TrekNation

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Mitten ins Herz

von Emony

Kapitel 3

Jim genoss das warme Wetter der Juni-Sonne auf seiner Haut, als er neben Gary Mitchell über den Trainingsplatz joggte. Von Joanna hatte er seit jenem Abend vor rund drei Wochen nichts mehr gehört. Sein gesamtes Engagement gehörte wieder voll und ganz seiner Ausbildung an der Akademie. Noch zwei Wochen, dann waren endlich Semesterferien. Zehn Wochen Freiheit, Sonne und Spaß und das rund um die Uhr. Jim konnte es kaum erwarten.

„Hast du inzwischen Pläne für den Sommer?“, fragte Gary im Laufen und sah zu ihm hinüber.

Jim zuckte die Schultern. „Nicht direkt. Mein Bruder kommt für zwei Wochen mit seiner Familie zu meiner Mutter. Denke, dass ich mich für die Zeit auch dort einquartieren werde. Immerhin sehe ich Sam nur einmal im Jahr. Und danach“, er sah Gary direkt an, „lass ich mich treiben. Mal sehen, wohin es mich führt."

„Du lässt dir einen super Urlaub auf Risa entgehen.“

Gary und seine aktuelle Freundin hatten ihn eingeladen, mit nach Risa zu fliegen. Jim hatte allerdings keinen Bedarf, sich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen und dankend abgelehnt. Auf Risa würde ihm gewiss nicht langweilig, er hatte die Werbeanzeigen des Urlaubsparadieses gelesen, dennoch zog er es vor, stattdessen Zeit mit seiner Familie zu verbringen.

„Risa läuft mir nicht weg“, erwiderte Jim. Allein die Reise bis zu dem Planeten dauerte eine gute Woche. Und er hatte ganz bestimmt nicht vor zwei Wochen seiner Ferien auf einem Transportschiff der Föderation zu verbringen, die technologisch den Schiffen der Sternenflotte deutlich unterlegen und langsamer waren.

„Du hast doch nicht etwa eine Freundin, die du mir verheimlicht hast und willst deshalb nicht mit?“, fragte Gary spitzbübisch.

„Unsinn!“, schüttelte Jim den Kopf. „Ich bin vogelfrei und habe auch nicht vor etwas daran zu ändern.“ Er genoss seine Unabhängigkeit viel zu sehr, um sich ernsthaft zu binden. Er mochte die Abwechslung. Schließlich wollte er auch nicht jeden Tag dasselbe Essen auf dem Tisch haben. Warum sich an einen Partner binden? Wo blieb denn da der Spaß?

Jims Kommunikator piepte und er drosselte sein Tempo, bis er stehenblieb. Er atmete einige Male tief durch und öffnete schließlich, immer noch etwas schwer atmend, die Verbindung. „Kirk.“

„Jim Kirk?“, fragte eine fremde männliche Stimme. „Hier spricht Direktor Drake.“ Jim hatte keinen Schimmer, wer dieser Direktor war. „Ich rufe von der Jonathan Archer Grundschule an. Mr. Kirk, wir haben versucht Doktor McCoy zu erreichen, doch dieser scheint unabkömmlich.“

Jim blinzelte das Gerät in seiner Hand ungläubig an. „Geht es um Joanna?“, fragte er nach einem Moment besorgt und beachtete Garys vollkommen verwirrten Gesichtsausdruck nicht weiter.

„Ja“, war die Antwort, die Jim im Grunde schon erwartet hatte. „Sie hat sich auf dem Schulhof den Arm gebrochen und muss ins Krankenhaus. Joanna hat Sie als zweiten Notfallkontakt angegeben.“

„Um wen geht es?“, fragte Gary dazwischen, der nicht zu Unrecht auf dem Schlauch stand.

Jim winkte ihm ab. „Haben Sie schon einen Krankentransport gerufen?“

„Ja, aber da sie in keiner akuten Lebensgefahr schwebt, wird es wohl noch etwas dauern bis sie abgeholt und ins Krankenhaus gebracht werden kann.“

Jim verdrehte die Augen. Das war wieder typisch! Da litt ein Kind unter Schmerzen, aber so lange es nicht in Lebensgefahr schwebte, konnte es ja warten! Unfassbar war das! „Bitte sagen Sie ihr, dass ich mich sofort auf den Weg mache.“ Damit klappte Jim den Kommunikator zu und steckte ihn zurück in die Hosentasche.

„Hab ich irgendwas nicht mitgekriegt?“, wandte sich Gary an ihn. „Wer ist Joanna?“

Jim seufzte hörbar. „Ich hab keine Zeit, dir das jetzt zu erklären. Ich muss weg.“

„Sehen wir uns heute Abend?“

Richtig. Es war Freitagabend. Da zogen sie meistens mit der Clique durch die Bars. „Kann ich noch nicht sagen, Gary. Ich melde mich später.“ Jim joggte, ohne eine Reaktion abzuwarten, zurück Richtung Sporthalle, um seine Sachen zu holen.

***

Fünfundzwanzig Minuten später klopfte Jim mit Nachdruck gegen die Tür des Sekretariats und trat ein, ohne eine Aufforderung abzuwarten. „Jim Kirk“, stellte er sich der älteren Dame hinter dem Tresen vor, die seelenruhig von ihrem Computer zu ihm aufblickte und emotional das genaue Gegenteil von Jim war. Er war vollkommen außer Atem und auch ein bisschen aufgeregt. „Jim Kirk. Ich möchte zu Joanna McCoy.“

„Ah, dann sind Sie ihr Vater?“

Jim blinzelte verwirrt. „Nein.“ Das Gesicht der Frau wurde todernst und er ahnte, dass das nicht die Antwort war, die sie hatte hören wollen. „Nicht direkt“, fügte er daher rasch hinzu und hoffte, dass es nicht zu verzweifelt klang.

„Nur Familienangehörige dürfen Kinder von der Schule abholen, es sei denn, es liegt eine schriftliche Sondererlaubnis vor, die von einem der gesetzlichen Elternteile unterschrieben sein muss.“

Jim schluckte. Was sollte er jetzt sagen? Was tun? Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, seine ganze Sorge galt Joanna. Verdammte Bürokratie! „Ich bin ihr Stiefvater!“, brach es dann aus ihm heraus, ohne dass er sich über mögliche Konsequenzen Gedanken machen konnte. Er wollte doch nur Joanna helfen. „Bitte lassen Sie mich zu ihr, Ma’am.“ Er sah sie mit dem treuesten Hundeblick an, den er zustande brachte und erzwang sogar ein paar Tränen, die ihm den Blick verschleierten. „Ich bitte Sie, lassen Sie mich zu ihr.“

„Wir haben keine entsprechenden Unterlagen vorliegen. Demnach haben Sie das Kind nicht adoptiert. Auch haben Sie sich noch vor einem Augenblick mit einem anderen Familiennamen vorgestellt. Halten Sie mich nicht zum Narren, junger Mann.“

Jim lachte verbittert auf. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!“

„Und ob, junger Mann.“

„Der Rektor selbst hat mich doch hergerufen“, erklärte Jim daraufhin.

Die Sekretärin blieb hart, wandte sich demonstrativ von ihm ab und wieder ihrem Computer zu. Frustriert fuhr Jim sich durchs Haar und verließ das Büro. Hastig zog er seinen Kommunikator aus der Tasche, noch während er das Schulgebäude verließ.

„Kadett Gaila“, meldete sich kurz darauf die Frau, die deutlich mehr von Technik verstand, als Jim ihr anfangs zugetraut hatte. Zu Beginn hatte er sie für schön, aber nicht übermäßig klug gehalten, inzwischen wusste er es besser.

„Gaila, Süße. Jim Kirk hier.“

„Hey, du Traum meiner schlaflosen Nächte. Was gibt’s?“

Jim gluckste leise. Er wusste, dass sie auf ihn stand. Aber sie war keine Herausforderung für ihn. Jim wollte um seine Partner werben können. Gaila machte es ihm zu leicht. Dennoch flirtete er gern mit ihr und umgekehrt.

„Ich habe nicht viel Zeit für lange Erklärungen. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du jemanden für mich ausfindig machen? Einen gewissen Doktor Leonard McCoy. Er ist Chirurg in einer der zivilen Kliniken in San Fran, aber ich weiß nicht genau in welcher. Es ist absolut wichtig, dass ich ihn sofort sprechen kann.“

„Nichts gegen Herausforderungen, Jim, aber …“

„Bitte, es ist wirklich dringend“, bat Jim eindringlich. Er starrte auf das Gebäude hinter sich. Irgendwo dort drin war dieses arme verängstigte Mädchen und wartete auf ihn. „Bitte.“

„Wenn ich erwischt werde …“ Sie hielt inne. „Gib mir ein paar Minuten. Ich melde mich wieder.“

Jim ging daraufhin Minuten lang vor dem Hauptgebäude auf und ab. Die Zeit schien zu schleichen und er fragte sich, warum zum Teufel Gaila so lange brauchte, um sich in die Computerverzeichnisse einiger ziviler Einrichtungen zu hacken. So schwer konnte das für die gewitzte Orionerin doch nicht sein!

Als sein Kommunikator zirpte, blieb Jim wie angewurzelt stehen. „Und?“

„Ich stelle dich durch. Bleib dran!“, hörte er Gaila noch sagen, bekam jedoch keine Gelegenheit sich zu bedanken. Dafür war er ihr definitiv etwas schuldig.

„McCoy hier“, knurrte da bereits der Doktor.

„Doktor McCoy, hier ist Jim Kirk.“

„Sie schon wieder. Ich bin mitten in einer Operation, verdammt.“

„Dessen bin ich mir bewusst, Doktor. Ihre Tochter hat sich jedoch den Arm gebrochen und ließ mich kontaktieren, da man Sie nicht erreichen konnte. Und nun stehe ich hier vor der Schule und die lassen mich nicht zu ihr, weil ich kein Erziehungsberechtigter bin. Dabei will ich ihr doch nur beistehen, bis der Krankentransport sie holt und …“

„Ungeheuerlich!“, brummte der Arzt fassungslos. Er schien die Situation abzuschätzen. Es dauerte einige gedehnte Sekunden, bis er wieder sprach. „Können Sie mich mit jemandem von der Schule verbinden?“

„Ich kann zurück zum Sekretariat, wo man mich abgewiesen hat.“

„Gut. Tun Sie das. Ich regle das irgendwie. Ich kann hier wirklich erst in frühestens drei Stunden raus.“

Jim machte sich auf den Weg zurück zu der unfreundlichen Dame.

„Ich würde Sie nicht bitten, hinge Joanna nicht dermaßen an Ihnen und wäre Patricia nicht selbst noch im College“, sagte McCoy und Jim konnte das schlechte Gewissen heraushören, das er zweifellos hatte. „Ich entschädige Sie dafür.“

„Ich will nichts, Doktor McCoy. Die Hauptsache ist, dass es Joanna bald wieder bessergeht.“ Jim erreichte das Sekretariat und überreichte der Dame hinter dem Tresen ohne weiter nachzudenken den Kommunikator. „Doktor McCoy würde Sie gerne sprechen.“

Die verdrehte die Augen, nahm das Gerät und meldete sich mit: „Mrs. Hudson, Sekretariat der Jonathan Archer Grundschule.“

„Doktor Leonard McCoy“, knurrte dieser so deutlich, dass Jim sich ein vorfreudiges Grinsen kaum verkneifen konnte. „Wie mir eben mitgeteilt wurde, hat sich meine Tochter verletzt.“

„Das ist korrekt, Doktor. Es scheint, sie hat sich den Arm gebrochen. Die Schulkrankenschwester kümmert sich derzeit um sie, bis …“

„Hören Sie, gute Frau, meine Zeit ist begrenzt. Ich bin mitten in einer sehr delikaten Operation. Jim Kirk ist berechtigt meine Tochter von der Schule abzuholen und gegebenenfalls selbst ins Krankenhaus zu bringen. Joanna soll auf jeden Fall ins San Fran General gebracht werden.“

„Jim Kirk behauptet Joannas Stiefvater zu sein, dennoch liegt uns hier keine schriftliche Bestätigung zu seiner Aussage vor.“

Jim wollte im Erdboden versinken. Für diese Lüge würde ihm der Arzt sicher bei erster Gelegenheit den Kopf abreißen.

„Herrgott!“, raunte McCoy zunehmend frustriert. „Ich reiche den verdammten Wisch nach!“, brüllte McCoy ungehalten. „Lassen Sie ihn augenblicklich zu meiner Tochter, oder Sie hören von meinem Anwalt.“

„Ich würde das gerne fürs Protokoll aufnehmen, Doktor. Sicher verstehen Sie, dass auch ich mich rechtlich absichern muss.“

„Von mir aus.“

Die Dame schaltete ein weiteres Gerät zu. „Bitte geben Sie unmissverständlich Ihre Erlaubnis dafür ab, dass es Mr. Kirk von diesem Tag an erlaubt ist, Ihre gemeinsame Tochter von der Schule abzuholen.“

Jim konnte deutlich das nur schwer unterdrückte Fluchen des Arztes hören.

„Hiermit bestätigte ich, Doktor Leonard McCoy“, grollte es überdeutlich aus dem Gerät, „dass Jim Kirk gesetzlicher Erziehungsberechtigter von Joanna McCoy ist und sie jederzeit von der Schule abholen darf.“

„Danke. Bitte bringen Sie innerhalb der nächsten vierzehn Tage eine schriftliche Bestätigung vorbei, Doktor McCoy. Einen schönen Tag noch.“

Damit reichte sie Jim den Kommunikator zurück.

„Ich kümmere mich um Joanna. Keine Sorge“, ließ Jim den anderen Mann wissen und drehte der Sekretärin den Rücken zu.

„Danke!“ Es folgte eine kurze Pause. „Ich muss wieder …“

„Schon gut“, erwiderte Jim. „Sie wird es verstehen.“ Erleichtert atmete Jim tief durch. Hinsichtlich der Notlüge würde er sich noch was einfallen lassen. Wichtig war jetzt erstmal, dass Joanna in ein Krankenhaus kam und medizinisch versorgt wurde.
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