TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Die Propheten flüstern

von Nerys

Kapitel 1

Die Propheten flüstern


Lachend drückten sich die beiden jungen Frauen an die raue rissige Hauswand in einem engen schattigen Gässchen. Auf der breiteren Straße eilte eine Gruppe uniformierter Soldaten vorbei, ohne auch nur einen Blick zur Seite zu werfen.

„Die wären wir los“, kommentierte Atreia triumphierend.

Joss grinste ihre Freundin breit an. „Hast du ihre dummen Gesichter gesehen? Ich hatte noch nie im Leben so viel Spaß!“

Sie hatten die Patrouille, die einen halbwüchsigen Jungen und ein kleines Mädchen, vermutlich Geschwister, beim Betteln aufgegriffen hatten, mit einem Ablenkungsmanöver getäuscht, welches aus zwei Schritten bestand. Zunächst hatte Joss mit einem der Soldaten kokettiert, dann war Atreia der Gruppe völlig aufgebracht entgegen gerannt, um die Uniformierten mit zusammenhangslos gestammelten Sätzen durcheinander zu bringen. Diesen Moment hatte die Bajoranerin geschickt genutzt, um die Kinder in Sicherheit zu bringen. Nach dem schrillen Mövenschrei, der das verabredete Zeichen darstellte, war die Cardassianerin sofort getürmt, doch nicht ohne die Soldaten völlig unschuldig anzulächeln. Ehe die Männer begriffen hatten, was geschah, waren Joss und Atreia längst außerhalb ihrer Reichweite gewesen. Die beiden verharrten noch ein paar Minuten in ihrem Versteck, ehe sie sich wieder in die belebteren Straßen hinaus wagten. Ganz in der Nähe gab es einen kleinen Platz mit einem Brunnen, der die umliegenden Wohnhäuser mit Wasser versorgte. Hier ließen sie sich nieder, um ein paar Schlucke zu trinken. Eine alte Bajoranerin in einer schäbigen Kittelschürze taxierte Atreia misstrauisch.

„Du gehörst hier nicht her“, sagte sie heiser.

Die Cardassianerin bedachte sie mit einem zuvorkommenden Lächeln. „Keine Sorge, wir bleiben nicht lange. Wir möchten uns nur für einen Moment ausruhen.“

Überrascht, von einem Löffelkopf in beinahe akzentfreiem Bajoranisch angesprochen zu werden, stutzte die Alte. Kopfschüttelnd und etwas Unverständliches vor sich hin brummend, stapfte sie zu einem der nahen Hauseingänge, um darin zu verschwinden. Joss tauchte die Hände in das angenehm kühle Wasser und beträufelte sich ein wenig das verschwitzte Gesicht. Mit einer gewissen Neugier betrachtete sie ihre Freundin, die ihren Körper in die Sonne gedreht hatte, um ein wenig die wärmenden Strahlen zu genießen. Sie kannten einander erst seit ein paar Wochen, doch kam es ihnen vor, als wären sie alte Vertraute. Im Grunde jedoch wussten sie nur wenig über einander.

„Was ist?“, fragte Atreia schmunzelnd. „Habe ich einen Erdkäfer auf den Haaren?“

Die Bajoranerin schüttelte amüsiert den Kopf. „Nein, nein. Ich habe mich nur gerade gefragt, wieso du eigentlich so gut meine Sprache sprichst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr euch normalerweise die Mühe macht, sie zu lernen.“

„Das ist auch nicht so.“ Atreias Gedanken glitten zurück zu jenem Moment, der in ihr den Wunsch ausgelöst hatte, Bajoranisch zu lernen. Damals war sie noch ein Kind gewesen und die Erinnerungen waren mit der Zeit verblasst wie altes Papier. „Mein Vater gehörte früher, bevor er Gul wurde, zu den Wachen des Ankhet-Arbeitslagers. Damals war ich noch zu klein, um zu verstehen, was es damit auf sich hatte. Ich wollte das Mädchen hinter dem Zaun so gerne fragen, warum es dort drinnen ist, aber ich konnte nicht. Wir verstanden uns einfach nicht, dabei war sie doch genauso ein Kind wie ich. Von da an, wollte ich eure Sprache unbedingt lernen, denn schließlich wird sie überall auf dieser Welt gesprochen, die auch mein Zuhause ist.“

„Ich erinnere mich an Ankhet“, murmelte Joss mit belegter Stimme. „Jeden Morgen stand ich am Zaun und fragte mich, wie die Welt draußen aussehen mag. Den Tag, an dem ich auf der anderen Seite das cardassianische Mädchen sah, konnte ich nie vergessen. Ich hätte dich so gerne gefragt, wie es dort draußen ist. Du hast mir die Hoffnung geschenkt, dass es noch etwas anderes gibt als Ankhet.“

Erstaunt starrte Atreia ihre Freundin an, deren dunkle Augen schimmerten. Sie spürte unter ihren Lidern ebenfalls salzige Feuchtigkeit. „Oh Joss, du warst das, ich fasse es nicht! Du hast es geschafft, die andere Seite des Zauns zu erreichen. Wie ist dir das gelungen? Mein Vater rühmte Ankhet damals immer als eines der sichersten Lager, aus dem niemand fliehen könnte.“

Joss blickte in die glatte Wasseroberfläche des Brunnens hinab, in der sie ihr eigenes Spiegelbild neben dem ihrer Freundin sah. Sie schluckte die aufkommende Flut der Erinnerungen hinunter. Die Wahrheit war ein bitterer Schatten auf ihrem Herzen, der allein ihr gehörte. „Nach einem heftigen Unwetter fand ich eine Lücke unter dem Zaun, wo der Regen das Erdreich weggespült hatte. Ich schlüpfte hindurch und konnte flüchten, ohne von den Wachen entdeckt zu werden. Es war Glück.“

„Oder vielleicht waren die Propheten mit dir.“ Atreia ergriff die Hand ihrer Freundin und drückt sie sanft. Sie spürte, dass die Erinnerungen Joss weh taten und wollte sie nicht weiter damit konfrontieren.

„Meine Mutter sprach oft von den Propheten, als ich noch klein war, aber ich konnte ihren Glauben nie wirklich mit dem Herzen teilen.“ Die Bajoranerin hob den Kopf, um in Atreias hellblaue Augen zu blicken, die so ausdrucksstark unter den markanten cardassianischen Knochenwülsten leuchteten. „Jetzt verstehe ich es endlich. Die Propheten führten uns damals zusammen und nach all den Jahren wieder. So musste es geschehen.“ Sie erhob sich ruckartig von ihrem Platz auf dem gemauerten Brunnenrand und streckte Atreia die Hand entgegen. „Komm mit!“

Die Cardassianerin griff mit einem Lächeln um die Mundwinkel zu. Ohne eine Frage nach dem Ziel zu stellen, ließ sie sich von ihrer Freundin durch die verwinkelten Gassen führen. Sie vertraute Joss. Bald gelangten sie an den Strand, an dem sie in den vergangenen Wochen schon viel Zeit verbracht hatten. Diesmal jedoch gingen sie weiter. Sie kletterten über einen Wall aus feuchten glitschigen Felsen, hinter dem eine weitere Bucht lag. Vor dem Wrack eines Schiffes, das hier gestrandet war, blieb Joss schließlich stehen und deutete auf eine Stelle am Bug. Verwundert blickte Atreia ihre Freundin an, die wissend lächelte. Erst beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass die Planken an dieser Stelle aufgerissen waren, und dass jemand die entstandene Öffnung zur Tarnung mit gräulich schäbigem Stoff drapiert hatte.

„Hier lebe ich“, kommentierte Joss. Sie wartete keine Antwort ab, sondern schlüpfte flugs durch den verborgenen Spalt.

Atreia folgte ihr. Der Hohlraum im Inneren des Schiffes war geräumiger, als es von außen den Anschein hatte. Ein modriger und traniger Geruch schlug ihr entgegen. Auf dem Boden bildeten ein paar zerschlissene Decken eine Schlafstatt, um die herum Joss‘ spärliche Besitztümer verteilt lagen. An den morschen Wänden hingen zur Dekoration an Garn aufgefädelte Muscheln in verschiedenen schönen Formen und Farben. Joss bedeutete ihr, sich zu setzen und sie konnte sehen, dass ihre Freundin einen gewissen Stolz gegenüber diesem Heim besaß, das sie sich hier geschaffen hatte. Der Gedanke an ihr eigenes Zuhause, in dem ein bequemes Bett, ein erfrischendes Bad und eine warme Mahlzeit auf sie warteten, versetzte ihr einen gewaltigen Stich im Herzen. Sie wünschte sich nichts mehr, als all das mit Joss zu teilen. Sie hatten so viel gemeinsam und lebten doch in verschiedenen Welten. Nur die Propheten wussten, ob sie einander jemals wirklich treffen konnten.
Rezensionen