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Geliebter Feind

von Emony

Kapitel 2

Joret konnte die misstrauischen Blicke der Bewohner des Stützpunktes ganz deutlich spüren, als er in Jaxas Begleitung zum Marktplatz schlenderte. Er war kein Narr und sicher kein naiver junger Mann mehr. Er wusste, dass sich die Leute hier niemals an ihn gewöhnen, geschweige denn, ihm jemals vertrauen würden.

Wie könnte er es ihnen verdenken?

Die Cardassianische Union, allem voran das Militär, hatte über viele Jahre hinweg dafür gesorgt, dass andere Völker ihnen mit Furcht und Argwohn begegneten. Die Bajoraner waren nur eines der Völker, die nach beinahe fünfzigjähriger Besatzung ihres Heimatplaneten allen Grund hatten, ihm vernichtende Blicke zuzuwerfen.

Er war zu jung, um das alte Cardassia mit eigenen Augen erlebt zu haben. Aber er hatte Aufzeichnungen gesehen, alte Bücher gelesen, die Vergangenheit studiert. Das cardassianische Volk war einst kultiviert und respektiert gewesen. Um fortschrittlich zu bleiben und ins All zu kommen, hatten sie begonnen die Bodenschätze ihrer Welt zu plündern und das in einer Geschwindigkeit, dass die Natur nicht mehr mit der Regeneration hinterherkam. Die Folgen waren verheerend gewesen. Armut und Hungersnöte hatten sich, einer Seuche gleich, auf der gesamten Heimatwelt ausgebreitet.

Damals hatten das cardassianische Militär und der Obsidianische Orden die Kontrolle über die Zivilregierung übernommen und unter großen Opfern einen Vorstoß in den Weltraum gewagt. Zunächst hatten sie einen Teil der Planeten in ihrem eigenen System kolonisiert und bewirtschaftet, doch irgendwann reichten auch diese Bodenschätze nicht mehr aus, so dass sich die Union gezwungen sah, sich über das eigene System hinaus auszuweiten.

Bajor war eine viel zu leichte Beute gewesen. Zwar gab es Raumfahrten und Militär, aber lange nicht so fortschrittlich. Der Rest war traurige Geschichte, sein Volk verhasst im gesamten Quadranten, und Dal war ein Angehöriger jener Minderheit, die gar nichts dafür konnte und einfach nur das Pech hatte, in dieses Leben geboren worden zu sein. Er hatte niemals Hand an einen Bajoraner gelegt, war nicht einmal auf Bajor gewesen, dennoch wurde er von den Bewohnern dieses Stützpunktes allein aufgrund seiner Herkunft verachtet.

Er wünschte sich, Cardassia wäre einfach nur eine unabhängige Union. Eine Großmacht, die friedlich neben dem Klingonischen Reich und der Föderation existierte.

Allerdings war er nur ein Mann. Was konnte er schon bewirken?

Als er zum Militär gegangen war, hatte er die Vorstellung noch für realisierbar gehalten, dass er etwas würde bewegen können. Er hatte gehofft, schnell Karriere zu machen, Einfluss ausüben und Frieden schließen zu können.

Stattdessen war er ein verblendeter Glinn geblieben, der es nicht fertigbrachte den Abzug zu drücken, wenn es seine Vorgesetzten von ihm verlangten. Nicht, wenn er das Gefühl hatte, ein unschuldiges Leben auszulöschen. Und das kam viel zu oft vor.

Er war erbärmlich. Schwach.

„Das sieht interessant aus“, riss ihn Sitos Stimme aus seinen düsteren Gedanken.

Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Obststand zu, vor dem sie standen. Sito zeigte auf eine Frucht, die Dal noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie war etwa faustgroß, relativ unförmig und lilafarben.

„Was ist das?“ Sito sah den terranischen Händler des Obststandes an.

„Eine Filla“, erklärte dieser, nicht ohne Dal einen missbilligenden Blick zu schenken. „Sie wächst auf Denobula.“

Sito nahm einer der Früchte und schnupperte daran. „Riecht schön süß. Wie wird sie gegessen?“

Der Händler bemühte sich, Dal keines weiteren Blickes zu würdigen. „Man schneidet sie auf und löffelt das Fruchtfleisch aus.“

Sito nickte, zufrieden mit der Erklärung. „Ich nehme eine.“ Der Händler deutete mit einer schlichten Geste an, dass sie sich eine Frucht aussuchen konnte. „Vielen Dank.“

Die junge Bajoranerin ging neben Dal her zum nächsten Stand. An diesem wurden handgefertigte Strickjacken und allerlei andere Strickwaren angeboten. Die Vielfalt auf diesem Stützpunkt überraschte sie immer wieder.

Die Händler verkauften die Waren nicht, sie boten sie frei an. Die Stände auf dem Markt dienten lediglich dafür, den Leuten das Gefühl eines normalen Lebens zu geben. Sie gingen alten Berufen nach, arbeiteten als wäre dies eine gewöhnliche Kolonie und sorgten auf ihre Weise dafür, dass sich jene, die für sie in den Kampf zogen, auf dieser Welt wie zuhause fühlen konnten. Hier wurde der Schein gewahrt. Hier würde der Feind sie nicht aufspüren und vertreiben können.

Eine schöne Illusion, wie Sito fand. Leider nur eine Illusion.

„Ich muss hier weg“, ließ sich Dal nach einer Weile vernehmen.

Sito legte eine Strickweste zurück auf den Stapel und betrachtete den Cardassianer an ihrer Seite neugierig. „Wegen der Blicke?“

Dal nickte grimmig und sah sich um. Wo er auch hinsah tuschelten die Leute, drehten sich plötzlich weg oder sahen ihn regelrecht provozierend an. „Ich bin der Feind.“

„Das sind Sie nicht“, widersprach Sito und legte ihm eine Hand auf den Oberarm.

„Diese Leute haben allen Grund meinesgleichen zu misstrauen. Sie sind Vertriebene, Heimatlose … Ich persönlich habe ihnen vielleicht nichts getan, aber ich verkörpere dennoch das Feindbild.“

„Auch ich habe anfangs nur einen weiteren Cardassianer in Ihnen gesehen, Joret. Inzwischen kenne ich jedoch Ihre Einstellung und ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann. Die anderen brauchen einfach mehr Zeit“, erklärte sie sanft.

Joret wollte ihr so gerne glauben. Er wollte es wirklich. Aber er war sich nicht sicher, ob er die Kraft und den Mut hatte, um der erste von hoffentlich vielen Cardassianern zu sein, denen die anderen Völker dieses Quadranten vertrauten. Wie nur sollte er den Leuten rings um sich herum verständlich machen, dass er ihre Befürchtungen verstand und nachvollziehen konnte? Dass er bereit war mit ihnen zu kämpfen, anstatt gegen sie.

Er wollte sein Volk nicht verraten, aber er wollte ihm ebenso wenig helfen. Nicht dem heutigen Cardassia. Nicht nachdem, was sein Volk so vielen anderen angetan hatte. Er wollte der alten Union angehören, einem Cardassia, das längst der Vergangenheit angehörte und das zurecht stolz war. Er wollte der Hochkultur angehören, über die er so viel gelesen hatte. Aber diese Wunschvorstellung schien so weit weg und unrealistisch zu sein. Vor allem hier, inmitten der entmilitarisierten Zone.

„Ich wünschte, ich könnte das glauben. Aber nach allem was mein Volk dem Ihren und so vielen anderen angetan hat, bezweifle ich, dass der Hass je erlöschen wird.“ Dal seufzte und nahm Sitos Hand zögerlich in seine. Ihre Haut war so sanft und warm, während seine rau und kühl war und sich kaum stärker hätte abheben können. Sie verwob ihre Finger mit seinen und drückte sanft zu. Als er von ihren ineinander verschlungenen Fingern auf und ihr wieder in die Augen sah, lächelte sie ihn an.

„Irgendjemand muss den ersten Schritt machen. Wir müssen nicht unbedingt hierbleiben. Ich denke, dass Kalita mir inzwischen genug vertraut, so dass sie uns zu einer nahen Föderationskolonie oder eventuell einer Raumstation bringen könnte. Ein Schiff wird sie nicht entbehren können, aber …“

„Und wo sollen wir dann hin? Ich bin ein Geächteter, egal wohin ich auch gehen würde. Und in der Union sind Sie nicht sicher. Dieser Stützpunkt, auf welcher Welt er sich auch befinden mag, ist für mich momentan vermutlich der sicherste Ort im Universum. Und doch habe ich den Wunsch, diese Welt zu verlassen.“

Sito nickte langsam. „Ich fühle mich hier auch nicht wohl. Wir werden beide genau beobachtet. Niemand scheint uns zu trauen. Diese Leute haben viel durchgestanden und eine Menge verloren, sie fürchten sich schlicht vor weiteren Verlusten. Ich kenne dieses Gefühl noch aus meiner Kindheit.“

„Jaxa, ich …“ Dal hatte einen Kloß im Hals. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was für eine furchtbare Kindheit sie durchgestanden haben musste. Wie sie um Essen betteln musste und manchmal vielleicht tagelang nichts in den Magen bekommen hatte.

„Ich wollte Ihnen kein schlechtes Gewissen bereiten. Sie sind dafür nicht verantwortlich. Das ist es doch, was ich die ganze Zeit versuche Ihnen klarzumachen. Ich vertraue Ihnen, Joret, ganz gleich was mir in der Vergangenheit geschehen ist. Sie haben mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, dass nicht ein einzelner Mann für die Schandtaten seines Volkes verantwortlich gemacht werden kann. Für Bajoraner ist es leicht zu behaupten, die verbrachten Gräueltaten beruhten auf dem Prinzip der Gegenwehr, aber auch unter meinem Volk gab es genug, die Freude an der Folter cardassianischer Soldaten hatten. Wer ohne Unschuld ist, möge den ersten Stein werfen.“

Joret nickte langsam, machte jedoch keine Anstalten Sitos Hand loszulassen. „Und wie soll es von jetzt an weitergehen? Ich werde dem Maquis keine Geheimnisse verraten. Kalita und ihre Anhänger wissen das. Und ich habe keine Ahnung, wie ich mich hier sonst nützlich machen könnte. Sie werden mich nicht ewig kostenlos mit Nahrung und Obdach versorgen. Es entspricht auch nicht meiner Erziehung von Almosen zu leben. Ich war nie ein besonders guter Soldat, aber es war der einzige Beruf, den ich je gelernt habe.“

„Ich habe festgestellt, dass ich einigermaßen gut mit Werkzeug umgehen kann“, erwiderte Sito und setzte den Weg endlich fort. Joret folgte ihr ganz automatisch, da sie einander nach wie vor an den Händen hielten. „Wie gut sind Sie damit?“

Joret sah im Gehen zu der kleineren Frau an seiner Seite hinab. „Solange ich nicht hämmern muss … Ich schlage mir immer wieder auf den Daumen.“ Beide lachten über den kleinen Scherz. „Ich habe handwerklich nie viel leisten müssen.“

„Dann wird es Zeit. Santos hat mir heute am Morgen mitgeteilt, dass wir das Haus am Ende des Ortes haben können. Es ist baufällig und klein, reicht aber gut für zwei. Es hat einmal einem alten Ehepaar gehört, das inzwischen verstorben ist. Seitdem hat sich niemand mehr um das Haus gekümmert. Wenn wir es reparieren, könnten wir darin wohnen.“

Joret konnte nicht fassen, was Sito ihm da sagte. Und schon gar nicht, wie sie es sagte. So als sei es vollkommen normal und in Ordnung, dass sie hier auf diesem Stützpunkt des Maquis zusammenzogen - ein Cardassianer und eine Bajoranerin … Hatte es je etwas Seltsameres gegeben? Als sich ihre Blicke wieder trafen, konnte er sehen wie ernst es ihr damit war.

„Wenn Sie allerdings lieber versuchen wollen nach Cardassia zurückzukehren, um dort im Untergrund für die Dissidentenbewegung tätig zu werden …“

Er fühlte sich nicht unbedingt wie ein Gefangener, aber richtig frei war er hier trotzdem nicht. Er wusste, dass er früher oder später eine Gegenleistung erbringen musste. Für den Moment war er hier beim Maquis jedoch sicher und vor allem sicherer als in seiner Heimat. Dissidenten wurden noch hartnäckiger gejagt und schlimmer bestraft, als sonst irgendein Feind der Union. Joret war ein Flüchtling, der ausgerechnet im Lager des Feindes Zuflucht gefunden hatte.

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