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Fremd

von Nerys

Kapitel 1

Fremd


Aus dem Spiegel starrt mir ein fremdes Gesicht entgegen. Wer ist diese Frau, deren Augen verstört und gehetzt um sich blicken? Es sind meine Augen, die sie gestohlen hat. Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben kann. Alles, was ich kannte, was mir lieb und teuer war, rieselt wie Sand durch meine Finger. Habe ich eine Lüge gelebt? Es fällt mir immer schwerer, an meinen Erinnerungen festzuhalten. Ich weigere mich zu akzeptieren, dass diese Frau im Spiegel mein wahres Selbst ist. Ich sehe meinen Vater Taban vor mir, der mich über alles geliebt hat. Meine Brüder Reon und Pohl, die viel zu früh zu den Propheten gingen. Es sind Bajoraner. Unter dieser verhassten cardassianischen Maske bin ich eine Bajoranerin. Sie können meinen Leib verletzen, verstümmeln und zerbrechen, doch nicht mein pagh.

Ich wünschte, sie würden aufhören, mich mit Iliana anzusprechen. Das ist nicht mein Name. Wenigstens klammere ich mich an diesen Gedanken. Doch seit ich meinen eigenen leblosen Körper vor mir liegen sah, weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben kann. Ich bin Kira Nerys und ohne jeden Zweifel lebe ich. Aber wer ist dann die so friedlich wirkende Tote mit meinem Gesicht? Ein Klon sage ich mir selbst, oder ein zufälliges bedauernswertes Opfer, das sie einfach verändert haben. So wie es mit mir taten. Wer auch immer sie einst war, sie hat es nicht verdient, nummeriert in einer Asservatenkammer des obsidianischen Ordens ihre letzte Ruhe zu finden. Ich hoffe für sie, dass ihr pagh zu den Propheten gefunden hat. Vielleicht ist sie am Ende die wirkliche Iliana, denn ich bin es nicht.

Dieses Gesicht widert mich an. Sie haben mich gefangen und in den Körper meines ärgsten Feindes gesperrt. Die Nemesis, die ich seit meiner Geburt vor neunundzwanzig Jahren fürchte, verachte und bekämpfe. Der Krieg mag vorbei sein, aber die Wut und die Angst sind immer noch ein Teil von mir. Verabscheue ich am Ende mich selbst? Oh Propheten, helft mir! Lasst mich begreifen, was die Wahrheit und was eine Lüge ist. Mühsam unterdrücke ich das Verlangen, die Knochenschnitzerei, die ich angeblich mit meinen eigenen Händen erschaffen habe, auch mit diesen zu zerstören. Meine Mutter Meru war Künstlerin, eine Ikonenmalerin, doch selbst besitze ich nicht das geringste Talent. Einzig im Umgang mit Waffen sind meine Finger geschickt. Pinsel oder Meisel können sie nicht führen.

All diese dummen Märchen, ich will sie nicht hören. Wie logisch und schlüssig sie auch klingen mögen, sie sind nur Phantasien, die sich jemand ausgedacht hat. Und doch bin ich mir auf einmal selbst völlig fremd. Ich kann meinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Noch vor einigen Stunden gab es keinen Grund zu zweifeln. Mein Leben mag vielleicht nicht ganz einfach sein. Es ist von zu viel Gewalt geprägt und zu wenig Liebe, aber es ist meins. Ich lasse es mir nicht wegnehmen, denn es ist alles was ich habe. Was ich bin und was ich sein will. Ich bin Major des bajoranischen Militärs und Erster Offizier der Raumstation Deep Space Nine, die einmal Terok Nor hieß. Mein Name ist Kira Nerys.
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