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Asche 02 - Schreie in der Nacht

von Martina Strobelt

Teil 1

„Keiner sollte je den Fehler begehen meine Begabungen
zu unterschätzen. Schon gar nicht die des Überlebens.“


(Garak zu Ziyal in „Zu den Waffen“)


Dichte Nebelschwaden hüllten ihn ein, drangen in seine Lungen und drohten ihn zu ersticken. Graue Schleier bildeten Gesichter und Münder. Unendlich viele Münder. Und alle schrien und riefen im Todeskampf seinen Namen ...

Er wachte von seinen eigenen Schreien auf. Sein Puls raste, und die Luft im Zimmer erschien ihm drückend. Er wollte sich aufrichten, doch es war, als würde das Gewicht unzähliger Körper auf ihm lasten und ihn niederpressen.

„Computer, Licht!“

Nichts geschah, und ihm fiel ein, dass die Computersteuerung seit dem Angriff des Dominions ausgefallen war. Er zwang seinen rechten Arm, der schwer wie Blei war, sich zum Lichtschalter neben dem Bett zu tasten.

Gleißende Helligkeit flammte auf.

Für den Bruchteil einer Sekunde schloss Elim Garak geblendet die Augen. Dann öffnete er sie wieder und setzte sich auf. Wände und Decke des winzigen Raumes sahen aus, als würden sie sich auf ihn zu bewegen. Garak benötigte seine ganze Willenskraft, um seine Atmung unter Kontrolle zu bekommen und die Panik, die in seinem Inneren aufstieg, niederzukämpfen. Seit seiner Ankunft auf Cardassia hatten die klaustrophobischen Anfälle, unter denen er litt, beunruhigend zugenommen, und neuerdings gingen sie mit entsetzlichen Alpträumen einher.

Er hatte gegen sein eigenes Volk gekämpft und es verraten. Es war zu Cardassias Wohl gewesen, doch sooft er sich das vor Augen hielt, es änderte nichts daran, dass er sich schuldig fühlte. Nacht für Nacht erwachten die Toten, die der Krieg gefordert hatte, in Garaks Träumen zu neuem Leben und klagten ihn an, sie ermordet zu haben.

Inzwischen hatte er angefangen, den Schlaf zu hassen, schlimmer noch: ihn zu fürchten.

Garak schaltete das Licht wieder aus und rückte an das Fenster über seinem Bett. Die fahlen Strahlen des Mondes waren das Einzige, was die Dunkelheit der cardassianischen Nacht durchbrach. Düster und drohend ragten die Trümmer der Häuser gegen den schwarzen Himmel auf. Dort unter ihm hatte sich einst eine der belebtesten Straßen der Hauptstadt befunden. Tag für Tag hatte sich eine wogende Menge aus Gleitern und Leibern ihren Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, oder zu Besuchen gebahnt, und nachts hatten die Straßenbeleuchtung und die Scheinwerfer der Luftfahrzeuge die Dunkelheit erhellt.

In gewisser Weise glich die Straße zu seinen Füßen heute wie damals seinem Leben. Dort, wo einst hektische Betriebsamkeit, stets in dem Bestreben, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, geherrscht hatte, waren Dunkelheit und Stille eingekehrt, Vorboten des Verfalls. Und genau wie die Häuser am Rand der Straße lag auch sein eigenes Leben in Trümmern.

Garak hatte begonnen, Natima Lang bei ihrer Arbeit im Krankenhaus zu helfen, doch selbstlose Aufopferung für andere als Zweck seiner Existenz lief seiner Natur zuwider. Auf diese Weise würde er auf Dauer nicht weiterleben können, ohne den Verstand zu verlieren. Garak wusste, dass er ein Ziel brauchte, das seinem Leben wieder einen Sinn verlieh. Dann würden auch die Alpträume irgendwann vergehen, davon war er überzeugt, oder versuchte es zumindest zu sein. Es musste dort draußen irgendwo noch Hoffnung für ihn geben. Daran klammerte er sich, weil es das einzige war, das ihm in dem Chaos, das ihn umgab, geblieben war.

* * *


Colonel Kira Nerys betrachtete das Gesicht auf dem Bildschirm. So vertraut und dabei zugleich fast wie das eines Fremden. Kühl und unnahbar. Konnte es wirklich sein, dass sie vor etwas mehr als einem Monat noch Liebende gewesen waren? War es möglich, dass sie beide sich in der kurzen Zeit, die seit ihrem Abschied vergangen war, derart verändert hatten?

Odo war zu seinem Volk zurückgekehrt, war sogar zu dessen Führer geworden.

Kira ihrerseits hatte die Verantwortung für DS9 und damit auch einen wesentlichen Teil des Schutzes ihrer Heimat übernommen.

Odo hatte seinen Platz in der großen Verbindung eingenommen. Seine Suche war zu Ende und damit die Einsamkeit und die innere Zerrissenheit, die sein Leben bis zu diesem Tag bestimmt hatten.

Kira wiederum war von der Rebellin, die sie einst gewesen war, zur Kommandantin der wohl wichtigsten Basis im Alpha-Quadranten geworden.

Für eine Weile hatten ihre Wege sich gekreuzt, doch beide wussten, dass dieser Abschnitt für sie unwiderruflich vorbei war, dass es an der Zeit war, neue Pfade zu beschreiten, mochten diese auch in unterschiedliche Richtungen führen.

„Warum ausgerechnet Weyoun?“ beharrte Kira auf ihrer Frage, die der Anlass gewesen war, mit Odo auf der Heimatwelt der Gründer Kontakt aufzunehmen. „Bist du dir bewusst, welche Gefühle seine bloße Anwesenheit auf DS9 bei dem bajoranischen Volk und insbesondere den Bewohnern der Station auslöst? Der Vorta, der die dominischen Truppen während des Krieges kommandiert und der DS9 besetzt hat! Der Mann, der Dukat die Rückkehr nach Terok Nor ermöglicht hat!“

„Das war Weyoun fünf. Der Weyoun, den wir nach DS9 geschickt haben, ist Weyoun neun. Er hat keine Schuld an den Verbrechen, die von seinen Vorgängern begangen wurden.“

„Erkläre das den Leuten hier! Wie war es überhaupt möglich, eine neunte Inkarnation zu erschaffen? Die Klontechnik wurde im Krieg zerstört, oder etwa nicht?“

„Das wurde sie“, bestätigte er. „Offenbar hatte Weyoun acht seinen Nachfolger aus Gründen die er mit ins Grab genommen hat, bereits zu Lebzeiten klonen und in Stasis versetzen lassen. Weyouns Erster, Omet’iklan, hatte von Weyoun acht den Befehl erhalten, im Falle seines Todes die Stasiskammer zu öffnen und Weyoun neun zur Heimatwelt meines Volkes zu bringen, um den Gründern zu dienen.“

„Von mir aus, er kann nichts für das, was im Krieg geschehen ist. Aber er ist nun einmal eine Inkarnation von Weyoun, und die Gefühle, die er bei den Leuten, und auch in mir, weckt, sind nicht gerade freundlicher Natur, um es milde auszudrücken!“

„Es tut mir leid, Nerys. Wir hatten keine andere Wahl, als ihn nach DS9 zu schicken.“

„Was soll das heißen?! Es gibt immer eine Wahl! Du hättest irgendeinen anderen Vorta zum Botschafter ernennen können!“

„Nein“, widersprach er. „Verstehe doch, Nerys. Im Krieg wurden viele Vorta getötet. Einige starben im Kampf, aber die meisten begingen Selbstmord, um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Die wenigen Vorta, die noch übrig sind, besitzen praktisch keine Erfahrung im Umgang mit anderen Völkern. Das Dominion ist schwach. Die Romulaner und Klingonen murren bereits, dass mit uns zu gnädig verfahren wurde, dass die Gründer hätten getötet und der Gamma-Quadrant unter den Siegern hätte aufgeteilt werden sollen. Wir haben keine Armee, um uns zu schützen. Fast alle Jem’Hadar sind tot, die Geburtskammern zerstört.“

„Das klingt, als würdest du das bedauern“, bemerkte Kira.

„In gewisser Weise tue ich das“, bekannte Odo. „Die Föderation hat auf die Vernichtung des Dominions verzichtet. Wir werden auch künftig auf ihr Wohlwollen und das der anderen Völker des Alpha-Quadranten angewiesen sein.“

„Und das gedenkst du dir zu erhalten, indem du uns mit Weyoun konfrontierst?!“

„Weyoun neun ist für die Taten seiner Vorgänger nicht verantwortlich. Doch genau wie alle seine Vorgänger ist er der geborene Diplomat. Wenn es jemandem gelingt, die Föderation, Bajor und die anderen Völker des Alpha-Quadranten davon zu überzeugen, dass das Dominion sich geändert hat und eine friedliche Nation geworden ist, dann Weyoun.“

„Mag sein“, räumte Kira ein. „Allerdings befürchtete ich, dass die Vertreter der Nationen des Alpha-Quadranten, abgesehen vielleicht von der Föderation, nicht einmal bereit sein werden, sich im selben Raum wie Weyoun aufzuhalten, geschweige denn, auf diplomatischer Ebene ein einziges Wort mit ihm zu wechseln. Odo, das Gesicht dieses Mannes ist für die Völker des Alpha-Quadranten zum Feindbild geworden! Ich weiß nicht einmal, ob ich auf Dauer für seine Sicherheit an Bord der Station garantieren kann!“

„Das musst du nicht. Das ist Omet’iklans Aufgabe.“

„Großartig. Als ob Weyouns Anwesenheit die Situation nicht schon kompliziert genug macht, läuft auf der Station jetzt auch noch ein Jem’Hadar herum. Ist dir klar, wie viele Beschwerden mich seit der Ankunft der beiden schon erreicht haben?“

„Falls einer von Ihnen die Regeln missachtet hat, dann ...“

„Oh nein, sie benehmen sich wirklich vorbildlich. Aber ihr Anblick flößt den Leuten Furcht ein, und, was noch schlimmer ist: Hass!“

„Und genau aus diesem Grund benötige ich deine Hilfe.“

„Meine Hilfe?“

„Du hast das Kommando über den Ort, der zukünftig Schnittstelle der verschiedenen Völker des Alpha-Quadranten und des Gamma-Quadranten werden wird. Du hast als Verbindungsoffizier direkten Kontakt zur Föderation, und du hast“, Odo zögerte unmerklich ehe er fortfuhr, „recht enge Beziehungen zur bajoranischen Regierung. Du könntest deinen Einfluss geltend machen, um Weyoun gesellschaftlich und diplomatisch einen Platz am Tisch der übrigen Botschafter zu verschaffen. Wenn du und die bajoranische Regierung Weyoun offiziell als Repräsentanten einer befreundeten Nation anerkennen und ihn dementsprechend in der Öffentlichkeit behandeln, können die anderen Völker ihn, und damit das Dominion, auf Dauer nicht ignorieren.“

„Wenn ich dich richtig verstehe, verlangst du von mir, Weyoun nicht nur an Bord der Station zu dulden, sondern ihn darüber hinaus öffentlich zu unterstützen, und Premierminister Shakaar zudem zu überreden, dasselbe zu tun?!“

Odo nickte. „Ja. Ich habe dich noch niemals um etwas gebeten, Nerys, doch diesmal bitte ich dich, darum, Weyoun zu helfen! Um“, Odo zögerte erneut, „der alten Zeiten willen.“

„Also schön“, seufzte Kira. „Es wird nicht einfach werden, doch ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Weyouns Position als Botschafter zu stärken. Um der alten Zeiten willen.“

* * *


Natima Lang wog die schmale Ampulle einige Sekunden in der Hand und reichte sie dann Anouk, der in ihren Augen die Antwort las, bevor er seine Frage stellte:

„Es ist die letzte, nicht wahr?“

Natima nickte. „Es tut mir leid, Doktor.“

„Wissen Sie, wie viele Patienten ich allein heute noch operieren muss?“

Es war eine rhetorische Frage. Natürlich wusste Natima es.

„Es tut mir leid“, wiederholte sie. „Es muss ohne Sedativ gehen. Entweder halten die Pfleger die Patienten fest, oder sie werden an den Tisch gebunden. Nur, bitte, stopfen Sie ihnen etwas in den Mund oder geben Sie ihnen etwas, auf das sie beißen können. Wenn die anderen Patienten merken, dass uns die Narkotika ausgegangen sind, bricht womöglich eine Panik aus.“

„Ich werde tun, was ich kann“, versicherte Anouk.

Natimas Blick folgte dem Arzt, der mit hängender Schulter und müden Schritten ihr kleines Büro verließ. Anouk war erst Anfang vierzig, doch in diesem Moment sah er aus wie ein alter Mann.

Die Cardassianerin sank zurück in ihren Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Es musste Jahre her sein. Es war der Tag gewesen, als ihre Eltern von einer Reise nicht mehr zurückgekommen waren. Ihr Shuttle verschwand spurlos, und sie würde nie erfahren, was damals geschehen war. Offiziell war von einem Unfall die Rede gewesen, doch Natima vermutete, dass Legat Lang eine Frage zu viel gestellt oder einmal zu oft eine Meinung geäußert hatte, die dem Zentralkommando nicht gefallen hatte.

Zum ersten Mal war Natima froh, dass ihre Eltern tot waren und nicht mehr erleben mussten, was aus ihrer geliebten Heimat geworden war.

Es klopfte.

Natima wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Es war ihre Pflicht, den Leuten hier Mut und Hoffnung zu geben, und dazu passte das Bild einer in Tränen aufgelösten Frau schlecht.

„Herein!“

Es war Raluk, was Natima zu einem kleinen Lächeln veranlasste.

„Ich dachte, wir wären uns einig, dass Freunde nicht anklopfen“, bemerkte sie.

„Habe ich geklopft?“ Raluk erwiderte das Lächeln. „Ich war so in Gedanken, dass ich es wohl unbewusst getan habe.“ Unvermittelt wurde ihr Gesicht ernst. „Stimmt es, dass du planst, draußen vor dem Tor eine Suppenküche einzurichten?“

„Das ist richtig“, erwiderte Natima. Sie fragte nicht, woher Raluks Wissen stammte. Die alte Frau, die es übernommen hatte, für alle zu kochen, war die einzige, mit der Natima bisher über ihre Absicht gesprochen hatte. Offenbar war sie weitaus geschwätziger als Natima angenommen hatte.

„Unsere Vorräte sind äußerst knapp bemessen“, wandte Raluk ein. „Wir können sie nicht mit allen teilen! Deshalb haben wir beschlossen, keine Flüchtlinge mehr, sondern nur noch Kranke und Verwundete aufzunehmen. Du warst damit einverstanden.“

„Ja, weil ich keine andere Wahl hatte. Wir können die Leute schließlich nicht übereinander stapeln. Wir können ihnen kein Obdach bieten, aber dürfen wir sie einfach auf der Straße verhungern lassen?“

„Was ist mit den Leuten im Krankenhaus? Sollte unsere erste Sorge nicht ihnen gelten?“

„Mag sein“, antwortete Natima. „Aber wir können und dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie Cardassianer vor unserer Tür verhungern, nur weil wir keinen Platz für sie haben!“

„Wie du willst“, gab Raluk nach. „Ich hoffe nur, dass wir diese Entscheidung nie bereuen.“

* * *


Das Chez Meret befand sich in der Mitte des Promenadendecks. Von den terrassenartigen Ebenen des Restaurants hatte man einen ausgezeichneten Blick auf das bunte Treiben auf der Promenade. Der Inhaber war ein ehemaliger Offizier der Sternenflotte, der nach dem Krieg die Uniform an den Nagel gehängt, eine junge Bajoranerin geheiratet und mit ihr dieses auf traditionelle Gerichte der terranischen und bajoranischen Küche spezialisierte Restaurant eröffnet hatte.

Blumen schmückten die Geländer der Balustraden und in geräumigen Volieren flatterten und sangen farbenprächtige Vögel.

Infolge des bajoranischen Fastenmonats war das Restaurant nur schwach besucht.

Zu den wenigen Gästen gehörte der Botschafter des Dominions, der an einem Tisch direkt an der Treppe saß, die hinab zur Promenade führte. Hinter seinem Stuhl stand, unbeweglich wie eine Statue, Omet’iklan. Scheinbar gelassen beobachtete Weyoun die Kellner, die angelegentlich zur Seite sahen, wann immer sie in die Nähe seines Tisches gerieten. Der Vorta saß bereits seit einer halben Stunde an seinem Platz, ohne dass einer der vorwiegend bajoranischen Kellner gekommen war, um ihm eine Karte zu bringen, oder gar eine Bestellung aufzunehmen. Weyoun vermutete, dass es allein der Respekt vor seinem Ersten war, der verhinderte, dass sie beide zum Gehen aufgefordert wurden. Stattdessen hatten die Kellner sich wie auf eine geheime Absprache verständigt, den unerwünschten Gast zu ignorieren.

Weyoun wartete, bis einer der Kellner sich auf gleicher Höhe befand.

„Bitte entschuldigen Sie“, sprach er den Bajoraner höflich an. „Wäre es wohl möglich, ein Glas Tulabeeren-Wein zu erhalten?“

„Bedaure“, der Kellner drehte sich um und fixierte Weyoun kühl, wobei er sorgsam darauf achtete, nicht in die unmittelbare Reichweite des Jem’Hadar zu geraten, „Tulabeeren-Wein ist leider ausgegangen.“

„Dann bringen Sie mir bitte einen bajoranischen Frühlingswein.“

„Tut mir leid“, sagte der Bajoraner. „Frühlingswein ist ebenfalls ausgegangen.“

„Was ist mit dieser Flasche?“ Weyoun deutete auf das Tablett in den Händen des Kellners.

„Das ist die letzte“, kam es ohne Zögern zurück. „Und sie ist bereits bestellt.“

Aus den Augenwinkeln registrierte der Vorta, wie sein Erster die Fäuste ballte, und schüttelte kaum merklich den Kopf, worauf Omet’iklan sich wieder entspannte.

„Wenn das so ist“, sagte Weyoun freundlich, „dann hätte ich gerne ein Glas Rotbier. Nein, lassen Sie mich raten“, kam er der Erwiderung des Kellners zuvor, „Rotbier ist auch ausgegangen.“

„So ist es“, bestätigte der Bajoraner.

„Gibt es irgendein Problem?“ erklang es unvermittelt hinter dem Kellner.

„Colonel Kira!“ Der Mann drehte sich zu der Bajoranerin um und verneigte sich leicht. „Es ist mir eine Ehre, Sie wieder einmal bei uns begrüßen zu dürfen. Dahinten ist gerade ein wunderschöner Tisch frei geworden. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie hin geleiten“

„Vielen Dank“, lehnte Kira ab. „Ich würde lieber hier an diesem Tisch sitzen. Das heißt“, ihr Blick suchte den Weyouns, „sofern Sie nichts dagegen haben, Botschafter.“

„Es wäre mir eine Freude“, beteuerte Weyoun, ohne sich sein Erstaunen anmerken zu lassen.

Die Bajoranerin nahm Platz. „Ich hätte gern eine Tasse heißen Juma-Tee“, wandte sie sich an den Kellner, der sie verblüfft anstarrte. „Vorausgesetzt“, ergänzte Kira sanft, „dass der Juma-Tee Ihnen nicht just in diesem Moment ausgegangen ist.“

„Das ist er nicht“, beeilte der Kellner sich zu versichern.

„Ausgezeichnet.“ Kira lächelte leicht. „Dann schlage ich vor, dass Sie eine zweite Tasse für den Botschafter des Dominions mitbringen. Sie mögen doch heißen Juma-Tee?“ richtete Kira erneut das Wort an Weyoun.

Der Vorta bejahte.

„Worauf warten Sie? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“ Ein warnender Blick der Kommandantin scheuchte den Kellner fort.

Innerhalb weniger Minuten brachte er das Gewünschte und zog sich hastig wieder zurück.

Kira pustete auf die dampfende Oberfläche ihres Getränkes. „Wussten Sie, dass es Bajoranern für die Dauer des Fastenmonats nicht gestattet ist, etwas anderes als Juma-Tee und Pecabohnen zu sich zu nehmen?“

„Tatsächlich?“

„Tatsächlich!“ Kira hörte zu pusten auf und sah den Vorta direkt an. „Kommt das öfter vor?“

„Dass die hiesigen Restaurants von einer plötzlichen Lebensmittelknappheit befallen werden?“

Kira nickte.

„Lassen Sie mich überlegen.“ Weyoun runzelte die Stirn. „Seit meiner Ankunft habe ich jedes Restaurant außer dem klingonischen aufgesucht. Unter uns, ich schätze die klingonische Küche nicht sonderlich“, ergänzte der Vorta lächelnd. „Ich bevorzuge es, wenn der Inhalt meines Tellers sein Schicksal akzeptiert ohne Fluchtversuche zu unternehmen, ich fühle mich dann irgendwie – besser.“

„Geht mir genauso.“ Kira erwiderte das Lächeln. Vielleicht würde es einfacher werden, als sie gedacht hatte, Odos Bitte zu erfüllen. „Und?“

„Im Replimat und im Quark’s verursachte meine Anwesenheit keine Versorgungsengpässe.“

„Das Replimat ist ein Selbstbedienungsrestaurant, und Quark würde keinem zahlenden Gast eine Bestellung verweigern. Was ist mit den anderen?“

Weyoun machte eine allumfassende Geste. „Sie haben es gesehen.“

„Soll das heißen, dass Sie in keinem Restaurant bedient werden?“

„Sie dürfen es den Leuten nicht übelnehmen“, meinte der Vorta. „Meine Vorgänger sind den meisten leider in wenig angenehmer Erinnerung geblieben.“

„Was Ihnen nicht angelastet werden kann“, machte Kira sich Odos Argumentation zu Eigen.

„Erklären Sie das den Bewohnern der Station.“

„Das werde ich! Sie haben mein Wort, Botschafter, dass es künftig keine Versorgungsengpässe dieser Art mehr geben wird!“

„Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen“, sagte Weyoun. „Doch ich bin zuversichtlich, dass es mir mit der Zeit gelingen wird, den Respekt dieser Leute zu erwerben, ohne dass von dritter Seite Druck auf sie ausgeübt wird. Ich bin sicher, Sie verstehen das.“

„Ich denke, ja.“ Kira trank ihren Tee aus, erhob sich und winkte dem Kellner. „Setzen Sie den Tee des Botschafters auf meine Rechnung.“ Sie nickte Weyoun zu. „Als Zeichen meines Respektes.“

* * *


Der Mann unterschied sich in nichts von den vielen Soldaten, die seit dem Ende des Krieges ohne Sinn und Ziel das Land durchstreiften. Seine Uniform war zerrissen und mit verkrustetem Blut bedeckt und seine Stiefel waren zerlöchert. Er war verdreckt, und sein hinkender Gang rührte von einer kaum verheilten Beinwunde.

Hätte einer derjenigen, denen der Mann unterwegs begegnete, ihn genau angesehen, hätte er bemerkt, dass es sich nicht um einen einfachen Soldaten, sondern um einen hochrangigen Offizier der zweiten Flotte handelte. Doch die Leute auf den staubigen Straßen hatten genug mit ihren eigenen Problemen zu tun, um einem abgerissenen Uniformierten Beachtung zu schenken.

Gul Madred war das mehr als recht. Unter der Herrschaft des Dominions hatte er sich seines Postens behauptet, indem er Entscheidungen getroffen hatte, die dem Volk meistens nicht gefallen hatten, und er hatte im Auftrag Weyouns cardassianische Deserteure gejagt, was seiner Beliebtheit in den Reihen des Militärs nicht gerade förderlich gewesen war. In letzter Sekunde hatte er die Fronten gewechselt und sich gegen das Dominion gestellt. Damit hatte er zwar sein Leben gerettet, denn jene Offiziere, die den richtigen Moment verpasst hatten, waren von ihren eigenen Untergebenen gelyncht worden, als das Dominion mit dem Angriff auf Cardassia begann. Doch es war zu spät gewesen, um die Loyalität der Soldaten zurückzugewinnen. Seine Einheit hatte gegen ihn gemeutert und ihn wie einen Hund davon gejagt. Eines Tages würde er sie dafür bezahlen lassen, jeden einzelnen. Doch für den Moment konnte er davon nur träumen. Innerhalb weniger Monate hatte sein ganzes Leben sich verändert. Seine Frau hatte den Beitritt Cardassias zum Dominion nie gebilligt, und als ihr Mann damit angefangen hatte, cardassianische Deserteure aufzuspüren, hatte sie ihn über Nacht zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter verlassen. Er wusste nicht, wohin sie gegangen und ob sie überhaupt noch am Leben waren, und wenn er ehrlich war, dann war es ihm gleich. Es war keine Liebesheirat, sondern eine reine Vernunftehe gewesen. Seine Tochter hatte er geliebt, doch gehörte dieses Gefühl der Vergangenheit an. Sie war alt genug gewesen, um zwischen ihrer Mutter und ihm zu wählen, und sie hatte ihre Wahl getroffen. Er würde nicht nach ihr suchen, sondern alles tun, um sie zu vergessen. Gelegentlich vermisste er ihr Gesicht und ihr fröhliches Lachen, doch die Erinnerungen daran hatten bereits begonnen zu verblassen.

Madreds Blick streifte den Eingang des früheren Hauptquartiers des Obsidianischen Ordens, vor dem sich eine Menge angesammelt hatte, um einen Teller von der Suppe zu ergattern, die dort von einer jungen Cardassianerin aus einem gewaltigem Kessel verteilt wurde.

Es war Tage her, seit er etwas anderes als Wasser zu sich genommen hatte, und sein Magen schmerzte vor Hunger. Ungeachtet seiner Situation schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er an die Ironie dachte, die darin steckte, dass ausgerechnet dieses Gebäude zu einer Suppenküche umfunktioniert worden war. Er fragte sich, was Enabrain Tain dazu wohl gesagt hätte, wenn er noch am Leben wäre. Der gute Tain hatte Sinn für Humor besessen. Wahrscheinlich hätte er sich köstlich amüsiert - und die Leute danach in irgendeinem dunklen Keller auf immer verschwinden lassen.

Nach kurzem Zögern reihte Gul Madred sich in die Schlange der Wartenden ein.

Der Duft, der dem Kessel entströmte, erschien ihm köstlicher als alles, was er je gerochen hatte. Er spürte, wie Speichel sich in seinem Mund sammelte. Sein Magen krampfte sich zusammen, und ihm wurde vor Vorfreude beinahe schwindelig. Als er an den Kessel trat, um aus den Händen der Frau einen Teller in Empfang zu nehmen, bemerkte er den Cardassianer, der hinter ihr stand.

Er trug den grauen Kittel eines Pflegers, und offenbar war es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Verteilung reibungslos verlief. Jedenfalls griff er ruhig, doch sehr energisch ein, als zwei alte Frauen aus der Menge in Streit darüber gerieten, welche vor der anderen dran war. Dabei sah Gul Madred eher zufällig auf sein Gesicht und wandte sofort seinen Blick ab.

Garak!

Gul Madred hoffte, dass der andere ihn nicht erkannt hatte, da er sich im Moment eindeutig in der schwächeren Position befand.

Doch Garak war zu beschäftigt damit, die beiden keifenden Frauen davon abzuhalten, aufeinander loszugehen, um auf den zerlumpten Cardassianer zu achten, der sich nach einem gemurmelten Dank mit seinem Teller hastig zurückzog.

* * *


Erika Benteen hielt Kiras zornigem Blick mit einer Gelassenheit stand, die der Bajoranerin einiges abforderte, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Sie hatten kein Recht, Vedek Hanis und seine Schüler zum Verlassen des Promenadendecks aufzufordern!“, stellte Kira fest.

„Bei allem Respekt, Sir“, erwiderte Benteen, „laut den Stationsregeln ist es keinem gestattet, sich ohne Zustimmung des befehlshabenden Offiziers auf dem Promenadendeck zu versammeln, um eine Kundgebung zu veranstalten.“

Ich bin der befehlshabende Offizier und ich hätte nichts dagegen gehabt, dass Vedek Hanis mit seinen Schülern friedlich für eine Versöhnung mit Cardassia und dem Dominion demonstriert!“

„Sie befanden sich nicht an Bord der Station“, erinnerte Benteen unbeeindruckt. „Sie waren auf Bajor, und während Ihrer Abwesenheit hatte ich das Kommando. Vedek Hanis hat seine Schüler ohne meine Zustimmung auf der Promenade versammelt, daher war es nicht nur mein Recht, sondern meine Pflicht als Offizier der Sternenflotte, dieses regelwidrige Verhalten zu unterbinden!“

„Hätten Sie Ihre Zustimmung zu der Versammlung erteilt, wäre es überhaupt nicht zu einem regelwidrigen Verhalten gekommen! Warum haben Sie sich nur geweigert?“

„Weil mit gewalttätigen Gegenaktionen von Gruppen gerechnet werden musste, die Cardassia und dem Dominion weniger freundlich gesinnt sind“, kam es ohne zu zögern zurück. „Meine oberste Pflicht gilt der Sicherheit dieser Station und ihrer Bewohner. Vedek Hanis’ Meinung in allen Ehren, aber ich denke, es wäre für alle Beteiligten besser, wenn er seine Ansichten durch eine Kundgebung auf Bajor vertritt, ohne DS9 und damit die Föderation in einen möglichen Streit mit Andersgesinnten zu verwickeln, Sir!“

„Ich weiß, dass die Statuten der Sternenflotte die Anrede Sir vorschreiben, trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie aufhören würden, mich so zu titulieren“, sagte Kira, während sie überlegte, ob es Sinn machen würde, das Sternenflottenkommando um Zuweisung eines anderen Offiziers zu bitten. Kaum, dass ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, verwarf sie ihn bereits wieder. Kira war niemand, der vor Schwierigkeiten zurückschreckte. Sie hatte sich vorgenommen, Benteen gerecht zu beurteilen, was voraussetzte, dass sie versuchte, sich in Situationen wie dieser in ihren ersten Offizier hineinzudenken, mochte es ihr auch noch so schwer fallen. Aus ihrer Sicht hatte Benteen sich korrekt verhalten und verdiente keinen Tadel.

„Wie Sie wünschen, Madame“, meinte Benteen steif.

„Ich würde Colonel vorziehen.“ Kira rang sich ein Lächeln ab, in der Hoffnung, damit das Eis zu brechen, das Benteen und sie voneinander trennte, und das mit jedem Tag, der verging, dicker und kälter zu werden schien, wie ein Fluss, der langsam aber stetig immer mehr gefror.

Im Gegensatz zu Kira schien Benteen das angespannte Verhältnis zwischen ihnen nicht weiter zu bekümmern, jedenfalls erwiderte sie das Lächeln nicht. Anscheinend beabsichtigte sie nicht, Kira in irgendeiner Weise entgegenzukommen.

„War das alles, Colonel?“, erkundigte sie sich kühl.

Kira nickte. „Wegtreten!“

Gerade als Benteen sich umdrehte, um das Büro zu verlassen, summte Kiras Kommunikator.

„Kira“, meldete sie sich.

„Colonel“, erklang Nogs Stimme, „befindet Commander Benteen sich in Ihrer Nähe?“

„Ja.“ Kira bedeutete Benteen, im Büro zu bleiben. „Was gibt es, Lieutenant?“

„Ich befinde mich im Habitatring, Ebene drei vor Botschafter Weyouns Quartier“, erwiderte Nog. „Hier ist etwas, das Sie sich besser ansehen sollten.“

* * *


Kiras Blick glitt langsam über die bajoranischen Worte, die in grellem Rot ungelenk quer über die Tür des Quartiers und über die angrenzenden Wände gesprüht worden waren.

Benteen, die neben ihr stand, kniff die Augen zusammen. Gleich nachdem sie erfahren hatte, dass sie nach Bajor versetzt werden sollte, hatte sie begonnen, Bajoranisch zu lernen. Nicht, weil sie sich für die Bajoraner und ihre Sprache interessierte, sondern weil ihr die Vorstellung unerträglich war, mit Personen eng zusammenzuarbeiten, die sie nicht verstand. Natürlich war es ein albernes Problem, das infolge des Universalübersetzers nur in ihrem Kopf existierte. Doch dieser Eigenheit an ihr verdankte sie es nun, dass sie die beiden Sätze entziffern konnte:

Tod dem Dominion und all seinen Sklaven!

Verschwindet von der Station - solange ihr es noch könnt!


„Hat Botschafter Weyoun das bereits gesehen?“ erkundigte Kira sich bei Nog.

„Ich glaube nicht“, erwiderte der Ferengi. „Zumindest liegt mir keine Anzeige von ihm vor. Ich wurde nicht von ihm, sondern von einem Techniker benachrichtigt, der zufällig hier vorbeiging.“

Benteen streckte die Hand aus und berührte die Schrift.

„Die Farbe ist noch frisch“, stellte sie fest. „Und Botschafter Weyoun hält sich seit über drei Stunden schon im Quark’s auf.“

Kira runzelte die Stirn. „Das klingt, als würden Sie ihn überwachen.“

„Sie haben mir die Aufgabe übertragen, mich um den Botschafter zu kümmern“, bemerkte die Terranerin.

„Damit meinte ich nicht, dass Sie ihn überwachen sollen“, sagte Kira schärfer als beabsichtigt.

„Ich versuche lediglich, seine Sicherheit zu gewährleisten, und das geht nur, solange ich über seinen Aufenthalt informiert bin.“

„Bei allem Respekt, Commander“, ließ Nog sich vernehmen. „Ich bin für die Sicherheit auf der Station verantwortlich, und damit auch für die des Botschafters.“

„Wollen Sie andeuten, ich hätte mich in Ihren Kompetenzbereich eingemischt, Lieutenant?“

„Es geht hier nicht um Nogs Kompetenzen“, kam Kira dem Ferengi zu Hilfe, „sondern um Ihre, Commander! Damit das ganz klar ist, Botschafter Weyoun genießt diplomatischen Status, und niemand an Bord dieser Station wird ihm in irgendeiner Weise nachspionieren. Verstanden?“

Jedenfalls nicht ohne meinen Willen, ergänzte die Bajoranerin in Gedanken.

„Verstanden“, bestätigte Benteen mit einer Gelassenheit, um die Kira sie insgeheim beneidete.

„Also schön“, wandte Colonel Kira sich an Nog. „Hoffen wir, dass Weyoun diese Schmiererei noch nicht gesehen hat. Veranlassen Sie, dass die Tür und die Wände unverzüglich gereinigt werden, und verstärken Sie die Sicherheit in diesem Bereich. Ich wünsche nicht, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt.“
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