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Erwachen

von Sphere

Kapitel 1

Erwachen

ERWACHEN

 

Titel: Erwachen

Autor: Sphere

Kategorie: TV Serien > The next Generation (TNG)

Categories: General, Drama, Virtual Episode

Characters: Mutli-Char

Relationships: Keine

Rating: 12 Jahre

Inhalt: In einem abgeschirmten, unsterblichen Sonnensystem erwächst auf dem Erbe einer uralten, raumfahrenden Zivilisation neue Intelligenz. Als die Besatzung der Enterprise die Geheimisse zu ergründen sucht, stoßen sie auf eine weitere Fraktion und erkennen, dass die Galaxis kurz davorsteht, ins Chaos zu stürzen.

Hinweise: Spielt in der 6. Staffel nach „Datas Hypothese” (6.09) und damit während der ersten Staffel von DS9.

Abgeschlossen: Ja

 

 

KAPITEL 1

 

Der Signalton des Computers erklingt.

„Es ist sieben Uhr fünfzehn.“

Jean-Luc Picard erwacht. Nicht nur die Stimme, sondern bereits das Signal hat er völlig klar vernommen. Es ist nicht etwa so, dass er einen sonderlich leichten Schlaf hat. Nichtsdestotrotz vernimmt er den Klang des Computers oder des Interkoms stets deutlich. Abgesehen davon waren die letzten Tage ruhig genug verlaufen, dass er zu einem geregelten Tagesablauf zurückkehren konnte, in welchem er stets um diese Zeit aufsteht.

Picard rührt sich nicht. Da er den Computer angewiesen hat, dies zu überprüfen, bemerkt dieser den Umstand, dass Picard wach ist und verzichtet auf weitere Ansagen. Der Captain streckt seine geistigen Glieder, fühlt seinen Körper und findet alles zu seiner Befriedigung vor. Er ist frisch und ausgeruht.

Früher war dies der Zeitpunkt gewesen, zu welchem er bereits über die Aufgaben des Tages nachzudenken begann. Damals hatte er zudem den Abend nicht mit einem guten Buch, sondern mit Gedanken an das Schiff abgeschlossen. Vor vielen Jahren bereits hatte er bemerkt, wieviel Energie ihn das kostete – Energie, die ihm im Verlauf des Tages fehlen konnte. Daher hatte er sich gezwungen, sich dies abgewöhnen.

Statt anzufangen zu denken, durchflutet ihn heutzutage um diese Zeit pure Tatkraft. Er lebt für das, was er tut, geht in seiner Aufgabe auf. Die Gerüchte, dass er keinen Urlaub nimmt, weil er keinen braucht, sind keineswegs einfach aus der Luft gegriffen.

Picard schlägt die Augen auf. Über sich sieht er durch das Fenster Sterne, die während des Warpflugs Streifen ziehen. Die Tatkraft erreicht ihr Maximum. Es fällt ihm nie schwer aufzustehen. Mit einer fließenden Bewegung schwingt er das Laken zurück und schlüpft in die bereitstehenden Pantoffeln.

Kurz darauf ist er in der Hygienezelle verschwunden.

 

Picard stand vor dem Replikator seines Quartiers und seufzte. Es war ein leises Seufzen, das mehr an seinem Gesicht abzulesen war, als dass man es hören konnte. Doch dann straffte er sich wieder. Obwohl er gerne etwas anderes bestellt hätte, wies er den Computer an, lediglich etwas Geschirr zu replizieren.

Das Gewünschte erschien. Er griff nach dem Stapel aus Tellern und Tassen und trug ihn hinüber zum Esstisch.

Die rechte Eingangstür seines Quartiers gab einen Ton von sich.

„Herein.“

Beverly betrat sein Quartier. „Guten Morgen, Jean-Luc.“

Picard stellte fest, dass er erstarrte. Nicht, weil er sie nicht erwartet hätte oder der Besuch ihm womöglich unangenehm gewesen wäre. Er verbarg nur manches gerne. Da sein Führungsstil als Captain nicht nur eine wohldurchdachte Maskerade war, sondern seine Persönlichkeit widerspiegelte, galt dies nicht nur gegenüber seiner Crew, sondern auch allen anderen gegenüber. Er gab Befehle und führte sie nicht selber aus. Genau deswegen hätte er es vorgezogen, dass Beverly nicht sah, wie er den Tisch deckte. Dass sie dem beiwohnte erschien ihm einfach nicht angemessen, auch wenn was er tat, völlig selbstverständlich war.

Nachdem er einen Moment damit verbracht hatte, sich selbst dieser lächerlichen Reaktion wegen zurechtzuweisen, stellte er den Stapel ab und erwiderte kühl. „Guten Morgen.“

Wenn Beverly etwas auffiel, so reagierte sie nicht darauf. Stattdessen war es an ihm zu bemerken, dass sie außergewöhnlich vergnügt wirkte. Auch sonst strahlte sie bereits morgens eine gewisse Lebensfreude aus, aber dies war etwas anderes. „Sie wirken heute morgen irgendwie beschwingt“, stellte er fest, während er ohne hinzusehen das Geschirr auf dem Tisch verteilte. „Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

Überrascht verharrte sie einen Augenblick. „Ja, ich denke, das hat einen Grund“, bestätigte sie dann und lächelte. „Ich hatte gestern ziemliches Glück beim Pokern. Ich habe unsere Herren ganz schön über den Tisch gezogen.“ Ihr Lächeln wurde breiter und Picard musste sich eingestehen, dass all seine Hingabe der Enterprise gegenüber nicht die ganze Wahrheit war. Wäre dem so gewesen, dann hätte ihm das gemeinsame Frühstück mit seiner Chefärztin nicht so viel bedeutet.

„Ich habe mir für heute etwas Besonderes einfallen lassen“, wechselte diese das Thema. „Das wird Ihnen bestimmt gefallen. Es nennt sich oannisches Laa!“ Mit diesen Worten ging sie hinüber zum Replikator und legte die linke Hand auf dessen Gehäuse. „Computer. Replikatorprogramm Crusher A-23-Delta aufrufen.“ Es war Picard nie gelungen herauszubekommen, ob Beverlys Vergabe von Dateinamen einem komplizierten System oder einfach nur einer Laune folgte. Tatsache war jedoch, dass es für sie zu funktionieren schien.

Was im Fach des Replikators erschien, sah auf den ersten Blick angenehm gewöhnlich aus. Ein Korb mit Brötchen, zwei Gläser Marmelade und eine Kanne, vermutlich mit Kaffee.

Picard griff nach dem Korb und stellte fest, dass sein Inhalt lediglich eine gewisse Ähnlichkeit mit Brötchen aufwies. Die Objekte darin waren grau und wirkten irgendwie aufgedunsen. „Was ist das?“, fragte er und registrierte zu seiner Befriedigung, dass sein Tonfall nur mäßig skeptisch klang.

„Dies ist das Laa, eine Delikatesse auf Oann“, erläuterte Beverly stolz und fuhr im Plauderton fort: „Es sind Stromatolithen – Einzellerkolonien, die dort im seichten Meer wachsen. Nach der Ernte werden sie ein halbes Jahr in Süßwasser gespült und dann getrocknet.“

Es war nicht so, dass Picard je Probleme mit dem gehabt hätte, was Beverly sich in letzter Zeit für ihr gemeinsames Frühstück ausgedacht hatte. Manches schmeckte gut, nichts davon war je mit einigen Gerichten zu vergleichen gewesen, die er auf so manchen diplomatischen Empfängen nicht nur hatte essen müssen, sondern auch als köstlich zu titulieren hatte.

Tatsache war jedoch, dass er zum Frühstück eigentlich nichts Exotisches haben wollte. Um diese Zeit war es ihm nach etwas Einfachem. Er wünschte sich etwas Gewohntes, Unkompliziertes, wie schlichte Croissants zum Kaffee. Beverly dagegen machte es Freude, abwechslungsreiche Gerichte zu suchen und auszuprobieren.

Doch letztlich war dies alles nicht wichtig. Worauf es ihm letztlich ankam, war nicht die Mahlzeit, sondern die Gesellschaft. Daher ließ er ihr das Vergnügen und nahm es hin.

Nachdem sie alles aufgebaut und sich gesetzt hatten, meinte Beverly schließlich: „Ich habe gehört, wir haben gestern Abend den Kurs geändert.“ Dabei griff sie nach einem Laa und schnitt es wie ein Brötchen entzwei. Picard folgte ihrem Beispiel.

„Das ist richtig“, beantwortete er indessen ihre Frage. Nicht, dass Besatzungsmitglieder der Enterprise es nötig gehabt hätten, auf persönliche Beziehungen zum Captain zurückzugreifen, um Aufschluss über die Mission zu bekommen. Der Computer stellte jedem derartige Informationen zur Verfügung. Selbst Führungsoffizieren brachten sich auf diese Weise oft auf den neuesten Stand. „Wir wurden von Trealor II um Unterstützung gebeten.“

Das Laa roch ein wenig nach Kartoffeln und hatte eine knusprige Kruste. Sein Inneres erwies sich als weich und schwammartig. Eine der bereitstehenden Marmeladen war ihm vertraut, doch hartnäckig griff er nach dem anderen Glas.

„Trealor II“, murmelte Beverly. „Befindet sich dort nicht eine Föderationskolonie?“

Picard biss ein Stück vom Laa ab. Wenn es einen Eigengeschmack hatte, so wurde er vollständig von der übertriebenen Süße der Marmelade überdeckt. „Seit knapp fünf Jahren“, nickte er dann. Da er sich stets über die Gegebenheiten jedes Sektors informierte, in dem sie operierten, kannte er diese Zahl. „Es scheint dort Probleme mit der Sonne des Systems zu geben.“

Besorgt ließ Beverly das Messer sinken. „Was für Probleme?“

Picard wusste selbst noch nicht, was er davon halten sollte, daher beschränkte er sich auf die Fakten. „Der Stern zeigt ein ungewöhnliches Verhalten. Einiges davon ist typisch für wesentlich ältere Sterne, die davorstehen, sich zu einem Roten Riesen aufzublähen.“

Das Stichwort erregte offensichtlich Beverlys Aufmerksamkeit. Seit neuestem schien sie sich für solare Forschung zu interessieren, insbesondere für einen neuen Schutzschirm zur in-situ Erkundung einer Korona. Vermutlich lag der Grund ihrer Faszination dafür aber nicht in der Sache selbst, sondern darin, dass es ausgerechnet ein Ferengi war, der daran arbeitete – so genau hatte Picard das noch nicht herausbekommen.

„Aber wenn der Stern wirklich keine stabilen Bedingungen bieten würde, hätte man dort doch nie siedeln dürfen“, warf Beverly ein.

Picard lehnte sich für einen Moment in seinem Sessel zurück. „Das ist es eben“, stellte er fest. „Der Stern wurde vor der Besiedlung mehrere Jahre lang beobachtet und schien vollkommen normal. Die Kolonisten haben nicht die notwendige Ausrüstung, um eine genauere Untersuchung vornehmen zu können. Die Enterprise allerdings ist dafür ausgestattet. Wenn wir das System erreichen, werden wir klarer sehen...“

 

*  *  *

 

Inzwischen wusste Picard, dass Laa nur anfangs neutral schien, dann aber einen stark erdigen Nachgeschmack entwickelte. Wie die Bewohner von Oann dies wahrnahmen, wusste er nicht, aber er legte jedenfalls keinen Wert darauf, dies noch einmal auf seinem Teller wiederzufinden. Selbst Beverlys Begeisterung für die angebliche Delikatesse hatte gegen Ende sichtbar gelitten.

Die Türen des Turbolifts glitten auseinander und entließen ihn auf die Brücke. Da er etwa fünf Minuten zu früh war, tat hier noch die Nachtschicht Dienst. An der Taktik stand Fähnrich Thalan. Sein Blick und die Stellung seiner Fühler wirkten auf einen Menschen desinteressiert, doch Picard wusste es besser. Im knappen Nicken des Andorianers zeigte sich der Respekt gegenüber seinem Captain. Picard erwiderte die Geste, zwar nicht mit dem gleichen Schneid, aber dennoch so, dass die Botschaft ankam.

Er ging die Rampe herab, wo sich Commander Data aus dem Kommandosessel erhob. „Guten Morgen, Captain“, begrüßte er ihn. Statt ihn im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass er zu früh war und ihm, ob er das nun wollte oder nicht, einen detaillierten Bericht zukommen zu lassen, schwieg Data vorerst abwartend. Er hatte inzwischen gelernt, dass dies nicht immer die angemessene Verhaltensweise war.

„Guten Morgen“, erwiderte Picard neutral, als er das Zentrum der Brücke erreicht hatte. „Ist etwas Ungewöhnliches vorgefallen?“

Data sah ihn einen Moment an, als wolle er erwidern Das hängt davon ab, wie Sie „ungewöhnlich“ definieren, Sir. Picard konnte die Positronen im Hirn des Androiden förmlich rasen sehen. „Nein, Sir“, antwortete Data dann knapp und fügte hinzu „Wir befinden uns weiter auf Kurs in Richtung Trealor II und werden den Planeten in zwei Stunden, vierzehn Minuten erreichen.“

„Sehr gut.“ Zufrieden nickte Picard. Für den Augenblick reichten ihm diese Informationen, denn er hatte nicht die Absicht, die Brücke zu übernehmen. „Ich bin in meinem Raum.“ Er wandte sich um und betrat sein angrenzendes Büro. Als Captain hätte er es im Prinzip nicht nötig gehabt, sich überhaupt auf der Brücke sehen zu lassen. Solange alles funktionierte, konnte er kommen und gehen, wann immer er wollte. Wenn aber eine Krise auftrat, hatte er vor Ort zu sein – egal, wann sie auftrat, egal, wie lange sie dauerte.

Dennoch folgte er dem normalen Rhythmus der Alpha-Schicht, weil dies den Kontakt zur Crew verbesserte.

An seinem elegant-kleinformatigen Tischdisplay rief er die Daten des Trealor-Systems auf. Möglicherweise verbarg sich eine Information darin, die später nützlich sein würde. Wie sich jedoch herausstellte, war ihm das meiste davon bereits bekannt.

Trealor II war eine sogenannte moderne Kolonie. Klassische Kolonien wurden meist in der frühen Phase der Expansion einer Zivilisation ins All gegründet. Die Kolonisten gehörten alle dem gleichen Volk an oder entstammten sogar nur einer Teilmenge eines Volkes, welche sich von dessen Rest abhob oder abheben wollte. Selbst heute wurden manchmal noch Kolonien dieser Art gegründet, weshalb der Begriff der modernen Kolonie nicht wörtlich zu nehmen war. Unter diesem Begriff verstand man Welten, welche von Bürgern der Föderation aus den unterschiedlichsten Völkern gemeinsam besiedelt wurden.

Oftmals wurden die Heimatwelten der Mitgliedsplaneten der Föderation als deren Herz bezeichnet. Bei dem Gedanken an die diversen modernen Kolonien bezweifelte Picard regelmäßig die Gültigkeit dieser Aussage. Denn wie auf den Schiffen der Sternenflotte waren die Ideale der Föderation von der friedlichen Kooperation der Völker dort nicht nur in den Köpfen der Leute vorhanden, sondern auch wirklich zu sehen.

Der Signalton der Tür erklang. Picard rief „Herein“ und deaktivierte mit einem Knopfdruck das Display.

Lieutenant Worf trat ein.

Er trug keinen Bart mehr.

Glattrasiert wie er war, blieb er in der Mitte des Raumes stehen und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Bei einem Mann, bei dem Picard regelmäßig befürchtete, dass der dünne Stoff der Uniform über dessen mächtigem Körper irgendwann einfach zerreißen würde, sah das irgendwie erheiternd aus.

Picard interessierte sich nicht für die Änderung in Worfs Erscheinungsbild. Die Tatsache, dass dieser sich dabei unwohl fühlte, erregte dennoch seine Aufmerksamkeit. Für einen Klingonen war ein Bart ein Symbol für Männlichkeit und großen Mut. Es wunderte Picard, dass Worf darauf verzichtete.

Aufgrund seiner anfänglichen Gleichgültigkeit fiel es ihm jedoch nicht schwer, diese Überlegungen aus seiner Mimik herauszuhalten. Ohne Worf ungewöhnlich lange anzustarren wies er mit der Hand auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. „Mr. Worf. Setzen Sie sich.“

Steif kam Worf der Aufforderung nach. „Der Bericht, um den Sie gebeten hatten.“ Mit diesen Worten reichte er ihm ein PADD. Da sie sich nahe der romulanischen Grenze befanden, hatte Picard einen taktischen Bericht von ihm angefordert.

An Bord eines Schiffes der Galaxy-Klasse wurden vermutlich ständig irgendwo Berichte geschrieben und gelesen. Die meisten davon wurden einfach vom Computer des Schiffes an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Im Gegensatz zu Routineberichten legte Picard allerdings bei von ihm selbst ausgesprochenen Anforderungen Wert darauf, dass die entsprechenden Unterlagen persönlich überbracht wurden. Berichte dieser Art kosteten den Betreffenden Zeit, erforderten aber nicht unbedingt eine Antwort seinerseits. Wenn er den Bericht persönlich entgegen nahm würdigte er ein wenig die zugrundeliegende Arbeit, denn die Mannschaft sah mit eigenen Augen, dass der Bericht sein Ziel erreichte und ihre Arbeit geschätzt wurde.

Picard nahm den flachen Computer entgegen und warf einen flüchtigen Blick darauf.

„Die Leistung der oberen Hauptphaserphalanx hat nach den Modifikationen von Commander LaForge an den EPS-Leitungen um drei Prozent zugenommen“, fasste Worf zusammen. Es war ein Detail, das für sich genommen nicht so wichtig war wie der Umstand, dass es die Sorgfalt seiner Crew belegte. „Die Torpedomagazine sind vollständig.“

Bei der letzten Bemerkung suchte Picard nach Anzeichen des Bedauerns in Worfs Stimme. Dass die Torpedos vollständig waren, bedeutete, dass es seit ihrem letzten Besuch auf einer entsprechend bestückten Sternenbasis zu keinem Kampf gekommen war. Picard machte genau dieser Umstand stolz, es lauerten eben doch keine bewaffneten Konflikte hinter jeder Sonne. Doch auch Worf schien zufrieden. Er fand im Kräftemessen eines Kampfes Freude, aber suchte den Kampf nicht zwingend. Stattdessen fand er Befriedigung darin, seine Pflicht ausgezeichnet erfüllen zu können.

„Ich danke Ihnen“, erwiderte Picard.

Für einen kurzen Moment flackerte Misstrauen in Worfs Augen auf, als erwarte er abschließend doch noch eine Bemerkung bezüglich seines fehlenden Barts. Doch Picard hatte nicht die Absicht, den Klingonen in Verlegenheit zu bringen.

Worf erhob sich, grüßte und verließ den Raum wieder.

 

*  *  *

 

Picard war noch mit dem Studium des Berichts beschäftigt, als sein Kommunikator ein Signal von sich gab und Worfs Stimme daraus hervordrang. „Captain, wir erhalten eine Nachricht von Trealor II.“

Picard nahm die Augen vom PADD und tippte auf seinen Kommunikator. „Ich bin schon unterwegs“, sagte er und begab sich zur Brücke. Dort wandte er sich Fähnrich Gates zu. Die dunkelhäutige Frau besetzte die Navigationskontrollen. Dabei streifte sein Blick für einen Moment Riker, der seinen Dienst ebenfalls mit der Tagesschicht angetreten hatte. Über irgendetwas irritiert, wandte er sich unwillkürlich noch einmal seinem ersten Offizier zu. Picard stellte fest, in ein weiteres, glattrasiertes Gesicht zu schauen.

Riker grinste ihn an. Vermutlich weniger aus Stolz über sein neues, „altes“ Aussehen, sondern vielmehr, weil er die Überraschung genoss, die sich nun doch auf Picards Zügen widerspiegelte.

Picard hielt dem Blick einen Moment stand. Er musste gestehen, dass er so langsam doch neugierig wurde, was hier gespielt wurde. Dann wandte er sich in Richtung Gates.

„Fähnrich – wann werden wir Trealor II erreichen?“

Die menschliche Frau blickte auf ihre Anzeigen und erwiderte prompt: „In etwa 32 Minuten.“

Offenbar hatte es auf Trealor II jemand eilig, sonst hätte man sie erst gerufen, wenn sie vor Ort gewesen wären. „Auf den Schirm“, befahl Picard schließlich in Worfs Richtung.

An der Vorderfront der Brücke wurden die streifenziehenden Sterne vom dreidimensionalen Abbild eines Abdianers ersetzt. Es handelte sich um Administrator Ceda, mit dem Picard gestern schon gesprochen hatte.

Die Abdianer waren ein langjähriges, aber nur wenig bekanntes Volk der Föderation. Sie waren humanoid, zeichneten sich aber durch ungewöhnliche Proportionen aus. So war der schwarze Kopf von Ceda beispielsweise außergewöhnlich niedrig. Dies war keineswegs nur eine optische Täuschung aufgrund des Umstandes, dass seine Augen so weit auseinanderstanden und sein Schädel so breit war, sondern lag daran, dass letzterer tatsächlich nur etwa halb so hoch wie der eines Menschen war.

„Captain Picard“, begann Ceda mit tiefer, durchaus angenehmer Stimme zu sprechen, „ich grüße Sie.“

„Administrator“, grüßte Picard mit einem Nicken zurück.

„Mir wurden soeben neue Daten vorgelegt“, kam das Regierungsoberhaupt der Kolonie zur Sache. „Verglichen mit den ersten durchgeführten Messungen ist der Durchmesser unserer Sonne um 0,68 Prozent gestiegen!“, fuhr er ihn an. „Wissen Sie wieviel das in Kilometern ist?!“

Picard ignorierte den sachlichen Teil der Frage und setzte zu einer beruhigenden Erwiderung an, als er schon unterbrochen wurde. „Ich verlange, dass Sie sofort nach Ihrem Eintreffen mit den Untersuchungen beginnen. Außerdem werden Sie uns stündlich über Ihre Fortschritte auf dem Laufenden halten.“

Ärger begann in Picard hochzusteigen. Er war hier, um diesen Leuten zu helfen. Dazu brauchte er keine Gesetze der Föderation und schon gar keine Befehle der Sternenflotte, es war selbstverständlich, und er war gerne hier. Ein etwas zuvorkommenderes Verhalten hätte er sich dennoch gewünscht. „Administrator“, wiegelte er ab. „Ich versichere Ihnen, dass wir Sie aufklären werden, sobald es etwas gibt, das für Sie von Bedeutung sein könnte.“

Doch sein Gegenüber ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Wir haben uns hier angesiedelt, weil man uns sagte, dass es hier sicher wäre.“ Seine Augäpfel nahmen einen tiefroten Ton an und quollen ein Stück aus ihren Höhlen. Es war ein angeborener Einschüchterungsreflex, der durchaus beeindruckend war, den ein Abdianer aber ebenso wenig beeinflussen konnte, wie ein Mensch verhindern konnte zu erröten oder zu erbleichen.

Trotz der harschen Erwiderung bedauerte Picards seine anfänglichen Worte. Der Mann hatte Angst, vermutlich wie viele andere auf dieser Welt. Nicht nur um ihr Leben, sondern auch um die Früchte der Arbeit, die sie seit Bestehen der Kolonie leisteten. Das war keineswegs ungewöhnlich.

„Eine Sonne ist ein ausgesprochen komplexes Gebilde“, antwortete Picard schließlich in einem sehr beruhigenden Ton. „Es gibt immer noch eine Reihe von Dingen, die wir daran nicht verstehen. Auch wenn das Verhalten Ihres Sterns ungewöhnlich ist, heißt das noch lange nicht, dass sich daraus eine Bedrohung für Sie ergibt.“

„Ist dies Ihre Meinung als Solarphysiker?“, schnappte Ceda sarkastisch.

Einen Moment dachte Picard daran, dass er ohne weiteres mit „Ja“ antworten könnte. Ceda hatte sich sicher nicht über Picards persönlichen Hintergrund informiert und würde ihm einfach glauben müssen. Doch ein solches Verhalten hätte bedeutet, dass er den Administrator und die Bewohner der Kolonie nicht respektierte und das tat er.

„Es ist meine Meinung als Forscher“, erwiderte er ruhig.

Ceda starrte ihn nach diesem Ausbruch an Weisheit einen Moment nachdenklich an. „Ich erwarte Ihren Bericht“, sagte er bevor er die Verbindung trennte. Diesmal war die Bemerkung bar jeder Schärfe.

 

*  *  *

 

Es war siebzehn Uhr dreißig, die Führungsoffiziere hatten sich in der Beobachtungslounge versammelt. Seit der Ankunft der Enterprise im Trealor-System hatte sich die astrophysikalische Abteilung des Schiffes mit dem anstehenden Problem auseinander gesetzt und innerhalb nicht einmal eines Tages gelöst.

Picard wusste, dass sich seine Astrophysik in jeder Hinsicht mit den meisten der auf diesem Gebiet führenden universitären Institute messen konnte. Für Raumschiffe der Galaxy-Klasse war dieser Umstand nichts Ungewöhnliches. Dennoch machte es ihn stolz, wenn er sah, was seine Crew leisten konnte.

Data war derjenige, der die Ergebnisse vortrug. Wie Picard wusste, hatte Data nach Ende der Nachtschicht seinen Dienst nicht beendet, wie es ihm zugestanden hätte und wie er es unter normalen Umständen auch tat. Stattdessen hatte er die laufenden Untersuchungen koordiniert. Entsprechend würde ein Teil seiner Ausführungen auf seiner eigenen Arbeit beruhen, der Rest jedoch stammte von den Wissenschaftlern der astrophysikalischen Abteilung. Da Picard einige der Berichte kannte, welche stündlich in Richtung Kolonie geschickt worden waren, würde ihm ein Teil dessen keineswegs neu sein. Das Bild, welches sich ihm allerdings bisher bot, war unvollständig und keineswegs befriedigend, was sich aber vermutlich bald ändern würde.

„Wir haben den Grund für das auffällige Verhalten des Sterns gefunden“, eröffnete Data den anwesenden Offizieren. „Sein Energiehaushalt ist nicht ausgeglichen. Jeder Stern erzeugt Energie über Kernfusion, welche dann verschiedene Prozesse antreibt, beispielsweise die Aufrechterhaltung der hohen Temperaturen in seinem Inneren oder die Abstrahlung elektromagnetischer Strahlung. Bei der Sonne des Trealor-Systems geht ein Teil dieser Energie nicht mehr in die üblichen Prozesse ein.“

„Soll das heißen, die Energie verschwindet einfach?“, warf Riker ungläubig, fast ein wenig verärgert ein. Energie löste sich schließlich nicht einfach in Luft auf.

„Dies ist definitiv nicht der Fall“, erwiderte Data ungerührt. „Es war allerdings ein integraler Bestandteil unserer Untersuchungen herauszufinden, wo die Energie hinfließt.“ Er rollte mit seinem Sessel ein Stück zurück und ging an den Bildschirm am Stirnende des Raumes. Picard schwenkte herum, um einen Blick darauf werfen zu können. Eine Eingabe am Bedienfeld neben dem Display ließ dieses aufleuchten.

„Diese Aufnahme basiert auf den Daten des tomographischen Bildscanners des Schiffes“, erläuterte Data. Das Bild zeigte Schalen und Strukturen im Inneren des Sterns. An der linken Seite verließ ein Strahl den Stern und weitete sich dabei allmählich auf. „Wie Sie sehen können, gelangt die Energie in den Subraum und wird von dort abgestrahlt.“ Er tippte erneut auf das Bedienfeld. Der Stern schrumpfte zu einem kleinen Punkt und der Strahl wurde durch eine gestrichelte Linie ersetzt. In dieser Darstellung war zu erkennen, dass der Strahl sich nicht konstant aufweitete, sondern sich nach Erreichen seiner dicksten Stelle wieder verengte. „Es ist uns ebenfalls gelungen, zu berechnen, wo dieser Strahl endet. Trotz der Ungenauigkeiten dieser Methode ist das in Frage kommende Zielgebiet ausgesprochen klein und wird von genau einem Sonnensystem eingenommen.“

Die Aussage war ungeheuerlich. Es dauerte einen Moment, bis Picard sie akzeptiert hatte. Der Stille nach zu urteilen, die sich im Konferenzraum ausbreitete, ging es seinen Führungsoffizieren nicht anders. Data bildete da die einzige Ausnahme. Nach einer kurzen Pause, die er vermutlich nur einräumte, um klarzumachen, dass er sein erstes Thema nun abgeschlossen hatte, setzte er unbeeindruckt an, mit seinen Ausführungen fortzufahren.

„Verstehe ich Sie richtig, Data“, unterbrach Picard ihn. Er sprach dabei langsam und bedächtig. „Dass jemand dieser Sonne ihre Energie entzieht?“

„Jemand oder etwas, Sir. Es ist nicht bewiesen, dass es sich um ein künstliches Phänomen handelt.“

„Aber wenn es künstlich ist“, warf Worf dumpf ein, „dann handelt es sich um eine Waffe.“

Data legte den Kopf schief. „Möglicherweise“, räumte er ein.

„Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen“, mahnte Picard mit besänftigend erhobener Hand. „Gibt es irgendein Volk, von dem bekannt wäre, dass es über eine solche Technologie verfügt?“

„Nein, Sir“, erwiderte Data prompt. „Dies liegt jenseits von allem, das für die uns bekannten Zivilisationen machbar wäre.“

„Mmh“, machte Picard, während Data sich wieder setzte. „Was für Auswirkungen wird der Energieentzug auf Trealor II haben?“, fragte er dann, den beunruhigenden Gedanken im Hinterkopf, es mit der Waffe einer Macht zu tun haben zu können, für die sie alle nur Steinzeitmenschen waren.

„Unseren Simulationen zufolge wird der Stern in einigen Jahrzehnten einen neuen Gleichgewichtszustand erreichen. Danach wird er wieder stabile Bedingungen liefern, bis er voraussichtlich in einigen zehntausend Jahren ein abruptes Ende finden wird. Bis sich das neue Gleichgewicht eingestellt hat, wird sich seine Strahlung allerdings zeitweise auf ein Maß erhöhen, welches Leben auf Trealor II unmöglich macht.“

Die sachlichen Worte des Androiden hingen in der Luft, weil sie der Schwere der ihnen zugrunde liegenden Aussage einfach nicht gerecht wurden.

„Es wird allerdings noch 8,7 Jahre dauern, bis eine Gefahr für die Bevölkerung entsteht“, fuhr Data fort. „Daher wird es genügend Zeit für eine Evakuierung geben.“

Noch immer dauerte die Stille an. Picard sah in die Gesichter seiner Offiziere. Sie zeigten Unglauben und Entsetzen, Nachdenklichkeit und Gelassenheit, Wut und Tatendrang. Sein Blick blieb an Riker haften. Dieser rutschte in seinem Sessel ein Stück umher, die Miene ernst und entschlossen. Vermutlich dachten die meisten so wie er.

Und so dachte auch Picard. „Dies wird nicht notwendig werden, wenn wir es verhindern können“, sagte er schlicht. Dann straffte er sich und gab Befehle. Er würde noch einmal mit Ceda sprechen – und er wollte von Data, dass er der Navigation die Position des ominösen Sonnensystems übermittelte, zu dem die Energie floss.

Sie würden dort einmal nach dem Rechten sehen.

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