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Mitten ins Herz

von Emony

Kapitel 1

„Eingehender Anruf“, verkündete die geschlechtslose Computerstimme und veranlasste Jim Kirk von dem halben Duzend PADDs aufzusehen, die verstreut vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.

„Durchstellen“, wies er den Computer an und rechnete damit, erneut von seiner Mutter zu hören, die ihn in geradezu nerviger Regelmäßigkeit anrief. Er wollte ihr schon sagen, dass er nicht viel Zeit für ein Gespräch habe, da er auf eine Zwischenprüfung lernen musste, als eine fremde Stimme erklang.

„Hallo“, sagte die Stimme und klang unsicher.

Es war eine zarte Stimme, eine Kinderstimme, daran bestand für Jim kein Zweifel. „Hallo“, grüßte er schlicht zurück.

„Kann ich bitte mit äh … mit meiner Ma sprechen?“

Er konnte die Südstaaten des Landes deutlich aus dem Dialekt hören. „Du musst dich verwählt haben. Deine Ma ist nicht bei mir.“ Und Jim hoffte inständig, dass die Frau, die er letzte Woche in einer Bar kennengelernt hatte, nicht die Mutter dieses Kindes war.

„Sicher?“

Jim schmunzelte leicht. „Ja, ganz sicher. Tut mir leid.“ Er wühlte abwesend durch seine PADDs und fand schließlich, wonach er gesucht hatte. „Hör mal, ich muss lernen. Tut mir leid, dass ich dir nicht weiterhelfen konnte. Bye.“

„Bye“, hörte er die Kinderstimme traurig erwidern, dann wurde das Gespräch unterbrochen.

„Computer“, sagte Jim weiterhin gedankenverloren und überflog das PADD in seiner Hand zu ‚Taktische Manöver für Einsteiger‘, „nenne mir die Herkunft des eben eingegangenen Anrufs.“

„Befehl nicht ausführbar.“

„Warum?“ Jim stutzte und ließ das PADD sinken.

„Die Gesprächsdauer hat die dafür benötigte Länge nicht erreicht.“

„Verdammt.“

„Frage bitte neu formulieren.“

Jim verdrehte die Augen. „Nichts für ungut“, sagte Jim mehr zu sich selbst als zum Computer. Ein leises Piepen erklang und ließ ihn wissen, dass der Computer in Standby gegangen war. Er schüttelte den Kopf über den Anruf, war froh, dass es doch nicht seine Mutter gewesen war und konzentrierte sich wieder auf seine Literatur.

***

Sein verschwitztes T-Shirt klebte klamm an seinem Körper, als Jim einige Tage später vom Nahkampftraining für Fortgeschrittene in sein Quartier zurückkehrte. Er hatte sich schon halb ausgezogen, um unter der Schalldusche zu verschwinden, als der Computer zum Leben erwachte.

„Eingehender Anruf.“

„Meine Mutter?“, fragte Jim und verdrehte bereits die Augen. Er hatte doch erst gestern mit ihr gesprochen. Was konnte sie jetzt schon wieder von ihm wollen?

„Negativ.“

„Durchstellen.“ Jim schlüpfte aus seinen Trainingshosen. Er war froh, dass für Kadetten in den Quartieren noch keine audiovisuellen Computer installiert waren, schließlich stand er lediglich in Unterhosen da.

„Hallo“, kam es schüchtern aus den Lautsprechern.

Jim erkannte die Kinderstimme von letzter Woche sofort wieder. „Hör mal, du hast immer noch die falsche Nummer. Ich bin an der Sternenflotten-Akademie. Und deine Ma wohnt ganz gewiss nicht hier bei mir.“

Das Kind fing an zu weinen.

Jim erschrak ob der heftigen Reaktion auf seine Worte, befeuchtete sich nervös die Lippen und kratzte sich dann an der Augenbraue. „Es tut mir leid“, entschuldigte er sich für seinen ruppigen Ton. „Wenn du versuchst deine Ma zu erreichen, wo ist denn dein Pa?“

„Der schläft gerade“, erwiderte das Kind schluchzend.

Jim fragte sich, wer mitten am Tag schlief. Vielleicht war der Vater des Kindes ja krank. Das Kind konnte auch in einer anderen Zeitzone leben, vielleicht nicht mal im selben Land oder auf dem Planeten. „Kannst du ihn nicht aufwecken? Sicher hilft er dir, deine Ma anzurufen, wenn du ihn lieb bittest.“

Das Weinen nahm wieder zu.

„Hey, komm schon, beruhige dich“, bat Jim, dem es das Herz brach. „Wie heißt du?“ Inzwischen war er sich ziemlich sicher, es mit einem Mädchen zu tun zu haben. Die Stimme war zu weich und hell für einen Jungen.

„Das darf ich nicht sagen. Pa hat mir verboten mit Fremden zu reden.“ Das Kind schniefte leise.

Jim lächelte ob des Widerspruchs. „Aber du redest doch schon mit mir und ich bin ein Fremder.“ Das Kind erwiderte darauf nichts. „Warum gehst du jetzt nicht und weckst deinen Pa auf. Sag ihm, du vermisst deine Ma und möchtest gerne mit ihr sprechen.“

Erneut fing das Kind an zu weinen.

„Ssscht, Kleines“, bat Jim und fühlte sich ein wenig ratlos, was er mit dem Kind tun sollte. „Kannst du deinen Pa herholen, damit ich mit ihm sprechen kann?“

„Das Gespräch wurde unterbrochen“, verkündete die Computerstimme.

Jim fuhr sich fahrig durchs Haar. „Computer, nenne mir die Herkunft des Anrufs.“

„San Francisco, 1612 Church Street“, kam die prompte Antwort und er war froh, dass das Gespräch diesmal offenbar lange genug gewesen war.

Immerhin hatte er jetzt die Adresse. Jim war sich zwar noch nicht sicher, was genau er damit anstellen würde, aber er fühlte sich mit der erhaltenen Information zufrieden. Der Computer ging in Standby und Jim verschwand unter der Dusche.

***

Drei Tage später hatte Jim dasselbe Kind in der Leitung. Diesmal war der Anruf eingegangen, während er sich nach einem langen und anstrengenden Tag über sein Abendessen hermachte. Da das Kind von irgendwo in San Fran anrief, konnte er eine andere Zeitzone definitiv ausschließen.

„Hi Kleines“, grüßte er und kam dem Kind diesmal zuvor.

„Woher weißt du, dass ich es bin?“, wollte das Kind wissen und klang dabei reichlich unsicher.

„Weil ich clever bin und ich hier die Möglichkeit habe, deine Nummer zurückzuverfolgen. Daher weiß ich inzwischen wo du wohnst.“

Es herrschte Stille. Jim biss hungrig von einem Stück Pizza ab. Es vergingen einige Sekunden, aber das Kind legte widererwarten nicht auf.

„Warum rufst du mich immer wieder an?“, fragte Jim nach einer Weile. „Du weißt doch inzwischen, dass ich deine Ma nicht kenne und dir nicht weiterhelfen kann.“

Das Kind blieb ihm eine Antwort schuldig. „Ich glaube auch zu wissen, dass du ein Mädchen bist. Hab ich recht?“ Es vergingen einige lange Sekunden. Jim seufzte hörbar, leckte sich Tomatensoße und Olivenöl von den Fingern und lehnte sich dann auf seinem Bett zurück gegen die Wand. „Schläft dein Dad wieder?“

„Er ist arbeiten.“, erwiderte das Kind zögerlich. „Patricia ist da, aber die ist auf der Couch eingeschlafen.“

„Wer ist Patricia?“

„Mein Babysitter.“

Jim lachte leise. Natürlich war sie das. „Wie alt bist du, Kleines?“

„Neun.“

„Und du hast mit deinen neun Jahren nichts Besseres zu tun, als immer wieder bei mir anzurufen?“, wollte Jim amüsiert wissen. Ein Teil von ihm fand die Gespräche niedlich, ein anderer war zutiefst um das Wohl des Kindes besorgt.

Eine Antwort blieb auch diesmal aus.

„Kleines?“, hakte Jim behutsam nach.

„Ich … mag deine Stimme“, sagte sie schließlich leise.

Damit löste sie ein Lächeln auf seinen Zügen aus. „Ich mag deine Stimme auch. Aber ich finde es schade, dass du deinen Namen nicht sagen willst. Soll ich dir zuerst meinen verraten?“

„Ja.“

„Ich bin Jim“, sagte er daraufhin und hoffte vertrauenerweckend zu klingen. Wenn er mehr über die Kleine erfuhr, war es ihm vielleicht irgendwie möglich, ihr zu helfen.

„Mein Name ist Joanna.“

„Hallo, Joanna“, schmunzelte Jim.

„Hallo, Jim.“ Sie hörte sich entspannter, gar ein wenig fröhlicher an, fand er.

„Joanna, möchtest du, dass ich mal mit deinem Pa rede? Ich habe den Eindruck, du fühlst dich einsam und rufst deshalb immer wieder hier bei mir an.“ Erneut blieb sie ihm eine Antwort schuldig. „Was macht dein Pa von Beruf?“, fragte Jim daher, um das Gespräch in Gang zu halten.

„Das sage ich dir lieber nicht.“

Bevor Jim die Gelegenheit bekam, Joanna eine weitere Frage zu stellen, erklang sein Türsummer. „Joanna, bleib mal dran. Da ist jemand an der Tür.“ Jim öffnete die Tür und fand sich seinem Kumpel gegenüber. „Hey Gary.“

„Hi Jim. Wir ziehen um die Häuser, kommst du mit?“

„Wir?“, hakte Jim nach.

„Craig, Rob und ich“, erwiderte Gary und nickte Richtung Korridor. „Was ist, kommst du?“

„Gib mir eine Sekunde“, nickte Jim und öffnete wieder den Kanal zu Joanna. „Hör mal, ein paar Freunde sind gerade gekommen, um mich abzuholen. Ich muss jetzt auflegen. Bin sicher wir hören uns wieder.“ Damit beendete er das Gespräch und wandte sich Gary zu. „Wir können los.“

„Wer war das?“, erkundigte sich Gary neugierig.

„Ein Mädchen“, erwiderte Jim wahrheitsgemäß, zog sich rasch eine zivile Jacke an und schnappte sich noch ein Stück Pizza, das er unterwegs verdrücken würde. „Sie ruft mich seit ein paar Tagen immer wieder an.“

„Hast du eine Stalkerin?“, feixte Gary und boxte Jim neckend gegen den Oberarm.

„Könnte man so sagen, schätze ich. Aber sie ist harmlos.“ Jim zuckte die Schultern. Zu seiner eigenen Überraschung bekam er Joanna jedoch den ganzen Abend über nicht mehr aus dem Kopf. Dafür wuchs ein schlechtes Gewissen in ihm heran, weil er so unsensibel gewesen war und den Anruf einfach abgewürgt hatte.

***

Die Wochen an der Akademie zogen rasch dahin. Jim hatte angefangen sich Notizen zu Joannas Anrufen zu machen und sich sowohl das Datum als auch die Uhrzeit, sowie die Dauer der jeweiligen Gespräche rauszuschreiben.

Seit bald zwei Monaten ging das jetzt schon so, dass Joanna ihn ein bis zwei Mal in der Woche anrief. Zwischen ihnen hatte sich so etwas wie Freundschaft entwickelt, obgleich Jim keine Ahnung hatte, wer das Mädchen tatsächlich war oder wie sie überhaupt aussah. Er hatte jedoch das Gefühl, ihr mit den Gesprächen ein wenig die Einsamkeit zu nehmen. Sie taute in den Gesprächen zunehmend auf.

„Wie war die Schule diese Woche?“, erkundigte sich Jim an diesem Donnerstagabend. „Hat dich dieser Junge wieder geärgert?“

„Ja, hat er. Ich hab ihm dafür auf die Nase geboxt.“

Jim lachte unter vorgehaltener Hand. Schließlich sollte sie nicht wissen, dass ihn das ungeheuer amüsierte. Die Kleine hatte offenbar viel Temperament. „Als ich dir riet, dir nicht alles gefallen zu lassen, hab ich nicht gemeint, dass du ihn hauen sollst.“ Natürlich war er als Junge auch nicht anders gewesen. „Was hat dein Pa dazu gesagt?“

„Ich hab zwei Wochen Hausarrest bekommen und Mediaverbot“, schnaubte Joanna genervt.

„Theoretisch verstößt du mit diesem Anruf gegen das Verbot, das ist dir klar, oder?“ Jim konnte sich ein Schmunzeln immer noch nicht verkneifen.

„Er ist ja nicht da.“

Jim presste einen Augenblick die Lippen aufeinander und ließ sie dann mit einem Plopp wieder locker. „Dir ist offenbar nicht bewusst, dass dein Vater, wenn er sich die Mühe machen würde, anhand der Rechnung sehen könnte, wann genau welche Nummer angerufen wurde.“

Joanna schnappte erschrocken nach Luft.

„Vielleicht merkt er auch nichts“, versuchte Jim die Kleine wieder zu beruhigen. „Ist er wieder arbeiten?“

„Ja.“

„Und ist Patricia da?“

„Ja. Und ihr Freund auch. Die knutschen im Garten rum und haben gesagt, ich soll Hausaufgaben machen“, erwiderte sie hörbar genervt.

„Hat dein Pa erlaubt, dass Patty ihren Freund zu euch einlädt?“

„Der ist doch längst weg, bis Pa heim kommt.“

Jim biss sich auf die Unterlippe. Ob er Joanna sagen sollte, dass sie ihre Babysitterin theoretisch erpressen könnte, da diese offenbar gegen die Regeln ihres Arbeitgebers verstieß? Lieber nicht, entschied er. Dass Joanna einen Klassenkameraden geschlagen hatte, war schon schlimm genug.

„Willst du mir noch immer nicht sagen, was dein Pa beruflich macht? Ich könnte ja raten“, bot er an. Wenn er es wie ein Spiel gestaltete, bekam er vielleicht weitere Informationen.

„Willst du mir nicht erzählen wie deine Woche war?“, fragte Joanna stattdessen.

„Er ist offenbar jedes zweite Wochenende nicht daheim“, begann Jim und ignorierte ihren Ausweichversuch. „Es gibt Tage, da scheint er nur tagsüber fort zu sein und an anderen Tagen die Nacht über.“

Joanna schwieg sich aus.

„Er kann sich einen Babysitter leisten, vielmehr eine Tagesmutter, die dich von der Schule abholt und über Stunden zuhause hütet.“

„Mein Pa ist Doktor“, platzte es aus Joanna heraus. „Bist du jetzt zufrieden?“

Sie hörte sich beleidigt an. „Ich hatte schon sowas vermutet“, versuchte Jim sie zu beschwichtigen. „Und ja, ich bin zufrieden.“

„Warum willst du das überhaupt alles wissen?“

„Weil“, begann Jim seine Intension zu erklären, „ich versuche zu verstehen, wieso du so oft allein bist.“

„Ich bin nicht allein. Patricia ist doch da.“

Jim schnaubte leise. „Richtig. Und weil sie so gut auf dich aufpasst, bekommt sie nicht mit, dass das Kind, das sie hüten und mit dem sie sich beschäftigen sollte, inzwischen regelmäßig bei mir anruft.“

„Ich muss auflegen, Jim“, erwiderte Joanna plötzlich und klang beunruhigt.

„Rufst du mich morgen Abend wieder an?“, wollte Jim wissen. Er könnte jeder Zeit selbst bei ihr anrufen, schließlich hatte er ihre Nummer, aber dessen schien sich das Kind nicht bewusst zu sein und Jim hatte beschlossen, das Spiel vorerst nach ihren Regeln zu spielen.

„Geht nicht, da ist Pa zuhause. Bye.“

Jim nahm an, dass Patricia der Grund dafür war, dass Joanna das Gespräch plötzlich abwürgte. Vielleicht war auch einfach nur ihr Vater früher als erwartet nachhause gekommen. Sie legte auf und Jim sah noch einen Moment auf das PADD in seiner Hand, in welchem er während des Gesprächs weitere Notizen eingetragen hatte. Vielleicht, überlegte er sich, war es Zeit dem Vater des Mädchens mal die Meinung zu sagen.
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