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Nur dein Blick

von Nerys

Kapitel 1

Nur dein Blick


Das Treiben auf dem Markt faszinierte die junge Cardassianerin, obgleich nur knapp die Hälfte des vorhandenen Platzes von Ständen in Anspruch genommen wurde. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es hier zu besseren Zeiten ausgesehen haben mochte, als noch ungleich mehr Bajoraner dazu in der Lage gewesen waren, vom Handel mit den verschiedensten Dingen zu leben. Die wenigsten konnten es sich mittlerweile noch leisten, ihre Litas für etwas anderes als Nahrung und Kleidung auszugeben. Cardassianische Zivilisten verirrten sich selten in diesen Stadtteil und die Soldaten kamen nur auf ihren Patrouillen durch. Atreia jedoch besuchte den Markt oft, um frisches Obst und manchmal sogar eine süße Leckerei zu kaufen. Ihr Vater, bei dem es sich um niemand geringeren als Gul Lorpak, den Leiter des großen Strafgefangenenlagers im Bezirk handelte, hielt nichts von ihrem neugierigen Interesse an den Bajoranern, aber er verbot ihr die Ausflüge auf den Markt auch nicht. Immerhin war sie längst kein kleines Mädchen mehr, sondern eine junge Frau von siebzehn Jahren. Sie hatte sich angewöhnt, ihr langes seidenschwarzes Haar nur einfach zusammenzubinden, anstatt es zu kunstvollen Frisuren zu flechten, wie es bei den Frauen ihrer Spezies die Mode war, und zog den teuren Kleidern, die in ihrem Schrank hingen, einfache Hosen, Blusen und bequeme Schuhe vor. Den Reichtum, den sie durch ihre Herkunft genoss, gegenüber den oftmals bettelarmen Bajoranern auch noch zur Schau zu stellen, erschien ihr provokant und unanständig, wenngleich sich die meisten ihres Volkes nichts dabei dachten. Diese Welt war ihre Heimat, sie lebte hier seit ihrer Geburt. Cardassia dagegen kannte sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern, ohne es je selbst gesehen zu haben. Die Bajoraner waren friedliebende und ausgesprochen religiöse Leute, doch Armut und Hunger ließen sie aus Verzweiflung immer mehr der Gewalt anheim fallen.

„Verschwinde, Schuppengesicht!“

Die Worte hingen drohend in der Luft. In Atreias unmittelbarer Nähe standen drei ärmlich gekleidete Bajoraner, Anfang ihrer Zwanziger, beim Stand eines Fischhändlers. Gesprochen hatte ein hochgewachsener drahtiger Mann, der sie unter einer Mähne strähniger roter Haare voller Hass anstierte. Er spuckte ihr vor die Füße und seine beiden Begleiter lachten gehässig. Die Cardassianerin beschleunigte ihre Schritte, doch die drei machten Anstalten, ihr den Weg zu versperren. Harsche Rufe drangen auf einmal zu ihnen herüber und Atreia entdeckte eine Gruppe von uniformierten Soldaten, die sich rasch näherte. Die Männer suchten daraufhin eilig das Weite. Urplötzlich prallte etwas so hart gegen die junge Frau, dass sie zurück taumelte, das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem gepflasterten Boden landete. Erschrocken starrte sie die magere Bajoranerin an, die vor ihr kauerte. Ein nussbraunes Augenpaar musterte sie verschüchtert. Im nächsten Moment scharten sich die Soldaten um die beiden und einer von ihnen hielt Atreia die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen, während das Mädchen, das in ihrem Alter sein mochte, grob in die Höhe gerissen wurde.

„Jetzt haben wir dich, du kleine Diebin“, herrschte einer der Soldaten die verschreckte Bajoranerin an und entriss ihr den ramponierten Stoffbeutel, den sie um die Schulter gehängt trug. Daraus beförderte er eine frische Mobafrucht sowie einen halben Laib Mapabrot zutage.

Ein ältlicher Mann mit einer löchrigen Schürze um die Hüfte gebunden kam schnaufend neben ihnen zu stehen. „Das ist sie! Sie hat den Moba von meinem Stand gestohlen. Wo kommen wir nur hin, wenn wir anfangen uns gegenseitig zu beklauen?“

Der Cardassianer, der die junge Frau eisern an der Schulter gepackt hatte, beäugte sein Opfer hämisch. „Für das Brot hast du sicher auch nicht bezahlt. Der Arrest wird dir die diebische Ader schon austreiben.“

„Das hat mir der Bäcker geschenkt!“, keuchte die Bajoranerin verzweifelt. „Ich habe ihm heute Morgen beim Aufbauen seines Standes geholfen, fragen Sie ihn doch.“

„Mag sein, aber was ist mit der da?“ Ein zweiter Soldat hielt ihr die Frucht unter die geriffelte Nase.

Atreia trat den Männern hastig entgegen, fischte fünf Litas aus der Tasche und wandte sich an den Obsthändler. „Das genügt für den Moba, nehme ich an?“

Verdattert nickte der Alte und bedeutete den Cardassianern, dass er damit zufriedengestellt war. Geld sowie Ware wechselten den Besitzer. Der Soldat ließ das zappelnde Mädchen fallen und gab seiner Gruppe das Zeichen zum Rückzug, doch nicht ohne der Bajoranerin einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Atreia bot ihr die Hand an, doch sie stieß sie zur Seite und rappelte sich rasch wieder auf die Beine. Sie wollte davon laufen, aber die Cardassianerin hielt sie am Trageriemen des Beutels zurück.

„Hier, vergiss dein Obst nicht.“ Sie lächelte.

Die junge Frau mit dem schmutzigblonden Haar blickte sie erstaunt an. Für einen beinahe endlosen Moment sahen die beiden einander nur stumm in die Augen, dann ergriff sie den Moba unsicher. „Warum tust du das?“

„Was?“ Atreia legte fragend den Kopf schief.

„Du hast mich vor der Patrouille gerettet. Warum?“ Ihr schmales Gesicht offenbarte eine Mischung aus Misstrauen und Dankbarkeit.

Die Cardassianerin zuckte ehrlicherweise mit den Schultern. Es war ihr in diesem Augenblick richtig erschienen, genau das zu tun. „Hunger zu haben, ist kein Verbrechen.“

„Du bist vermutlich die einzige bei den Lö...“ Sie biss sich betreten auf die Zunge. „Tut mir leid.“

Atreia lachte amüsiert auf. „Schon gut. So unpassend ist diese Bezeichnung ja nicht. Wie heißt du eigentlich?“

„Joss“, antwortete die Bajoranerin. „Und ich muss mich bei dir bedanken. Das war nett von dir.“

„Ich bin froh, dass ich helfen konnte. Mein Name ist übrigens Atreia.“

Kaum eine halbe Stunde später hockten die beiden Frauen auf der Hafenmole und unterhielten sich angeregt miteinander, während sie sich an Atreias Einkäufen vom Markt gütlich taten. Die Cardassianerin, die gut gefrühstückt hatte, überließ den Großteil ihrer neuen Freundin. Joss schien schon viel zu lange keine anständige Mahlzeit mehr genossen zu haben und musste sich immer wieder einbremsen, um nicht zu hastig zu essen. Als Nachtisch teilen sie sich den frischen wohlschmeckenden Moba. Beide begannen gleichzeitig zu lachen, als sie merkten, dass ihre Münder und Hände voll mit dem roten Saft waren. Da war etwas an der Bajoranerin, das Atreia faszinierte. Diese nussbrauen Augen, die so viel Schmerz und Einsamkeit offenbarten, hatten in der Vergangenheit bestimmt Dinge gesehen, die ein Kind nicht wissen sollte, und doch lag weder Hass noch Zorn in ihnen. Was auch immer sie erlebt haben mochte, es hatte die Hoffnung darauf, dass irgendwann eine Zeit kam, die besser war als das Hier und Jetzt, nicht ganz getötet. Obwohl sie einander gerade erst begegnet waren, gab es eine Vertrautheit zwischen ihnen, die dabei half, das anfängliche Misstrauen zu überwinden. Sie gingen ziellos am Strand entlang, manchmal plaudernd, manchmal still den Stimmen des Meeres lauschend, bis es langsam Mittag wurde. An der Mole verabschiedeten sie sich schließlich mit dem festen Vorsatz, einander wiederzusehen.
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