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Asche 03 - Wie ein leiser Hauch der Ewigkeit

von Gabi

Kapitel 1

Wir haben nichts zu verlieren,
außer unserer Angst

(Rio Reiser)




Sie schien ihn nicht zu bemerken. Shakaars Hand verharrte in ihrer Bewegung. Anstatt an die offenstehende Tür zu klopfen, lehnte er sich in den Rahmen und gönnte sich den Luxus der stillen Betrachtung. Die Cardassianerin, der seine Aufmerksamkeit galt, saß dem Eingang gegenüber an einem schweren Holztisch, in den Händen ein tragbares Display, welches sie konzentriert studierte.

Es machte Shakaar glücklich zu sehen, wie sehr Serina Tirek in ihrer Arbeit aufging. Er wusste, dass sie an allen Ecken auf Widerstand stieß, doch bisher hatte sie ihre Rolle mit einem verstehenden Lächeln gemeistert. Die Frau hatte ihre Zeit so eingerichtet, dass sie vormittags im Wirtschaftsministerium arbeitete und in dieser Zeit für jeden zu sprechen war – was ihre offenstehende Tür verdeutlichte. Die Nachmittage waren für diejenige Arbeit reserviert, die sie von zu Hause aus erledigen konnte. Shakaar hatte ihr zwar angeboten, eine Tagesmutter für Katalya zu engagieren, doch Serina hatte es abgelehnt. Sie wollte diese Arbeit, doch sie wollte auch ihre Mutterrolle. So versuchte sie, beides auf dem bestmöglichen Nenner zu kombinieren. Vormittags kümmerte sich eine Bajoranerin, die Shakaars vollstes Vertrauen genoss, um das kleine Mädchen, und Abends übernahm Shakaar selbst öfter das Kind, damit seine Mutter neben der Arbeit auch ein wenig Zeit für sich alleine hatte. Der Premierminister liebte diese Abende. Er hatte sich innerhalb kürzester Zeit so sehr an die Kleine gewöhnt, dass er für sie wie für eine eigene Tochter empfand. Und an der Art, wie das Kind auf ihn reagierte, wann immer er es an sich nahm, konnte er erkennen, dass es ebenfalls seine Gegenwart willkommen hieß.

Die Cardassianerin notierte mit einem elektronischen Stift ein paar Anmerkungen in das soeben Gelesene. Ihr streng aufgestecktes Haar folgte jeder Bewegung des Kopfes und verriet nichts von der lebendigen Dynamik, die es entwickelte, wenn es ihr lose auf die Schultern fiel. Shakaar schloss für einen Moment die Lider und berührte in Gedanken diese seidige Schwärze. Er seufzte unhörbar. Serina Tirek war über zwanzig Jahre jünger als er – ein weiterer unter vielen Punkten, der ihm einige Missbilligung eingebracht hatte – doch er hatte dieses irrwitzige Gefühl, nicht mehr ohne sie leben zu können. Er hatte sie als junges Mädchen kennen und lieben gelernt, sie in den Wirren des bajoranischen Freiheitskriegs aus den Augen verloren, und der dominische Krieg hatte sie ihm als asylsuchenden Flüchtling aus der cardassianischen Heimat wiedergebracht. Manchmal wählten die Propheten seltsame Wege, um das Schicksal einzelner Personen zu bestimmen ...

„Dieser Tisch gefällt mir. Er sieht aus, als würde er ohne Probleme das Gewicht zweier erwachsener Personen tragen.“ Er sprach leise, um sie nicht zu sehr in ihrer Konzentration zu erschrecken.

Serina sah auf. Ein schelmisches Grinsen huschte über ihre Züge, als sie den Besucher erkannte. „Denken Sie diesen Gedanken keinen Schritt weiter, Premierminister. Das letzte, was mir jetzt noch fehlt, ist in der Öffentlichkeit des Wirtschaftsministeriums in flagranti erwischt zu werden, wenn ich auch gestehen muss, dass der Gedanke an einen nackten, kräftigen, glatten Körper einiges für sich hat.“

„Ich denke, der Boss würde ein gutes Wort einlegen.“ Shakaar gab seine lässige Haltung im Türrahmen auf, um sich ihr gegenüber an den Tisch zu setzen. Er deutete mit dem Kinn auf das nun abgelegte Padd. „Wie sieht es aus?“

„Wir haben die erste Lieferung fertig. Hauptsächlich Medikamente, von der Sternenflotte zur Verfügung gestellte Feldrationen und technisches Gerät für die Grundausstattung. Captain Yates befindet sich auf dem Weg zu einem ersten Treffen.“

Shakaar nickte stumm. Es hatte ihn einiges an Nerven gekostet, die Vorschriften der Flugabfertigung außer Kraft zu setzen. Ihm klang immer noch der rechtschaffen erboste Tonfall Minister Bojans in den Ohren, als die Xhosa ohne Überprüfung gestartet war. Diese Angelegenheit verursachte ihm Kopfschmerzen. Wenn es bei jedem Start so viel Aufhebens gab, konnte er nie mehr guten Gewissens die lahme Bürokratie der Föderation verdammen, denn dann war Bajor keinen Deut besser. Er nahm sich vor, etwas an der Startprozedur zu ändern.

Sie fuhr fort, ohne von Shakaars Gedankengängen zu ahnen: „Im Augenblick versuche ich, einen Überblick über die Lagerbestände an Getreide und Gemüse zu erhalten, damit wir bei einer Zusage sofort mit Frischnahrung aufbrechen können.“ Sie lächelte tapfer. „Mit Melin Rinan, dem Adjutanten der Wirtschaftsministerin, komme ich ganz gut zurecht, nur mit Asim selbst befinde ich mich wohl erst noch am Beginn eines holprigen Pfades.“

Shakaar runzelte die Stirn. „Sie verweigert doch nicht ihre Mitarbeit?“ wollte er alarmiert wissen.

„Nein“, sie schüttelte den Kopf, „das nicht, doch sie kooperiert auf die denkbar kühlste Art.“ Ihr Lächeln wurde noch eine Nuance schräger, als sie mit den Schultern zuckte. „Ich werde mich einfach noch mehr in der von dir immer so betonten Distanziertheit üben müssen. Es wird schon gehen.“

Shakaar nickte nur. Er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er sich in ihre Arbeit einmischte, indem er versuchte, für sie Wege zu ebnen, die sie selbst gerne glätten wollte. Sie wollte es alleine schaffen, auch das liebte er an ihr.

„Du bist aber doch nicht persönlich hierhergekommen, um dich über den Stand der Dinge zu informieren, oder?“ Und sie war eine gute Beobachterin.

„Nein, das ist richtig.“ Er setzte sich ein wenig aufrechter hin. „Wir haben die ersten Gefallenenlisten von Cardassia erhalten.“

Sie hielt den Atem an.

„Dein Mann ist Gul Ganor Tirek?“

Sie nickte.

„Sein Name steht auf der Liste.“ Er wusste nicht, wie er die Nachricht hätte hervorbringen sollen, weil er einfach nicht wusste, wie sie darauf reagieren würde. Sie hatte ihren Mann verlassen - aus Protest gegen die cardassianische Allianz mit dem Dominion und drohender, halboffizieller Vorhaben, Bajor wieder als Kolonie zu besetzen. Doch sie hatte Shakaar gegenüber ebenfalls eingestanden, dass sie immer noch Gefühle für den Vater ihrer Tochter hegte.

Die Cardassianerin sah ihren bajoranischen Geliebten stumm an. Sie wartete darauf, dass sich etwas in ihr bei dieser Neuigkeit regte. Doch zu ihrer eigenen Scham war das deutlichste Gefühl eine gewisse Erleichterung, nun von dem Vorwurf befreit zu sein, in ständigem Ehebruch zu leben.

„Es tut mir leid“, flüsterte Shakaar.

„Mir auch.“ Sie ergriff über den Tisch hinweg seine Hand, um ihm zu versichern, dass mit ihr soweit alles in Ordnung war. „Er war ein guter Mann. Ich hatte mir gewünscht, er hätte die Vernichtung überlebt. Doch ...“, sie senkte die Stimme zu einem Hauch, obwohl niemand sonst im Raum war, der sie hätte hören können. „Es macht die Sache für uns leichter.“

Er nickte, seine freie Hand legte sich auf diejenige Serinas. Sein Blick schweifte für einen Moment zu der bodentiefen Fensterreihe, welche eine Wand ihres Büros einnahm. Er sah die Äste der mächtigen Bäume, die bereits fast alle Blätter verloren hatten. Die glatte Rinde glänzte in einem warmen Rotton, der besonders zur Geltung kommen würde, wenn der erste Schnee fiel. Die Natur hatte sich zur Ruhe zurückgezogen, alles wirkte so friedlich. Shakaar holte tief Luft. „Das mag jetzt der unpassendste Augenblick sein oder genau der richtige, ich weiß es einfach nicht“, er zögerte ein wenig. „Serina, ich möchte dich bitten, meine Frau zu werden.“

Ohne darüber nachzudenken zog sie ihre Hand zurück. „Du bist verrückt! Nein, nicht“, sie sah ihm den Schrecken darüber an, dass er vermeintlich völlig taktlos gewesen war. Doch das war nicht der Grund für ihre heftige Reaktion. „Nicht, Edon.“ Sie legte ihre Hände in die seinen auf der Tischplatte zurück. „Du hast mich nicht verletzt. Ich weiß nur nicht ...“ Sie versuchte, mit Blicken das herüberzubringen, was sie nicht recht in Worte fassen konnte. Schließlich gab sie den Versuch auf. „Ich liebe dich“, stellte sie fest. „Ich habe mich in dich verliebt, als ich dich das erste Mal getroffen habe, und ich liebe dich seitdem, wie ich niemanden geliebt habe. Doch wenn du diesen Schritt gehst, ruinierst du dein Ansehen vollständig. Sie nehmen eine cardassianische Konkubine zähneknirschend hin, sie drücken beide Augen bei einer cardassianischen Koordinatorin zu, da es im Prinzip um cardassianische Angelegenheiten geht. Aber eine cardassianische Ehefrau des bajoranischen Premierministers bricht dir das Genick. Das kann ich nicht zulassen.“

Er lachte humorlos. „Du ersetzt mir problemlos all die Vorwürfe, die ich von meinen Gegnern erwartet hätte. Serina ...“ Seine Miene wurde ernst. „Genau darum geht es mir. Konkubine ist nicht der Status, den ich mir für dich wünsche. Ich will dich mit allen bajoranischen Rechten und Pflichten gleichberechtigt vor dem Gesetz meines Volkes an meiner Seite. Niemand soll mehr denken können, dass du nur eine vorübergehende Laune von mir bist, die sich wieder legen wird, wenn der Reiz des Verbotenen vorbei ist. Es ist mir vollständig ernst mit meiner Liebe zu dir und mit meinen Pflichten an Vaters statt für Katalya.“

„Das weiß ich, Edon. Genügt es nicht, wenn wir beide das wissen? Kannst du nicht einmal in deinem Stolz nachgeben, und der Öffentlichkeit das Bild lassen, das sie eben haben möchte?"

„Nein.“ Er streichelte ihre Hände noch einmal, dann erhob er sich. „Nein, das kann ich nicht. Du kennst mich gut genug, um das zu wissen. Bitte, denk in Ruhe über meinen Antrag nach. Es interessiert mich nicht, was der Rest der Welt für eine Meinung hat, ich will wissen, wie du darüber denkst.“

* * *


Sie hielt die Lehne ihres Kommandosessels fest umklammert, bis ihr Magen sich entschieden hatte, wie er sich fühlen wollte. Mit einem leisen Fluch setzte Captain Kasidy Yates sich wieder aufrecht hin. Nach wie vor fühlte sie sich über größere Zeiträume des Tages unwohl. Wie andere Frauen die Monate ihrer Schwangerschaft mit einem normalen Leben ausfüllen konnten, war ihr immer noch ein Rätsel. Sie fühlte sich elend, unbeholfen und wehleidig. Selbst wenn sie Gefahr lief, dass Bashir ihr wieder erklärte, dass sie alles viel gelassener angehen sollte, würde sie ihm einen Besuch abstatten, wenn diese Mission zu Ende war.

Wenn diese Mission zu Ende war.

Es war ein weiteres Rätsel für sie, wie sie sich hatte überhaupt dazu überreden lassen. Ihre offizielle Beschäftigung waren nach wie vor Handelsfrachten unter der Flagge des bajoranischen Wirtschaftsministeriums, auch wenn der zurückliegende Krieg ihre Tätigkeit oft eingeschränkt hatte, da ziviler Flugverkehr weitestgehend untersagt worden war. Durch ihre Heirat war sie in der bajoranischen Beachtung die Leiter in Windeseile hinauf gestolpert, doch durch Siskos Fortgehen hatte sich vieles für sie verändert. Die geldfreie Gesellschaft war eine ungemein attraktive Sache, wenn man sich auf der Erde oder auf einer von der Sternenflotte kontrollierten Einrichtung befand. Doch DS9 hatte von jeher die Grenzen zwischen der Föderation und jenen Völkern verwischt, welche auf Währung beharrten. Selbst die Angehörigen der Sternenflotte hatten sich in dieser Hinsicht umgewöhnen müssen, da nicht nur Quark sich weigerte, freie Getränke auszugeben.

Ehefrau des Abgesandten der Propheten oder nicht, Yates war darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Anfrage aus dem Wirtschaftsministerium hatte interessant genug geklungen – allerdings hatte sie Yates auch in einem Augenblick erreicht, in welchem sie sich gerade sehr wohl gefühlt hatte. Vermutlich hätte sie ansonsten nicht zugesagt. Sie sah den Sinn darin, dass ausgerechnet sie diese Aufgabe anvertraut bekommen hatte. Auch wenn sie keine entsprechende Ausbildung besaß, konnte sie eine sehr gute Diplomatin sein. Drei Jahre an der Seite des oft unerwartet reagierenden Benjamin Sisko hatten sie eine Menge gelehrt.

Nach ein paar Unannehmlichkeiten bei der Abfertigung, war sie vor vier Tagen von Bajor aufgebrochen. Ein Teil von ihr hatte sich gewünscht, sich über der Uniform des zuständigen Beamten übergeben zu können – doch leider war ihr bei der Flugabfertigung nicht übel gewesen. Es funktionierte nie, wenn man es brauchte.

Bei der momentanen Geschwindigkeit der Xhosa würde sie in eineinhalb Tagen auf Cardassia Prime ankommen. Gestern hatte sie die Nachricht erhalten, dass es inzwischen kein Problem mehr geben dürfte, diese Natima Lang ausfindig zu machen. Schneller als von allen erwartet, hatte sich eine Regierungsstruktur aus dem zerschlagenen Cardassia gebildet. Yates war darüber froh, sie hatte sich gefragt, welche Verbindlichkeit es besitzen sollte, wenn sie Bajors Angebot einer unter vielen Bürgerinnen Cardassias unterbreiten sollte. Nun besaß sie auf jeden Fall die Gewissheit, mit jener Stelle zu sprechen, die auch wirklich Entscheidungsgewalt besaß. Vorausgesetzt natürlich, sie wurde überhaupt vorgelassen.

Sie horchte kurze Zeit in sich hinein, es war wieder alles ruhig. Ihre Übelkeit hatte sich während des Flugs nicht gebessert, doch überraschenderweise hatten die Alpträume aufgehört, als sie das bajoranische System verlassen hatte. Sie hoffte, dass dies eine permanente Veränderung darstellte. Sie hatte eindeutig die Nase voll davon, stets schlechtgelaunt und mit hastigen Blicken aufzuwachen.

* * *


Das Geräusch des knisternden Feuers erwies sich schließlich doch als zu verlockend. Obgleich leise im Hintergrund hatte es sich nun seit einer halben Stunde unerbittlich in Serinas Konzentration geschlichen. Sie hatte sich in denjenigen Raum zurückgezogen, welchen sie sich in Shakaars Haus als Büro eingerichtet hatte. Er grenzte an das kleine, gemütliche Wohnzimmer, von dem eine weitere Tür in ihr Schlafzimmer führte. Hierher kam keiner der Besucher, die vom Premierminister von Zeit zu Zeit im offiziellen Teil des Hauses empfangen wurden. Es gab hier einen offenen Kamin, den die Cardassianerin äußerst willkommen hieß. Zwar war sie auf Bajor aufgewachsen, da ihr Vater hier stationiert gewesen war, dennoch hatte sie sich nie wirklich an das für ihr Empfinden recht kühle Klima gewöhnen können. Es war Herbst, manche Tage brachten schon die unangenehmen Vorboten des Winters. Wie angenehm war es da, nach Hause zu kommen, und sich vor ein Feuer setzen zu können. Als Cardassianerin brauchte sie die Wärme, um ihre niedrigere Körpertemperatur auszugleichen. Der Kamin hatte mittlerweile bis auf halbe Höhe eine transparente Verkleidung erhalten, denn sie hatten in diesem Raum auch für ihre zweijährige Tochter Katalya eine Spielecke eingerichtet. Wenn die Cardassianerin zuhause arbeitete, hatte sie stets die Verbindungstür offen, um mit einem raschen Blick nach ihrer Tochter sehen zu können, während diese auf Erkundungstour ging.

Heute war es mit ihrer Konzentration ohnehin nicht zum Besten bestellt. Shakaars Antrag am Morgen hatte ihr Unterbewusstsein weit mehr beschäftigt als die auch ohne Ablenkung schon komplizierten Statistiken der Nahrungsmittel produzierenden Betriebe. Immer wieder hatte sie sich dabei ertappt, wie sie Löcher in die Wand starrte, statt dem Bildschirm ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Sie verstand Shakaars Beweggründe, ihre Beziehung vor den Augen der Welt legalisieren zu wollen. Doch sie hatte Angst – nicht nur um sein Amt sondern auch um sich. Dadurch, dass sie sich jetzt sehr viel intensiver mit der Aussicht beschäftigt hatte, ihren Fuß wieder auf Cardassia Prime zu setzen, hatten auch ihre Bedenken zugenommen. Es war klar, dass sie in der Anfangsphase des Projektes hier auf Bajor bleiben musste, bis die Logistik einigermaßen geklärt war. Doch wenn Cardassia sich helfen lassen wollte und die Flüge eine gewisse Routine besitzen würden – was hieß, dass die Flugabfertigung aufhörte, Steine in den Weg zu legen – würde es ihre Pflicht sein, selbst ihren Heimatplaneten zu besuchen. Das war schwer genug in dem Bewusstsein, der angesehenen Familie Tirek ein Enkelkind entfremdet zu haben. Wenn sie jedoch innerhalb kürzester Zeit nach dem Tod ihres Mannes einen Bajoraner heiratete und zuließ, dass dieser ihre Tochter adoptierte ... Sie wollte überhaupt nicht daran denken, was das hieß. Die Familie war auf Cardassia seit jeher das größte und schützenswerteste Gut.

Als das Prasseln des Feuers schließlich jeden Winkel ihres Bewusstseins auszufüllen schien, schaltete sie den Monitor aus. Während sie aufstand, wünschte sich ein kleiner, nagender Teil in ihr, dass Cardassia das bajoranische Angebot ablehnen würde.

Sie ging ins Wohnzimmer hinüber. Shakaar war vor einer halben Stunde nach Hause gekommen. Ohne sie bei der Arbeit zu stören, hatte er Katalya gepackt und mit ihr zu spielen begonnen. Nun lag er auf dem Rücken vor dem Feuer und hielt das Mädchen mit beiden Armen in die Luft, um es immer wieder loszulassen und aufzufangen. Das kleine cardassianische Gesicht lachte vor Vergnügen über diese Achterbahnfahrt.

Serina ließ sich neben dem Bajoraner nieder. Wortlos schmiegte sie sich an seinen Körper.

Shakaar hielt in seiner Bewegung inne und wandte den Kopf. Er sagte nichts, blickte sie nur an, mit diesen großen, melancholischen Augen, in die sie sich hoffnungslos verliebt hatte. Sie spürte wieder die Angst davor, was die Welt sagen mochte, die Last der Traditionsverletzung, die Panik, was aus Bajors Politik wurde, wenn ein fähiger Mann wie Shakaar wegen einer solch vergleichsweise lächerlichen Angelegenheit des Stolzes gehen musste.

Ihre Hand legte sich auf seine Brust.

„Ja.“

* * *


Von zwei Soldaten begleitet schritt Yates durch die Gänge eines Gebäudes, welches aussah, als sei es in kürzester Zeit zu einem provisorischen Regierungssitz umfunktioniert worden. Ein Eindruck, der höchstwahrscheinlich den Tatsachen entsprach. In den Ecken und Schatten lagen noch Trümmer des flächendeckenden Angriffs.

Sie beobachtete aus den Augenwinkeln ihre Begleitung. Sie war sich nicht sicher, ob die Männer hier waren, um sie vor etwas zu schützen, oder um andere vor ihr zu schützen. Yates hatte es als gutes Zeichen gewertet, dass die Xhosa relativ problemlos in den Orbit um Cardassia Prime hatte vorstoßen können. Wenn sie sich nun umsah, wunderte es sie nicht mehr, warum das der Fall war. Sie bezweifelte, dass es auf Cardassia noch genügend Ressourcen gab, um ein orbitales Kontrollnetz aufrecht zu halten. Der Planet war einem Angriff aus dem All wahrscheinlich vollkommen schutzlos ausgeliefert.

Nach ein paar Gängen blieb ihre Eskorte vor einem Zimmer stehen. Yates hörte einen kurzen Austausch im Inneren, dann wurde sie vorgelassen.

An einem Tisch an der fensterlosen Wandseite des Raums saß die Frau, die Serina Tirek ihr auf dem Display gezeigt hatte. An der Schmalseite befand sich eine weitere Cardassianerin. Beide schienen gerade damit beschäftigt gewesen zu sein, Daten abzugleichen.

„Natima Lang?“ Der Terranerin wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, mit welchem Titel ein Mitglied der zivilen Regierung auf Cardassia angesprochen wurde. Sie hoffte, dass ihr dieser Fauxpas vergeben wurde.

Die Angesprochene nickte.

„Ich bin Captain Kasidy Yates. Mein Schiff befindet sich im Orbit um Cardassia Prime und hat Hilfslieferungen von Bajor an Bord.“

Natima Lang tauschte einen überraschten Blick mit Raluk, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die unerwartete Besucherin richtete, die auf der anderen Seite des Schreibtischs in ihrem Büro Platz genommen hatte.

„Bajor möchte uns helfen?“ vergewisserte Lang sich ungläubig.

„So ist es“, Yates schob der Cardassianerin ein Padd hinüber, auf welchem Shakaar die offizielle Erklärung der bajoranischen Regierung unterzeichnet hatte.

Die neu ernannte Regierungschefin überflog die Zeilen mit kritischer Miene. „Eine Cardassianerin soll die Lieferungen koordinieren?“

Yates nickte. „Mrs. Tirek hat sich bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen, um den Kontakt zu erleichtern.“

„Und deswegen sind Sie jetzt auch hier anstelle eines Bajoraners?“ erfasste Lang die Situation augenblicklich.

„Die bajoranische Regierung war der Meinung, dass es eindeutige Vorteile hat, Kontaktpersonen auszuwählen, die eine andere Abstammung besitzen.“

„Wie umsichtig.“ Die Miene der Cardassianerin drückte Misstrauen aus. Sie legte das Padd wieder auf den Tisch. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich jetzt nicht enthusiastischer äußere. Ich möchte keineswegs als undankbar erscheinen, doch welchen Nutzen soll das für Bajor haben? Was hält sie davon ab, sich zurückzulehnen und sich über Cardassias Schicksal zu freuen?“

„Eine demokratische Mehrheit“, entgegnete Yates.

„Wie bitte?“

Die Terranerin erklärte: „Genau dieselbe Frage, die Sie mir eben gestellt haben, wurde natürlich auch in Regierungskreisen gestellt, das möchte ich gar nicht leugnen. Wegen der innenpolitischen Brisanz des Themas hat Premierminister Shakaar eine Volksabstimmung darüber anberaumt.“

„Eine Volksabstimmung?“ Natima Lang glaubte, jedes zweite Wort wiederholen zu müssen. Sie verbot sich innerlich mit Nachdruck, irgendwelche Hoffnungen aufkeimen zu lassen. Wenn das stimmte, was die Terranerin ihr hier erzählte, bekamen sie tatsächlich eine Chance. War es unter diesen Umständen nicht vollkommen gleichgültig, woher sie kam?

„Die Mehrheit des bajoranischen Volkes hat sich dafür ausgesprochen.“

„Wie groß war sie?“ wollte Lang wissen.

Yates deutete ein Lächeln an. „Es war eine Mehrheit.“

Lang nickte. Auf gewisse Weise machte es ihr das Wissen um eine knappe Mehrheit für Cardassia leichter. Es rückte zumindest einen Teil ihres Weltbilds wieder zurecht. Sie hob ihre Hände. „Ich möchte ganz ehrlich sagen, dass es mir nicht behagt, Hilfe von Bajor anzunehmen. Und damit spreche ich sicherlich für einen Großteil meines Volkes. Das Verhältnis zwischen unseren beiden Nationen ist einfach zu gespannt, wenn ich es höflich ausdrücken darf. Doch genauso ist es vollkommen sinnlos, wenn ich Ihnen hier vormache, wir hätten jede Art von Hilfe nicht bitter nötig. Cardassia befindet sich leider nicht in der Situation, wählerisch sein zu können.“

Kasidy Yates nickte aufmunternd. Ihr imponierte die cardassianische Regierungschefin. Sie wusste, wie viel Kraft es brauchte, um seinen eigenen Stolz zurückzustellen. Sie hatte in ihrer Laufbahn ein paar Personen kennengelernt, die mit Sicherheit lieber ihren Planeten hätten verhungern lassen als sich von einem als minderwertig eingestuften ehemaligen Feind helfen zu lassen. Es war ein gutes Zeichen, dass Cardassia von Vernunft regiert wurde und nicht von Stolz.

„Sagen Sie mir lieber gleich, wo der Haken ist, bevor ich mir so etwas wie Hoffnung erlaube.“ Die Cardassianerin klang resigniert.

„Es gibt keinen Haken“, versicherte Yates. „Ich kann mir vorstellen, dass es schwer zu glauben ist. Doch sehen Sie mich an. Ich stamme nicht von Bajor, ich bin Bürgerin der Föderation - und ich traue dem Angebot voll und ganz, sonst hätte ich mich nicht bereit erklärt, Vermittlerin zu sein. Bajor ist dabei, seine Vorurteile und seinen Hass aufzuarbeiten. Dieses Angebot ist ein Zeichen ihrer ehrlichen Bemühungen.“

Natima Lang nahm das Padd wieder auf. Diesmal las sie den Text gründlicher durch. Schließlich drückte sie ihren Daumen neben die Signatur Shakaars. „Ich wäre eine Närrin, wenn ich ablehnen würde. Captain Yates“, sie erhob sich und reichte der Terranerin die Hand. „Es war ein weiser Zug, Sie zu schicken. Ich vertraue Ihnen, bitte verspielen Sie dieses Vertrauen nicht.“

Yates ergriff die Hand. „Das werde ich nicht.“

„Wann können wir mit ...“ Raluk biss sich auf die Lippe. Sie hatte die beiden Frauen nicht unterbrechen wollen, doch ihr Hauptinteresse galt eindeutig nicht den Formalitäten, sondern dem, was sich dahinter verbarg.

„Natürlich“, die Terranerin griff nach ihrem Communicator. „In den Frachträumen meines Schiffs befinden sich Nahrungsmittel, Medikamente und Generatoren. Sagen Sie mir nur, wohin die Lieferung gebracht werden soll.“

„Es existiert ein unterirdisches Geheimlager“, antwortete Raluk.

„Geheim?“ echote Yates.

„Es sind unsichere Zeiten“, erwiderte Raluk zurückhaltend.

„Auf dem Weg hierher bin ich einer bewaffneten Patrouille begegnet“, bemerkte die Terranerin. „Ich hatte den Eindruck, das Militär würde die Bürger der Stadt schützen.“

„Ohne das Militär würde Cardassia wahrscheinlich in Anarchie und Chaos versinken“, gestand Lang. „Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich einmal so etwas sagen würde: Tatsächlich sind wir auf das Militär angewiesen, wenn wir überleben wollen.“
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