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Mitten ins Herz

von Emony

Kapitel 2

Für einen Freitagabend, überlegte Jim, hatte er gewiss schon bessere Pläne gehabt. Er drückte seinen Daumen auf den Scanner, bezahlte somit die Taxifahrt und stieg aus dem Wagen. Das von einem Autopilot gesteuerte Taxi fuhr direkt weiter, während Jim noch mit sich rang, ob er tatsächlich das Richtige tat, oder nicht.

Er machte sich ernsthafte Sorgen um das kleine Mädchen. Schließlich hätte es sich auch versehentlich mit einem gefährlichen Irren anfreunden und in ernste Gefahr geraten können. Nach rund zwei Monaten hatte er begonnen die Kleine ins Herz zu schließen.

Und so stieg Jim beherzt die Stufen zum Eingang hinauf. Es dämmerte bereits, daher konnte Jim in einigen Fenstern Licht sehen. Wer immer hier wohnte, war auf jeden Fall daheim. Er atmete tief durch und betätigte schließlich die Klingel.

Die Tür wurde ihm von einem Mann geöffnet, der ein wenig älter als Jim selbst war. Sein dunkelbraunes Haar stand im wild vom Kopf, seine Wangen glühten zart rot und der Rest eines Lächelns war in kleinen Fältchen um seine Augen und den Mund erkennbar. Kaum, dass er seinen unerwarteten Besucher sah, erlosch jedoch das Lächeln langsam. Der Mann sah ihn erwartungsvoll an.

„Guten Abend“, grüßte Jim und versuchte sich vergeblich an die Worte zu erinnern, die er sich auf der Fahrt hierher zurecht gelegt hatte.

„Pa!“, rief aus einem der hinteren Zimmer, in die Jim keine Einsicht hatte, eine ihm inzwischen wohlbekannte Stimme. „Wer ist an der …?“

Sie kam zur Haustür, blieb neben ihrem Vater stehen und sah mit ihren grünen Augen zu Jim auf. Ihr nussbraunes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die reichlich zerzaust aussahen.

„Hi“, grüßte Joanna, nichts ahnend wer da vor der Tür stand und griff nach der Hand ihres Vaters, während sie Jim ein eher schüchternes Lächeln schenkte.

„Kann ich etwas für Sie tun?“, wollte Joannas Vater wissen. Er schenkte seiner kleinen Tochter einen zärtlichen Blick, der ihre Ungeduld zügeln sollte, als sie an seiner Hand zupfte. „Gleich, Jojo“, versprach er flüsternd.

Jim nahm die Blicke wahr, die sich Vater und Tochter zuwarfen und fand, dass das so gar nicht zu dem Bild passte, das er sich von ihrer Beziehung gemacht hatte. Er hatte ein verwahrlostes Kind erwartet, einen strengen und kalten Vater, dem sein Beruf wichtiger als die Tochter war.

„Sind Sie Doktor McCoy?“, fragte Jim nichtsdestotrotz. Für einen Moment hielt er den Blick des anderen Mannes fest, bis dieser nickte. Dann sah er hinab zu Joanna, die mit einem Mal ganz blass wurde und mit großen Augen zu ihm aufsah.

„Ganz recht“, nickte der Vater. „Leonard McCoy.“ Er hob seine rechte Augenbraue und musterte seine Tochter ernst. „Joanna, hast du mir was zu sagen?“

Sie schüttelte kreidebleich den Kopf, ließ die Hand ihres Vaters los und trat sicherheitshalber einige Schritte zurück. Jim war über das Verhalten verwundert. Fürchtete das Mädchen ernsthaften Ärger? Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, hierher zu kommen.

„Sind Sie Steves Vater?“, erkundigte sich McCoy.

Jim räusperte sich und versuchte nicht darüber zu lachen, wie absolut und total daneben der Doktor mit seiner Vermutung lag. „Nein.“ Er sah ein wenig ratlos zwischen dem Mann und Joanna hin und her.

„Ich kaufe nichts.“ McCoy war bereits drauf und dran, die Tür zu schließen. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch mehr seiner Tochter, als dem fremden Besucher, dem er den Rücken zukehrte.

Jim hielt die Tür behutsam auf. „Es fällt mir nicht leicht das zu erklären“, gestand dieser, als der Doktor missmutig knurrte, „aber ich kenne Ihre Tochter.“

McCoy wandte sich augenblicklich wieder Jim zu. Joanna schüttelte im Rücken ihres Vaters vehement den Kopf, ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Jim sah sie entschuldigend an. Jetzt war es ohnehin zu spät für einen Rückzieher. Der Doktor folgte Jims Blick und Joanna erstarrte in ihrer Bewegung. Sie sah aus, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.

„Woher?“, fragte McCoy mit der Strenge und Besorgnis eines Vaters. Die Frage galt nicht Jim, sondern Joanna.

Sie schluckte sichtbar und mit einem Mal schossen Joanna sogar Tränen in die Augen.

„Wir telefonieren seit zwei Monaten miteinander und—“, wollte Jim erklären, kam jedoch nicht dazu den Satz zu vollenden, da der Doktor in ungeahnter Geschwindigkeit einen Unterarm gegen seine Kehle presste und Jim an den Türrahmen pinnte.

„Sie kleiner, pädophiler—“, knurrte McCoy.

Jim hätte sich mit Leichtigkeit gegen den Doktor wehren können. Im Nahkampftraining hatte er gelernt, jemandem wie McCoy mit wenigen Handgriffen die Schulter auszukugeln. Dem kleinen Mädchen zuliebe verzichtete er auf ein derartiges Manöver. Sie hatte auch so schon genug Angst. Und Jim war wild entschlossen zivilisiert mit dem Mann über Joannas Anrufe zu sprechen.

„Lass Jim los!“, schrie da Joanna verzweifelt und versuchte ihren Vater von Jim loszureißen, der ihr jedoch in seinem Wutausbruch keine übermäßige Beachtung schenkte.

„Bin nicht … pädophil“, krächzte Jim, der spürte wie ihm das Blut ins Gesicht schoss und allmählich die Luft ausging. Der Doktor besaß mehr Kraft, als Jim ihm aufgrund seines Berufes zugetraut hätte.

„Dann erklären Sie mir, warum Sie mit meiner neunjährigen Tochter telefonieren!“, verlangte der Mann, zwischen zusammengepressten Zähnen, dessen Gesicht nur wenige Zentimeter von Jims entfernt war.

„Das ist Jim, Pa!“, versuchte Joanna erneut die Aufmerksamkeit ihres Vaters zurückzuerlangen. Sie ließ ihren zutiefst entsetzten Blick zwischen ihrem Vater und Jim hin und her springen.

Nach einigen sehr langen Sekunden ließ der Doktor langsam von Jim ab, der sich augenblicklich die Kehle rieb und tief durchatmete.

„Ich hab dir von ihm erzählt“, fuhr Joanna eindringlich fort. „Erinnerst du dich nicht?“

„Himmel, Jojo. Ich dachte er sei imaginär, nicht aus Fleisch und Blut und vor allem“, er drehte sich von seinem Kind weg und sah Jim erneut an, „nicht erwachsen!“

Jim bezweifelte, dass Joanna mit dem Begriff imaginär was anfangen konnte, verbiss sich jedoch einen entsprechenden Kommentar.

Der Doktor ging vor seiner kleinen Tochter in die Hocke. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht mit Fremden reden sollst? Das ist kein Spaß, Joanna. Es gibt böse Menschen, die kleinen unschuldigen Kindern furchtbar wehtun.“

„Jim ist mein Freund. Er würde mir nichts tun“, erwiderte Joanna und hob trotzig das Kinn. „Nicht wahr, Jim?“ Ihre grünen Augen lösten sich von ihrem Vater und sahen stattdessen voller unschuldiger Hoffnung zu Jim auf.

„Niemals“, versicherte Jim ihr. „Aber dein Pa hat recht, Kleines. Deshalb bin ich heute auch hierhergekommen. Ich habe Angst, dass du irgendwann vielleicht doch mal den Falschen anrufst.“

„Wer genau sind Sie überhaupt?“, wollte McCoy dann wissen, richtete sich wieder zur vollen Größe auf und musterte Jim eingehend.

„Jim Kirk“, stellte der sich vor und streckte McCoy die Hand entgegen.

Der Doktor packte zu, hatte einen erstaunlich festen Händedruck und sah Jim einen langen Moment abschätzend an. „Trotzdem hätte ich gerne eine Erklärung. Und wenn mir nicht gefällt was ich höre, können Sie sich schon mal auf Konsequenzen gefasst machen, Freundchen.“ Er sah Joanna wieder an. „Und du, junge Dame, hast dir gerade zwei weitere Wochen Hausarrest eingefangen.“

„Das ist unfair!“, schrie sie ihren Vater an, während Tränen des Zorns über ihr gerötetes Gesicht liefen.

„Mir ist egal, wie du das findest“, schimpfte McCoy. „Und jetzt rauf in dein Zimmer! Ich will mit deinem neuen ‚Freund‘ allein reden.“

„Ich hasse euch, alle beide!“, rief sie, gehorchte jedoch zu Jims Erstaunen und rannte trampelnd die Treppen hinauf, in eines der oberen Stockwerke. Kurz darauf schlug eine Tür zu.

McCoy atmete hörbar durch, bat Jim mittels einer kleinen Geste ins Haus und schloss leise die Tür hinter ihm. „Wollen Sie einen Kaffee, während Sie mir haarklein schildern, wie Sie meine Tochter kennengelernt haben?“

„Ein Bier wäre mir lieber.“ Ein scheues Lächeln huschte über Jims Züge. Das Schlimmste, hoffte er, hatte er wohl überstanden, auch wenn Joanna ihm jetzt böse war und sich ihm vielleicht nie wieder anvertrauen würde. Es war besser so.

„Das Wohnzimmer ist dort“, sagte McCoy in wenig einladendem Tonfall, zeigte in die entsprechende Richtung und ging, wie Jim vermutete, in die Küche.

Jim hatte sich kaum auf das Sofa gesetzt, überall lagen Polster und Kissen verteilt auf dem Boden, als McCoy mit zwei Flaschen Bier zurück kam und ihm eine davon gab. Er hatte den Eindruck, Vater und Tochter in einer wilden Kissenschlacht gestört zu haben.

„Entschuldigen Sie die Unordnung“, raunte er, sammelt die Sofapolster und Kissen ein und packte alles notdürftig auf die freie Sitzfläche neben Jim.

„Ist ja nicht so, als wäre mein Besuch angekündigt gewesen“, murmelte Jim und prostete McCoy andeutungsweise zu, als dieser sich auf einen gepolsterten Hocker sinken ließ.

„Also, schießen Sie mal los. Wie haben Sie mein Kind kennengelernt.“

Jim nippte an seinem Bier. „Es hat etwa vor siebeneinhalb Wochen angefangen“, begann er seine Erzählung, stellte das Bier auf den Couchtisch und holte ein PADD aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke. „Ich habe alles dokumentiert.“ Er aktivierte das PADD und reichte es McCoy über den Couchtisch hinweg, der zwischen ihnen stand.

Der Doktor nahm das PADD und überflog die Einträge. Jim nippte unterdessen immer wieder an seinem Bier. „Ich habe nicht alle Details aufgeschrieben“, fuhr er nach einer Weile fort und McCoy gab ihm das PADD zurück. „Sie hat mir ihre Sorgen anvertraut und ich wollte dieses Vertrauen nicht brechen.“ Jim machte eine lange Pause, in der sich beide Männer gleichermaßen ein wenig ratlos und auch besorgt ansahen. Jeder von ihnen aus einem anderen Grund. „Im Wesentlichen“, nahm Jim den Faden schließlich wieder auf, „fühlt sie sich wohl einsam. Sie vermisst ihre Mutter, wollte mir diesbezüglich jedoch keine weiteren Hintergründe nennen.“

„Wir sind geschieden“, warf McCoy schlicht dazwischen. „Ich hab eine Vermutung, wie es dazu kam, dass Joanna Sie überhaupt anrief. Wie lautet Ihre Nummer?“

Jim nannte sie dem Arzt nach kurzem Zögern. Er fühlte sich nicht wohl dabei, dass er einem Fremden verriet, wie er ihn jederzeit erreichen konnte. „9414311.“ Den regionalen Vorwahlcode wusste McCoy mit Sicherheit selbst.

Der Arzt lachte leise und schüttelte amüsiert den Kopf. „Das ist unsere alte Nummer in Georgia. Joannas Mutter lebt nach wie vor dort.“

„Weil sie die Vorwahl nicht kannte, landete sie daher automatisch bei mir“, kombinierte Jim. Plötzlich ergab alles Sinn. Es war reiner Zufall gewesen, dass Joanna ausgerechnet bei ihm rausgekommen war.

Beide Männer tranken einen Schluck Bier, ehe sie einander erneut für geraume Zeit musterten und versuchten ihren Gegenüber einzuschätzen.

„Hören Sie“, brach Jim das Schweigen, als es drohte allzu unangenehm zu werden, „ich denke, Sie sollten mehr auf die Bedürfnisse Ihrer Tochter eingehen. Sie ist ein sehr liebes, sensibles Mä …“

„Sekunde, Mr. Kirk!“ McCoy unterbrach ihn, indem er die Hände hob. „Ich gehe sehr wohl auf die Bedürfnisse meiner Tochter ein. Ich hatte größte Mühe eine Tagesmutter zu finden, die auch bereit war hier zu schlafen, wenn ich Nachtschichten habe.“

Jim nickte verständnisvoll. „Joanna hat erzählt, dass Patricia hier ein eigenes Zimmer hat.“ Er wusste, dass es gewagt war dem Arzt Ratschläge zu erteilen, dennoch wollte er sich zum Wohl des Kindes nicht zurückhalten. „Sie hat auch erzählt, dass Patty ihr nur wenig Aufmerksamkeit schenkt oder nicht annähernd genug. Sie hilft Joanna nicht bei den Hausaufgaben, macht keine Ausflüge mit ihr und beschäftigt sich auch sonst nur wenig mit Ihrer Tochter.“

Die rechte Augenbraue des Arztes wanderte zunehmend in die Höhe. Jim konnte ihm ansehen, dass er sich das Gesagte zu Herzen nahm. „Es geht mich nichts an, Doktor McCoy. Aber bitte reden Sie mit Joanna darüber. Und vielleicht sollten Sie auch Patty zur Rechenschaft ziehen“, fuhr Jim fort.

„Das werde, Mr. Kirk“, nickte McCoy. „Aber das alles ist nicht so leicht, wie es für Sie aussehen mag. Sie kennen nicht alle Fakten und ich habe ganz bestimmt nicht vor, mich vor einem Fremden zu rechtfertigen. Bitte akzeptieren Sie meine Entschuldigung für die … Anrufe meiner Tochter. Ich versichere Ihnen, das wird nicht wieder vorkommen.“

Als der Arzt aufstand, begriff Jim, dass er ihn höflich hinauswarf. „Darf ich mich von Joanna verabschieden?“

McCoy schüttelte den Kopf. „Es wäre mir lieber, wenn nicht. Sie fühlt sich auch so schon viel zu verbunden mit Ihnen. Sie muss begreifen, dass Sie nicht ihr Freund sein können.“

Jim fühlte sich furchtbar, als er an diesem Abend das Haus der McCoys verließ, ohne Joanna Lebewohl gesagt zu haben, doch er respektierte den Wunsch des Arztes.
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