TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Wer nicht kämpft, hat schon verloren Teil 2

von werewolf

Kapitel 1

Disclaimer: Star Trek gehört mir nicht und ich verdiene kein Geld mit dieser FF.
Das Erste, das Ziyal sah, als sie wach wurde, war der Sonnenaufgang über Cardassia. Der Horizont zeigte noch einen schmalen orangenen Streifen, aber sie wusste, dass bald der ganze Himmel leuchten würde. Ein Jahr und neun Monate. So lange war sie nicht hier gewesen und doch schien es eine Ewigkeit her zu sein.
Silon schlief noch immer. Er hatte den Kopf auf ihre Schulter gelegt und sie schätzte dieses wenn auch unbewusst geäußerte Zeichen der Zuneigung. Seit dem Vorfall mit seinen Klassenkameraden war er nicht mehr der ruhige, aber aufgeschlossene Jugendliche, der er vorher gewesen war. Nun war er distanziert und ablehnend. Zwar redeten sie oft miteinander, aber nur selten gelang es ihr, seine abweisende Haltung zu durchdringen. Aber dann war zumindest für einen Moment alles so wie früher.
Jonin schlief ebenfalls. Es wunderte Ziyal noch immer, dass die Bajoranerin sie begleitete. Dass sie freiwillig ein Leben auf einem vom Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Planeten führen wollte, dessen Klima sie nicht sehr gut vertragen würde. Sie freute sich aber sehr darüber, ihre Freundschaft war nichts, was sie aufgeben wollen würde und sie hatte sich vorher öfter die Frage gestellt, wie es damit weitergehen würde, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren würde.
Ihre Heimat. Schon sehr bald würde sie ihre Eltern wiedersehen. Sie fragte sich, wie sie sich wohl verändert hatten. Ob es ihr Zuhause noch gab. Ziyal dachte an Eo, die Hara –Katze, die ihr Vater mit einiger Mühe organisiert hatte und die ein Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter gewesen war. An Woan, den Reithund, der erst ihr und dann ihrem Bruder gehört hatte. Da die letzten Briefe ihrer Eltern recht kurz gewesen waren, wusste sie nicht, ob es die Tiere noch gab.

Sie weckte ihren Bruder und Jonin. Sie sah, wie seine Augen kurz aufleuchteten, als Silon seine Heimat erkannte, bevor er wieder in sein übliches Verhaltensmuster zurückfiel.
„Wissen eure Eltern, dass wir jetzt ankommen?“, fragte Jonin und unterbrach damit ihre Gedanken über Silons Verfassung.
„Sie wissen die ungefähre Zeit, aber nichts Genaues. Deshalb kann es sein, dass wir einen Moment warten müssen.“
„Also, was muss ich jetzt noch mal beachten, wenn ich sie begrüßen soll?“ Die Bajoranerin war sichtlich nervös.
„Früher hätte ich gesagt, du solltest Silon und mir erst einen Vorsprung lassen, was die Begrüßung angeht, weil es ihnen sonst unangenehm wäre, wenn du als familienfremde Person dabei bist. Aber inzwischen hat sich das wohl geändert. Da es zahlreiche Tote gab, hat sich das Verständnis von Familie geändert. Eigentlich musst du bei meinem Vater nur daran denken, dass Skrain sein Vorname und Dukat sein Nachname ist, nicht umgekehrt. Ansonsten gibt es nichts zu beachten. Auch auf Cardassia gibt man sich zur Begrüßung die Hand, also nichts Neues. Du kannst gerne versuchen, dich auf Kardasi mit ihm zu unterhalten, aber wenn du lieber Bajoranisch sprechen möchtest, ist das auch kein Problem. Er kann die Sprache gut genug für einfache Gespräche, wenn es da doch Probleme gibt, kann natürlich auch meine Mutter oder einer von uns übersetzen.“
Silon reichte ihr ein zusammengefaltetes Blatt, das er bis dahin in der Jackentasche gehabt hatte.
„Danke, das hätte ich fast vergessen.“ Sie seufzte, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte. „Sein Lehrer hat uns als Vorwarnung ein Bild ausgedruckt. Du solltest es dir auch ansehen. Es ist ein Foto von der Hauptstadt, aufgenommen vor etwa vier Monaten.“
Als Jonin das Bild auseinanderfaltete und betrachtete, sah man deutlich, dass sie schockiert war. Kein Wunder, sie selbst hatte das auch schwer getroffen. Von der ehemals sehr prachtvollen Hauptstadt war mehr oder weniger nur noch eine Trümmerwüste übrig.
„Ich habe es dir ja schon beschrieben, aber es zu sehen ist doch noch etwas anderes. Es tut mir leid, aber das ist das, was du wahrscheinlich überall sehen wirst. Vielleicht ist unser Heimatort etwas besser dran, aber ich weiß es nicht. Ich verübele es dir nicht, wenn du es dir noch anders überlegst. Morgen fliegt ein Frachter in Richtung Bajor. Du könntest dort mit. Auch wenn ich es bedauern würde.“
„Ich bleibe.“ Das war alles, was die Bajoranerin herausbrachte.

Das Shuttle landete etwas holprig auf der doch recht stark beschädigten Landebahn. „Ich hoffe, die reparieren das hier bald mal“, meinte der Pilot, „das ist gar nicht gut für die Landetriebwerke.“ Nach einem kurzen Zögern setzte er noch „Schön, dass ihr wieder lebend hier ankommt“, hinzu.
„Danke. Für alles, was Sie für uns getan haben.“ Sie meinte es so.
Der Cardassianer nickte nur. „Hier ist eure Heimat.“ Er drehte sich zu Jonin um. „Aber ob ich dir damit einen Gefallen getan habe, dich hierher zu bringen, weiß ich nicht.“

Etwas später lehnten sie an einer Mauer und warteten auf Skrain und Naprem. Das überschaubare Gepäck hatten sie neben sich gestellt. Runy war hörbar unzufrieden damit, in einem Karton eingesperrt zu sein. Der Falke krächzte missmutig und sie hörte, wie er mit den Flügeln gegen Wände und Deckel schlug. Aber es war zu riskant, ihn hier herauszulassen, wo er sich nicht auskannte und sie ihn nicht zurückholen konnten.
„Die Hauptstadt…. was ist mit den Bewohnern passiert?“ Jonin war ehrlich betroffen.
„Fast alle tot. Nur ein paar konnten sich retten. Die Frau von meinem Onkel hat dort in einem Krankenhaus gearbeitet. Sie war Ärztin und kam ums Leben, als sie dabei war, die Patienten zu evakuieren.“
„Das tut mir leid.“

In diesem Moment traten ihre Eltern um die Ecke des Gebäudes. Fast zwei Jahre hatte sie auf diesen
Moment gewartet und sich vorgestellt, wie es sein würde, sie wiederzusehen. Manchmal hatte sie davon geträumt und war enttäuscht gewesen, dass es nicht die Realität gewesen war.
Sie sollte ihnen entgegenkommen. Lächeln. Ihnen etwas zurufen. Irgendwas. Aber sie war wie erstarrt.

Die Begrüßung war anders, als sie erwartet hatte. Ziyal war davon ausgegangen, dass sie glücklich sein würde. Begeistert. Unbeschwert. Kurz, dass alles so sein würde wie früher.
Natürlich war sie erleichtert, ihre Eltern lebend wiederzusehen. Angesichts der zahlreichen Todesopfer keine Selbstverständlichkeit, bei Weitem nicht.
Aber sie fühlte sich fremd, selbst als erst ihr Vater und dann ihre Mutter die Stirn an ihre legte, die innigste Begrüßung, die es für Cardassianer gab. Und sie stellte gleich darauf fest, woran es lag. Als sie etwas sagen wollte und feststellte, dass ihr zwar einzelne Worte einfielen, aber sie keinen Satz mehr bilden konnte. Sie hatte Kardasi verlernt, als sie auf Bajor gewesen war. Ihre Muttersprache. Sie beherrschte sie nicht mehr.

In der Hoffnung, darüber hinwegtäuschen zu können, redete sie Bajoranisch. Vielleicht glaubten ihre Eltern, dass sie das aus Höflichkeit Jonin gegenüber tat.
Silon hingegen hatte damit kaum Probleme. Er sprach etwas stockend, aber ihren Eltern schien nichts aufzufallen. Was Sprachen anging, war er schon immer begabter gewesen als sie.

In dem Moment wurde ihr klar, dass sie zwar überlebt hatte, aber einen wesentlichen Teil von sich hatte zurücklassen müssen. Ihre cardassianische Seite war untergegangen, weil sie sie ständig hatte unterdrücken müssen. Silons Persönlichkeit war noch formbarer, er hatte damit weniger Probleme und würde wahrscheinlich bald wieder zu beiden Völkern gehören. Aber sie hatte die Orientierung verloren. Hatte keine Ahnung mehr, wohin sie gehen oder was sie tun sollte.
Die Tränen wischte sie eilig weg. Es gab gerade Wichtigeres.

Sie machten sich auf den Weg zu ihrem alten Zuhause. Obwohl sie dem Gespräch nicht wirklich folgte, bemerkte sie, dass Jonin und ihr Vater, der den größten Teil des sparsamen Gepäcks trug, offenbar gut miteinander zurechtkamen. Silon ging neben Naprem her und ihre Mutter versuchte offenbar, ihn zu einer Antwort zu bewegen, die mehr als ein paar Worte umfasste. Sie selbst ging etwas abseits, trug den Runys Karton und warf nun erstmals einen genaueren Blick auf ihre Eltern.

Sie beide hatten sich sehr verändert. Skrains rechte Gesichtsseite durchzogen einige deutlich sichtbare Narben, aber das war es nicht, was ihr wirklich auffiel. Seine einst so kraftvolle und raumgreifende Ausstrahlung war einer Art resignierten Erschöpfung gewichen. Offenbar hatte der Krieg den letzten Rest seiner Reserven aufgebraucht und obwohl er sicher froh war, dass das alles ein Ende hatte, schien es etwas zu geben, was noch nicht ausgestanden war.
Diese Haltung konnte sie auch bei Naprem beobachten, aber das wurde noch durch etwas Anderes ergänzt. Ziyal vermutete, dass sie dauerhaft unter Schmerzen litt, die dafür sorgten, dass sie etwas gebeugt ging. Nicht viel, vielleicht fiel es anderen gar nicht auf, aber für sie war es deutlich zu erkennen.

„Ist alles in Ordnung?“ Jonin war unbemerkt an ihre Seite getreten.
„Ja“, log sie, „ich vertrage Shuttleflüge nur nicht so gut, das ist alles. Wie kommst du mit meinen Eltern zurecht?“, fügte sie etwas leiser hinzu.
„Gut, wirklich. Habe mich sehr nett mit deinem Vater unterhalten.“ Die Bajoranerin musste kurz lachen.
„Was ist?“
„Naja, ich glaube, wenn mir vor ein paar Jahren einer gesagt hätte, dass ich mal ein freundliches Gespräch mit einem Cardassianer führe, hätte ich das nicht für möglich gehalten.“
Jetzt musste auch Ziyal lächeln. „Das kann ich mir gut vorstellen.“
Sie gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. „Vermisst du deine Eltern?“ Diese Frage hatte sie schon öfter stellen wollen.
„Naja, nicht wirklich. Kommt vielleicht noch, aber ich habe sie vorher ja auch nie so oft gesehen.“ Jonin hatte einmal erzählt, dass sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater beruflich oft unterwegs gewesen waren, sodass sie nur relativ wenig Zeit mit ihnen verbracht hatte.
„Wie hatten sie eigentlich reagiert, als du ihnen erzählt hast, dass du mitkommst?“
„Sie haben das zur Kenntnis genommen, als wenn ich etwas über das Wetter erzählt habe. Ich glaube, es war ihnen relativ egal.“
„Das tut mir leid, dass es sie so wenig interessiert, was mit dir ist.“
„Ich bin es gewöhnt. Natürlich wäre es mir anders lieber, aber ändern kann ich es ja eh nicht. Sie hatten immer ihren Beruf, und alles andere musste sich dem unterordnen. Sie haben auch kaum miteinander geredet und ich frage mich manchmal, warum sie überhaupt verheiratet waren. Was ich allerdings weiß, ist, dass sie eigentlich nie Kinder wollten. Ich war ein Missgeschick, sozusagen.“
Ziyal war ehrlich entsetzt. „Das ist ja furchtbar. Seit wann wusstest du das?“
„Gehört habe ich so ein Gespräch mal, als ich so sieben oder acht war, aber verstanden habe ich erst später, was gemeint war.“
„Das muss schlimm für dich gewesen sein.“
„Geht. Es gibt Schlimmeres. Ich meine, sie haben mich nie abgelehnt oder nicht gemocht. Es hat mir auch an nichts gefehlt, vernachlässigt haben sie mich ebenfalls nie.“
„Du hast mal erzählt, dass du ein gutes Verhältnis zu deinen Großeltern hattest. Haben sie sich um dich gekümmert?“
„Ja, und sie haben das gerne gemacht. Ihr Tod war es, was mich wirklich schwer getroffen hat. Aber das war ja ehrlich gesagt nicht wirklich verwunderlich, sie waren sehr alt.“
„Trotzdem… du hättest Eltern verdient, die dich wirklich als ihr Kind lieben und sich für dich interessieren.“ Bisher hatte sie das Thema nie mit Jonin erörtert, weil diese solchen Gesprächen stets aus dem Weg gegangen war, und so war sie wirklich erschrocken.
Auf Cardassia galt es als etwas ziemlich Schlimmes, von den Eltern nicht gewollt zu sein, was aber zum Glück nur selten vorkam. Es gab fast niemanden auf diesem Planeten, der keine Kinder wollte, und sollte das doch so sein, wurden die Kinder meist zur Adoption freigegeben. Waisen hatten einen schlechten sozialen Stand, aber es gab zumindest vor dem Krieg eigentlich fast keine, da Paare mit aus verschiedenen Gründen unerfülltem Kinderwunsch oft auch mehrere Kinder adoptierten. Angenommene Kinder galten ebenso viel wie leibliche, sodass es auch dort keinen Unterschied gab.
Für Jonin hingegen schien es nicht so belastend zu sein. Zwar war sie auch nicht begeistert davon, aber sie litt offensichtlich nicht sehr darunter und nahm es als gegebenen Umstand hin.

Während des Gespräches hatte sie nur am Rande bemerkt, dass ihre Mutter, die zu Beginn des Weges mit Silon vorne gegangen war, sich immer weiter hatte zurückfallen lassen. Als diese plötzlich stehen blieb, trat ihr Vater sofort an deren Seite.
Sie wusste, dass es Naprem nicht gerade angenehm war, wenn jemand außer Skrain sie krank oder verletzt sah, und da es offenbar eine solche Situation war, ging sie langsam weiter.
Silon wollte offenbar stehen bleiben, aber sie warf ihm einen mahnenden Blick zu, und er setzt sich wieder in Bewegung. Sie würden Naprem später fragen können, was passiert war.
„Was hat sie?“ Wie zu erwarten, hatte Jonin die Situation ebenfalls erfasst.
„Ich weiß es nicht.“ Die Sorge konnte man ihrer Stimme wahrscheinlich deutlich entnehmen.
Als sie flüchtig einen Blick zu ihren Eltern warf, sah sie, dass ihre Mutter sich offenbar nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Sie stand deutlich nach vorne gebeugt, stützte sich an Skrains Schulter ab und wirkte sehr angestrengt. Ihr Vater hatte der Bajoranerin eine Hand auf den Rücken gelegt und redete leise auf sie ein.
Das sah gar nicht gut aus. Sie wusste, dass ihre Mutter Einiges an Schmerzen ertragen konnte. Es musste also etwas nicht gerade Harmloses sein, worunter diese zu leiden hatte.

Nach kurzer Zeit hörte sie Schritte hinter sich. Ihre Eltern.
„Geht es wieder?“
„Ja.“ Ihre Mutter klang erschöpft. „Es geht mir wieder besser. Du musst dir keine Sorgen machen.“
Auch wenn sie das bezweifelte, ging sie nicht weiter darauf ein und beschloss, das Thema zu verschieben.

Wenige Minuten später betraten sie den Hof ihres Grundstücks. Skrain öffnete das Tor und machte einen schwungvollen Schritt rückwärts, als ihn eine hundeartige Silhouette ansprang.
„Woan, nein! Du sollst das doch nicht machen“, tadelte er das Tier, bevor er ihm kurz durch das zottelige Fell strich.
„Das macht er nur bei mir“, wandte sich ihr Vater an Jonin, „du kannst also ruhig reinkommen.“
Jonin trat zögernd näher. Man konnte sehen, dass sie dem angeleinten Hundeartigen nicht traute. „Was ist das für ein Tier?“
„Ein Reithund. Streng genommen gehört er Silon und mir gemeinsam, wobei er zuerst meiner und später dann eher seiner war. Ich hatte dir ja schon mal erzählt, dass viele cardassianische Kinder einen haben. Er wird üblicherweise von den Eltern, traditionell dem Vater, zur Geburt des ersten Kindes gekauft.“ Sie trat zu Woan, der sie einen Moment beschnüffelte und dann um ihre Beine strich. Der Rüde wog über zweihundertfünfzig Kilo und seine Schultern waren auf der Höhe ihrer unteren Rippen, aber dennoch war er ein friedliches und sehr zutrauliches Tier. Mit einem Lächeln hockte sie sich hin und kraulte den Reithund hinter den Ohren.
„Ich habe mir die immer kleiner vorgestellt“, kommentierte Jonin, folgte aber Ziyal und legte etwas zurückhaltend die Hand auf den Rücken des Tieres. „Hattest du als Kind keine Angst vor ihm?“
„Nein, nicht dass ich wüsste. Er hat mich begleitet, seit ich denken kann. Als Kind saß ich oft auf seinem Rücken und es hat ihn nie gestört. Auch wenn meine Eltern mich nie unbeobachtet mit ihm ließen, für alle Fälle, haben sie mir doch immer beigebracht, dass ich mich nicht vor ihm fürchten muss.“

Ziyals Blick fiel auf das Gebäude. Ein Teil war völlig zerstört und der Schutt lag auf dem Hof verstreut, aber mehrere Zimmer wirkten weitestgehend unbeschädigt. Von der Hütte des Reithundes war nichts mehr übrig, aber das konnte auch daran liegen, dass die Materialien anderweitig benötigt worden waren. Wie der Garten aussah, der hinter dem Haus lag, konnte sie nicht erkennen. „In den letzten Tagen des Krieges ist hier ein Sprengsatz hochgegangen und hat das halbe Haus zerstört. Aber ein Teil ist zum Glück weitestgehend unbeschädigt geblieben. Mein Bruder und seine Tochter wohnen gerade auch hier und Woan muss nachts rein, deswegen ist es vom Platz her etwas schwierig, aber das bekommen wir schon hin“, erklärte ihr Vater. Zum Glück sprach er Bajoranisch, auch wenn er sich sichtlich damit abmühte, sodass sie dem Gespräch folgen konnte.

Sie betraten das Wohnhaus. Im Flur stolperte sie fast über eine auf dem Boden stehende Kiste. „Das hier ist gerade mehr oder weniger der Abstellraum“, meinte Naprem beinahe entschuldigend, „wir konnten einige Dinge aus dem eingestürzten Gebäudeteil bergen und haben sie erst mal hier gelagert. Leider gibt es auf dem Flur kein Licht, also Vorsicht.“
Das Erste hingegen, was sie in der Küche sahen, waren ihre Zeichnungen, die sie ihren Eltern geschickt hatte. Die Blätter befanden sich über dem niedrigen Vorratsschrank gegenüber der Tür neben einigen Fotos, die vorher im Wohnzimmer gehangen hatten.
Ihre Mutter trat auf das Möbelstück zu und nahm einige Verpackungen heraus, während Skrain aus einem anderen Schrank das Geschirr holte und ihnen bedeutete, sich an den Tisch zu setzen, der wie vor zwei Jahren in der Mitte des Raumes stand.
„Jonin, isst du vegetarisch?“ Naprem warf der anderen Bajoranerin einen fragenden Blick zu. Wie Ziyal erfahren hatte, war das die üblichste Ernährungsform auf Bajor.
„Ja, eigentlich schon. Wenn es hier zu realisieren ist…“ Ihre Freundin klang etwas verunsichert. Sie hatte wohl bemerkt, dass der Zustand des Planeten wenig Raum für eigene Wünsche ließ.
„Klar, das geht. Ich frage nur zur Sicherheit nach. Ich selbst bin nicht mehr vegetarisch, nicht, dass du dich wunderst.“
Ihre Mutter stellte einen Teller vor Jonin ab und erklärte kurz, worum es sich bei der Mahlzeit handelte, während Ziyal zu ihrem Bruder sah.
Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, könnte sie glauben, das alles ginge ihn überhaupt nichts an. Zumindest zeigte er keine emotionale Regung und beteiligte sich nicht mehr an Gesprächen als unbedingt erforderlich.
Ihr Vater warf für sie deutlich einen Blick auf ihren Bruder und sah sie dann fragend an. Sie antwortete mit einem besorgten Gesichtsausdruck und einem ratlosen Schulterzucken.
Zum Glück blieb das von den anderen Anwesenden, insbesondere Silon, unbemerkt. Er wäre davon sicher nicht begeistert gewesen.

Während des Essens wurde viel geredet, sie beteiligte sich auch nicht zu knapp am Gespräch, war aber mit den Gedanken nicht bei der Sache.
Der bewohnbare Teil des Hauses war noch genauso, wie sie es in Erinnerung hatte, aber dennoch fühlte sie sich hier nicht heimisch. Die ganze Welt war ihr fremd geworden und sie hatte festgestellt, dass sie noch nicht einmal die Etiketten der Lebensmittelverpackungen mehr lesen konnte. Einige Wörter konnte sie erahnen, aber bei Weitem nicht genug, um auf den Inhalt schließen zu können.
Sie betrachtete das Hochzeitsbild ihrer Eltern, das neben ihren Zeichnungen an der Wand befestigt war. Ob sich ihre Mutter ähnlich gefühlt hatte, als sie hierhergekommen war?
Aber für die Bajoranerin war es eine neue Welt gewesen, und man hatte es verstanden, dass sie anfangs nur schlecht Kardasi konnte und Schwierigkeiten hatte, sich hier zuhause zu fühlen.
Sie selbst hingegen war eine Halbcardassianerin, die fast ihr gesamtes Leben hier verbracht hatte. Man sah es als selbstverständlich an, dass sie hier heimisch war und dass sie die Sprache konnte, die man ihr von klein auf beigebracht hatte. Was würde passieren, wenn jemand herausfand, dass das nicht so war? Sie schob den Gedanken mühsam beiseite.
„Als was würdest du denn gerne arbeiten?“, fragte Naprem gerade Jonin. „Möglich ist so ziemlich alles, Personal wird eigentlich überall gebraucht.“
„Erst mal würde ich ganz gerne im pflegerischen Bereich weiterarbeiten, da habe ich immerhin schon Erfahrung. Und wenn es geht, würde ich später dann Medizin studieren wollen.“
„Das dürfte hinzubekommen sein. Wenn ich morgen bei der Arbeit bin, werde ich mich erkundigen, wo du anfangen kannst. Ärzte gibt es viel zu wenig, es werden sogar schon Krankenpfleger mit einem Zusatzkurs für einfachere Operationen eingesetzt. Du solltest also ohne Probleme studieren können. Da fällt mir ein…wir haben doch noch dieses Buch draußen im Flur liegen.“
„Ich gucke nach“, bot Ziyal an. Sie konnte den Moment der Ruhe gut gebrauchen.
„Das ist gut. Liegt glaube ich in der Kiste, wo du mit dem Fuß dran hängen geblieben bist.“
Sie nickte, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. In diesem Moment fiel ihr ein, dass der Flur ja durch die Küche beleuchtet wurde und jetzt logischerweise im Dunkeln lag.
Aber die Tür öffnen wollte sie jetzt auch nicht noch einmal, sie brauchte ein paar Minuten für sich, also ging sie vorsichtig ein paar Schritte vorwärts und hoffte, dass sich ihre Augen bald an die Dunkelheit gewöhnten. Das Buch würde sie auch so erkennen, sie wusste, welches ihre Mutter gemeint hatte und sie hatte es oft genug in der Hand gehabt, um sich an jedes Detail erinnern zu können.
„Ich suche auch noch mal mit“, hörte sie Skrains Stimme aus der Küche. Als er die Tür öffnete, fiel für einen Moment ein Lichtschein in den Flur, bevor es wieder dunkel wurde. Einen Moment orientierte er sich offenbar, bevor er zielsicher an ihr und sämtlichen Gegenständen vorbei ging und die Außentür öffnete, sodass von dort aus Licht hereinkam. „So geht es auch“, meinte er, „und demnächst können wir vielleicht neue Fenster bekommen.“
Der Cardassianer trat neben sie und hockte sich hin, um den auf dem Boden stehenden Karton zu öffnen.
Sie wich unwillkürlich ein Stück mehr zur Seite aus als erforderlich und tat es ihm dann gleich. Warum sie Abstand zu ihm suchte, wusste Ziyal selbst nicht. Vermutlich war sie einfach überfordert.

„Was ist eigentlich mit Silon los?“, fragte er leise, während sie einen Bücherstapel durchsuchten. Zum Glück hatte er Bajoranisch beibehalten, wahrscheinlich, weil er seine Sprachfähigkeiten verbessern wollte.
„Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte…“
Skrain sah ihr einen Moment lang direkt in die Augen. „Du kannst uns alles sagen, das weißt du. Und es ist nur zu seinem Besten. Er muss nichts von diesem Gespräch erfahren, aber damit wir ihm helfen können, wäre es gut, wenn wir wüsste, was los ist.“
„Also…er… er wurde in der Schule angefeindet, weil es im Unterricht um die Besatzung ging, und einige seiner Mitschüler haben ihn sehr gehasst. Jedenfalls haben sie ihm einmal aufgelauert und wollten ihn erhängen. Daher die Narben an seinem Hals. Viel mehr weiß ich dazu leider auch nicht. Das war vor einem Jahr, und seitdem ist er so“, fasste sie das Geschehene zusammen.
Ihr Vater schloss für einen Moment die Augen und nickte dann. „In Ordnung. Danke, dass du mir das gesagt hast.“
In dem Moment fand sie das gesuchte Schriftwerk. Es handelte im ersten Teil allgemein von den inneren Organen und anderen Bereichen der cardassianischen Anatomie sowie einigen physiologischen Vorgängen und befasste sich im zweiten Teil mit den wichtigsten Krankheiten und Verletzungen, deren Symptomen, Ursachen und auch kurz mit der Behandlung.
Sie wollte aufstehen und wieder in die Küche zurückkehren, als ihr Vater sie zum Warten aufforderte. „Was hast du?“ Er klang besorgt.
„Nichts. Es geht mir gut.“
„Wirklich?“ Er glaubte ihr offensichtlich nicht.
„Ja.“ Damit verließ sie den Raum, das Buch in der linken Hand.

„Was arbeitest du eigentlich?“, fragte Jonin gerade.
„Ich leite mit einigen anderen Personen zusammen den Wiederaufbau. Koordination von Hilfsgütern, diplomatische Verhandlungen und so weiter. Ein anstrengender Beruf, aber ich tue es gerne.“, antwortete Naprem. Dann wandte sie sich an Ziyal. „Sehr gut. Ihr habt es gefunden.“ Ihre Mutter nahm das Buch entgegen und reichte es der anderen Bajoranerin. „Das ist, glaube ich, ganz gut, um ein wenig Kardasi zu lernen. Und es passt auch optimal zu deinem Tätigkeitsbereich. Bei einigen Texten habe ich mal die Übersetzung daneben geschrieben. Da war ich in der Sprache noch nicht so sicher gewesen. Sollte dir doch etwas unklar sein, frag nach.“
Jonin bedankte sich.
„Silon, bis wir für dich eine Schule gefunden haben, fängst du bitte an, ihr Kardasi beizubringen. Ziyal, du hattest von uns schon immer das meiste Talent für Gartenarbeiten. Es wäre schön, wenn du aus dem Bereich hinter dem Haus irgendwas machen könntest. Im Flur liegt Gemüsesaat, was das ist, weiß ich aber auch nicht genau.“
Skrain betrat den Raum wieder, und sie machte eine kurze Pause, ehe sie weitersprach.
„Wir sind außerdem immer nebenbei damit beschäftigt, die Trümmer, die mal ein Teil des Hauses waren, wegzuräumen. Wobei ich dabei leider nur wenig tun kann. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch die leichteren Teile davon etwas sortieren und auf verschiedene Stapel legen. Das müsst ihr aber nicht.“
„Das können wir machen“, meinte Silon. Sie wusste, dass er nicht gerne so war, wie er war, und wahrscheinlich war es seine Art, sich zu entschuldigen, dass er bei diesen Arbeiten sehr engagiert sein würde.
„Schön. Aber keiner von euch verhebt sich und holt sich was im Rücken, ja?“, warf Skrain ein. „Es tut uns leid, dass ihr so viel machen müsst, aber ihr habt wahrscheinlich schon erfahren, wie es um den Planeten steht. Es kommen auch wieder andere Zeiten.“


Die nächsten Tage vergingen. Sie kamen ihren Aufgaben nach und schafften recht viel. Skrain und Naprem sahen sie nicht sehr oft, sie arbeiteten eine Menge, auch wenn sie ankündigten, das bald auf ein normales Maß zu reduzieren, jetzt, wo sie ihre Familie wiederhatten. Dessen Bruder war ebenfalls meistens weg, aber seine Tochter half ebenfalls mit, wenn sie von der Schule zurückkehrte, auch wenn sie angesichts der Vorbereitungen auf ihren Abschluss nur wenig Zeit hatte. Mila, sie kannten sich noch von früher.
Ihr selbst hingegen ging es zunehmend schlechter. Sie versuchte unbemerkt, Kardasi wieder zu erlernen, aber es funktionierte einfach nicht. Sie hatte höchstens vage Erinnerungen an einige Wörter, aber nicht viel mehr und es gelang ihr nicht, sich die Sprache anzueignen. Außerdem hatte das Gefühl der Fremdheit nicht nachgelassen. Sie sah Silon, der sich in das Leben hier wieder einfügte. Zwar war er äußerlich noch genauso distanziert und angespannt wie vorher, aber seine innere Haltung hatte sich sichtlich verändert. Selbst Jonin begann, sich hier wohlzufühlen. Ihre Freundin lernte eifrig Kardasi und kam auch gut voran. Cardassianische Kultur und Verhaltensregeln interessierten sie und sie beschäftigte sich gerne damit.
Ziyal fühlte sich ausgeschlossen und da half auch nicht, dass es niemand mit Absicht tat. Wenn sie nur wüsste, was sie dagegen tun konnte.
Zwar unterhielt sie sich weiterhin mit den anderen und verbrachte Zeit mit ihnen, aber sie fühlte nichts dabei außer ihrer allgemeinen Niedergeschlagenheit.

„Also, wie war das mit den Adjektiven noch mal… bei ikar zum Beispiel ist es ikarem bei einem maskulinen Bezugswort, ikarel bei einem femininen und ikaren bei einem neutralen, oder?“, fragte Jonin gerade, während sie einige Bretter nach ihrem Beschädigungsgrad in drei Stapel unterteilte.
„Ja, aber sprich es nicht i-karem, sondern ikar-em“, korrigierte Silon.
Die Angesprochene wiederholte die Wörter noch einmal mit der anderen Betonung, womit der Halbcardassianer dann auch einverstanden war. „Genau. Du hast dich wirklich verbessert.“
Ziyal brachte auch ein paar anerkennende Worte heraus, aber an sich war ihr zum Weinen zumute.

Danke fürs Lesen :)
Rezensionen