gingen. Mit einer herrischen Geste wandte sie sich zu einem der Bediensteten hinter dem Tresen um. Bevor sie jedoch den Mund hatte öffnen können, wurde ihr bereits mit unsicherem Lächeln eine Codekarte ausgehändigt, die gewiss zu einem Zimmer dieses Hauses gehörte. Furcht war eine nicht zu unterschätzende Waffe. Mit zuckersüßem Lächeln nahm Kira die Karte entgegen, und als keine weitere Reaktion erfolgen wollte, meinte sie mit leiser, jedoch bedrohlicher Stimme: ”Soll ich ihn vielleicht tragen?” Fast hätte sie darüber gelacht, wie rasch Bewegung in die Umstehenden kam. Doch das Lachen wollte sich nicht ganz in ihrer Kehle lösen, als ihr bewusst wurde, wie leicht sie in diese Rolle schlüpfte. Auf die eine oder andere Weise lag der Zynismus der Intendantin auch in ihrer eigenen Person begraben. Er war rascher an die Oberfläche zu befördern als ihr das lieb war. So folgte sie schweigend den beiden Männern, welche Bareil relativ unsanft vom Barhocker halfen und ihn die Treppe hinauf beförderten. Oben angelangt, verabschiedete Kira sie mit einem knappen Blick, und den beiden war anzusehen, dass sie liebend gerne ihre Gegenwart verließen.

* * *



Von der Tür zurück, blieb sie erst einmal im Raum stehen und betrachtete den Mann, der nun ein wenig zusammengefallen auf dem Bett saß. Seine Augen sahen sie an, doch der Blick war nicht völlig fokussiert. Es war ihm anzumerken, dass er innerlich darum kämpfte, seine Haltung zurückzugewinnen, um ihr ein einigermaßen gleichwertiger Gegner zu sein. Aber Kira bezweifelte, dass er überhaupt imstande gewesen wäre, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie ging zum Bett hinüber und kniete sich vor ihm nieder. Jeglichen Zynismus hatte sie aus ihren Zügen verbannt, doch er schien das nicht zu bemerken. Auf ihre Annäherung reagierte er mit einem kleinen Rückzug und dem versuchten Trotz durch Heben des Kinns. Kira studierte die ihr so wohlvertrauten und dennoch in dieser Verfassung gänzlich unbekannten Züge. Sie hatte ihn hier gefunden, wo sie es erhofft hatte. Bedeutete das nicht, dass er nicht gelogen hatte? Nicht in diesem Aspekt? Und wenn ein Teil seiner Geschichte der Wirklichkeit entsprach, konnten es dann nicht ebenso die anderen?

Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, hob sie die Hand und streichelte über seinen Arm. ”Ich bin es, Antos, ich bin nicht die Intendantin.”

Falls er ihre Worte gehört hatte, begriff er sie nicht. Sein Blick blieb unverändert. Er schien nur ihre Berührung zu registrieren und daraus zu schließen, dass sie etwas von ihm wollte. Zu Kiras Missfallen packte er mit zittrigen Händen den Kragen seines Hemdes und riss es sich über der Brust auseinander. ”Du ... hast... mich...”

Gröber als beabsichtigt fasste sie seine Finger, um sie wieder auf das Bett zurückzudrücken. ”Ich bin nicht die Intendantin!” Sie wollte nicht sehen, wie er sich erniedrigte. Ein Mann mit Vedek Bareils Erscheinung musste einen ebensolchen Stolz haben, etwas anderes wollte sie nicht glauben. ”Sieh mich doch an.” Sie packte sein Gesicht mit beiden Händen, doch sein Blick war nicht zu fokussieren. Schließlich erhob sie sich seufzend aus der Hocke. In Anbetracht dessen, dass der Mann vor ihr eine Art von Vedek Bareil war, tat sie es nicht gerne, doch sie musste endlich mit ihm in einem einigermaßen bewussten Zustand sprechen. Die Vase, welche neben der Tür auf einer kleinen Anrichte stand, kam ihrem Zweck sehr gelegen. Resigniert fasste sie das Gefäß, ging damit in das kleine Badezimmer hinüber, füllte es mit Wasser und kehrte dann zum Bett zurück. Sie stellte sich so vor dem Mann auf, dass der Schwung nicht das gesamte Bettzeug treffen würde und holte dann aus. ”Es tut mir leid.”

Der Wasserschwall traf Bareil mitten ins Gesicht. Mit einem erschrockenen Ausruf taumelte er auf die Beine. ”Was...?”

Doch Kira nutzte die günstige Gelegenheit, dass er immerhin schon einmal stand, ließ die Vase fallen und packte mit beiden Händen seinen Arm. Der Mann war noch zu überrascht, um entsprechend zu reagieren, so dass es für sie ein Leichtes war, ihn mit ins Bad hinüber zu ziehen. Ehe er es sich versah, fand er seinen Kopf unter einem laufenden Wasserhahn wieder.

Kira drückte Bareils Nacken so lange hinunter, bis die Gegenwehr zu stark wurde. Sie konnte gerade noch einen Schritt zurück machen, bevor er seinen Kopf nach oben riss. Der Fausthieb, der ihr gegolten hatte, schwang ins Leere. Jedoch schien der Bajoraner nun soweit nüchtern zu sein, dass er seine Koordinationsfähigkeit wiedererlangt hatte. Kiras nächster Schritt brachte sie an die hintere Badezimmerwand. Bareil war schneller als sie vermutet hatte. Er packte sie an den Schultern und presste ihren Rücken unsanft gegen die Kacheln. Unter tropfenden Haarsträhnen konnte sie seinen funkelnden Blick ausmachen. ”Was soll das?!” keuchte er. ”Wenn du mich umbringen willst, dann benutze verdammt noch mal den Phaser!” Er ließ eine Schulter los, um zum Schlag auszuholen. Diesen kurzen Augenblick relativer Freiheit nutzte Kira. Sie brachte ihr gesamtes Gewicht mit dieser Schulter nach vorne und rammte sie ihm gegen die Brust. Ohne ihm eine Sekunde zum Sammeln zu gewähren verschränkte sie die Finger beider Hände zu einer Faust, welche den Mann empfindlich in der Seite traf. Bareil taumelte ein wenig zurück und stützte sich am Badewannenrand ab. Es war ihm anzusehen, dass er noch nicht völlig wieder bei sich war.

”Ich bin nicht die Intendantin!” wiederholte Kira nun. ”Antos...” Mit friedfertig erhobenen Handflächen machte sie einen Schritt auf ihn zu. ”Es gibt keinen Grund dafür, dass wir uns prügeln. Ich wollte dich lediglich nüchtern bekommen.”

Die Wassertropfen sammelten sich unbeachtet in den Vertiefungen seiner Nasenrippen, wo sie von den Haaren herabfielen. ”Nerys?” Die Art, wie er ihren Namen aussprach, machte ihr deutlich, dass er nicht die Intendantin meinte.

”Ja!” Sie griff nach einem der Handtücher.

Sein Blick war für einen kurzen Augenblick wehmütig sanft geworden - Kira hätte diesen Moment liebend gerne festgehalten - doch sofort wurden die Augen abweisend. Bareil nahm ihr das Handtuch ab, mit welchem sie begonnen hatte, sein Haar zu trocknen, und rubbelte sich selbst ab. ”Was willst du hier?”

”Wenn du es pathetisch möchtest”, sie lehnte sich gegen die Wand zurück. ”dann bin ich hier, weil ich vorhabe, deine Seele zu retten.”

”Sehr witzig.” Er mied ihren Blick, gab vor, intensiv mit dem Trocknen seiner Haare beschäftigt zu sein. ”Du hättest in deinem Universum bleiben sollen. Hier hast du nichts verloren. Ich brauche nicht gerettet zu werden. Es geht mir gut, danke.”

”Ja, davon habe ich mich vorhin selbst überzeugen können”, bemerkte sie ungerührt. ”Du sahst geradezu enthusiastisch aus, wie du betrunken an der Bar herumgehangen hast.”

”Das ist wohl meine Sache.” Er sah nun doch auf. Als er jedoch bemerkte, dass ihre großen Augen unverwandt auf ihm ruhten, wandte er den Blick rasch wieder ab.

”Da hast du wahrscheinlich auch recht.” Sie stieß sich von der Wand ab, kam wieder zu ihm und ging vor ihm in die Hocke. ”Sieh mich an, Antos.” Als er keine Anstalten machte, den Blick zu heben, versuchte sie, sein Kinn zu fassen zu bekommen, was er jedoch mit einem Zurückzucken des Kopfes verhinderte. ”Sieh mich verdammt noch mal an und sag mir ins Gesicht, dass alles nur gelogen war. Wenn du das machst, dann bin aus diesem Zimmer und deinem Leben, bevor du auch nur einmal mit der Wimper zuckst!”

Er ballte das Handtuch zusammen und schleuderte es achtlos in eine Ecke des Badezimmers. Als er sie nun ansah, lag Wut in seinem Blick. Kira konnte nicht sagen, ob er die Wut über sie oder über sich selbst empfand. Als er den Mund öffnete, glaubte sie für einen Moment mit ihrem Versprechen einen Fehler begangen zu haben. Konnte sie ihn wirklich falsch eingeschätzt haben? ”Ich habe dich die ganze Zeit über...”, er stieß sich heftig vom Wannenrand ab und warf die immer noch vor ihm hockende Kira damit beinahe aus dem Gleichgewicht, ”nur angelogen.” Mit den letzten beiden Worten war er schon auf dem Weg ins Zimmer hinüber. Kira ließ die Luft entweichen, die sie angehalten hatte. Er konnte es nicht, er konnte es ihr nicht ins Gesicht sagen. Als sie sich vom Boden erhob, fühlte sie die Beharrlichkeit weitere Teile ihrer Person übernehmen. Dieser Mann vor ihr mochte eine gestürzte Seele sein, doch noch keine verlorene. Sie kam hinter ihm her. Am Türrahmen zum Bad stützte Bareil sich ab, sein Kreislauf schien noch nicht vollständig in Ordnung zu sein. Die Hand, welche sie ihm auf die Schulter legte, schüttelte er halbherzig ab.

”Wie hast du mich überhaupt gefunden?”

Kira berührte ihn erneut. ”Es scheint, dass ein Teil dessen, was du mir erzählt hast, doch der Wahrheit entsprach.”

”Lass mich in Ruhe. Habe ich dich noch nicht zur Genüge enttäuscht?” Eine Hand immer noch am Türrahmen sah er über seine Schulter zurück. Sein Blick war gewollt verletzend. ”Bist du eine von denen, die es brauchen, gedemütigt zu werden?”

Sie ging nicht darauf ein. In dem Zustand, in welchem er sich im Augenblick befand, würde es ihm nicht gelingen, ihr weh zu tun. Kira fürchtete viel mehr, dass er gerade eben sich selbst beschrieben hatte.

Da ihm ganz offensichtlich nicht gut war, legte sie ihre andere Hand auf seinen Arm und bot ihm an, ihn zum Bett hinüber zu führen. Nach anfänglichem Widerstand gab er nach. ”Es sieht so aus, als könnte ich noch einiges mehr einstecken, bevor ich beginne, meinen Glauben an dich zu verlieren...”

”Glauben!” Bareil ließ sich auf das Bett fallen. Seine Gesichtsfarbe war bleich, Kira vermutete, dass ihm schlecht war. Sie setzte sich auf den Bettrand und zog ihm die Stiefel aus. Weder dagegen noch gegen die Decke, welche sie über ihm ausbreitete, wehrte er sich, doch seine Augen versuchten, sie mit Verachtung zu strafen. Sie musste beinahe lächeln, er erschien ihr wie ein kleiner Junge, der Angst davor hatte, nach dem zu greifen, was er sich eigentlich wünschte, und um seine Angst zu kaschieren, tat er so, als interessiere es ihn überhaupt nicht. Sie beugte sich ein wenig über ihn, um die feuchten Strähnen aus der Stirn zu streichen. ”Wegen mir kannst du es auch Dickköpfigkeit nennen. Doch bevor ich von dir nicht ein überzeugendes ‘Nein’ höre, werde ich versuchen, um dich zu kämpfen. Die Propheten wissen, ob ich scheitere oder nicht, doch den Versuch kann mir niemand nehmen.”

Auf diese Worte der Zuneigung antwortete er mit einem Fortdrehen seines Körpers. Die Decke an sich gepresst rollte er sich auf die Seite und beschloss, die Wand anzustarren. Kira ließ es sich jedoch nicht nehmen, seinen Nacken zu streicheln. Sie war sich nicht sicher gewesen, als sie auf diese Seite des Spiegels getreten war, doch sie war es nun. Vielleicht ging es nicht einmal mehr darum, diesen Mann aus seiner eigenen Gefangenschaft zu befreien, weil sie glaubte, ihn auf gewisse Weise zu lieben. Vielleicht ging es nur noch darum, ihn zu erretten, weil er sich so beharrlich dagegen sträubte...

Das Zischen der Tür ließ sie auffahren. Kira war sich sehr sicher, dass sie die Tür verriegelt hatte. Jemand vom Personal musste mit einer zweiten Codekarte...

”Welch unsagbar hinreißendes Bild!”

Ihre eigene Stimme ließ Kira aufspringen. Sie sah sich ihrem grinsenden Ebenbild gegenüber - und mehreren gezogenen Phasern. Mit elegantem Gang schritt die Intendantin auf sie zu. ”Eigentlich kam ich hierher, um diesem Verräter...”, sie deutete mit dem Kinn auf das Bett, in welchem Bareil sich halb aufgesetzt hatte und nun noch bleicher wirkte, ”eine endgültige Lektion in Sachen Loyalität zu erteilen. Doch wie ich nun sehe”, ihre Stimme wurde fast zärtlich, als sie wieder Kira ansprach, ”ist er mir doch noch von Nutzen.” Sie winkte lässig, als sie an Kira vorbei auf das Bett zuging. Zwei der Bajoraner, die mit ihr ins Zimmer gekommen waren, traten hinter Kira und hielten sie fest. Diese wehrte sich nicht, mit den Waffen auf sich gerichtet war das ein aussichtsloses Unterfangen. Stattdessen versuchte sie fieberhaft in Gedanken eine Möglichkeit zu finden, wie sie und Bareil aus dieser Situation herauskommen konnten.

Unterdessen hatte sich die Intendantin auf die Bettkante gesetzt. Kraftvoll drückte sie Bareils Oberkörper auf die Matratze zurück. ”Du hast doch nicht wirklich versucht, vor mir davonzulaufen, nicht wahr?” Ihre süßliche Stimme ließ Kira schaudern, sie befürchtete, dass die andere Frau dem Bajoraner etwas antun würde. Und tatsächlich zog die Intendantin ein Messer, welches sie genüsslich an Bareils Kehle legte. Kira konnte erkennen, wie seine Augen abermals den ihr so verhassten Blick annahmen. Er würde nicht aufbegehren, er würde sich erneut von der Intendantin demütigen lassen. Wie sehr wünschte Kira sich, dass er wenigstens einmal die Stärke besäße, sich gegen sie zu behaupten. Er hatte es schon einmal getan, als er auf die Frau geschossen hatte, um sie zu retten. Doch im Moment sah es nicht danach aus. Er zuckte nur kurz zusammen, als die Intendantin das Messer dazu verwendete, sein Hemd über dem Bauch zu teilen, dann dehnte er den Kopf in den Nacken, den Blick fort von der Intendantin, fort von Kira. Seine Augen litten, doch sie litten noch nicht genug, dass er sich widersetzte.

”Ich war sehr enttäuscht darüber, wie du dich verhalten hast”, bemerkte die Intendantin nun, während sie mit der messerfreien Hand den Stoff von Bareils Oberkörper schob. Ihre Finger zogen gedankenverloren Kreise auf seiner Brust und seinem Bauch. ”Und ich hasse es, enttäuscht zu werden!” Der nächste rasche Schnitt galt seinem Hosenbund.

Kira wandte den Kopf ab, als die Intendantin nun mit der anderen Hand zugriff und Bareil sich immer noch nicht wehrte. Sie wollte das nicht sehen, mit aller Macht versuchte sie, die Wut über seine Schwäche, die sich nun wieder in ihr regte, zu unterdrücken.

Ihre Bewegung musste sehr deutlich gewesen sein, denn im nächsten Augenblick sah sie sich Auge in Auge mit der Intendantin wieder. ”Nerys...” Die Frau streichelte ihr über die Wange. ”Du machst dir doch hoffentlich keine Sorgen um jemanden wie den da?” Der Daumen zeigte vage über die Schulter zurück, ohne dass der Kopf der Intendantin es für nötig empfand, den so Bezeichneten anzusehen. ”Männer wie er werden von uns benutzt und verbraucht.” Sie lachte leise, als sie das Funkeln in Kiras Augen bemerkte. ”Wir sind zu Höherem geboren.” Sie legte ihr beide Hände auf die Schulter, wie als versuche sie durch ihren Blick die tiefere Bedeutung zu übermitteln, dann änderte sich ihr Ausdruck, wurde spielerischer. ”Was mich daran erinnert, dass wir noch überhaupt nicht überprüft haben, welche Waffen du bei dir trägst. Wie unvorsichtig von uns.” Sie zwinkerte Kira zu und dann begann sie genüsslich Zentimeter um Zentimeter deren Körper mit den Handflächen zu untersuchen. Als Kira sich zu wehren begann, veränderten die Soldaten hinter ihr den Griff, so dass sie schließlich so gut wie bewegungslos dem Streicheln der Intendantin ausgeliefert war. In einer unbewussten Nachahmung von Bareils Geste, legte sie den Kopf in den Nacken und starrte die Decke an.

Sie war beinahe erleichtert, als die Intendantin die Transporterverbindung in der Jackentasche fand und daraufhin ihre Überprüfung einstellte. ”Na, was haben wir denn da?” Sie warf das Instrument einem der Soldaten zu. ”Diese Dinger haben bald Inflation, wenn wir nicht sorgfältiger damit umgehen.” Zufrieden trat sie einen Schritt von Kira zurück. Sie begutachtete kurz deren Gestalt, um dann anerkennend zu nicken. ”Und jetzt überlegen wir doch einmal, was wir mit diesen beiden hübschen Exemplaren anfangen.”
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