Ich lege meine Finger auf deine Lippen. Bitte sprich nicht mehr, es strengt dich zu sehr an. Du bist ein Schatten deiner Selbst. Du verdorrst vor meinen Augen wie eine Pflanze in ausgetrockneter Erde. Ich vermag nur hilflos neben dir zu sitzen und deine Hand zu halten. Dabei wünsche ich mir nur, ich könnte dir den Schmerz irgendwie nehmen. Du sagst, das Medikament würde wirken, aber ich sehe, wie sehr du leidest. Vorsichtig berühre ich deine Wange, die rissig ist wie altes Pergament. Ich habe Angst, dir noch mehr weh zu tun. Du willst nicht, dass ich deinen Tod miterlebe. Du willst den Schmerz in meinen Augen nicht sehen.
Ja, ich habe das alles schon einmal durchgemacht. Es gibt keine Worte für das Leid, das ich empfand, als Antos damals genau hier auf dieser Krankenstation starb. Auch ihm konnte ich nicht helfen, ich saß nur daneben, während das Leben aus ihm wich. Zumindest war er nicht allein, als seine Augen sich zuletzt schlossen und er mit den Propheten ging. Und dich soll ich einfach deinem Schicksal überlassen? Ich weiß, dass ich gehen muss. Es ist meine Pflicht. Trotzdem möchte ich nirgendwo weniger sein, als bei Damars Widerstandsgruppe. Ich gehöre doch zu dir! Schick mich nicht fort. Wenn ich jetzt aufbreche, werde ich dich womöglich nie wieder sehen. Julian bemüht sich nach Kräften, das weiß ich zu schätzen, aber selbst er kann keine Wunder vollbringen. Und ein Wunder ist das einzige, was dich noch retten kann. Ich werde für dich zu den Propheten beten. Ich habe fürchterliche Angst, Abschied von dir zu nehmen, weil ich im tiefsten Inneren ahne, dass es kein Wiedersehen mehr geben wird. Nicht in diesem Leben.
Du siehst mich aus deinen matten schwachen Augen an und ich erkenne deine Liebe darin. Nur mit deinem stummen Blick bittest du mich, endlich zu gehen, damit all das hier nicht umsonst war. Du hast so recht. Ich muss es tun, oder deine Anstrengungen der letzten Wochen werden völlig sinnlos gewesen sein. Dein Tod wird sinnlos sein. Das lasse ich nicht zu! Ich werde für dich weiter kämpfen, weil du es nicht mehr kannst. Leb wohl zu sagen, ist alles was noch zu tun bleibt. Die Worte sind wie Steine in meinem Herzen und dieser letzte Kuss schmeckt bitter. Ich nehme nicht wirklich Abschied von dir, denn in mir lebst du weiter. Für immer.
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