TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Return to Grace

von Julian Wangler

Kapitel 2 - Der verworfene Plan

Korinas und Entek warteten im Garten, als Tain zu ihnen stieß. Der Kanar schmeckte ihnen vorzüglich. Gerade ließen sie sich von Mila etwas über den Garten erzählen; über die verschiedenen, von einem Dutzend Welten stammenden Blumen, die hier wuchsen und wie schwer es gewesen war, sie anzusiedeln. Sie waren beeindruckt, was die ältere Dame aus dem Anwesen gemacht hatte. Tatsächlich konnte auch Tain nicht leugnen, dass seine Haushälterin einen grünen Daumen hatte, von dem selbst er – der große Herr der Informationen – in ihrer Zeit auf Cardassia Prime nicht einmal etwas geahnt hatte.
Nachdem Tain sich gesetzt hatte, goss Mila ihm und den beiden Besuchern etwas Kanar nach, stellte ein paar Snacks bereit (dazu für jeden ein separates Schälchen mit Yamok-Sauce zum Dippen) und zog sich ins Haus zurück.
„Ich muss schon sagen, Tain…“, ließ sich Korinas anerkennend vernehmen. „Seit unserem letzten Besuch ist es hier noch eindrucksvoller geworden.“
„Dem kann ich mich nur anschließen.“, sagte Entek. „Ihr Alterssitz – wenn ich es denn so nennen darf...“
„Sie dürfen, wenn es unbedingt sein muss.“
„Nun, er ist fantastisch. Da möchte man es sich glatt zweimal überlegen, ob man nicht doch Pensionär sein will.“
Tain lachte über den Scherz und wurde sich wieder gewahr, dass er im Grunde einmal mehr eine klassische Agentenrolle einnahm: scheinbar Rentner, eigentlich Lenker. Andeutungsweise zeigte er in den weitläufigen Garten. „Wussten Sie, dass Mila hier so viel Obst und Gemüse anbaut, dass wir uns locker selbst versorgen könnten? Man kann ja nie wissen: Vielleicht bricht demnächst mal wieder eine Hungersnot aus.“
Er nahm seine beiden Gäste in Augenschein. Es kam nicht allzu häufig vor, dass sie einander von Angesicht zu Angesicht sahen, doch der Kontakt, in dem sie standen, ließ sich nur als äußerst intensiv bezeichnen. Normalerweise kommunizierten sie über eine verschlüsselte Verbindung, deren Frequenz ständig changierte. Der Kanal war einer der am besten geschützten, die der Obsidianischen Orden verwendete. Heute jedoch hatte Tain es als angebracht empfunden, Korinas und Entek zu sich einzuladen. Für ihn war das nicht nur ein Akt der Höflichkeit. Diese Art von Empfang gestattete es ihm auch, mit der Illusion zu spielen, er sei wirklich nur ein alter Mann auf dem Abstellgleis und empfange bloß ein paar Freunde aus früheren Tagen, um mit ihnen über Gott und die Welt zu plaudern. Der Schein trog, und das erfüllte ihn mit wachsender Zufriedenheit.
Korinas und Entek waren gegenwärtig seine engsten Vertrauten im Orden; beide gehörten zur obersten Führungsriege und waren früher einmal seine Schüler gewesen. Korinas, eine attraktive Frau mittleren Alters mit einer besonderen Vorliebe für markante Frisuren, war die Erste Repräsentantin des Geheimdienstes. Ihre Aufgabe war es, die Positionen und Leitlinien des Ordens in die cardassianische Regierung einzubringen und diese mit dem Zentralkommando zu harmonisieren. Sie war eine wichtige öffentliche Person, die den politischen Arm des Ordens repräsentierte.
Corbin Entek war früher einer von Tains Protegés gewesen und hatte verschiedenste hochkarätige Agententätigkeiten ausgeübt. Inzwischen leitete er die Rekrutierungs- und Ausbildungsabteilung des Ordens – einen Job, den er mit strenger Konsequenz und einer großen Hingabe ausfüllte. Lange Zeit war Entek als vielversprechendster Nachfolger für Tain gehandelt worden. Dass er sich dagegen entschieden hatte, in das höchste Amt aufzurücken, lag daran, dass Entek es nie für klug hielt, dass Tain sich pensionieren ließ. Nun, rückblickend betrachtet hatte er Recht gehabt.
Tain wusste, dass er sich hundertprozentig auf Korinas und Entek verlassen konnte. Über sie dirigierte er auch jene Person, die inzwischen offiziell an der Spitze des Geheimdienstes stand. Es war noch nicht sehr lange der Fall, seit Javin Pul – der Mann, der ihn unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus dem Amt beerbt hatte – einem bedauerlichen Unfall anheimgefallen war. Nachdem Tain den Entschluss gefällt hatte, wieder Einfluss auf die Dinge nehmen zu wollen, war dieser Schritt leider ab einem gewissen Punkt unumgänglich gewesen. Pul hatte zu starke eigene Ambitionen gehabt, die Tains Vorhaben und Zielen potenziell im Weg standen.
Mithilfe von Korinas und Entek war ein Nachfolger installiert worden, der sich nur als Marionette bezeichnen ließ. Ihn aus dem Hintergrund zu steuern, war ein Leichtes. Eines Tages würde auch er nicht mehr gebraucht werden – Tain hatte nicht ewig vor, in den Schatten zu verbleiben –, aber zum jetzigen Zeitpunkt diente die herrschende Konstellation seinen Interessen.
Sie gaben sich noch ein wenig dem Plausch hin, sodass wiedermals das trügerische Bild entstand, hier fände eine Art Familienzusammenkunft statt, die über völlig Gewöhnliches und Belangloses schwadronierte. Tain erzählte etwas über die Annehmlichkeiten der Arawath-Kolonie und dass er bei einer kleinen Wanderung doch tatsächlich einem Gettle begegnet sei. Dann habe er doch tatsächlich irgendwann gelesen, dass es gelungen sei, diese Tiere auf dem Planeten heimisch zu machen.
Auf seine Frage, was es Neues auf Cardassia Prime gebe, erzählte Korinas etwas von einem kürzlich eröffneten Vergnügungspark in Lakarian City, der sich zum Magneten für Familienausflüge entwickele. Humorvoll übertrieben fügte sie hinzu, ganze Orden des Militärs könnten derzeit wohl die Bereitschaft nicht garantieren, weil die Kinder der Legats und Guls sie terrorisierten, doch unbedingt mit ihnen nach Lakarian zu fahren.
Schließlich hatten sie sich warmgelaufen. Tain befeuchtete seinen Gaumen mit einem Schluck Kanar, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und umschloss seine Leibesfülle mit den Händen. „Nun, meine Freunde… Wollen wir uns der Sache annehmen?“
Entek stellte wie beiläufig einen kleinen Anti-Abhörsender auf den Tisch. Seine bescheidene Größe täuschte. Es war eines der neusten Modelle, die der Orden besaß. Hundertprozentig verlässlich; selbst die Romulaner hätten nichts Besseres aufbieten können. Wären sie auf einem dichter besiedelten Planeten gewesen, hätte Tain natürlich darauf bestanden, dass sie ins Innere des Hauses gingen. Doch die Villa auf Arawath stand mehr oder weniger allein, gelegen an der äußersten Peripherie einer kleinen Siedlung. Abgesehen davon war der Garten im Innenhof des weitläufigen Gebäudes gelegen, sodass sie ausreichend abgeschirmt waren. Und überhaupt war Enabran Tain ja seit Jahren Pensionär, wer konnte also ein Interesse daran haben, ihn dabei zu belauschen, wie er sich Programmpunkten wie Mittagsruhe oder Verdauung widmete? Nein, was für ein abwegiger Gedanke.
„Korinas?“
Sie fing an. „Das Jointventure zur Einrichtung der Relaisstation auf der anderen Seite des Wurmlochs ist, wie Sie wissen, vor zwei Wochen von beiden Regierungen beschlossen worden und befindet sich derzeit in Vorbereitung. Wir haben mit Dejar eine tüchtige Agentin gefunden, die vortrefflich zum Missionsprofil passt. Nach unserer Planung wird sie Ulani Belor und Gilora Rejal vom Wissenschaftsministerium begleiten, sobald die Einladung durch die bajoranische Regierung ausgesprochen wurde.“
„Das hört sich gut an.“
Tain schreckte nicht davor zurück, den Orden seine eigene Agenda verfolgen zu lassen, selbst wenn diese im Widerspruch zum Kurs des Zentralkommandos lag. Aus seiner Sicht gab es derzeit eine ganze Reihe von politischen Entscheidungen, die fundamental falsch getroffen worden waren und einer harten Korrektur durch den Orden bedurften. So war Tain gegen eine Annäherung zwischen Cardassia und Bajor, die über die Einrichtung einer Relaisstation im Gamma-Quadranten eingeleitet werden sollte. Aus seiner Sicht barg dies die Gefahr, dass sich Cardassia der Föderation noch mehr unterordnete und seine eigenen vitalen Interessen aus dem Blick verlor. Es war gut, dass die Operation bereits klar umrissen war. Zufällig kannte Tain Dejar und konnte bestätigen, dass es sich um eine vielversprechende Jungagentin handelte. Sicherlich würde sie die Sabotage des Jointventures erfolgreich meistern, und wenn das geschafft war, konnte sie sich für höhere Aufgaben berufen fühlen.
„Was ist mit unserem Maquis-Problem?“, zog er weiter.
„Wir sind Ihrem Vorschlag gefolgt und haben undercover zwölf Agenten in die Entmilitarisierte Zone eingeschleust.“
„Sie haben eine spezielle Schulung durchlaufen, ranghohe Anführer der Rebellen ausfindig zu machen und diskret zu eliminieren.“, ergänzte Entek. Auch, wenn er über Mord und Todschlag sprach, war seine Stimme sonor wie eh und je.
Tain nickte knapp. „Ich nehme an, Sie wissen, dass wir uns ein Auffliegen in dieser Sache nicht leisten können. Nachdem diese Idioten vom Zentralkommando sich plump und ungeschickt dabei angestellt haben, die cardassianischen Kolonien unter der Hand zu bewaffnen, müssen wir jetzt umso professioneller vorgehen.“
„Ich bin überzeugt, das werden wir.“
Eine extralegale Verfolgung und gezielte Tötung von hochrangigen Maquis-Mitgliedern. Bestimmt hätte Tain eine andere Möglichkeit vorgezogen, wenn er denn eine gesehen hätte. Doch die zurückliegende Krise in der EMZ, die durch die Torheit des Zentralkommandos noch einmal verschärft worden war, setzte den Orden nun unter Druck, schnell und effektiv mit der Bedrohung durch diese revoltierenden Ex-Föderationssiedler umzugehen.
Wieder einmal durften die Agenten des Geheimdienstes die Drecksarbeit machen. Anders als die Militärs, die allzu gerne mit geschwelter Brust herumliefen und mit ihrer dekadenten Lebensweise prahlten, erwarteten Mitarbeiter des Ordens weder ein Dankeschön noch eine besonders hohe Vergütung. Das Gedeihen von Staat und Volk war ihnen Lohn genug.
„Wie sieht es mit den Zielpersonen aus?“
„Einige sind bereits identifiziert und zur Tötung ausgegeben worden.“, berichtete Entek kühl. „Darunter drei ehemalige Sternenflotten-Offiziere: Calvin Hudson, Chakotay und Ro Laren.“
„Suchen Sie weiter.“, wies Tain an. „Wir müssen sichergehen, dass wir dieser Bewegung so schnell wie möglich die Köpfe abschlagen. Da die Föderation sich als unfähig erwiesen hat, dieses Problem zu lösen, werden wir Terror in unserem eigenen Raum nicht länger hinnehmen.“
„Wir sehen das genauso.“
Tain ging zum nächsten Punkt der Agenda über. „Entek, sind wir bereit, der Dissidentenbewegung auf Cardassia einen Schlag zu versetzen?“
„Es sieht alles gut aus. Wir bereiten derzeit die Entführung von Major Kira Nerys vor.“
„Kira?“ Tain glaubte, er hätte sich verhört. „Warum gerade sie?“
Entek lächelte finster. „Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wen Iliana Ghemor ersetzen sollte, als der Orden ihr Erscheinungsbild veränderte, ihr Gedächtnis neu programmierte und sie nach Bajor schickte. Kira Nerys, damals hochrangige Widerstandskämpferin.“
Tain war nicht erfreut. „Warum habe ich nie etwas davon erfahren?“
„Unbekannt.“, entgegnete Entek und klang nicht unbedingt vergnügt.
„Das sollte dringend aufgearbeitet werden. Ich will wissen, wer es mir seinerzeit verschwiegen hat.“
„Natürlich.“, sagte Entek. „Aber seien Sie versichert: Kira eignet sich perfekt für unser Unterfangen. Nach einem kleinen Eingriff in punkto plastische Chirurgie wird sie aussehen wie Legat Ghemors Tochter.“
Tain war wieder zufrieden gestimmt. „Wann kann die Operation erfolgen?“, fragte er mit breitem Grinsen.
„Sobald sie zu Ende geplant ist. Wir brauchen immerhin einen glaubwürdigen Vorwand, um den Major von Deep Space Nine wegzulocken. Ich denke aber nicht, dass wir noch viel Zeit benötigen. Einige Wochen im Höchstfall.“
Korinas schaute anerkennend zu Entek und dann zu Tain. „Wenn alles gut geht, wird diese Operation unseren Verdacht in Bezug auf Legat Ghemor erhärten, und ein wichtiger Kopf wird der Opposition verloren gehen.“
„Ghemor ist gefährlich, davon bin ich überzeugt.“, bekräftigte Tain. „Ich hatte schon vor zehn Jahren das zunehmende Gefühl, dass man ihm nicht trauen kann. Wir müssen ihn so schnell wie möglich überführen und anschließend beseitigen.“
Aus Tains Sicht ging das Zentralkommando viel zu lax mit der Bedrohung durch die Dissidenten um. Sie unterschätzten das explosive Potenzial sträflich, das ein planetenweiter Aufstand in sich barg. Und wenn das Militär wieder einmal zu kurzsichtig war, sich einer Bedrohung für die Sicherheit Cardassias anzunehmen – wer durfte zusehen, wie man die Sache gerade bog? Natürlich der Orden.
„So, genug des Geplänkels. Und nun… Berichten Sie mir vom Orias-System, Korinas. Wie geht der Aufbau der Flotte voran?“
Die Andeutung eines Schattens legte sich über Korinas‘ Gesicht. Sie antwortete nicht sofort. „Nun, es…gibt keinerlei Komplikationen oder Rückschläge.“
„Hat irgendjemand Notiz von den Aktivitäten bei Orias genommen? Irgendjemand, der etwas ahnen könnte?“
„Nein, niemand.“
„Dann läuft offenbar alles nach Plan.“, schlussfolgerte Tain.
Korinas und Entek warfen einander einen schwer deutbaren Blick zu. Irgendetwas hielten sie vor ihm geheim. Irgendetwas, das ihnen Kopfzerbrechen bereitete.
Tain kniff die Augen zu Schlitzen und betrachtete seine langjährigen Kollegen. „Was ist los?“
Korinas sog deutlich hörbar Luft durch ihre Nüstern. „Sehen Sie, Tain, Orias ist der Grund, warum es uns wichtig war, heute vor Ort bei Ihnen zu sein.“
„Ich bin ganz Ohr.“, versicherte er.
Wieder tauschten Korinas und Entek einen seltsamen Ausdruck. „Wie soll ich es ausdrücken… Wir sind noch einmal alles durchgegangen, und um ganz ehrlich zu sein… Wir sind nicht vollständig überzeugt, dass sich das Risiko vertreten lässt.“
Entek setzte auf dem Gesagten auf: „Die Gefahr, dass wir scheitern, ist nach wie vor beträchtlich. Ich weiß, dass Sie das in einem so fortgeschrittenen Stadium des Unterfangens nicht hören wollen, Tain, aber der Einwand ist berechtigt.“
„Das Risiko.“, wiederholte Tain und schaute für einen Moment in das bunte, gepflegte Blumenmeer seines Gartens, der so überaus friedlich anmutete. „Darüber haben wir bereits ein Dutzend Mal gesprochen. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir etwas gegen diese Regierung unternehmen müssen. Gegen das Zentralkommando. Wenn es nicht da wäre, müssten wir nicht ständig die dramatischen Fehler, die es begeht, ausbaden und mühsam korrigieren. Es wäre die Lösung all unserer Probleme.“
„Seien Sie versichert: Wir sehen das Zentralkommando ebenso kritisch wie Sie, Tain.“, sagte Korinas. „Auch wir wollen es lieber heute als morgen loswerden. Doch die Frage ist, ob es nicht zu früh und zu gefährlich ist, einen solchen Schlag zu unternehmen, wie wir ihn ausgearbeitet haben.“
„Zu früh? Zu gefährlich?“ Tain schüttelte sein bulliges Haupt. „Das glaube ich nicht.“
„Wir jedoch schon.“
Der schneidende Widerspruch, den er plötzlich erntete, gefiel ihm nicht. Tain legte den massigen Kopf an und musterte seine beiden Mitarbeiter. „Sie fürchten sich doch nicht etwa, oder?“
„Mit Furcht hat dies nicht im Geringsten etwas zu tun.“, räumte Korinas aus. „Wir würden Ihnen keine guten Dienste als Berater leisten, wenn wir nicht alle Fakten auf den Tisch legen. Und in diesem Fall ist es nun mal Fakt, dass ein Scheitern sehr wohl möglich ist. Wir möchten Ihnen daher vorschlagen, die Angelegenheit noch einmal zu überdenken.“
Tain ächzte ein Lachen, doch er fühlte sich ganz und gar nicht heiter. „So aufmüpfig kenne ich Sie beide ja gar nicht.“ Entgegen seines Trotzes ahnte er jedoch, dass seine zwei besten Mitarbeiter ihm nicht ihre ausdrücklichen Bedenken vortragen würden, wenn sie nicht in rationaler Weise davon überzeugt waren.
„Korinas hat aber Recht.“, meinte nun Entek und faltete die Hände auf dem Tisch. „Die letzten Prognosen, die wir durchgeführt haben, sprechen eine klare Sprache: Die Wahrscheinlichkeit, dass es uns gelingt, die Operation erfolgreich durchzuführen, liegt im günstigsten Fall bei gerade einmal dreiundfünfzig Prozent. Und Sie möchten nicht wissen, wie viele kritische Variablen wir dabei auf positiv gestellt haben.“
Korinas nickte bestätigend. „Das ist ein enormer Unsicherheitsfaktor.“
Und wieder Entek: „Tain, seit wann gibt sich der Orden mit einem so großen Risiko, einen Fehlschlag zu erleiden, zufrieden?“
„Es ist keine gewöhnliche Operation.“, wehrte sich Tain, der sich plötzlich in die Rolle des Rechtfertigers gedrängt sah. „Wir wollen das ganze politische System Cardassias ändern. Der Orden soll regieren. Haben Sie das etwa vergessen?“
„Ganz gewiss nicht.“, beteuerte Korinas. „Aber es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, das Ganze zu überstürzen.“
Tain war andere Meinung. „Doch, den gibt es. Das Zentralkommando gefährdet mit seiner törichten Politik ganz Cardassia. Es wird uns nicht immer gelingen, seine Patzer rechtzeitig zu beseitigen. Und ich darf Sie daran erinnern, dass wir mit dem Bau dieser Flotte begonnen haben. Wir haben die Grenze bereits überschritten.“
Jeder am Tisch wusste, was sich dahinter verbarg: Der Orden durfte laut Verfassung keine eigenen Kriegsschiffe besitzen. Tat er es doch, hatte er ernsthafte Schwierigkeiten. „Wir können nicht mehr zurück. Jetzt müssen wir zu Ende bringen, was wir anfingen.“
Enteks schwarze Augen wurden größer. „Ist das Ihr letztes Wort?“, wollte er wissen.
„Warum sollte es das nicht sein?“
Entek setzte zu seinem letzten Appell an: „Weil Sie – entschuldigen Sie meine Hartnäckigkeit – im Grunde wissen, dass Sie die Zweifel an diesem Einsatz nicht von der Hand weisen können. Wir verstehen Ihre rechtschaffenen Motive und Ihren Wunsch, die politischen Verhältnisse auf Cardassia grundlegend zu ändern, Tain. Doch wir setzen mit einer sehr hohen Irrtumswahrscheinlichkeit die gesamte Existenz des Ordens aufs Spiel. Denn führen wir uns vor Augen, was passieren wird, wenn das Ganze schiefläuft: Der Orden wird eines Putschversuchs überführt werden. Selbst, wenn wir die Sache von Ihnen weglenken, wird sich die Verurteilung und Hinrichtung aller Spitzenfunktionäre sowie die Auflösung des Ordens nicht verhindern lassen.“
Verflucht., dachte Tain. Er musste zugeben, dass der Plan beziehungsweise dessen Realisierungspotenzial stets etwas vage geblieben war. Vor ein paar Monaten hatte er sich zum Ziel gesetzt, das Zentralkommando zu stürzen und eine obsidianische Regierung, möglichst unter seiner Führung, zu errichten. Aber das zu erreichen, war etwas anderes als die Politik des Zentralkommandos hin und wieder mit chirurgischen Eingriffen zu konterkarieren. Bei dieser Materie musste man aufs Ganze gehen – und mit den Konsequenzen leben.
Tain hatte über ein paar alte Kontakte erwirkt, im Orias-System auf einer Geheimbasis eine Flotte von verbesserten Keldon-Kreuzern hochzuziehen. Zwanzig Schiffe würden es am Ende sein – wenn es hoch kam. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, mit diesen Schiffen einen überraschenden Schlag im Heimatsystem durchzuführen und das Zentralkommando sowie den Detapa-Rat bei einer gemeinsamen Sitzung auszulöschen. Parallel sollten loyale Obsidianagenten überall im cardassianischen Raum ausschwärmen und die verbliebenen Spitzen des herrschenden Apparats ausradieren. Er hatte darauf spekuliert, dass das Militär ohne Führung orientierungs- und richtungslos sein würde und sich um den neuen, starken Mann scharen würde, der sich anschickte, ganz schnell neue Fakten zu schaffen. Ihn.
Mit einem Mal fiel es Tain wie Schuppen von Augen. Er kam nicht umhin, einzuräumen, dass dieses Vorhaben entweder vor Naivität strotzte, fürchterlich übereilt war oder einen ganz speziellen Größenwahn dokumentierte. Vielleicht eine Mischung aus allem, und nichts davon sah dem alten Enabran Tain ähnlich, der sich nie auf ein solches Himmelfahrtskommando eingelassen hätte. Der alte Enabran Tain hätte nie mit dem Kopf durch die Wand gewollt, egal wie stark seine persönlichen Motivationen auch gewesen wären. Nein, Korinas und Entek hatten Recht. Das Risiko war in der Tat zu groß. Es war unvertretbar.
Und wenn man die Sache weiterdachte, ergaben sich neue, zum Himmel schreiende Probleme. Hunderte von Jahren hatte die Militärregierung nur deshalb Stabilität wahren können, weil Zentralkommando und Obsidianischer Orden eine symbiotische Beziehung miteinander eingingen, auch wenn sie nicht selten unterschiedlicher Meinung waren, wie das cardassianische Imperium zu führen war. Wenn nun das Zentralkommando zusammenbrach, wie wahrscheinlich war es da, dass es der Orden – selbst unter den besten Startvoraussetzungen – auf Dauer alleine schaffen würde, die Regierungsgewalt zu bewahren? Selbst mit allen Kontakten, über die Tain verfügte, würde das eine Mammutaufgabe werden.
Vor seinem geistigen Auge stürzte das Kartenhaus, das er voller Ungeduld errichtet hatte, mit Getöse in sich zusammen. Warum war er in dieser Angelegenheit so verbissen gewesen? Hatte er sich früher nicht von klugen Argumenten leiten lassen? Er konnte nicht behaupten, dass die beiden Personen, die vor ihm saßen, jemals von seiner Staatsstreichidee sonderlich angetan gewesen waren. Und er hatte trotzdem weitergemacht, die Angelegenheit durch sein Machtwort vorangetrieben, ohne sich nüchtern mit ihr zu beschäftigen.
War diese Sturheit etwa eine Folge seines Alters? Wenn er wieder eines Tages in seinen alten Job zurückwollte, schwor sich Tain, musste er sein Verhalten schleunigst ändern. Er musste wieder kühler werden, es nicht so persönlich nehmen. Seine starken Emotionen vernebelten ihm die Sinne.
„Sie haben Recht. Sie haben völlig Recht. Es ist ein Irrweg, dieser ganze Plan. Ich schätze, ich hatte es nötig, dass Sie mir den Kopf waschen.“ Tain seufzte leise. „Und was machen wir jetzt mit diesen Schiffen?“, fragte er, nun deutlich ruhiger.
„Den Bau dieser Flotte zu beginnen, war kein Fehler.“, entgegnete Korinas beherzt. „Ganz im Gegenteil. Ich finde, Tain, das war ein gerissener Schachzug von Ihnen. Orias ist ein extrem abgeschiedenes System. Wir können sie permanent dort stationieren und bei wichtigen Geheimeinsätzen auf sie zurückgreifen. Das wird sich zu unserem Vorteil auswirken, solange wir verstehen, diese Flotte vor den Augen des Militärs zu verbergen. Wieso sollte es der Orden weiter hinnehmen, keine Kriegsschiffe zu besitzen?“
„Ich stimme der geschätzten Kollegin zu.“ Entek verschränkte die Arme, während sein Blick zwischen Tain und seiner Kollegin wechselte. „Und wie geht es jetzt weiter? Legen wir damit das Ziel der Regierungsübernahme erst einmal auf Eis?“
„Nein, nein.“, entschied Tain und nahm wieder Fahrt auf. „Wir müssen nur noch einmal in aller Ruhe darüber nachdenken, eine neue Perspektive finden. Dann werden wir schon einen gangbaren Weg finden, wie wir unser Ziel doch noch erreichen können. Der Orden ist Cardassia, und deshalb muss Cardassia uns gehören.“
Rezensionen