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Jenseits aller Schmerzen

von Nerys

Kapitel 1

Jenseits aller Schmerzen


Der Tempel bestach durch schlichte Eleganz. Er war umgeben von einem Garten, der zu dieser Jahreszeit prächtig grünte und blühte. In den Bäumen sangen Vögel ihre Lieder und irgendwo plätscherte Wasser. Dieser Ort strahlte eine magische Ruhe aus, die Atreia tief berührte, obwohl sie als Cardassianerin keine religiöse Erziehung genossen hatte. Sie folgte einer hochgewachsenen Bajoranerin mittleren Alters, die in eine einfache bodenlange Robe gekleidet war, durch die reiche Grünanlage. Der feine Kies des Weges knirschte unter ihren bequemen Schuhen. In der vergangenen Nacht hatte sie keine Ruhe gefunden. Die erschreckenden Bilder der Aufzeichnung aus dem Gefängnis verfolgten sie. Viele Stunden lang war sie ziellos in der Dunkelheit am Strand entlang gewandert, der Stimme des Meeres lauschend. Sie hatte das bittere Gefühl, dass die Wellen ihr Joss‘ Namen zuflüsterten.

„Ich erinnere mich gut an jenen Tag“, bemerkte Ranjen Finn nachdenklich. „Viele der Gefangenen waren in einem erbärmlichen Zustand, ein paar mehr tot als lebendig. Die meisten hatten wohl Verhöre ertragen müssen. Es ist bekannt, dass die Cardassianer ihre Methoden haben, um jemanden zum Sprechen zu bringen.“

„Ich weiß“, antwortete Atreia verbittert. Sie würde das nie wieder vergessen. Das überlegene Gesicht ihres Vaters, als er die völlig wehrlose Joss halb zu Tode prügelte und dann den Soldaten überließ, hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Als kleines Mädchen hatte sie zu ihm aufgeblickt, ihn bewundert und geliebt, doch das war vorbei.

Finn blieb vor einer hölzernen Bank im Schatten eines hohen ausladenden Baumes stehen. „Kommen Sie, setzen wir uns. Das Geräusch der Blätter im Wind ist beruhigend, als würden die Propheten zu uns sprechen.“

Mit einem lautlosen Seufzten ließ Atreia sich nieder und wartete, bis die Bajoranerin es ihr gleichgetan hatte. Die sanfte melodiöse Stimme des Ranjen schien bis in ihr Innerstes vorzudringen. „Meine Freundin ist unter all diesen armen Leuten wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen, aber zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass man allzu viele junge Mädchen dort eingesperrt hat. Wenigstens hoffe ich es. Ich bin fortgegangen, um sie zu schützen, weil ich befürchtete, dass unsere Freundschaft eines Tages ihr Verderben sein würde. Es ist genauso gekommen, ich konnte sie nicht vor meinem eigenen Volk beschützen.“

„Jene dunkle Zeit hat viel zu viele sinnlose Opfer gefordert und zu all den bedauernswerten Toten kommen noch mehr, deren pagh vernichtet wurde. Sie haben recht, der Großteil der Gefangenen waren Männer, manche schon Greise, andere halbe Kinder. Wir haben sie versorgt, so gut es uns möglich war. Viele wurden von ihren Angehörigen abgeholt, aber einige sind hier geblieben, um im Kloster zu leben. Der Glaube vermag Trost zu spenden, wenn nichts anderes mehr dazu in der Lage ist, wissen Sie.“ Finn blickte ihr Gegenüber aufmerksam an. In ihren hellen Augen spiegelte sich das Grün der Blätter und des Grases, das sie umgab.

„Ich habe die Hingabe Ihres Volkes zu diesem Glauben stets bewundert. Bei uns gab es einst auch Gottheiten und eine Religion, doch im Geschichtsunterricht bringt man uns nur bei, dass dies eine primitive Zeit war, die wir glücklicherweise hinter uns gelassen haben.“ Sie musterte die Bajoranerin abwartend. Finn umgab eine Weisheit, die über ihr Alter, das sich im ergrauenden Haar und den zarten Fältchen um Mund und Augen zeigte, hinauszugehen schien. „Wenn Sie sich an meine Freundin erinnern, dann bitte sagen Sie es mir! Ich muss sie finden.“

Die hochgewachsene Frau nahm mit einem leichten Nicken die Hände der Cardassianerin in ihre, berührte die schuppige graue Haut ohne Scheu. „Sie müssen sich im Klaren sein, Atreia, dass die Wahrheit unveränderlich ist. Sie kann schmerzvoll sein, aber auch tröstlich, wenn Sie bereit sind, sie anzunehmen. Als Ninnor Joss aus ihrer Zelle befreit wurde, war sie was wir entrückt nennen. Um die Pein zu ertragen, ist sie an den einzig möglichen Ort geflohen. In sich selbst. Wir haben versucht sie zurückzuholen, aber sie war zu weit fort, hatte sich verirrt und verloren. Ihr pagh war gebrochen. Fünf Monate nachdem sie zu uns kam, ist sie zu den Propheten gegangen.“

Voller Unglauben riss Atreia die Augen auf. Ihr stockte der Atem und sie spürte, dass ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Obwohl sie die Worte gehört hatte, weigerte sich ihr Verstand schlichtweg deren Bedeutung anzuerkennen. Der Ranjen, der immer noch ihre Hände hielt, blickte sie verständnisvoll an. Finn wusste wohl, dass es in einer solchen Situation nichts zu sagen gab, das der verzweifelten Cardassianerin geholfen hätte. Schließlich bedeutete sie, ihr zu folgen. Die beiden Frauen verließen den Hauptweg und betraten durch ein Tor in der vertrauten bajoranischen Bogenform einen abseits gelegenen Bereich. Hier gingen Burschen und Mädchen im jugendlichen Alter Gartenarbeiten nach oder widmeten sich dem Studium alter Bücher und Schriften. Atreias Blick streifte für einen Moment eine zarte Bajoranerin mit langen lichtblonden Locken, die einem Instrument leise wehmütige Töne entlockte. Sie schauderte, weil sie sich unglaublich an Joss erinnert fühlte. Finn musste ihr nicht erklären, dass dies der Klostergarten war. Durch ein weiteres Tor gelangten sie auf eine freie Wiese, die von kleineren bogenförmigen Gebilden überzogen wurde. Obwohl Atrea nie einen bajoranischen Friedhof gesehen hatte, war ihr völlig klar, dass es sich hierbei nur um einen solchen Ort handeln konnte. Sie folgte Finn durch die Reihen der sanften Hügel bis diese auf einen der im Sonnenlicht schimmernden Steine wies. Die eingravierten Schriftzeichen bildeten deutlich den vertrauten und geliebten Namen. Ninnor Joss.

„Ich lasse Sie jetzt allein und erwarte Sie im Klostergarten.“ Mit dem Kopf wies der Ranjen zu dem Tor, durch das sie den Friedhof zuvor betreten hatten.

Atreia schaffte es kaum mit dem Kopf zu nicken. Nachdem Finn gegangen war, ließ sie sich neben dem Grab ins Gras sinken und strich mit der Hand über den von der Sonne gewärmten Bogen. Jetzt verstand sie, was der Ranjen damit gemeint hatte, dass die Wahrheit unveränderlich war. Sie hatte Joss wirklich gefunden, doch nicht so, wie sie es sich erhofft hatte. Nie wieder würde sie in das schöne Gesicht ihrer Freundin sehen, nie wieder ihr herzliches Lachen hören. Tränen liefen ihre Wangen hinab.

„Ich hätte nicht gehen dürfen, als du mich gebeten hast zu bleiben“, murmelte sie heiser. „Es ist meine Schuld allein, dass du hier liegst. Darum werde ich dich auch nicht um Vergebung bitten. Wie könntest du mir auch je verzeihen, dass ich dich im Stich ließ, als du mich gebraucht hättest?“ Ihr versagte die Stimme. Es gab keine Worte mehr, die sie hätte sagen können. Wenn Joss von dort, wo sie jetzt auch war, auf sie blickte, dann nur noch voller Abscheu. Ihr eigener Vater hatte die Frau, die sie über alles liebte, in den Tod getrieben. Für die Wahrheit. Sie schluckte hart. „Ich werde nicht nach Cardassia zurückkehren, Joss, das verspreche ich dir. Dieses Volk ist nicht länger das meine. Egal wohin es mich in dieser großen Galaxie treiben mag, du wirst mich im Herzen begleiten. Ich liebe dich…“

Finn saß auf einer Bank gleich hinter dem Tor zum Klostergarten. Sie lächelte leicht, als sie die Cardassianerin auf sich zukommen sah, und erhob sich. „Vielleicht möchten Sie im Tempel ein Gebet für Ihre Freundin sprechen? Die Propheten werden Ihnen zuhören und womöglich können sie Ihnen helfen, mit Ihrem Schmerz umzugehen. Aber zuvor gibt es noch etwas, das Sie sehen sollten.“

Mit hängenden Schultern folgte Atreia dem Ranjen ins Innere des Klosters. Es war ein schöner Ort, der viel Wärme ausstrahlte, doch sie nahm kaum Notiz davon. Erst als sie ein großes lichtdurchflutetes Zimmer erreichten, sah sie sich ein wenig um. Es schien sich um einen Aufenthaltsraum zu handeln, der schlicht und doch heimelig eingerichtet war. Einige Bajoraner brüteten an Holztischen über Schreibarbeiten, Büchern und anderen Dingen. Finn führte sie in den hinteren Teil, wo sich eine Ecke als gemütlicher Spielbereich mit weichen Decken, Stofftierchen, einfachem Holzspielzeug und bunten Kinderbüchern entpuppte. Eine junge Bajoranerin, der Kleidung nach ein Prylar, saß hier bei einem kleinen Mädchen mit dunkelbraunem Haar, das ihnen den Rücken zugedreht hielt.

„Ranjen Finn“, sagte die Frau sofort respektvoll, als sie die Besucher bemerkte.

In diesem Moment wandte sich das Mädchen neugierig um. Atreia starrte es verblüfft an und große nussbraune Augen blickten ebenso erstaunt zurück. Das kleine hölzerne Tier fiel ihm aus den Händen. Im Gesicht des Kindes zeichneten sich deutlich die allzu vertrauten cardassianischen Knochenwülste ab und zu beiden Seiten seines zarten Halses verliefen die schuppigen Grate bis hinauf zu den Ohren. Die graue Hautfarbe war jedoch heller und schien beinahe einen rosigen Schimmer zu besitzen. Was Atreia aber am meisten irritierte, waren die bajoranischen Rillen, die es an der Nase hatte, und die zwischen den Augen langsam in den knorpeligen Löffel übergingen. Dieses Kind war ein Mischling.

Finn legte der überraschten Cardassianerin behutsam die Hand auf die Schulter. „Atreia, der Name dieses kleinen Mädchens ist Ninnor Ulise. Sie ist die Tochter Ihrer Freundin Joss.“

Atreia nahm die Worte auf, doch sie vermochte Ihre Aufmerksamkeit nicht von dem Kind zu wenden, das sie immer noch voller Neugier ansah. Vorsichtig ließ sie sich vor der Kleinen in die Hocke sinken, um sich auf eine Augenhöhe mit ihr zu bringen.

„Hallo Ulise“, sagte sie sanft. „Ich bin Atreia.“

Das Mädchen machte einen Schritt auf sie zu, streckte ihre kleine Hand aus und berührte sie beinahe ehrfurchtsvoll am Arm, so als wolle sie überprüfen, ob diese fremde Frau, der sie sich gegenüber sah, tatsächlich real war. „Du bist wie ich!“

Ein leichtes Lächeln fand den Weg auf die Lippen der Cardassianerin.

Beinahe lautlos glitt die große Andockschleuse zur Seite. Zögernd blickte Atreia in den frei gewordenen Durchgang, an dessen Ende das Raumschiff eines koperianischen Händlers sie erwartete. In der dunklen Konsole neben der hohen kreisrunden Öffnung sah sie ihr eigenes Spiegelbild. An ihrem rechten Ohr klimperte ein bajoranischer Ohrring. Es war der von Joss, den ihr Finn anvertraut hatte, und sie trug ihn voller Stolz und mit all der Liebe, die sie für ihre Freundin empfand.

„Beeilen Sie sich, ich will pünktlich abfliegen!“, tönte die hektische Stimme des Koperianers aus Inneren des Frachters.

Rasch schulterte sie ihre Reisetasche und hob das dreijährige Mädchen hoch, das unsicher neben ihr stand. Ulise schmiegte sich vertrauensvoll an sie. Dieser kleine warme Körper gab ihr wieder Hoffnung, von der sie dachte, sie an Joss‘ Grab verloren zu haben. Wenn sie in die braunen Augen des Kindes blickte, glaubte sie darin das pagh ihrer Freundin zu erkennen. Mit zügigen Schritten passierte sie die Schleuse, um das dahinter liegenden Raumschiff zu betreten, welches sie und das kleine Mädchen, für das sie nun sorgte, nach Cardassia bringen würde. Ein letztes Mal. Sie wollte Ihrem Vater entgegen treten, weil es die einzige Möglichkeit war, mit der Vergangenheit abzuschließen. Danach würde sie mit Ulise auf Bajor leben. Bevor der Frachter das Sonnensystem verließ und auf Warp ging, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf den blaugrünen Planeten. Es würde nicht lange dauern. Nach Bajor zurückzukehren bedeutete nach Hause zu kommen.
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