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Fünf Abschiede und ein Neubeginn

von VGer

JENNY

JENNY

Der Heimaturlaub ist zu Ende, bevor er richtig begonnen hat. Insgeheim bin ich erleichtert, während ich einen nach dem anderen umarme. Mum. Dad. Nan. George. Nuria, Georges Frau (ich sollte Schwester zu ihr sagen, wie es üblich und höflich ist, doch irgendetwas in mir sträubt sich dagegen). Sie alle sind gekommen, um uns zu verabschieden, und alle haben noch etwas zu sagen.

Nan kritisiert einmal wieder mit anklagender Stimme, dass wir noch nicht zum Captain befördert wurden. Sie ist 84 Jahre alt und hat unsere Heimatwelt, einen klitzekleinen Kolonieplaneten im Alpha-Centauri-System, noch nie verlassen. Ihre Vorstellung von unendlichen Weiten ist einer der seltenen Besuche in der Hauptstadt auf der südlichen Hemisphäre, wo ihr jüngster Sohn, unser Onkel Malcolm, mit seiner Familie lebt. Woher soll sie also wissen, wie die Sternenflotte funktioniert? Kaum ein Fähnrich wird gleich nach dem ersten Dienstjahr befördert, und dass man als stellarkartographische Analytikerin jemals ein Kommando zugesprochen bekommt ist noch unwahrscheinlicher. Dennoch, es ist schwierig sich keine Schuldgefühle einreden zu lassen, wenn Nan so beharrlich und enttäuscht klingt. In ihrem begrenzten Weltbild sind wir, Jennifer und Meghan Delaney von Alpha Centauri, selbstverständlich die besten Astronauten seit Zefram Cochrane. Ich bin gerührt.

Über Dads Wangen kullern dicke Tränen, ich umarme ihn und er will mich nicht mehr loslassen. Er ist ein Kolonist aus einer langen Reihe von Kolonisten (Nans Nan, unsere Ururgroßmutter also, gehörte zu den Menschen, die mit der ersten Expedition von der Erde hier angekommen sind, doch seither ist der Abenteuergeist unserer Vorfahren einer ebenso stationären wie störrischen Heimatverbundenheit gewichen); er hat nie verstanden warum es seine beiden Töchter zu den Sternen zieht, wo es doch hier so schön ist. Ginge es nach ihm, würden wir fruchtbare Landwirtschaften verwalten und große Familien gründen, so wie gute alphacentaurische Kolonisten es seit Jahrhunderten eben tun. Er würde sich auch dann darüber beklagen, dass wir ihn verlassen hätten, hätten wir uns nur in der Nachbarprovinz oder auf einem anderen Kontinent oder – mögen die Zentauren unseren Seelen gnädig sein! – auf Selene, dem terraformierten Trabanten unserer Heimatwelt, niedergelassen. Er ist trotzdem stolz auf uns, so viel ist sicher, obwohl er es nicht sagt.

George boxt mir in die Rippen und macht einen anzüglichen Kommentar über all die exotischen, attraktiven Aliens, die wir noch kennen lernen werden. Als er mit dröhnendem Lachen von Abenteuern und Erstkontakten spricht, meint er ganz bestimmt nicht stellare Phänomene und pangalaktische Diplomatie. Er ist der große Bruder, zu dem wir immer aufgesehen haben, inzwischen frage ich mich wieso. Er ist fünfeinhalb Jahre älter als Meghan und ich, doch insgeheim habe ich immer vermutet, dass seine Entwicklung an seinem fünfzehnten Geburtstag steckengeblieben ist, danach ist nur noch sein Bart gewachsen.

Nuria rollt mit den Augen, gönnerhaft und etwas angewidert, doch so ist George eben, das wusste sie schon bevor sie ihn geheiratet hat und ich weiß es schon mein ganzes Leben lang. Für einen Moment nur ist sie mir sympathischer als je zuvor, und als ich mich von ihr verabschiede schenke ich ihr ein solidarisches Lächeln.

Mum wünscht uns viel Erfolg – Erfolg, nicht Glück, denn Glück ist für die Dummen, die sich auf Zufälle verlassen müssen statt auf ihre Fähigkeiten. Sie war immer schon die ruhige, kühle Stimme der Vernunft in dieser Familie. Ich bin erleichtert, und dankbar für ihr Vertrauen. Sie lächelt tapfer und drückt uns an sich, doch anders als Dad will sie uns nicht mit aller Kraft festhalten, dann küsst sie uns beide zum Abschied auf die Stirn. Sie ist eine ungebildete aber kluge Frau, in einem anderen Leben wäre sie vielleicht Wissenschaftlerin geworden wie wir.

Wir steigen in ein Shuttle, das uns zum Raumhafen auf dem Zentralplaneten Centauri VII bringt, dort steigen wir um in ein größeres Shuttle, das uns ins benachbarte Sol-System bringt, und dort, in Utopia Planitia auf dem Mars, betreten wir die Voyager. Ich interessiere mich nicht für Raumschiffe und ihre technischen Spezifikationen, ich interessiere mich für Sterne und Raumanomalien, aber ich bin trotzdem ziemlich stolz, dass wir für diesen Posten ausgewählt wurden und fortan auf einem der modernsten Raumschiffe der Flotte Dienst tun werden.

Der Flug dauert nur ein paar Stunden, Meghan sagt die ganze Zeit über nichts. Sie muss auch nichts sagen, ich weiß was sie denkt, denn ich denke dasselbe. Nicht, weil wir irgendeine dubiose telepathische Verbindung zueinander hätten, wie sie Zwillingen oft nachgesagt wird, sondern weil wir beide diese Familie einfach gut genug kennen. Wir freuen uns jedes Mal, wenn wir heimkommen, und wir freuen uns noch mehr, wenn wir wieder abreisen. Ich nehme ihre Hand und halte sie fest.

Der Gravitonimpuls der tetryonischen Verlagerungswelle trifft uns bevor wir wissen was geschieht, schleudert unser Schiff quer durch die Galaxie, schleudert mich gegen das Schott. Was auf der Brücke vor sich geht, das weiß ich nicht, ich spüre nur die Auswirkungen, ohne genau zu wissen, was überhaupt passiert. Als die Stabilisatoren wieder greifen, liege ich bäuchlings und schmerzverzerrt über einer Konsole und sehe Sterne. Ich bin gut darin, Sterne zu sehen, doch üblicherweise sind die draußen im All, wo sie hingehören, und nicht direkt vor meinen Augen. Ich brauche ein paar Sekunden, die genauso gut auch Stunden sein könnten, um mich zu orientieren. Wir hatten einen Shuttleunfall, als George sich eingebildet hat Zefram Cochrane zu sein nur weil er gerade den Basisflugschein gemacht hat; er ist waghalsig tief geflogen und viel zu schnell außerdem, wir haben ein paar Bäume entlang der Hügelketten gestreift und sind abgestürzt. Ich erinnere mich noch genau, erinnere mich daran wie Meghan mit George schimpft weil er so leichtsinnig ist (er hört nicht auf sie, mal ehrlich, welcher Sechzehnjährige hört schon auf seine dumme kleine Schwester?), und an die verschwommen besorgten Gesichter von Mum und Dad und Nan, als ich viel später im Hospital erwache. Ich reibe mir die Augen, sehe mich blinzelnd um, und dann wird mir klar, dass ich weit weg von zuhause bin und auch nicht mehr elf Jahre alt.

Ich schmecke Blut und Säure in meinem Mund, ich schlucke den Brechreiz herunter und halte mich an der Konsole fest, weil ich sonst nicht aufrecht stehen könnte. Ich schiele, sehe alles um mich herum doppelt, und dann weiß ich plötzlich wieder wo ich bin. Wobei … nein, ich weiß nicht wirklich wo ich bin, ich weiß nur wer ich bin. Ich bin Fähnrich Jenny Delaney auf dem Raumschiff Mitchell … nein, da war ja was … auf dem Raumschiff Voyager, die Maria Mitchell war unser letzter Posten, jetzt sind wir auf der Voyager. Ich bin eine Analytikerin in der Stellarkartographie, deshalb sollte ich wissen wo ich bin. Das ist es schließlich, was wir tun, wir finden uns zurecht.

Ich stolpere fast über Lieutenant Tolaris, meinen Vorgesetzten. Vermutlich war es die Kante einer Computerkonsole, die ihm den Kopf entzwei geschlagen hat als die Turbulenzen begannen. Ich starre auf seine Leiche, ich habe noch nie eine Leiche gesehen (außer in Holoromanen, aber das ist etwas ganz anderes!). Mir wird wieder übel, dann wird mir bewusst, dass ich mitten in den Überresten seines Gehirns stehe und auch, dass ich jetzt die Dienstälteste hier bin und die Verantwortung trage.

„Bericht!“

Ich brülle einen verzweifelten Befehl, ohne zu wissen, ob überhaupt noch jemand hier ist, dem ich etwas befehlen kann. Wir sind schließlich nur zu dritt in der Stellarkartographie, so sieht es der Dienstplan vor: zwei Analytiker und ein Sensortechniker. Lieutenant Tolaris ist tot, ich kann mich gerade einmal so auf den Beinen halten, aber da war noch jemand, ganz bestimmt. Ein Crewman, ich erinnere mich nicht an ihren Namen, doch ich erinnere mich daran, dass ich genervt war, weil sie mir gleich ihre halbe Lebensgeschichte erzählen wollte, als ich sie bei Dienstbeginn nach ihrem Namen gefragt habe.

Ich höre eine Stimme, sie kommt eindeutig über das schiffsinterne Kommunikationssystem, begleitet von einem charakteristischen Piepsen. Ich will den Ruf quittieren, hebe automatisch den Arm um meinen Kommunikator zu berühren, doch der schnalzende Schmerz hält mich zurück. Irgendetwas ist mit meinem Arm passiert, ich weiß nicht was, doch die Stimme gehört Harry Kim. Gestern habe ich ihn kennen gelernt, er ist ein oder zwei Jahre jünger als ich, und auf eine unschuldige Weise niedlich. Meghan hat mit den Augen gerollt, weil sich mich zu gut kennt.

Ich ignoriere den Schmerz so gut ich kann, konzentriere mich nur auf die Stimme. Ich fühle meine Knie nachgeben, fühle das Adrenalin durch meine Adern pumpen, nur das hält mich aufrecht.

Er will wissen, wo wir sind. Captain Janeway will wissen, wo wir sind. Ich weiß es nicht, und die Anzeigen flimmern mir höhnisch entgegen, keine einzige Sternenkarte will noch Sinn ergeben. Ich weiß nicht, ob es am Computer liegt oder an mir.

Etwas Warmes und Klebriges läuft mir über die Brust, ich weiß nicht was es ist und woher es plötzlich kommt, ich sehe an mir herunter. Als Wissenschaftsoffizier trage ich eine Uniform mit türkisblauen Schultern, doch jetzt ist sie rot, besudelt mit meinem eigenen Blut. Ich weiß nicht, woher es kommt. Mir wird heiß und kalt gleichzeitig, ich wische mir über die Stirn, und als ich meine unverletzte Hand ansehe, ist sie blutig. Mein Kopf surrt und mir wird wieder übel, diesmal kann ich es nicht zurückhalten.

Ich denke an Mum und Dad und Nan und George und Meg, bevor es endgültig schwarz vor meinen Augen wird. Die Uniform eines Captains ist rot, Nan. Meine Uniform ist rot.
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