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Inmitten des fallenden Schnees

von Emony

Kapitel 1

Das Schneegestöber hielt seit mehr als zwölf Stunden an. Wer auch immer die Behauptung in die Welt gesetzt hatte, dass Schnee wunderschön und ach so romantisch sei, hatte vermutlich noch nie den verdammten Weg zu seinem Auto freischaufeln müssen. Leonard war längst darüber hinaus sich über den Schneefall zu ärgern. Er schäumte bereits vor Wut. In seinem Zorn warf er die Schneeketten vor seinen Pickup – dessen Ladefläche übrigens auch voll mit tonnenweisem Schnee war! – und schnappte sich einmal mehr die Schippe. Es würde ewig dauern die Schneeketten anzulegen und noch länger, um in die Stadt zu fahren und Vorräte einzukaufen. Ewig! Allerdings standen die Feiertage bevor und er hatte nicht vor an Weihnachten zu verhungern, auch wenn er die Festtage allein verbringen würde.

Seine Frau – nein, seine zukünftige Exfrau – hatte ihm keine vierundzwanzig Stunden zuvor gesagt, dass sie die Scheidung einreiche und er gefälligst ausziehen müsse! Nach beinahe zehn Jahren Ehe! War das zu fassen? Und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten und natürlich nachdem er ihr bereits die juwelenbesetzten Ohrstecker gekauft hatte. Hätte ihr das nicht vor ein oder auch zwei Monaten einfallen können? Hatte er die Warnsignale übersehen? Es spielte keine Rolle mehr. Ihre Ehe war schon lange keine glückliche mehr gewesen. Sie waren sich in so vielerlei Hinsicht fremdgeworden, hatten sich regelrecht auseinandergelebt. Es war eigentlich abzusehen gewesen, doch Leonard hatte die Augen davor verschlossen und sich weiterhin auf seine Karriere konzentriert.

Seine Eltern hatten ihn nach Georgia eingeladen, aber er zog die Einsamkeit dieser Tage vor. Ihm war nicht nach geheuchelter Fröhlichkeit. Er war sauer auf die ganze verdammte Welt und er wollte seinen Frust ertränken. Unten im Tal gab es einen kleinen Tante-Emma-Laden, der hoffentlich auch den einen oder anderen Bourbon führte. Nein, so wollte er sich seinen Eltern auf keinen Fall präsentieren, auch wenn sie ihm zugesichert hatten, dass sie ihn verstünden. Wie konnten sie ihn verstehen wollen? Ihre Ehe hielt nunmehr seit über vierzig Jahren, während seine kein Jahrzehnt überdauert hatte. Wie um alles in der Welt war es seinem Vater gelungen ein erfolgreicher Chirurg, Ehemann und sogar Vater zu sein? Leonard war schon dabei gescheitert seine Frau glücklich zu machen, von Kindern war noch nicht mal die Rede gewesen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit allein mit seinen Gedanken und vier Schneeketten später saß er endlich in seinem Wagen und ließ die Heizung auf voller Stärke laufen. Allerdings dauerte es eine ganze Weile, bis endlich warme Luft aus den diversen Schlitzen trat und seine inzwischen halbsteifen Finger wärmte. Vielleicht hätte er doch die Lenkradheizung in die Ausstattung mit aufnehmen sollen. Jetzt war es dafür zu spät. Und in Atlanta war es einfach nie so kalt wie hier im Nirgendwo von Montana.

Die Scheibenwischer kamen kaum gegen den heftigen Schneefall an. Leonard konnte keine fünf Meter sehen und fuhr daher im Schneckentempo den Berg hinab ins Tal. Was mussten seine Eltern sich auch ausgerechnet ein Ferienhaus in den Bergen kaufen? Hätten sie sich nicht eins in Florida gönnen können, oder in einem der zahlreichen anderen Staaten der USA, in denen es selbst im Winter nie kälter als fünfzehn Grad wurde?

Die Scheiben beschlugen trotz der Lüftung. Leonard zog daher den Ärmel seines Parkas über die rechte Hand und wischte die Innenseite der Frontscheibe frei. Ein Unfall war so ziemlich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

Irgendwie gelang es ihm die Stadt unbeschadet zu erreichen. Dort kaufte er in aller Windeseile sämtliche Lebensmittel, die er für ein paar Tage brauchen würde, dazu einen Karton voller Kerzen, Zündhölzer – man konnte nie wissen! – und reichlich Getränke, darunter selbstredend auch zwei Flaschen des besten Bourbons, den der kleine Laden führte.

Als er seinen Einkauf erledigt hatte, wurde es bereits dunkel, dabei war es noch nicht mal fünf Uhr am Nachmittag. Der gesamte Tag war schon sehr düster gewesen, was nicht zuletzt an den dicken grauen Wolken lag, die ohne Unterlass Schnee auf Montana herabrieseln ließen.

Zurück im Wagen, der in wenigen Minuten wieder eiskalt geworden war, aktivierte Leonard sofort die Scheibenwischer und die Heizung. Diesmal dauerte es nicht ganz so lange, bis warme Luft aus dem Gebläse kam, immerhin besaß der Motor noch etwas Restwärme. Auch das Radio sprang gewohnheitsmäßig an, sobald er den Zündschlüssel gedreht hatte und spielte ein Weihnachtslied. Wie hätte es auch anders sein können? Er wechselte ein ums andere Mal den Sender, doch überall wurde nichts als weihnachtliche Musik gespielt. Ob es der Rock- und Popsender, der Sender für alte Leute oder der klassische Musiksender war. Es spielte gar keine Rolle. Überall derselbe Mist! Wäre Leonard nicht so überstürzt abgereist, hätte er sich noch eine Playliste mit seinen Lieblingssongs aufs Handy geladen. Aber so musste er sich mit dem zufrieden geben, was das Radio spielte oder der Stille lauschen. Er wusste beim besten Willen nicht, was er im Augenblick schlimmer fand.

Die Sichtverhältnisse verschlechterten sich zunehmend. Wäre die Hütte nicht noch einige Kilometer entfernt, hätte er den Wagen stehen gelassen und wäre lieber zu Fuß gegangen. Andererseits hatte er es auch warm im Auto, was der eisigen Kälte außerhalb eindeutig vorzuziehen war.

Im Radio wurde eines von Jocelyns Lieblingsliedern angespielt. Leonard fixierte das Radio mit einem wütenden Blick und drückte solange auf den Sendertasten herum, bis er endlich mit einem anderen Song beschallt wurde und aufatmen konnte. Sein Blick richtete sich gerade wieder zurück auf die kaum sichtbare Straße, als er jemanden auf der Fahrbahn sah und vor Schreck in die Eisen stieg. Eine dumme Idee, trotz der Schneeketten. Das Heck brach aus und traf wen auch immer, der da im Halbdunkel auf der verschneiten Straße unterwegs war! Es folgte ein dumpfes Geräusch, ein kurzes Ruckeln und dann stand der Wagen endlich still. Leonards Herz raste panisch! Er hatte jemanden überfahren!

„Oh Gott, bitte nicht!“, rief er gen Himmel und blinzelte gegen das Schneegestöber an. „Hallo? Sind Sie verletzt?“ Er rannte um seinen Wagen herum und fand ein paar Meter entfernt den Körper. Obwohl er glaubte die Figur eines Menschen gesehen zu haben, ehe alles so schnell ging, hoffte er trotzdem nur ein Tier angefahren zu haben. Als er näherkam, bestätigte sich jedoch seine Befürchtung. Ein Mann lag bäuchlings im Schnee und regte sich nicht. „Scheiße, Scheiße, Scheiße …“ Leonard rannte zu dem leblosen Körper, der im Licht der Rückscheinwerfer seines Pickups lag, und kniete sich neben ihn. Da er ohnehin keine Handschuhe trug tastete er sofort nach einem Puls an der Halsschlagader des Mannes. Der Puls war schwach, aber spürbar. „Können Sie mich hören?“ Der Mann reagierte nicht. Leonard wagte es nicht, den Körper auf den Rücken zu drehen, um ihn sich genauer anzusehen. Schließlich könnte die Wirbelsäule verletzt sein.

Mit zitternden Fingern suchte er die Taschen seines Parkas nach dem Handy ab und fand es schließlich. Hastig wählte er die Notrufnummer, aber das Telefon blieb stumm. Entsetzt starrte er auf das Display, das ihm mitteilte, dass er kein Netz hatte. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Wäre es nicht ein so teures Gerät gewesen, hätte er es vor Wut den Hang hinabgeschleudert. Stattdessen steckte er es wieder ein. „Mister, können Sie mich hören? Ich bin Arzt. Ich muss mir Ihre Verletzungen ansehen.“ Der Mann reagierte auch weiterhin nicht, also nahm Leonard seinen eigenen Schal vom Hals und band ihn um den des anderen Mannes, obwohl dieser bereits selbst einen trug. Das würde die Halswirbelsäule zumindest etwas schützen, wenn auch nur geringfügig.

„Was haben Sie nur hier draußen verloren? Sie hätten eine verdammte Warnweste tragen müssen oder zumindest irgendeine Form von Reflektoren. Wären Sie nicht so nachlässig gewesen und mitten auf der Fahrbahn unterwegs gewesen, hätte ich Sie gar nicht erst angefahren!“, schimpfte er und drehte den Bewusstlosen zu sich herum. Im Licht der Scheinwerfer konnte er die noch jungen Gesichtszüge des Mannes gut erkennen. „Verdammt!“ Konnte es kein alter Mensch sein? Jemand, der zumindest schon einen Großteil seines Lebens hatte genießen können? Der Mann reagierte nicht übermäßig auf die Abtastung, was Leonard als positiv verbuchte. Zumindest schien er keine inneren Verletzungen zu haben. Die Pupillen reagierten, wenn auch träge. Gehirnaktivität war also auch noch vorhanden. Beim Abtasten der Rippen zuckte sein Patient jedoch zusammen, ebenso, als er den linken Fußknöchel bewegte. Weiter schien ihm, obwohl er bewusstlos war, nichts zu fehlen. Er hatte Glück im Unglück gehabt. Sie beide hatten das.

„Ich werde Sie jetzt zu meinem Wagen bringen“, ließ er den jungen Mann wissen. Das nächste Krankenhaus war mehrere Stunden entfernt. Und bei dem Schneesturm, überlegte Leonard, würde es vermutlich einen halben Tag, beziehungsweise die halbe Nacht dauern, ehe ein Rettungswagen sie erreichte. So kam es, dass er sich dazu entschloss den jungen Mann vorerst mit zu sich in die Hütte zu nehmen. Wenn der Mann wieder bei Bewusstsein war und Leonard sicher sein konnte, dass er den Transport ins Krankenhaus überstand und sie dort vor allem trotz des Schneesturms lebendig ankämen, würde er ihn zur Not selbst hinfahren. Vorerst mussten sie aus der Kälte heraus, ehe der Mann noch Erfrierungen erlitt.

Ganz allein einen Bewusstlosen mehrere Meter zu bewegen, stellte sich als echte Herausforderung dar. Dennoch gelang es Leonard irgendwie den jungen Mann auf seine Rückbank zu legen und sogar notdürftig anzuschnallen.

Im Schneckentempo fuhr Leonard die Straße hinauf, bis er endlich die dunklen Umrisse der Ferienhütte seiner Eltern zwischen den Nadelbäumen ausmachen konnte. „Wir sind gleich da.“ Es spielte keine Rolle, dass sein Patient nicht reagierte. Leonard war überzeugt, dass er ihn trotzdem hören konnte. Er sprach immer mit seinen Patienten, auch wenn sie ihm manchmal gehörig auf die Nerven gingen und er sie am liebsten unter Narkose in seinem Operationssaal liegen hatte.

Das Haus war genauso, wie Leonard es verlassen hatte. Etwas kühler vielleicht, weil das Holz im Kamin allmählich niedergebrannt war, aber das ließ sich leicht beheben. Seinen Patienten legte er in das große Bett, das er eigentlich für sich selbst vorgesehen hatte. Dort zog er dem Mann erstmal sämtliche vom Schnee durchnässte Kleidung aus und deckte ihn anschließend gut zu. Als Leonard erneut die Pupillenreflexe überprüfte, stellte er erfreut zwei Dinge fest; die Reaktion hatte sich bereits verbessert und der Mann hatte die blauesten Augen, die er je im Leben gesehen hatte. Sie wirkten fast schon unnatürlich, so klar war das Blau. Es erinnerte ihn sofort an den wolkenlosen Sommerhimmel über Georgia, den er hier in Montana schmerzlich vermisste.

Den linken Fußknöchel seines Patienten schiente Leonard notdürftig und so professionell, wie es anhand seiner Ressourcen möglich war. Für die Frakturen der Rippen konnte er nicht viel mehr tun als eine einigermaßen straffe Bandage anzulegen. Kaum, dass er damit fertig war, regte sich sein Patient unter seinen Händen und brummte vor Schmerzen. Als der junge Mann schließlich blinzelnd die Augen öffnete und Leonard nach einer Weile wahrnahm, kam ein raues „Hey“ über dessen Lippen.

„Hallo“, grüßte Leonard ihn. „Wie geht es Ihnen?“

Der junge Mann verdrehte leicht die Augen und befeuchtete seine Lippen. „Ging schon mal besser“, krächzte er heiser. „Habe Durst.“

Leonard nickte und holte ihm geschwind etwas zu trinken. „Langsam“, bat er, als er seinem Patienten das Glas an die Lippen führte und dieser begierig das Wasser darin trank. „Wie ist Ihr Name? Wissen Sie, welcher Tag heute ist?“

„James Kirk“, antwortete er nach einem kurzen Moment auf die erste Frage. „Ich glaube heute ist der zweiundzwanzigste Dezember.“

Leonard atmete erleichtert aus. Kein Gedächtnisverlust. Das war ein gutes Zeichen! „Ich bin Arzt, James. Ich würde Sie gerne nochmals untersuchen, jetzt, da Sie bei Bewusstsein sind. Sind Sie damit einverstanden?“

Statt darauf zu antworten, fragte James: „Was ist passiert?“

„Sie wurden angefahren“, erwiderte Leonard wahrheitsgemäß und zerknirscht zugleich.

Für einen Moment schien der junge Mann zu überlegen, dann kehrte wohl die Erinnerung an das Ereignis zurück. „Stimmt. So ein Idiot kam aus dem Nichts angeschossen. Ich hatte keine Möglichkeit mehr auszuweichen.“

„Der Idiot war ich“, gestand Leonard, „und ich kam keineswegs angeschossen. Ich bin nicht mehr als zwanzig Stundenkilometer gefahren, da ich kaum etwas sehen konnte. Sie sind der Trottel, der ohne Warnweste im Halbdunkel bei einem Schneesturm über eine Straße ging.“

James wollte sich im Bett aufrichten und seinem Gegenüber die Meinung sagen, als dieser ihn nachdrücklich zurück auf die Matratze presste. „Liegenbleiben. Ich weiß noch nicht, wie schwer Ihre Verletzungen sind, James.“

„Ich werde mich sicher nicht von Ihnen behandeln lassen. Ich kenne Sie überhaupt nicht. Und ich habe Stephan King gelesen. Wer weiß, was für ein Psychopath Sie sind …“ Erneut versuchte er sich aufzurichten und ein weiteres Mal wurde er von Leonard zurückgedrückt.

„‘Sie‘ ist ja wohl einer der beschissensten Romane, die je gedruckt wurden. King ist ein lausiger Autor mit einer kranken Phantasie. Ich habe nicht vor, Sie zu foltern oder länger hier zu behalten als nötig, keine Sorge. Ich bin Gott froh, wenn ich Sie ins örtliche Krankenhaus gebracht habe und der Obhut der dortigen Mediziner überlassen kann. Aber bis dahin kümmere ich mich nach bestem Wissen und Gewissen um Sie, denn das ist Teil des Eids, den ich abgelegt habe. Davon abgesehen verlangt mein Gewissen, dass ich Ihre Gesundung unterstütze. Denn auch wenn Sie im Grunde selbst Schuld an dem Unfall hatten, so war es doch das Heck meines Wagens, das Sie erfasst und davongeschleudert hat.“

„Von mir aus. Für eine Nacht bleibe ich. Aber ich verlange, dass Sie mich gleich morgen Früh ins Krankenhaus bringen.“ James schob das Kinn vor.

Leonard atmete tief durch die Nase ein. „Nichts lieber als das. Gestatten Sie mir nun die Untersuchung?“

Sein Patient nickte widerspenstig und Leonard begann einmal mehr ganz von vorn mit der Untersuchung, um sicherzugehen, dass er nichts übersah. Hier im Haus hatte er zumindest ein Blutdruckmessgerät und sein Stethoskop in seiner Arzttasche. Davon abgesehen konnte er seinem Patienten ein Schmerzmittel verabreichen, damit dieser besser schlafen konnte. Viel beschissener hatte dieser verdammte Tag wohl nicht enden können.
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