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1.03 - Das Leben ist nicht immer fair

von Emony, Ranya

Mutig ist, wer seine Angst erkennt

Eine dichte Schneedecke hatte sich über die Felder und Wiesen gelegt und tauchte die sonst so belebte Stadt in eine seltsame Ruhe. Weihnachten und Silvester lagen bereits einige Wochen zurück. In der Starfleet Academy hatte der Alltag wieder Einzug gehalten.

Langsam atmete Jim ein und aus, ein und aus. Es tat ihm gut, seine Muskeln zu bewegen, zu spüren wie sich seine Lungenflügel immer wieder mit der kühlen Morgenluft füllten, die er kurz darauf in kleinen Wölkchen wieder ausatmete. Es war als würden seine Lebensgeister erst jetzt richtig erwachen, obwohl er schon seit über einer Stunde auf den Beinen war.

„Okay, stopp. Das reicht“, keuchte Ben neben ihm. „Ich kann nicht mehr.“

„Wie kann denn das sein?“, fragte Jim, verlangsamte seinen Schritt aber augenblicklich, bis er schließlich in einen gemütlichen Trott fiel. „Das waren doch gerade mal fünf Kilometer. Im Training läufst du doch normalerweise auch mehr.“

„Aber es ist Wochenende“, schnaufte Ben. „Und dafür sind fünf Kilometer eine Menge. Alles eine Frage der Betrachtungsweise, Jim.“

Gary Mitchell, der bis eben noch in einigem Abstand hinter den beiden gelaufen war, hatte nun aufgeholt und gesellte sich dazu. „Was ist los? Macht ihr schon schlapp?“, fragte er mit einem frechen Grinsen im Gesicht.

„Ich nicht“, antwortete Jim und gab Ben einen freundschaftlichen Knuff in die Seite. „Aber unser Finney hier hat letzte Nacht wohl nicht ausreichend Energie tanken können. Sag schon, mit wem hast du dich vergnügt?“

Ben schüttelte den Kopf. „Vergiss es, Jim. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich eine Verlobte hab und bald Vater werde. Es sind nur noch vier Monate. Bei mir wird Zuhause gegessen.“ Er streckte sich einmal ausgiebig. „Und nein, ich hab kein Interesse wo anders auf die Speisekarte zu schauen“, kam er Gary zuvor, der gerade den Mund geöffnet hatte.

Jim lachte und kratze sich verstohlen im Schritt. Seine Gedanken drehten sich jedoch um das, was Ben gesagt hatte. Verlobte … Ein Kind … Ben war zwar ein paar Jahre älter als er, doch für Jim wäre es unvorstellbar, sich fest an jemanden zu binden und eine Familie zu gründen. Er hatte doch noch sein gesamtes Leben vor sich. Und selbst wenn er es vorhätte, wäre das nicht ein bisschen früh? Und woher wusste Ben überhaupt, dass er die Frau gefunden hatte, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte?

„Sag mal, Finney, wie stellst du dir das eigentlich mit Frau und Kind auf einem Raumschiff vor?“, riss ihn Gary aus seinen Gedanken. „Bei dir ist es immerhin schon bald so weit. Dein letztes Jahr auf der Academy ist angebrochen, mein Freund.“

Ben zuckte mit den Schultern. „Mein Schwiegervater in spe will nur, dass ich ein Offizier werde. Deswegen muss ich ja nicht unbedingt auf einem Raumschiff eingesetzt werden. Ich könnte ja auch auf einer Sternenbasis landen. Und eine Familie dahin mitzunehmen, ist nichts Ungewöhnliches.“

Gedankenverloren betrachtete er seine Schnürsenkel. Aber irgendwie wurde Jim den Gedanken nicht los, dass Ben seinen eigenen Worten nicht wirklich Glauben schenken wollte.

„Was habt ihr denn für eure Zukunft geplant?“, wollte Finney dann wissen. „Auf ein Raumschiff und dann auf Nimmerwiedersehen durchs Weltall reisen?“

„So ist es“, antwortete Gary und verfiel wieder in einen leichten Trab. „Die Academy mit Bravour beenden und dann so schnell wie möglich die Karriereleiter nach oben klettern. Und ich bin erst zufrieden, wenn ich Leiter eines Außenteams bin. Planeten entdecken, fremde Völker erforschen, Kolonien ansiedeln und sowas. Genau so soll es sein. Und jetzt los!“

Mit diesen Worten zog er das Tempo abermals an, bis die Drei wieder in einem flotten Schritt den Feldweg entlangjoggten. Die unangenehme Kälte hatte sich zwar inzwischen verzogen und Platz für die ersten Sonnenstrahlen des Tages gemacht, aber dennoch mussten die Kadetten ihre Schals fest um die Hälse wickeln, um leichter atmen zu können.

Was habe ich für meine Zukunft geplant?, fragte Jim sich während er monoton immer weiter joggte und ein wenig an seiner Hosennaht herum spielte. Was wünsche ich mir? Welche Aufgabe würde mir wirklich Spaß machen, würde mich erfüllen? Gibt es da überhaupt etwas? Oder werde ich einfach nur vor mich hin leben und niemals die Erfüllung finden, die Ben in seiner Familie gefunden hat? Captain Pike sieht ja angeblich eine Menge Potential in mir. Aber Potential für was genau?

Jim blickte zu seinen Kameraden, die schweigend neben ihm schwitzten. Was wohl aus ihnen allen werden würde? Allein um der Neugier Willen wünschte er, einen kurzen Blick in die Zukunft werfen zu können. Würden sie in zehn Jahren überhaupt noch Kontakt zueinander haben? Würden sie sich noch aneinander erinnern? Oder würden sie womöglich gar nicht mehr am Leben sein? Was für ein schrecklicher Gedanke! Vielleicht war es doch gut, nicht zu wissen, was die Zukunft bringen würde.

Er atmete einmal tief ein und aus, um seinen Kopf wieder frei zu bekommen. Solche Gedanken am frühen Morgen waren nichts für ihn. Stattdessen machte er sich eine mentale Notiz, in der Wäscherei nachzufragen, mit welchem Mittel sie die Kleidung der Kadetten wuschen. Denn seit einigen Tagen überfiel ihn ein lästiges Jucken, sobald er eine seiner Hosen anzog. Vielleicht gab es ja die Möglichkeit, dieses Problem aus der Welt zu schaffen.

„Ich glaube, ich würde am liebsten auf der Academy unterrichten“, sagte Finney in die Stille hinein. Die Worte kamen stoßweise und wurden von dichten Wölkchen seines Atems begleitet.

„Echt?“, fragte Gary ohne den Kopf zu ihm zu drehen. „Keine Lust auf ein Abenteuer?“

Finney zögerte. „Kann doch trotzdem aufregend sein. Eine neue Generation auszubilden und die dann heranwachsen zu sehen, hat bestimmt auch ihre Freuden.“

Gary grinste vor sich hin. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass seine und Bens Vorstellungen von einer aufregenden Karriere nicht einhergingen.

„Und was ist mit dir, Jim?“, fragte Mitchell auffordernd und ging wieder zu einem gemächlichen Schritt über. Seine Begleiter taten es ihm gleich. „Sesselpupser oder Held?“, fragte er neckisch, legte Ben dabei jedoch freundschaftlich die Hand auf die Schulter, was diesem genügte, um die abfällige Bemerkung zu übergehen.

Jim streckte sich. „Ich weiß nicht so recht“, gab er zu und kratzte sich abermals gedankenverloren am Oberschenkel. „Zu Pike habe ich gesagt, dass ich so schnell wie möglich das Kommando über ein Schiff haben möchte. Aber ich weiß nicht, ob und wie ich das schaffen kann.“

Gary pfiff anerkennend durch die Zähne. „Alle Achtung. Nicht schlecht. Und ich dachte schon, meine Ziele wären hochgesteckt.“

Kirk runzelte die Stirn. „Keiner von uns weiß, was kommen wird. Wir können einfach nur versuchen, das Beste aus dem zu machen, was uns gegeben ist. Und genau das werden wir auch tun.“

„Hoi, Jim, du wirst ja noch ein richtiger Philosoph“, lachte Ben.

Auch Gary schmunzelte. „Ich finde, er hat schon Recht“, pflichtete er Kirk bei. „Keiner weiß, was kommen wird. Es kann ja sein, dass unser lieber Jim ein Mädchen anbrennt und dann als Dozent auf der Academy bleiben muss.“

„Hey“, rief Ben und zog Gary die Mütze tief über das Gesicht. Der griff blind nach Finneys Arm, wirbelte diesen um sich herum und in null Komma Nichts rollten sie sich über den Boden und hatten das schönste Schneegefecht.

Jim stand daneben und lachte lauthals. „Ist ja gut jetzt“, trieb er die beiden auseinander. „Kommt schon, wir wollen doch rechtzeitig zum Frühstück zurück sein. Steht auf.“

Die beiden foppten sich noch ein paar Sekunden, gaben Jims Wunsch dann jedoch nach und rappelten sich umständlich vom Boden hoch.

„Aber Recht haben könnte er schon“, schnaufte Ben und lachte Jim an. „Geht schneller als man denkt und man hat sich vermehrt. Frag mich, ich hab damit Erfahrung. Und wenn man den Gerüchten trauen darf, bist du in der Frauenwelt kein unbeschriebenes Blatt, James Kirk.“

Jim fühlte sich durch dieses Kompliment wenig geschmeichelt. „Quatsch, ich pass schon auf. Lass das mal meine Sorge sein. Außerdem ist Gary wohl eher derjenige, der aufpassen sollte, dass ihm kein Malheur passiert.“

Mitchell wirkte verwundert. „Und warum das, mein lieber Jim?“

Kirk grinste von einem Ohr zum anderen und fuhr sich mit der Hand über das Becken, als sie sich wieder in Schritttempo in Bewegung setzten. „Na, du warst es doch, der neulich mit Gaila verschwunden ist.“

Gary zuckte daraufhin nur die Schultern. „Ja, wir waren gemeinsam unterwegs. Aber was sagt dir denn, dass da was gelaufen ist?“

Sowohl Jim als auch Ben mussten lachen. „Komm schon, ich kann mir kaum vorstellen, dass du einen auf schüchtern gemacht hast“, sagte Finney und grinste schelmisch.

Gary hob abwehrend die Hände. „Hey, ich bin ein Gentleman, kein Gigolo.“ Doch das breite Grinsen in seinem Gesicht sagte mehr als tausend Worte. „Aber du solltest dich eher bedeckt halten anstatt zu spotten, Jim. Immerhin bin ich nicht der einzige, der an extraterrestrischer Weiblichkeit interessiert ist.“

„Was soll das heißen?“, fragte Jim und zog sich die Hosennaht ein Stück aus dem Schritt.

In Garys Augen blitze es. „Komm schon. Ich hab dich doch an Silvester mit dieser Andorianerin gesehen. Du hast ihr die Zunge so tief in den Hals gesteckt, dass man meinen konnte, du willst ihr die Mandeln massieren – falls sie denn welche hat.“

„Hat sie“, gab Jim kapp zurück und begann wieder zu laufen, um das Thema schnell zu beenden.

Ben und Gary glucksten kurz, folgten ihm aber auf dem Fuße und dieses Mal gab Jim das Tempo vor. Die schneebedeckten Felder zu ihrer Linken sahen vollkommen unberührt aus und reflektierten das aufgehende Sonnenlicht, dass es einen in den Augen blendete. Eigentlich war es eine sehr idyllische Atmosphäre, wenn dieses elende Jucken nicht gewesen wäre. Genervt kratze Jim sich abermals im Schritt.

„Meine Güte, Jim, wasch dich einfach mal. Oder stell wenigstens Fallen auf für diese Biester“, witzelte Gary zu ihm hinüber. „Ist ja nicht zum Aushalten, dein ewiges Gewühl.“

„Danke, ich werde es mir merken“, gab Jim trocken zurück.

Doch noch bevor er mehr dazu sagen konnte, kam ihm Finney zuvor. „Noch zwei Kilometer“, warf er ein. „Endspurt, Freunde. Auf geh‘s!“

Und so liefen die Drei, so schnell ihre Beine sie trugen, dem gemeinsamen Frühstück entgegen.

***

„Schwester Rossa, können Sie mir bitte zwanzig Ampullen Hydrocortison geben? Im Kühlschrank fehlen welche“, bat Christine Chapel ihre Vorgesetzte.

Samantha Rossa, eine erfahrene Oberkrankenschwester in ihren Fünfzigern, deutete, ohne von ihrem Stapel Krankenakten hoch zu sehen, auf den Nebenraum. „Im Vorratsschrank stehen mehrere Packungen. Nehmen Sie sie bitte von dort heraus.“

Chapel blieb etwas unschlüssig im Raum stehen. Sie wusste genau, wo sich die gesuchten Ampullen befanden und es wäre ein Leichtes für sie, diese zu holen. Allerdings wollte sie ungerne im Nebenraum gesehen werden. Dort arbeiteten nämlich die Doktoren McCoy und Fisher und noch immer war sie nicht besonders erfreut über den Gedanken, Dr. McCoy über den Weg zu laufen.

Natürlich ließ sich das nicht immer vermeiden, aber dennoch tat Chapel ihr Möglichstes, um nur das Nötigste von ihm zu sehen. Oder besser gesagt, dass er sie so wenig wie möglich sah. Sie hatte immer noch den Eindruck, dass er böse auf sie wäre, weil sie James Kirk selbstständig behandelt und aus der Krankenstation entlassen hatte. Und wenn sie ehrlich mit sich selbst war, hatte er jedes Recht dazu.

Die junge Schwesternschülerin atmete einmal tief durch, strich sich die Uniform glatt und machte sich mit einem deutlich selbstbewussteren Schritt, als sie es sich zugetraut hätte auf den Weg.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Krankenstation und eine weitere Kollegin von Christine trat ein. Sie war über und über beladen mit Akten, Ordnern und Disketten und blies sich mehrmals eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, welche allerdings sofort wieder an ihren ursprünglichen Ort zurück fiel. Ein Teil ihrer Last rutschte der jungen Schwester von den Unterarmen als sie durch die Tür kam.

„Oh, Mist“, murmelte die Frau und sah betreten zu Boden. „Ich glaub, ich hätte doch lieber zwei Mal gehen sollen.“

Schwester Rossa schürzte die Lippen, sagte aber nichts über die Unachtsamkeit der Schwarzhaarigen.

„Kein Problem“, antwortete Christine und hob ein paar der Akten auf. „Ich helfe dir, Maria.“

„Danke“, lächelte Maria sie an. „Ich hab auf dem Flur auch schon einen Teil verloren. Zum Glück hat mich keiner gesehen. Dr. Fisher hat mich erst neulich zurechtgewiesen. Der achtlose Umgang mit Equipment oder Patientendaten sei ihm ein Dorn im Auge, hat er gesagt.“

Schwester Rossa gab ein lautes Räuspern von sich, das deutlich machte, dass auch sie diese Meinung vertrat.

„Draußen im Flur?“, fragte Chapel etwas leiser nach und legte ihre Hand beschwörend auf Marias Oberarm. „Ich geh schnell raus für dich und hole es. Kannst du mir dafür bitte was aus dem Vorratsschrank holen?“ Ihre Stimme war jetzt fast zu einem Flüstern geworden.

„Was denn?“, fragte Maria mit großen Augen und flüsterte nun ebenfalls.

„Nichts Besonderes. Zwanzig Ampullen Hydrocortison“, antwortete Chapel und machte sich auf den Weg Richtung Tür. „Stell sie mir einfach auf den Tisch dort drüben. Ich bin gleich mit deinen Akten zurück.“

Ohne Maria noch ein weiteres Mal zu Wort kommen zu lassen, schlüpfte sie zur Tür hinaus und machte sich daran, die verlorene Last einzusammeln.

Das war ja noch mal gut gegangen. Sie hatte es wieder einmal geschafft, Dr. McCoy aus dem Weg zu gehen. Aber wie lange würde das noch gut gehen? War es inzwischen schon so auffällig geworden, dass die anderen etwas bemerkt hatten?

Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr ärgerte sie sich über sich selbst. Was war eigentlich ihr Problem? Ansprechen würde er sie auf keinen Fall mehr auf ihr Vergehen. Zumindest nicht, solange sie nicht allein waren. Immerhin hatte er einen Bericht gefälscht und sich damit selbst in die Bredouille gebracht. Und sogar wenn er noch böse oder enttäuscht sein sollte, was würde es schon ändern? Es war nun mal bereits passiert. Das Kind war schon in den Brunnen gefallen. Ändern konnte es ohnehin keiner mehr. Und gelernt hatte sie ja auch aus ihrem Fehler. Garantiert würde sie ihre Kompetenzen nicht noch einmal so überschreiten.

Doch als sie die letzte Diskette aufgehoben hatte und auf dem Weg zurück zur Krankenstation war, wurde ihr klar, was das eigentliche Problem war. Sie schämte sich. Sie schämte sich dafür, dass ihr die Tränen gekommen waren, als Dr. McCoy sie angeherrscht hatte. Und jetzt wollte sie ihm nicht unter die Augen treten, weil sie fürchtete, er sähe sie als schwach an.

Mit einem, trotz ihrer erfolgreichen Aktion, schlechtem Gefühl, stellte Chapel den Stapel auf einem Schreibtisch ab. Daneben standen, ordentlich in einer Halterung, die zwanzig Ampullen Hydrocortison. Zögerlich griff Chapel danach und sortierte sie langsam in den Kühlschrank ein. Sie würde es über kurz oder lang hinter sich bringen und Dr. McCoy begegnen müssen. Es raus zu zögern hatte keinen Sinn. Es würde ihre Furcht vor ihm nur verstärken.

Okay, keine Spielchen mehr. Ich bin eine erwachsene Frau und kann mit sowas umgehen. Ich arbeite bei Starfleet, weil ich eine starke und belastbare Persönlichkeit habe. Wäre ja gelacht, wenn ich nicht mit dieser Situation klarkommen würde. Es wird in meinem Leben sicherlich noch schwierigere Aufgaben geben. Und deswegen werde ich bestimmt nicht an Dr. Leonard McCoy scheitern, sagte sie sich immer wieder vor wie ein Mantra. Und tatsächlich ging es ihr nach wenigen Minuten schon besser.

„Schwester Chapel“, riss die Oberschwester sie aus ihren Gedanken. „Ich werde jetzt Mittag machen. Sie bleiben bitte mit Schwester Esterline hier und bereiten die Daten für die Routineuntersuchung der Technikabteilung morgenfrüh vor. Es handelt sich um Sektor Fünf Delta.“

Christine nickte. „Ja, Schwester Rossa. Einen guten Appetit dann.“ Sie lächelte ihre Vorgesetzte an, erntete dafür jedoch keine Erwiderung. Stattdessen verließ Rossa die Krankenstation mit einem emotionslosen Gesichtsausdruck, als würde sie gerade das Kommunikationsverzeichnis lesen.

„Gern geschehen“, flüsterte Christine hinter ihr her, als die Tür sich geschlossen hatte.

Maria kicherte. „Ja, ein wahrer Sonnenschein, unsere Sammy.“

Chapel schmunzelte. „Ich hoffe, ich habe alle Sachen gefunden, die dir herunter gefallen sind. Und danke für die Ampullen.“

Maria winkte ab. „Gern geschehen. Ich hab zu danken.“ Ihr Blick wanderte zu ihrer Kollegin. „Oder gibt es da etwas, das du mir sagen möchtest?“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Chapel vielleicht ein bisschen zu heftig. Im gleichen Moment ärgerte sie sich wieder über sich selbst.

„Du bist ein guter Mensch, Christine“, feixte ihre Kollegin. „Also bist du eine schlechte Lügnerin.“

Christine seufzte. Es war also doch inzwischen auffällig geworden. Mit Maria hatte sie die meisten Schichten bisher gehabt, da sie beide noch in der Ausbildung waren und unter der Fuchtel von Schwester Rossa standen. Kein Wunder also, dass sie etwas bemerkt hatte.

„Ich gehe Dr. McCoy gerne aus dem Weg“, gestand Chapel also.

„Macht er dich nervös?“, fragte Maria mit einem frechen Grinsen.

„Ja. Nein. Ja. Also ich meine … nicht so wie du jetzt denkst“, erklärte Christine und senkte ihre Stimme aus Sorge, man könne sie im Nebenraum hören. „Es gab einen kleinen Zwischenfall und er hat mich darauf hin auflaufen lassen. Und jetzt bin ich einfach nicht scharf darauf, ihn häufiger als nötig zu sehen.“

Maria nickte verständnisvoll. „Welcher kleine Zwischenfall …?“, begann sie, wurde jedoch unterbrochen.

Die Tür zur Krankenstation flog auf und vier Männer in grauen Uniformen stürmten herein. Drei davon trugen einen vierten, zwei am Oberkörper, der andere an den Beinen.

„Was ist passiert?“, fragte Chapel und griff nach einem Tricorder.

„Gasexplosion“, erklärte einer. „Er stand direkt daneben und …“

„Dr. Fisher!“, rief Maria in den Nebenraum und unterbrach damit die Ausführungen des Mannes. „Wir haben einen Notfall.“

Leonard McCoy erschien im Türrahmen. „Dr. Fisher ist unterwegs. Ich kümmere mich um ihn. Was ist passiert?“, fragte er und hielt die Hand auf. Sofort gab Chapel ihm den Tricorder.

„Gasexplosion“, wiederholte derselbe Mann noch einmal. „Wir haben gerade eine Versuchsreihe mit Gas am Laufen. Als wir in den Raum gekommen sind, ist die Deckenbeleuchtung durchgeschmort und hat Funken abgesondert. Einer davon muss das erhitzte Gas in Brand gesetzt haben. Wahrscheinlich haben …“

„Danke, ich erspare mir die Einzelheiten für den Moment“, brummte McCoy, steckte den Tricorder in die Tasche und deutete auf eine weitere Tür. „Bringen Sie ihn da rüber und legen Sie ihn auf den OP-Tisch.“

„Operieren?“, kam es schwach von dem verletzten Mann. Chapel hatte bis jetzt nicht bemerkt, dass der Mann bei Bewusstsein war. Er hatte bisher keine Regung gezeigt, seine Augen waren noch immer geschlossen.

„Sofort!“, setzte McCoy hinzu, ohne auf den Kommentar seines Patienten einzugehen.
Die drei Männer folgten seinen Worten ohne Widerspruch.

„Er hat eine Milzruptur erlitten, wahrscheinlich durch den Rückstoß“, kommentierte der Arzt die Ergebnisse des Tricorders und wusch sich die Hände. „Wir müssen das sofort behandeln. Die anderen Verletzungen sind nicht so schwerwiegend. Ich brauche einen Assistenten.“

Christine sah zu Maria hinüber. Noch vor wenigen Minuten hatte sie sich vorgenommen, stark zu sein, ihren Weg zu gehen und Dr. McCoy zu beweisen, dass sie eine gute Krankenschwester werden würde. Aber jetzt, da es ernst wurde, war ihre Zuversicht wie weggeblasen. Was, wenn sie falsch reagieren würde? Was wenn dieser Mann durch ihre Unsicherheit sterben musste?

Maria deutete den Blick ihrer Kollegin richtig. „Ich bin bereit Ihnen …“

„Schwester Chapel, bereiten Sie bitte alles für den Eingriff vor. Operationsbeginn in zehn Minuten“, unterbrach McCoy die junge Schwester und wandte sich ohne ein weiteres Wort von den Frauen ab. Er verschwand in einem Seitenraum, um sich umzuziehen.

Christine sah ihm mit offenem Mund nach. Das konnte doch nicht wahr sein! Er hatte doch genau gemerkt, dass Maria ihm assistieren wollte. Warum hatte er das getan? Wollte er zeigen, dass er Macht über sie hatte? Oder ihr vielleicht noch einmal klar machen, dass sie in seiner Schuld stand? Immerhin würden die beiden im Operationssaal allein sein.

„Beeil dich besser“, drängte Maria sie.

Christine nickte mechanisch, wusch sich ebenfalls die Hände, warf sich einen OP-Kittel über die Uniform und ging in den Operationsraum. Dort lag der blutüberströmte Mann auf einer Bahre. Seine Kollegen, neben ihm, redeten ihm unablässig gut zu.

„Danke, wir kommen nun ohne Sie zurecht“, sagte Chapel und die Drei verstanden sofort. Noch ein paar letzte aufmunternde Worte und sie hatten den Raum verlassen.

„Ich bin Schwester Chapel“, stellte sie sich bei ihrem Patienten vor. „Und Sie sind?“

„Yeoman Chester. Mark Chester“, antwortete er mit Mühe, ohne seine Augen zu öffnen.

„In Ordnung, Mr. Chester“, sagte sie und injizierte ihm vorsichtig ein Hypospray in den Hals. „Ich habe Ihnen ein mildes Schmerzmittel und ein Beruhigungsmittel gegeben. Dr. McCoy wird jeden Augenblick da sein und sich um Sie kümmern. Versuchen Sie einfach so ruhig wie möglich zu bleiben.“ Er nickte schwach. „Ich werde Ihre Uniform zerschneiden. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Sie zu starke Schmerzen haben sollten.“

Als keine Reaktion auf ihre Worte kam, begann sie einzelne Fetzen der Uniform abzuschneiden und diese in eine Wanne nahe der Tür zu werfen. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie seinen Oberkörper und sein Becken so weit wie nötig freigelegt.

Und auch die folgenden Handgriffe liefen alle genauso ab, wie Chapel sie immer wieder unter der Aufsicht ihrer Oberschwester trainiert hatte. Instrumente auf dem Tablett sortieren, OP-Bereich desinfizieren, Beleuchtung ausrichten … Nur dieses Mal war es keine Übung. Dieses Mal hing das Leben eines Menschen davon ab.

„Fertig?“, tönte McCoys Stimme durch den Raum. Er trug ebenfalls einen Kittel, seine Hände steckten in Handschuhen und ein Teil seines Gesichts wurde durch einen Mundschutz verdeckt. Christine hatte gar nicht bemerkt, dass er schon da war.

„Ja, Doktor“, antwortete sie. „Mr. Chester ist vorbereitet.“

McCoy nickte. „Mr. Chester, ich werde Sie gleich schlafen legen. Danach flicken wir Sie wieder zusammen. Sie werden aber bestimmt nichts spüren.“

Der Mann auf der Bahre öffnete langsam die Augen. Ein durchsichtig glänzender Film, der hastig flackerte, hatte seine Iris überzogen. Er hatte Angst.

„Keine Sorge, das wird schon wieder“, beschwichtigte Christine ihn. „Dr. McCoy ist wirklich ein sehr guter Arzt. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“ Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine.

McCoy beobachtete sie ein paar Momente lang. „Zwei Einheiten Midazolam und danach fünf Einheiten Etomidat, bitte.“

Die Schwester gab ihm die Hyposprays in die Hand, woraufhin McCoy sie dem Patienten der Reihe nach verabreichte. Nach nur wenigen Sekunden, wurde dessen Atmung ruhiger und die Vitalwerte des Monitors zeigten eine Tiefschlafphase an.

„Laserskalpell“, kommandierte McCoy und streckte die Hand aus.

„Laserskalpell“, bestätigte Chapel und gab ihm das Instrument.

Obwohl sich in dieser Situation alles um den Patienten vor ihnen drehte, kam Christine nicht umher, sich Sorgen darüber zu machen, was der Arzt wohl von ihr denken mochte. Sah er sie wirklich als das schwache Mädchen an, das in ihr durchgekommen war, als er sie zurechtgewiesen hatte? Oder bildete sie sich das nur ein?

„Wir haben eine Ruptur im Milzhilus mit Devaskularisation“, erklärte McCoy. „Schaffen Sie mir mal freie Sicht, Chapel.“

Christine tat wie ihr geheißen und saugte mit einem kleinen Instrument einen Teil des Blutes aus der Wunde, wie sie es immer in den Übungen getan hatte. Doch es war ein seltsames Gefühl, dies nun in Wirklichkeit zu tun.

„Die subkapsulären Hämatome sind bereits aufgebrochen. Aber ich denke, das Parenchym ist intakt“, murmelte der Arzt weiter vor sich hin.

„Mhm“, antwortete Christine. Was sollte sie auch dazu sagen? Das Meiste, was er bisher von sich gegeben hatte, waren zusammenhangslose Worte für sie. Immerhin war sie gerade im zweiten Lehrjahr. Was zur Hölle war ein Parenchym? Aber nachfragen traute sie sich dann doch nicht.

McCoy räusperte sich ein wenig. „Im Übrigen haben Sie eine gute Art mit Kranken umzugehen. Das von vorhin … das war … wirklich gut“, sagte er, ohne von seiner Arbeit abzulassen.

Etwas unsicher sah Christine ihn an. Meinte er das ernst? Hatte er sie gerade tatsächlich gelobt? „Ähm … danke“, antwortete sie daher nur.

Für eine halbe Stunde arbeiteten sie nahezu schweigend nebeneinander. Dr. McCoy nahm seine Arbeit sehr genau. Er murmelte immer wieder ein paar Fachbegriffe vor sich hin, mit denen Christine nichts anfangen konnte. Zwischendurch verlangte er das eine oder andere Instrument und die junge Schwester tat ihr Bestes, um ihn zu versorgen.

„Okay, das war es erst mal“, sagte der Arzt schließlich. „Sie können die Wunde schließen, Schwester.“

Christine bekam ganz große Augen. „Aber … “

McCoy sah sie an. „Ja?“

Sie schluckte. „Ich habe so etwas noch nie gemacht, Doktor. Ich bin doch erst im zweiten Jahr der Ausbildung.“

„Ach ja“, murmelte McCoy. „Natürlich.“ Er zögerte einen Moment. „Dann kommen Sie mal zu mir rüber. Ich zeige Ihnen, wie es geht.“

Für einen Augenblick war Christine sprachlos. Das konnte doch nicht wahr sein. Wie kam sie denn dazu, dass er so freundlich zu ihr war und ihr jetzt erlaubte, eine Operationswunde zu verschließen? Noch dazu, nachdem er sie erst vor wenigen Wochen hatte spüren lassen, dass sie ihre Kompetenzen beim Verabreichen eines Hyposprays überschritten hatte. Aber sie tat wie ihr geheißen.

„Halten Sie den Regenerator möglichst senkrecht“, erklärte McCoy ihr. „Versuchen Sie kein gesundes Gewebe zu treffen. Und achten Sie auf die Einstellung des Regenerators. Im Moment ist er noch für Epithelgewebe eingestellt. Sie brauchen zuerst die Stufe für Interzellulargewebe. Gut so. Und jetzt schön vorsichtig sein … “

Vorsichtig führte er ihr die Hand, ließ jedoch bald los und beobachtete ihre Arbeit. Schicht für Schicht verschlossen sie gemeinsam die Wunde, bis nur noch eine zarte rosa Färbung auf das einst klaffende Loch hinwies.

„Gute Arbeit, Schwester“, lobte McCoy schließlich ihr Werk. „Kümmern Sie sich bitte darum, dass Mr. Chester stationär aufgenommen wird.“ Der Bund seiner Handschuhe schnalzte, als er sie auszog und achtlos zu der zerschnitten Kleidung in die Wanne warf. „Und räumen Sie bitte den OP-Saal auf.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, drehte er sich auch schon um und verließ den Raum.

Christine Chapel sah ihm hinterher. Irgendetwas war hier seltsam. Er hatte ihr nicht, wie erwartet, eine weitere Gardinenpredigt gehalten. Es war auch nicht unangenehm gewesen, mit ihm zu arbeiten. Nun ja, zumindest nicht so unangenehm wie es hätte sein können. Und er hatte sie tatsächlich zwei Mal gelobt. Das allein war schon ein Wunder. Und … nein, das hatte sie sich sicherlich nur eingebildet. Oder doch nicht? Hatte er wirklich für einen Augenblick vergessen, dass sie noch in der Ausbildung war? Oder hatte er sie womöglich einfach nur verwechselt? Fragen über Fragen wirbelten in Christines Kopf umher.

Doch bevor sie Antworten darauf finden konnte, hatte sie andere Aufgaben zu erledigen. Also ging sie zur Interkomanlage, um sich zwei Pfleger für den Patiententransport zu rufen.

Gute Arbeit, Schwester, hallten McCoys Worte noch in ihren Ohren nach. Vielleicht war er doch kein so übler Kerl, wie sie bisher gedacht hatte. Aber eben nur vielleicht.

***

Jim kaute nervös auf seinen Fingernägeln. Sollte er versuchen ihn zu erreichen? Er hätte nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde. Aber aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, war auch nicht sein Stil. Vielleicht sollte er noch ein oder zwei Tage abwarten und ihm erst Bescheid geben, falls es noch schlimmer werden sollte. Andererseits hatte er sich das auch schon gestern gesagt.

Viel schlimmer kann es nicht mehr werden, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf, die eine erschreckend große Ähnlichkeit mit der von Bones hatte. Du liegst nackt in deinem Bett, hast dir notdürftig eine Decke über das Becken geworfen, die Beine aufgestellt und traust dich nicht, dich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, weil du das Gefühl hast, deinen Penis über Schleifpapier zu ziehen, sobald ihn irgendetwas berührt.

„Du bist mein Freund“, knurrte Jim in den leeren Raum. „Das wäre ja total widerlich und … “

Verdammt, Jim, ich bin Arzt, hörte er Bones genervte Stimme in seinem Kopf. Stell dich nicht so an!

Für einen kurzen Moment rang Jim mit sich selbst, wägte das Für und Wider ab. Dann hatte er seinen Entschluss gefasst. Er würde Bones nicht mit seinen lächerlichen Problemen belästigen. Hey, er war immerhin James T. Kirk – wenn er die Hilfe eines Arztes brauchte, dann war er meistens schon bewusstlos. Und an einem Ausschlag im Genitalbereich war bisher noch niemand gestorben – zumindest soweit er wusste. Wenn er weite Boxershorts anzöge, würde er schon zurechtkommen.

Erleichtert darüber, dass er diese Entscheidung endlich gefällt hatte, warf er die Decke zurück und richtete sich vorsichtig auf. Der Anblick seines ältesten Freundes veranlasste ihn dazu, das Gesicht zu verziehen. Die dominierenden Farben zwischen seinen Beinen waren rot und blau und die Schwellung hatte sich in den letzten zwei Stunden fast verdoppelt.

Bevor die Panik vollends in ihm hochsteigen konnte, schwang er seine Beine zur Seite, um sich an die Bettkante zu setzen. Soweit sollte es jedoch nicht kommen. Kaum hatten seine Schenkel sich bewegt, breitete sich ein stechender Schmerz von seinem Unterleib ausgehend in seinem kompletten Körper aus. Es war, als würden die Muskeln in seinen Armen und Beinen sich nie wieder von einem Krampfanfall erholen, und dass ihm der Schweiß über das Gesicht rann, machte die Sache nicht besser. In wenigen Sekunden veränderte sich der Schmerz von einem Stechen zu einem unerträglichen Brennen, das ihm einen kurzen Schrei entlockte, den er erstickte, indem er sich seine Bettdecke in den Mund steckte. Für einen kurzen Moment verschwamm das Quartier vor seinen Augen. Als er endlich wieder klar sehen konnte, lag er erneut rücklings und stoßweise atmend auf dem Bett.

„Okay, okay“, keuchte er vor sich hin. „Du magst keine hektischen Bewegungen, alter Freund. Ich habe verstanden. Kein Grund sich so aufzuführen.“

Umständlich schob er sich mit den Ellenbogen wieder zurück in seine Ausgangsposition, nämlich mit aufgestellten und leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken liegend.

Was sollte er jetzt tun? Jemanden zu rufen, der ihn aus seiner misslichen Situation befreien konnte, war keine Option. Es gab nämlich nur einen, der das vermochte und dessen Gardinenpredigt konnte er förmlich bis hierher hören. Außerdem wusste er auch gar nicht, wie er das bewerkstelligen sollte, da sein Kommunikator auf dem Schreibtisch lag – zwar gut sichtbar, aber dennoch unerreichbar für ihn.

Aber vielleicht könnte er es schaffen, sich langsam seine Shorts anzuziehen und zur Dusche zu gehen. Kaltes Wasser würde die Schmerzen bestimmt lindern, und wenn er dann einigermaßen zurechtkam, spielte er einer Schwester starke Kopfschmerzen vor und würde sich so eine Ladung Schmerzmittel verabreichen lassen. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr konnte er sich mit diesem Plan anfreunden.

Er nahm einen tiefen Atemzug, um sich auf die physischen Qualen einzustellen, die ihm zweifelsohne bevorstanden. Schon hatte er sich auf die Ellenbogen gestützt, als mit einem, für seine Ohren, viel zu lautem Zischen die Tür zum Quartier aufging.

Scheiße!, dachte er bei sich. Warum musste ausgerechnet jetzt jemand in das Zimmer kommen?

Hektisch griff er nach seiner Bettdecke, unterdrückte ein Fluchen, als er seine Beine dabei zu nahe an sein Schmerzgebiet bewegte, und warf sie sich schnellstens über.

Vincent Finnegan kam in den Raum getrottet und warf seine Tasche genervt gegen die Kommode. „Der Tag war scheiße“, maulte er dabei vor sich hin. „Wenn ich jetzt nicht noch ein Date hätte, würde ich mich glatt auch noch mit dir beschäftigen müssen, Jimmy-Boy.“

Jim ignorierte die Beleidigung und blickte mit zusammengekniffenen Lippen zu seinem Zimmergenossen hinüber. Wenn er nichts zu ihm sagte, würde er sich vielleicht nicht weiter mit ihm aufhalten.

Finnegan, der sich eben sein verschwitztes Shirt ausgezogen hatte, fror in seinen Bewegungen ein, um den Blick zu erwidern. „Was ist los? Was machst du da?“

„Ich …“, setzte Jim an. „Ich lese.“

Vince legte die Stirn in Falten. „Ohne PADD?“ Doch nach ein paar Sekunden hellte seine Miene sich auf und er grinste frech von einem Ohr zum anderen. „Jimmy, Jimmy, Jimmy. Sieht so aus als hättest du das Date nötiger als ich, was?“

Jim blieb nichts anderes übrig, als beschämt zu lächeln. Dann dachte sein Mitbewohner eben, er würde an sich selbst Hand anlegen. Er hatte gerade wesentlich größere Probleme, als sich darüber Gedanken zu machen.

„Keine Sorge, Jimmy, ich verschwinde wieder.“ Schnell schlüpfte Vince in ein frisches Shirt und knöpfte sein Hemd darüber zu. „Einer von uns beiden muss ja heute deine Phantasien ausleben.“ Sein Grinsen war so breit, dass Jim sich sicher war, noch nicht das Ende dieser peinlichen Begegnung, gehört zu haben.

„Kannst du mir meinen Kommunikator geben, bevor du gehst?“, fragte er wie beiläufig und deutete auf den Schreibtisch.

„Warum? Willst du dir lieber doch eine heiße Schnecke rüber holen?“, foppte Finnegan ihn, warf ihm aber trotzdem den Kommunikator auf das Bett.

Hast du ein Glück, dass ich gerade nicht aufstehen kann, dachte Jim bei sich. Wäre nicht das erste Mal, dass ich dir den Kopf zwischen die Schultern rammen würde. Doch bevor er einen Streit heraufbeschwor, den er in seiner Situation ohnehin nur verlieren konnte, nickte er dankbar.

„Wir sehen uns“, meinte Vince zum Abschied, strich sich einmal durch das Haar und verschwand aus dem Raum.

Jim wartete bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. „Glaub mir, mein Freund, du hast heute auch nicht mehr Sex als ich. Keine Frau, egal ob irdisch oder nicht, steht auf einen Kerl, der sich nicht mal duscht, bevor er zu einem Date geht.“

Der Zwischenfall mit Finnegan hatte Jim dazu veranlasst, seine Entscheidung zu revidieren. Er brauchte Hilfe und zwar ganz dringend. Und so sehr er es hasste, sich das einzugestehen, aber es gab nur eine Person in der Academy, der er von seinem Problem erzählen konnte.

Mit einem letzten kritischen Blick auf seinen Unterleib, öffnete er den Kommunikator. „Kirk an McCoy.“

„McCoy hier. Was gibt es, Jim?“

„Hey, Bones“, sagte Jim und bemühte sich seine Stimme fest klingen zu lassen, wenngleich er vor Schmerzen kaum noch klar denken konnte. „Hast du einen Augenblick Zeit?“

„Ich habe Nachtschicht, Jim. Ich kann nicht einfach so vorbeikommen.“ In Leonards Stimme schwang ein leicht genervter Unterton mit.

„Ich weiß“, sagte Jim und fragte sich gleichzeitig, wie um alles in der Welt er ihm subtil verständlich machen konnte, in welcher Situation er sich befand. „Deswegen hab ich dich gerufen.“

Für einen Moment war es still am anderen Ende der Leitung. Als McCoy sprach, klang er unruhig. „Was ist passiert? Soll dich einer abholen oder kannst du alleine kommen? Hast du dich verletzt?“

„Nicht direkt“, gab Jim ausweichend zurück. „Aber auf die Krankenstation kann ich auch nicht so einfach kommen.“

Ein leichtes Grollen drang aus dem Kommunikator. „Ich nehme nicht an, dass ich das jetzt verstehen muss.“

Jim biss sich auf die Unterlippe. Inzwischen hatte sich ein unangenehmes Pochen in seiner unteren Beckenregion gebildet. „Nein, musst du nicht. Komm bitte einfach nur vorbei“, keuchte er.

„Ich hab noch was zu erledigen, ich kann jetzt nicht“, erklärte McCoy. Seine Stimme verriet jedoch deutlich, dass es ihm gerade gar nicht passte, nicht für Jim da sein zu können, obgleich er nicht wusste, was es war, dass seinen Freund so quälte. „Ich schicke dir eine Schwester vorbei, die …“

„NEIN!“, entfuhr es Jim plötzlich und sein kläglicher Versuch, sich dabei aufzurichten, endete mit einem schmerzvollen Stöhnen. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder so weit im Griff hatte, dass er sprechen konnte. „Ich schaffe es schon irgendwie allein. Sieh einfach nur zu, dass du Zeit findest. Und sei um Himmels Willen bitte alleine.“

Die Gedanken in McCoys Kopf mussten sich überschlagen. Doch irgendwie schaffte er es, mit ruhiger Stimme auf Jim einzureden. „In Ordnung, ich warte hier auf dich. Aber es kann sein, dass ich noch eine Viertelstunde beschäftigt bin.“

„Nicht schlimm“, stöhnte Jim. „Ich schaffe es sowieso nicht in den nächsten zwanzig Minuten.“
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