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Stufen des Lebens

von Emony

Herz aus Glas

Er rannte durch das rot belaubte Dickicht Nibirus, in seiner Hand die Schriftrolle, die er den Einheimischen gestohlen hatte, um sie aus dem Tempel zu locken, der viel zu nah an dem bedrohlichen Vulkan errichtet worden war. Er lief so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Je weiter er lief, desto dichter wurde der Wald vor ihm, den Pfad hatte er längst aus den Augen verloren. Dabei sollte er doch Bones auf dem Pfad treffen, so war es ausgemacht gewesen.

Er hatte sich verirrt!

Hastig sah er sich nach allen Richtungen um. Hinter ihm stürmten die Einheimischen mit wütendem Gebrüll auf ihn zu und kamen schnell näher. Jim hatte keine Wahl, er musste weiterlaufen, durfte nicht rasten. Die Muskeln in seinen Beinen schrien bereits auf vor Schmerz, seine Lungen begannen zu brennen.

Wo war Bones? Warum konnte er ihn nirgendwo finden? Sie sollten sich doch treffen …

Ohne nachzudenken klemmte Jim die Schriftrolle zwischen die Zweige eines nahen Baumes und rannte eilig weiter in Richtung Küste davon.

„Bones?“ Jim wagte es, sich um die eigene Achse zu drehen, hielt nach seinem Freund Ausschau. „BONES?“ Er konnte doch nicht ohne Bones zurück zur Enterprise. Er konnte ihn nicht zurücklassen, doch Bones war wie vom Erdboden verschluckt. „Bones, wo bist du? Lass uns verschwinden!“

Einige der Einheimischen hatten die Verfolgung noch nicht aufgegeben, waren weiterhin hinter ihm her. Er sah sie näherkommen und setzte seine Flucht gen Küste fort. Er würde für Bones zurückkehren und ihn an Bord der Enterprise beamen. Er würde Bones nicht auf diesem Planeten zurücklassen, niemals!

Im Sprint zog er einen Tricorder unter der grauen Kutte hervor, scannte rasch die Umgebung und fand eine Stelle, von wo aus er zum Ozean gelangen konnte. Hastig schob er das Gerät wieder ein, zog das kleine Atemgerät aus der kleinen Gürteltasche um seine Hüfte und umklammerte es mit festem Griff.

Er lief unbeirrt weiter, ignorierte die brennenden Schmerzen in seinen Oberschenkeln und in seiner Lunge. Er rannte einfach weiter und endlich erreichte er sein Ziel. Allerdings war er nicht an der Küste, wie es ursprünglich geplant gewesen war, sondern vielmehr an einer steilen Felsklippe angekommen. Jim hatte keine Wahl, durfte keine Zeit verlieren. Die Einheimischen waren hinter ihm her.

Ohne weiter nachzudenken klemmte er sich das kleine Atemgerät zwischen die Zähne und sprang. Viele Meter unter ihm toste die Brandung des Ozeans, der ihm entgegenraste und ihn schließlich barmherzig verschlang. Unter Wasser zog Jim die vollgesogene Kutte aus und befreite sich von ihrem unnötigen Ballast. Zurück blieb lediglich sein hautenger Schwimmanzug, den er unter der Kutte trug. Nach dem langen Sprint schrie seine Lunge geradezu nach Sauerstoff, sein Herz pumpte wild in seiner Brust, doch zumindest konnten die Schwimmbewegungen seiner Arme nun die Beine etwas entlasten, wenn auch nicht gänzlich.

Jim schwamm, als wäre ein Haifisch hinter ihm her und er hoffte bei Gott, dass es keine Raubfische irgendeiner Art in der Nähe hatte und dass er sicher zur Enterprise zurück gelangen würde. Schließlich war Bones noch immer irgendwo in den Wäldern des Planeten verschollen. Womöglich hatte er ebenso die Orientierung verloren wie Jim selbst, auch wenn er dies niemals zugeben würde. Immerhin war er der Captain eines Raumschiffes!

Der Ozean erstreckte sich endlos vor ihm. Kleine Fischschwärme kreuzten seine Bahn und anderes Getier, das er gerne näher untersucht und katalogisiert hätte, wäre er nicht unter Zeitdruck. Er musste die Enterprise erreichen. Spock musste seinen Rieseneiswürfel rechtzeitig zünden. Und dann war da noch Bones …

Das Schiff … war nicht mehr da! Jim war sich sicher, die richtigen Koordinaten erreicht zu haben. Der Sauerstoff des Atemgeräts reichte bestenfalls für zwei Stunden. Er glaubte nicht, dass er sich schon wieder verirrt hatte. So lausig war sein Orientierungssinn wirklich nicht. Ganz im Gegenteil war dieser unter anderen Umständen sogar ausgezeichnet. Was war nur los mit ihm?

Abermals zückte er den Tricorder, der von Scotty so modifiziert worden war, dass er auch unter Wasser funktionierte und nicht etwa den Geist aufgab. Er scannte die Umgebung unter Wasser, versuchte zumindest einen Anhaltspunkt zu finden, doch die Enterprise war verschwunden …

Verständnislos schob er den Tricorder zurück in die Gürteltasche und schwamm Richtung Meeresoberfläche. Sobald sein Kopf wieder an der Luft war, nahm er das Atemgerät aus seinem Mund und sah sich um. Weit und breit war nichts als Ozean zu sehen. Selbst die zerklüftete Klippe, von der er keine dreißig Minuten zuvor gesprungen war, war fort. Wie war das möglich? Soweit konnte er selbst mit Hilfe einer Strömung nicht in der kurzen Zeit geschwommen sein, oder doch?

Jim zückte seinen Kommunikator, ebenfalls von Scotty wasserdicht gemacht, und öffnete einen Kanal. „Kirk an Enterprise. Enterprise, bitte kommen.“

Nichts. Nur statisches Rauschen.

„Enterprise, bitte kommen. Hier spricht der Captain. Ich fürchte, ich wurde von einer Strömung abgetrieben und finde nun nicht mehr zum Schiff. Enterprise …“

Als erneut keine Antwort folgte, kroch langsam aber stetig Panik in Jim auf. Hatten ihn alle verlassen? Hatten sie ihn vergessen? Wo war Bones? Wo die Enterprise?

Über ihm verdunkelte sich der Himmel Nibirus zunehmend und es dauerte eine Weile, bis Jim begriff, dass das keine normalen Wolken waren. Es waren Qualm und Aschewolken, die ihm die Sicht auf den Himmel nahmen.

„Enterprise!“, rief er diesmal energischer in das Kommgerät in seiner Hand, während er mit der anderen versuchte sich über Wasser zu halten. „Enterprise, bitte kommen!“

Als ihm klar wurde, dass er ganz allein auf Nibiru zurückgeblieben war und dass Spock die Eruption des Vulkans ganz offensichtlich nicht hatte stoppen können, entrang sich ein Schrei seiner Kehle, der aus seinem tiefsten Innern kam.


Im Dunkel seines Quartiers erwachte Jim Kirk mit dem Echo seines Schreis auf den Lippen, Schweiß perlte auf seiner Haut. Er fand sich aufrecht im Bett sitzend wieder, einen Moment lang orientierungslos. Die Sterne vor seinem Fenster zogen in dünnen Lichtstreifen vorbei. Dass sie weiterhin mit Warpgeschwindigkeit unterwegs waren, nahm Jim nur unterbewusst wahr.

Es brauchte einige Sekunden, bis sich sowohl sein Herzschlag als auch seine Atmung langsam normalisierten und er sich dessen vollends bewusst wurde, dass er in Sicherheit auf der Enterprise und in seinem Quartier war. „Computer Licht, zwanzig Prozent.“ Der Raum wurde sogleich in Dämmerlicht getaucht.

Die linke Bettseite war leer. Natürlich war sie das. Bones wohnte nicht mehr bei ihm. Jim hatte es für einen allzu flüchtigen Moment vergessen – verdrängt. Er vermisste Bones fürchterlich. Nicht nur als Lebensgefährten, sondern auch als Freund.

Bones hatte sich zunehmend zurückgezogen. Auf professioneller Ebene hatte sich wenig verändert. Sie beide waren gut genug darin, ihr Privatleben nicht mit dem Beruflichen zu vermischen. Sie sahen sich zu Besprechungen, Bones reichte in akribischer Regelmäßigkeit seine Stationsberichte ein und gelegentlich trafen sie sich sogar zu einem gemeinsamen Essen in der Mannschaftsmesse. Allerdings schien Bones stets darauf zu achten, nicht mit Jim allein zu sein. Immer waren Scotty und Keenser oder Spock und Uhura dabei, einmal sogar Chekov, der sich während des Essens fortwährend unruhig durch sein lockiges Haar gefahren war.

Es war nicht mehr wie früher zwischen ihnen. Und Jim wusste sehr genau, dass es seine eigene verdammte Schuld war. Er hatte eine Auszeit gebraucht. Nicht etwa, weil Bones ihn bedrängt hätte, sondern weil er sich selbst nicht sicher war, ob es tatsächlich Liebe war, was er für Bones empfand. Jim war sich nicht sicher, ob er überhaupt wusste, was Liebe war. Und solange er sich seiner Gefühle nicht absolut hundertprozentig sicher war, würde er nicht versuchen seine fragile Beziehung zu Bones zu kitten. Er hatte Bones schon genug wehgetan, hatte ihm ohnehin schon zu viel Hoffnung gemacht und sich dann doch wieder in sein Schneckenhaus verzogen.

Jim ließ sich zurück in die Kissen sinken und starrte an die Decke seines Quartiers. An Schlaf war nach diesem Alptraum erstmal nicht mehr zu denken.

Er drehte sich auf seine linke Seite und sah das leere Kissen an. Früher hatte er gern in der Mitte des komfortablen Bettes geschlafen. Nachdem Bones bei ihm eingezogen war, hatte er sich schnell daran gewöhnt, nach rechts auszuweichen. Seine Finger glitten wie von selbst über das unberührte Kissen. Im Moment würde Jim nahezu alles dafür geben, wenn Bones hier neben ihm liegen würde und er sich an ihn kuscheln könnte.

Nachdem Bones ihn mit Hilfe des gewonnenen Serums aus Khans Superblut ins Leben zurückgeholt hatte, war die Kluft zwischen ihnen noch größer geworden. Es war nicht so, dass Jim erwartet hatte, dass Bones ihn küssen oder ihm gar verzeihen würde, als er wieder zu sich gekommen war. Doch die fast schon sarkastisch ablehnende Haltung, mit der ihm Bones begegnet war, hatte Jim ebenso wenig erwartet.

Sollten sie nicht wenigstens noch beste Freunde sein? Er vermisste seinen Freund. In jeder wachen Minute vermisste er Bones, der nicht mal mehr auf die Brücke kam, um nach dem Rechten zu sehen, wenn auf der Krankenstation nichts los war. Das allein war schon ein sehr deutliches Signal, dass sie sich immer weiter voneinander entfernten.

„Es ist 6:30 Uhr“, riss ihn da plötzlich die monotone Stimme des Computers aus seinen Gedanken. Leise Musik folgte dem Standardwecksignal.

Jim strich ein letztes Mal zärtlich über Bones‘ Kissen, ehe er sich aus dem Bett schwang und für seinen Dienst fertig machte.

Vielleicht, überlegte er unter der Dusche, sollte er Bones auf einen Drink zu sich ins Quartier einladen und mit ihm reden. Es schien ewig her zu sein, dass sie zuletzt miteinander gesprochen hatten – privat zumindest.

Bones hatte ihn zu dem Termin begleitet, als Jim vor Gericht gegen Frank ausgesagt hatte. Unter anderem auch deshalb, weil Jim, nachdem er mit Khans Blut geheilt worden war, noch eine ganze Zeitlang zu schwach gewesen war, derartige Belastungen allein durchzustehen. Sam und Aurelan waren ebenfalls vor Gericht erschienen, ebenso natürlich seine Mutter, die bis zu Jims Zusammenbruch nichts von dem sexuellen Missbrauch an ihren Kindern gewusst hatte. Inzwischen befand sich Frank in einer Strafkolonie für Zivilisten auf Island, unter psychiatrischer Betreuung.

Zu seiner Mutter hatte Jim weiterhin ein gespaltenes Verhältnis, aber wenigstens hatte sich seine Beziehung zu Sam verbessert. Sie sprachen mindestens einmal die Woche miteinander, was Jim sehr erleichterte. Die Gespräche mit Aurelan taten ihm ebenfalls sehr gut, auch wenn sie meist therapeutischer Natur waren, gewollt oder ungewollt. Mit ihr sprach Jim auch oft über Bones.

Allerdings weigerte Aurelan sich, Bones‘ Verhalten zu interpretieren, da sie ihn – laut eigener Aussage – zu wenig kannte. Jim glaubte, sie wollte einfach nicht intervenieren, da es um sein Leben ging. Und sie hatte vermutlich recht damit, sich rauszuhalten. Er hatte Mist gebaut und den einen Menschen aus seinem Leben verbannt, ohne den er nicht mehr sein konnte. Er war so naiv gewesen zu glauben, ihre Freundschaft würde ihre Trennung überdauern.

Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit. Vielleicht mussten sie auch einfach wieder bei Null anfangen und die Scherben ihrer Freundschaft gemeinsam wieder zusammenkitten. Eine kleine Stimme in Jims Kopf widersprach ihm in dieser Hinsicht jedoch vehement. Bones würde sich allein mit Freundschaft nicht mehr zufriedengeben. Bones liebte ihn nach wie vor, auch wenn Jim das noch immer nicht verstehen konnte. Bones war außerstande, seine Gefühle auszuschalten und zurück zum Anfang gehen. Insgeheim wusste Jim das auch ganz genau. Bones verleugnete, versteckte, konnte Gefühle jedoch nicht ausschließen. Bones hatte ein Herz aus Glas und Jim hatte es aus Unsicherheit fallen lassen, so dass es in abertausend Scherben zersplittert war.

§§§

Leonard sah auf das Chronometer über dem Eingangsbereich zur Krankenstation und stellte erfreut fest, dass sein Dienst in weniger als zwei Stunden um war. Es hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, da hatte Leonard lieber gearbeitet und sich weniger auf den Feierabend gefreut. Allerdings war heute der Tag, an dem er Joanna auf der Erde anrufen durfte. Er vermisste sie mehr als er erwartet hätte.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, mit auf die Fünfjahresmission zu gehen. Vor allem unter den gegebenen Voraussetzungen und der wachsenden Distanz zu Jim, an der Leonard keineswegs unschuldig war. Dessen war er sich durchaus bewusst.

In dem knappen Jahr, das sie nach ihrer Begegnung mit Khan auf der Erde verbracht hatten, war es Leonard gelungen, ein einigermaßen stabiles Verhältnis zu Jocelyn aufzubauen. Er war einmal die Woche bei ihr und Jeremy zum Essen eingeladen gewesen, was ihm selbstverständlich auch die Möglichkeit einräumte, eine Vater-Tochter Beziehung zu Joanna aufzubauen.

Mit Jim hatte er in diesem Jahr außerdienstlich nur selten Zeit verbracht. Er hatte Jim einige Male auf den Friedhof zu Pikes Grab begleitet und zum Gericht, als dieser Hurensohn Frank endlich – wenn auch etliche Jahre zu spät – seine gerechte Strafe erhalten hatte. Aurelan hatte ein psychiatrisches Gutachten erstellt, das unter anderem dazu geführt hatte, dass Jims Stiefvater für sehr viele Jahre in eine Strafkolonie musste. Die inzwischen ohnehin heruntergekommene Farm war Frank entzogen worden.

Leonard fühlte sich durch den Schuldspruch jedoch kaum besser. Er hatte Jim schließlich dennoch verloren. Ihre Trennung war als kleine Auszeit gedacht gewesen, bis Jim sich wieder gefangen und die traumatischen Erinnerungen verarbeitet hatte. Dennoch hatten sie sich in dem Jahr zunehmend weiter voneinander entfernt und Jim hatte angefangen, sich wieder mit Frauen zu treffen. Leonard konnte sich nicht mal darüber ärgern, sondern den Umstand lediglich mit stummer Apathie hinnehmen.

Ihm hätte einfach vom ersten Moment an klar sein müssen, dass es für sie kein Happy End geben würde. Dass sie beide auf zu unterschiedlichen Lebensstufen standen und grundsätzlich viel zu verschieden waren. Ihre Romanze war kurz und intensiv gewesen, Leonard selbst high von den Gefühlen für Jim. Er hatte längst nicht mehr daran geglaubt, je wieder einen Menschen so sehr lieben zu können, doch es war geschehen. Und für einen kurzen Moment in der Zeit hatte Leonard das Gefühl - die Illusion -gehabt, Jim empfinde ebenso für ihn.

Es war nur ein Traum gewesen. Der Traum eines einsamen Mannes, der sich selbst etwas vorgemacht hatte.

Jemand wie Jim ließ sich nicht festhalten, nicht binden. Jim war ein Genießer, ein Lebemann, konstant in Bewegung. Leonard war auf denkbar schwerste Art zu dieser Erkenntnis gelangt. Dennoch konnte er nicht aufhören Jim zu lieben.

Ihre Trennung lag bald vierzehn Monate zurück, dennoch wollte es Leonard nicht gelingen sich zu lösen. Jim war wie ein helles Licht für ihn und er die Motte. Er wusste, das Licht würde ihn verbrennen, dennoch konnte er nicht widerstehen.

Ein leises Zischen des sich öffnenden und gleich darauf schließenden Schotts ließ Leonard wissen, dass jemand die Krankenstation betreten hatte. Er hob geistesabwesend den Kopf. Seit etwas mehr als einer Stunde saß er an der routinemäßigen Dokumentation und erstellte gerade seinen Bericht – nun ja, eigentlich war er in Gedanken versunken gewesen – als Jim in der offenen Tür zu seinem Büro erschien.

„Hi.“ Der Hauch eines Lächelns umspielte Jims Mundwinkel.

Leonards rechte Braue wanderte leicht in die Höhe, ob der schüchternen Begrüßung. „Stimmt was nicht, Jim?“ Jim kam eigentlich kaum noch zu ihm auf die Station, es sei denn, ihm fehlte etwas.

Früher hatten sie sich oft am Tag gegenseitig auf der jeweiligen Station besucht, sich für den Abend verabredet, unwichtige Gespräche geführt, geflirtet, sich hin und wieder einen Kuss gestohlen. All das gehörte der Vergangenheit an.

„Wie geht es dir?“, fragte Jim anstatt zu antworten.

Leonard sah an Jim vorbei, konnte Christine sehen, die versuchte, sich unsichtbar zu machen, während sie die Utensilien der letzten Patientenbehandlung aufräumte. Wahrscheinlich hörte sie trotzdem jedes Wort und fragte sich nicht weniger als Leonard, was Jim bewogen hatte, ihn auf der Krankenstation zu besuchen.

„Bestens, Jim“, war daher Leonards flüchtige Erwiderung. „Was kann ich für dich tun?“

Ein kaum sichtbares Lächeln zupfte erneut an Jims Mundwinkeln und verschwand sofort wieder.

„Jim, ich bin gerade eigentlich sehr beschäftigt“, erklärte Leonard etwas ungeduldiger als beabsichtigt. „Warum sagst du mir nicht einfach, wie ich dir helfen kann? Hast du Schmerzen? Leidest du noch unter Schlafstörungen? Oder vielleicht an …“

„Du fehlst mir“, unterbrach Jim ihn da und warf Leonard mit diesen drei kleinen Worten vollkommen aus der Bahn.

Der Arzt blinzelte einige Male, war er sich doch sicher, sich verhört zu haben. „Ich bin doch hier“, versuchte Leonard ihm auszuweichen.

Jim sah über seine Schulter zu Christine, die zwar mit dem Rücken zu ihnen stand, aber nicht plötzlich taub geworden war. Er betrat das Büro vollends und drückte auf den kleinen Knopf neben der Tür, der das Schott unmittelbar hinter ihm schloss. Langsam trat Jim zu ihm an den Schreibtisch, stützte sich mit den Händen darauf ab und sah Leonard fest in die Augen. „Du weißt was ich meine.“

„Jim“, begann Leonard vorsichtig, da er sich überrumpelt fühlte, „offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was oder wie genau du das meinst.“

Es verging ein langer schweigsamer Moment, indem Jim ihn einfach nur ansah. „Mir fehlen unsere Freundschaft und unsere Gespräche“, meinte er schließlich, sehr auf seine Worte bedacht.

Für einen naiven Augenblick hatte Leonard gehofft, Jim würde ihn auf der anderen Beziehungsebene vermissen. Er schalt sich selbst einen Narren. Jim hatte doch selbst damals vorgeschlagen, dass sie sich auch wieder mit ‚anderen‘ treffen, sich nicht so sehr aufeinander versteifen, sich gegenseitigen Freiraum geben sollten. „Du wolltest es doch so, Jim.“ Leonard war sich der Bitterkeit in seiner Stimme durchaus bewusst, machte jedoch nicht mal den Versuch sie zu unterdrücken. „Du kannst nicht beides beanspruchen; meine Freundschaft und deinen Freiraum.“

„Wir waren beste Freunde, Bones.“

Bones. Allein die Zärtlichkeit, mit der Jim diesen Kosenamen aussprach, versetzte Leonard einen Stich ins Herz. Er fühlte, wie ungewollt Tränen im Hintergrund seiner Augen zu brennen begannen. Er senkte rasch den Blick, damit Jim nicht sah, wie verletzt er immer noch war. Für einen Moment gestattete Leonard es sich wieder Kraft zu sammeln. Er schluckte trocken, ehe er es erneut wagte auf und ihm in die Augen zu sehen. „Wir können nicht dahin zurück, Jim.“

„Warum nicht?“, wollte Jim mit einer kindlichen Unschuld wissen, die Leonard schon lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte.

Leonard erhob sich von seinem Sessel, umrundete den Tisch und blieb unmittelbar vor Jim stehen, der sich ihm automatisch zuwandte. Zögerlich legte Leonard ihm eine Hand an die Wange. „Weil ich dich immer noch liebe und weil es immer noch wehtut. Ich kann einfach nicht aufhören dich zu lieben und ich werde immer mehr von dir wollen, als du bereit bist zu geben. Du bist dieser eine Mensch für mich, Jim, begreif das doch. Und ich werde dich nicht im Stich lassen und immer für dich da sein, wenn du mich brauchst. Ich habe es dir versprochen und ich halte mein Versprechen immer. Aber ich kann mich nicht mehr wie früher mit dir treffen, meine Freizeit mit dir verbringen und genießen, als wäre da nicht der ständige Wunsch in meinem Kopf, dich zu küssen und dir auf jede erdenkliche Weise zu zeigen, wie sehr ich dich mit jeder Faser meines Körpers liebe und begehre.“

Jims Adamsapfel hüpfte aufgeregt, was Leonard beiläufig zur Kenntnis nahm.

„Jetzt entschuldige mich“, bat Leonard schließlich und löste seine Hand von Jims Wange, „Ich habe noch ein wenig Schreibkram zu erledigen, ehe Übergabe ist.“ Damit trat er hinüber zur Tür, drückte den Knopf und deutete hinaus auf die Krankenstation, sobald das Schott aufglitt.

Es dauerte einen gedehnten Moment, da Jim ihn flehentlich ansah, ehe er resigniert die Schultern sinken ließ und wie ein ausgesetzter Welpe davon trottete.
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