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Per aspera ad astra

von Laurie

Kapitel 1

lights will guide you home
and ignite your bones
and I will try to fix you

(Coldplay)


~°~

medizinisches Logbuch, Sternzeit 2259.87
Betreff: Patientenakte Kirk, James T.
Transfusion hat erwünschten Erfolg erzielt. Verstrahlte Zellen zu 100% regeneriert. Keine Hinweise auf unerwünschte Nebenwirkungen. Patient wieder bei vollem Bewusstsein; keine psychischen Belastungen erkennbar. Überwachung weiterhin vorhanden, aber nun eingeschränkt. Entlassung des Patienten nicht mehr bedenklich.
gez. Dr. Leonard H. McCoy

~°~

Es geschah langsam und unmerklich, wie Gift, das sich schleichend in deinem Körper ausbreitet und dich erst umbringt, wenn du viel zu spät bemerkst, was vor sich geht. Rückblickend würde Leonard sich dafür verfluchen, dass es ihm nicht früher aufgefallen war. Wie könnte er es verantworten, so lange blind gegenüber der sich anbahnenden Katastrophe gewesen zu sein, vor den anderen und vor allem vor sich selbst, als Arzt und als Freund?

„Mir geht es gut, Bones, wirklich“, versicherte Jim ihm, immer und immer wieder, und obwohl Leonard es besser wusste, konnte er nicht anders, als ihm irgendwann zu glauben.

Wer konnte ihm den Wunsch nach Harmonie schon verdenken? Die letzten Wochen hatten alles infrage gestellt, woran Leonard glaubte, und er war mehr als bereit dazu, sich einer trügerischen Idylle hinzugeben. Nach all dem Leid, das sie erleben mussten, war diese allzu menschliche Schwäche nur verständlich.

Anfangs gab es überhaupt keine Veranlassung dazu, an der Wahrheit des sorgfältig aufgerichteten Ideals zu zweifeln: Die Schlacht war geschlagen, der größenwahnsinnige Verrückte namens Khan in den ewigen Kryoschlaf geschickt, die Toten waren beerdigt, die Wunden versorgt, und die Schäden an der Enterprise und in der Stadt wurden längst repariert. Nichts stand einem optimistischen Blick in die Zukunft im Weg. Und, am wichtigsten: Sie hatten Jim wieder zurück.

Jim, der unverbesserliche Sturkopf mit dem Heldenkomplex ... Jim, der auf brutale Weise lernen musste, Verantwortung zu übernehmen ... Jim, den sein Opfer für seine Crew bis über die Grenzen des Lebens hinaus und wieder zurück führte ... Jim, der Leonard zwei Wochen voll verzweifelter Hoffnung und schlafloser Nächte bescherte, der danach seinen prüfenden Blick genervt erwiderte und seine Sorge mit einer Handbewegung beiseiteschob.

„Mir geht’s gut, ich fühle mich bestens! Sie haben jeden Test, den man sich nur einfallen lassen kann, fünfmal an mir durchgeführt, sie haben mich zur Therapie geschickt und Psychoanalysen mit mir durchgeführt ... und sie haben nichts gefunden, weil es nichts zu finden gibt! Ich bin in Ordnung, Bones. Wirklich. Es gibt keinen Grund, mich noch länger hier festzuhalten. Ich will endlich hier weg.“

Leonard hatte das nagende Gefühl, dass es nicht ganz so einfach war, wie Jim sich das vorstellte, doch Jim gab nicht auf, und irgendwann zeigte seine Zermürbungstaktik erste Erfolge. Wenn Jim Kirk etwas erreichen wollte, dann erreichte er es früher oder später auch. Niemand hielt ihn davon ab, nicht die Sternenflotte, nicht eine ganze Armada hochqualifizierter Ärzte und auch nicht seine besorgten Freunde.

Obwohl Leonard ahnte, dass er es bereuen würde, die sonst so zuverlässige Stimme in seinem Hinterkopf zu ignorieren, beugte er sich schließlich Jims Willen – denn wer wollte schon mit jemandem streiten, der einem mehr bedeutete als jede andere Person auf diesem gottverdammten Planeten, und den man fast verloren hatte?

Die genaue Wirkungsweise von Khans Superblut hatten sie immer noch nicht verstanden, aber bisher deutete nichts auf negative Langzeitfolgen hin. Jim hatte recht: Sie hatten jeden Test durchgeführt, den es durchzuführen gab, und nichts gefunden. Es gab keinen Grund, ihn noch länger unter der ständigen Überwachung des Medizinischen Corps zu behalten, zumal Jim für die kommenden Wochen vom Dienst freigestellt worden war und sich sicherlich nicht überanstrengen würde. Seine Zukunft befand sich in der Schwebe, solange die Enterprise noch nicht wieder als einsatzbereit galt, und Leonard schätzte, dass diese Pause ihnen allen guttun würde.

Auf Leonards Verantwortung wurde Jim aus dem Krankenhaus entlassen, und die Freude seines Patienten war fast genug, um ihn sein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache vergessen zu lassen. Fast.

„Danke, Bones, du bist der Beste“, sagte Jim fröhlich, als Leonard ihm am Tag seiner Entlassung dabei half, seine wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen.

„Daran erinnere ich dich, wenn du das nächste Mal meinst, meine ärztlichen Anweisungen ignorieren zu müssen“, knurrte Leonard, hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung darüber, dass der Teil von Jim, der ihn mit seinem unerträglichen Optimismus und seiner Neigung zu hirnrissigen Aktionen erst zu Jim Kirk machte, nicht gelitten zu haben schien, und dem unwillkommenen Wissen darum, dass eine Fassade, so kunstvoll sie auch ausgearbeitet sein mochte, oft nur den Blick auf die hässliche Wahrheit dahinter verdeckte.

„Sei nicht so kleinlich. Ich kann sehr wohl auf mich selbst aufpassen“, erwiderte Jim und sah mit seiner unschuldigsten Miene zu ihm auf.

Leonard verdrehte die Augen, verkniff sich einen passenden Kommentar und begleitete Jim nach draußen in einen sonnigen Frühlingsmorgen mit dem dumpfen Gefühl, einen idiotischen Fehler zu begehen.

~°~

von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Hey Jim, wie geht’s dir? Ich wette, dir ist langweilig, so ganz ohne Herausforderungen, die deinen überragenden Intellekt fordern. Melde dich doch mal öfter bei mir, ich habe die ganze Woche über nichts von dir gehört. Und vergiss nicht, dass wir für morgen um 1500 eine weitere Routineuntersuchung angesetzt haben.
Leonard

von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Wo zur Hölle warst du heute? Du kannst mir nicht erzählen, dass du die Untersuchung vergessen hast! Verdammt, Jim, wir legen diese Termine nicht zum Spaß fest und das ist nicht lustig! Melde dich möglichst bald mit einer möglichst guten Ausrede.
Leonard

von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Jim, bitte melde dich bei mir. Ich mache mir Sorgen um dich. Geht es dir gut?

von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Jim, das ist nicht mehr lustig! Wo bist du und wieso meldest du dich nicht? Alles okay bei dir? Ist irgendwas passiert? Bitte, Jim, antworte mir!

von: Capt. J.T. KIRK
an: Dr. L.H. McCOY
Mir geht es gut. Hör auf, mich mit deinen verdammten Nachrichten zu nerven.

~°~


Später würde er denken, dass er es von vornherein hätte wissen müssen. Manche Katastrophen geschahen nicht von einer Sekunde auf die andere, sondern kündigten sich lange vorher an, durch subtile Details und Veränderungen, und wenn man aufmerksam genug war, um sie zu registrieren, konnte man das Schlimmste vielleicht noch verhindern. Wenn.
Nur dass Leonard nicht aufmerksam genug gewesen war, und das, obwohl seine Vergangenheit ihm eine Lehre hätte sein sollen.

War es damals nicht dasselbe gewesen mit der Krankheit seines Vaters, die schließlich zum Tod geführt hatte – eine sich langsam anschleichende Katastrophe, die er erst hatte wahrnehmen wollen, als sie ihm höhnisch ins Gesicht gegrinst hatte? Und die elende Scheidung – hatte es in den Monaten zuvor nicht genügend Indikatoren dafür gegeben, die den Schock über den Zusammenbruch des vermeintlich harmonischen Familienlebens hätten mindern sollen? Damals war er ebenso blind gewesen wie heute, und manchmal konnte er nicht anders, als zu denken, dass er die Auswirkungen seiner Ignoranz verdient hatte.

Nur leider war das Universum heute nicht fairer als damals, und wie immer war es nicht nur er, der unter den Folgen seiner Blindheit leiden musste. Immer zog er andere Menschen mit sich in die Abwärtsspirale, immer verletzte er Personen, die ihm am Herzen lagen ... Damals waren es sein Vater und Joanna gewesen, diesmal war es Jim.

Leonard hatte geglaubt, mit Jims Erwachen aus dem Koma die Reise durch die Hölle hinter sich zu haben, doch als er nun auf die Nachricht auf dem Bildschirm seines PADDs starrte, sickerte eine lähmende Erkenntnis in sein Gehirn: Der schlimmste Teil des Weges lag vielleicht noch vor ihnen.

Im Krankenhaus hatte es immer jemanden gegeben, der Jim überwachte. Ständig umgeben von Ärzten, Krankenschwestern und Besuchern – eine Art menschlicher Schutzwall, der die inneren Dämonen auf Distanz hielt –, hatte er die Fassade des beherrschten Captains aufrechterhalten können. Nun aber, da er den größten Teil des Tages alleine verbrachte, nicht mehr unter der Obhut des strengen Krankenhauspersonals, gab es nichts, was die Dämonen davon abgehalten hätte, ihn einzuholen und zu umzingeln.

Das Schlimmste dabei war, dass Leonard die Symptome zwar registrierte, doch darin versagte, sie richtig zu deuten. Die Tatsache, dass Jim sich tagelang nicht bei ihm meldete, seine Nachrichten ignorierte, seine Sorge um ihn plötzlich als etwas Lästiges anzusehen schien ... Wenn Leonard der gute Freund und Arzt gewesen wäre, für den er sich gerne hielt, hätte sich das Gesamtbild früher vor seinem inneren Auge zusammengesetzt. Dass er mit seiner kurzfristig übernommenen Arbeit im Medizinischen Corps der Sternenflotte so ausgelastet war, dass er kaum zum Luftholen kam, galt nicht als Entschuldigung.

Und als er endlich erkannte, dass er eingreifen musste, war es fast schon zu spät.

~°~


„Computer, stell mich zu Captain James Kirk durch.“

„Ihr gewünschter Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar.“

„Ach, verdammt.“

„Befehl nicht verstanden. Bitte wiederholen.“

„Ja, ja, schon gut.“

~°~


von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Ich mache mir nicht mehr die Mühe, zu fragen, ob es dir gut geht, weil die Antwort ziemlich klar ist. Du kannst mir nichts vormachen, Jim, und ich hoffe, du bist intelligent genug, um auch dir selbst nichts vorzumachen. Ich versuche, mich so schnell wie möglich hier loszueisen, und ich will, dass du mir nicht ausweichst, wenn ich versuche, persönlich mit dir zu reden. Falls du mich schon vorher brauchst – du weißt, wie du mich erreichst. Ich bin für dich da, vergiss das nicht.
Bones

~°~


Jims Taktik fühlte sich schmerzlich vertraut an und erinnerte Leonard unangenehm an einen Lebensabschnitt, den er für immer hinter sich gelassen zu haben hoffte. Isolation. Wenn deine Welt in Stücke bricht, wenn nichts und niemand dir Halt gibt, wenn du dir gebrandmarkt vorkommst, ausgestoßen ... dann zieh dich zurück. Mach deine Probleme nicht noch größer, indem du sie an die Öffentlichkeit zerrst. Lass niemanden an dich ran.

Dass niemand sich wirklich bemühte, diese Isolation zu durchbrechen,  musste Jim wie eine Bestätigung seines Handelns erscheinen, und es machte die ganze Sache umso tragischer. Jim hatte für seine Crew das größte Opfer gegeben, das ein Mensch aufbringen konnte, aber wer opferte sich für ihn auf? Wer war bereit dazu, sich um ihn zu kümmern, an seiner Seite zu bleiben, wenn der Weg beschwerlicher und das Ziel immer verschwommener wurde?

Spock war mit den Aufgaben, die man ihm übertragen hatte, nachdem der Schock sich ein wenig gelegt hatte, genügend ausgelastet, und ohnehin zweifelte Leonard ernstlich an den Qualitäten des sturen Vulkaniers, was Zwischenmenschliches jeder Art anging. Dem Rest der Crew lag ihr Captain natürlich am Herzen, doch niemand von ihnen kannte Jim gut genug, um die schleichenden Veränderungen in seinem Benehmen zu bemerken. Für Verwandte schien es keinen Platz in Jims Leben zu geben, und das ließ nur Leonard übrig – Leonard, der den Job des besten Freundes nicht gerade mit glänzenden Auszeichnungen absolvierte.

Das Medizinische Corps befand sich, genau wie alle anderen Krankenhäuser der Stadt, nach Khans zerstörerischer Bruchlandung immer noch in einem Ausnahmezustand. Sämtliche Betten waren belegt, alle Ärzte machen Überstunden, und Leonard hatte längst vergessen, wann er zum letzten Mal mehr als vier Stunden am Stück geschlafen hatte. Dennoch ... sein hektischer Arbeitsalltag mochte vielleicht als Grund dafür zählen, dass er sich nicht so sehr um Jim kümmerte, wie er es sollte, aber noch lange nicht als Ausrede. Jims immer abweisender werdende Nachrichten vermittelten eine deutliche Botschaft: Jim brauchte ihn. Vielleicht mehr denn je zuvor. Selbst wenn oder gerade weil er zu dickköpfig war, um das einzusehen.

~°~


von: Dr. L.H. McCOY
an: Cdr. SPOCK
Treffen Sie mich bitte im Medizinischen Corps, wann immer Sie es einrichten können. Sie kennen meine Arbeitszeiten.
Danke.
Dr. McCoy

von: Dr. L.H. McCOY
an: Capt. J.T. KIRK
Okay, Jim, du hast es nicht anders gewollt. Ich komme nachher bei dir vorbei, ja?

~°~


Sein Vorgesetzter legte Protest ein, als Leonard ankündigte, sich den Nachmittag freinehmen zu wollen, doch das interessierte Leonard herzlich wenig.

„James Kirk ist immer noch mein Patient, ob er sich nun hier oder in seiner Wohnung befindet, und es ist meine Aufgabe, mich um meine Patienten zu kümmern. Und genau das habe ich jetzt vor“, erklärte er dem ranghöheren Arzt, der zwar von der Logik seiner Argumentation nicht allzu begeistert schien, ihn letztendlich aber gehen ließ.

Jims Wohnung lag in einem der Gebäudekomplexe, die der Unterbringung von Mitgliedern der Sternenflotte dienten. Obwohl eine Taxifahrt dorthin nicht viel kostete, legte Leonard den Weg zu Fuß zurück. Die Bewegung tat ihm gut, half ihm, den Klumpen aus Sorgen, Ängsten und Vorwürfen in seinem Kopf ein wenig aufzulösen. Unbeteiligt schritt er durch die Straßen, ohne auf den Verkehr zu achten, völlig konzentriert auf das, was vor ihm lag. Linkes Bein ... rechtes Bein ... Hoffentlich ist Jim zuhause ... linkes Bein ... Vorsicht, Fahrradfahrer ... egal. Alles egal, außer Jim.

Früher hatte Leonard es genossen, nach einer stressigen Schicht durch die Straßen seiner Stadt zu gehen, ob damals in Atlanta oder hier in San Francisco. Normalerweise liebte er das Gefühl, den festen Boden unter seinen Füßen zu spüren und sich als Teil des pulsierenden Lebens der Stadt zu wissen. Nur ein verschwindend kleiner Teil, aber immerhin ... Er gehörte dazu, verankert im irdischen Geschehen. Zumindest hatte er früher so empfunden.

Nun war es anders. Zum ersten Mal in seinem Leben kam Leonard sich auf der Erde weniger sicher vor als zwischen den Sternen. Seltsam – er, der nie auch nur einen Fuß in ein Raumschiff hatte setzten wollen, vermisste auf einmal die Schwärze des Weltalls, die allumfassende Stille ... und den trügerischen Frieden, dem man sich auf der Brücke eines Raumschiffs so viel leichter hingeben konnte als hier unten, eingeschlossen zwischen Häusern, die zwar in ihrer einschüchternden Höhe in den Himmel griffen, aber einem nicht den Geschmack der Freiheit geben konnten, der man mit einem Raumschiff hinterherjagte. Vorausgesetzt natürlich, es gab keine machthungrigen Admiräle oder rachsüchtigen Supermenschen , die dein Schiff zerstörten und das illusorische Streben nach Unendlichkeit in deinen persönlichen Albtraum verwandelten.

Leonard schüttelte die düsteren Gedanken ab, als er Jims Wohnung erreichte. Was ihn erwartete, wäre auch ohne die Frage nach dem Sinn des Lebens schwer genug. Wie schwer genau, erfuhr er nur zu bald.

Entschlossen presste er den Finger auf den Knopf neben der Tür, erst einmal, dann ein zweites und drittes Mal. Der Klingelton drang bis zu ihm auf den Flur hinaus, doch im Inneren der Wohnung war kein Laut zu hören, der Jims Anwesenheit verraten hätte.

„Mach auf, verdammt“, knurrte Leonard, gefangen zwischen Ärger und Sorge – als ob es jemals etwas gebracht hätte, mit sich selbst oder der Wand zu reden.

Immer noch rührte sich nichts. Entweder war Jim nicht da, oder er gab sich alle Mühe, seinen Besucher zu ignorieren. In beiden Fällen hatte Leonard Pech: Der Computer, der die Tür nach einem schnellen Scan für den Bewohner öffnete, würde ihn nicht einlassen, da half auch die gemurmelte Flut an Verwünschungen nicht, mit der Leonard ihn überschüttete.

Er zögerte, trat unschlüssig von einem Bein auf das andere und klingelte dann ein weiteres Mal ohne große Hoffnung. Umso mehr überraschte es ihn, als die Tür plötzlich zur Seite glitt und den Blick auf einen ärgerlichen Jim Kirk freigab, der sich gegen den Türrahmen lehnte und Leonard aus zusammengekniffenen Augen musterte.

Leonard, der schon im Begriff gewesen war, sich abzuwenden und es ein andermal zu versuchen, hielt in der Bewegung inne.

„Jim!“

Jim verschränkte die Arme, eine Geste, die keine übermäßige Wiedersehensfreude vermittelte.

„Was willst du denn hier?“, sagte er in einem so abweisenden Tonfall, dass Leonards Begrüßungsspruch – Schön, dich zu sehen, wie geht es dir? – ihm auf den Lippen erstarb.

„Ich hab mich doch angekündigt“, erwiderte er vorsichtig. Jim hatte auf diese Nachricht nie geantwortet, aber Leonard hielt es für unwahrscheinlich, dass er sie nicht gelesen hatte.
„Kann ich reinkommen?“

Die abweisende Haltung, mit der Jim den Durchgang blockierte, machte eine Antwort so gut wie überflüssig.
„Ist gerade etwas ungünstig“, sagte er knapp.

„Wieso, womit bist du denn beschäftigt?“, fragte Leonard, weniger an einer wahrheitsgemäßen Antwort interessiert als ernstlich besorgt. Irgendetwas hier war falsch. Jims kalter Tonfall, die Ablehnung, die er mit jeder Faser seines Körpers ausdrückte ... Leonard kniff seinerseits die Augen zusammen, und als er Jim genauer betrachtete, fiel ihm noch mehr auf, was eindeutig falsch war.

Jim verhielt sich nicht nur anders als der Jim Kirk, den Leonard kannte, er sah auch anders aus. Seine Kleidung war zerknittert, seine Haare waren ungewaschen und zerzaust, seine Augen glasig, und er hatte sich seit mehreren Tagen nicht rasiert. Er bot ein völlig ungewohntes, beinahe beängstigendes Bild, das vervollständigt wurde durch den vertrauten Geruch, der ihn umgab und der nichts Gutes verhieß. Prüfend sog Leonard die Luft ein – nein, es gab keinen Zweifel.

„Warte mal, du hast doch nicht etwa was getrunken?!“, fragte er ungläubig. Noch nicht einmal 1800 Uhr, und Jim hatte bereits zum Alkohol gegriffen, ganz entgegen seiner üblichen Gewohnheiten?

Die Alarmglocken, die bisher einen konstanten, aber gedämpften Ton in Leonards Kopf verursacht hatte, begannen mit voller Lautstärke zu schrillen, und Jims nächste Worte verstärkten sein ungutes Gefühl.

„Kannst du dich nicht einfach mal um deine eigenen Angelegenheiten kümmern?“

Leonard blinzelte. Nicht nur, dass Jim ihn buchstäblich aus seiner Wohnung aussperrte – was er noch nie auf diese Weise getan hatte, selbst dann nicht, wenn er gerade Damenbesuch gehabt hatte –, er wies ihn auch verbal ab, in einem kalten Tonfall, der Leonard tief ins Herz schnitt.

„Jim, dein Wohlbefinden gehört zu meinen Angelegenheiten“, sagte er mühsam beherrscht. Nicht nur der Arzt in ihm, sondern auch der Psychologe und der Freund befanden sich nun in voller Alarmbereitschaft. Er hatte Jim schon lange nicht mehr in einem vergleichbaren Zustand erlebt, und er wusste, dass schnellstmögliches Eingreifen gefordert war. Obwohl oder gerade weil Jim ihn mit jeder Sekunde weiter von sich fortzustoßen schien.

„Nein, tut es verdammt noch mal nicht!“, gab Jim mit einer Heftigkeit zurück, die sie alle drei erschreckte – den Arzt, den Psychologen und den Freund. Leonard und Bones. „Nur weil du Arzt bist, gibt dir das nicht das Recht dazu, dich in mein Leben einzumischen. Also hör endlich auf, mich ständig zu überwachen und mich zu behandeln wie eine Bombe, die jeden Moment hochgehen könnte! Ich weiß schon, was ich tue.“

„Das scheint mir aber momentan nicht der Fall zu sein“, sagte Leonard, vorsichtig und doch entschlossen. Oh, verdammt, lass das alles nicht wahr sein ...

Er müsste mit Jim reden, eindringlich und in aller Ruhe, auf keinen Fall hektisch zwischen Tür und Angel. Wenn Jim ihn wenigstens in die Wohnung lassen würde, könnte er in der dortigen Abgeschiedenheit vielleicht einen besseren Zugang zu ihm finden – immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass er einem aus dem Gleichgewicht geratenen Jim wieder auf die Beine half. Jim schien seinen Beistand nie so nötig gehabt zu haben wie jetzt, und gleichzeitig schien er nie so entschlossen gewesen zu sein, ihn sich selbst zu verwehren.

„Verdammt, lass es einfach!“, stieß er hervor, und zum ersten Mal, seit Jim aus dem Koma aufgewacht war, wurde Leonard erneut von einer altbekannten Angst umzingelt. Angst vor der Vergangenheit und vor der Zukunft, Angst vor den drastischen Maßnahmen, zu denen Jim in seiner isolierten Verlorenheit greifen könnte.
„Deine Überbesorgtheit nervt, kapierst du das denn nicht? Mach einfach deine Arbeit und lass mich in Ruhe. Ich brauche dich nicht!“

Selbst wenn die Worte Leonard nicht im Stich gelassen hätten, hätte er sie nicht zu einer vernünftigen Erwiderung verknüpfen können, zu irgendetwas, das die Situation rettete, das Jim rettete. Jim gab ihm keine Gelegenheit dazu.

Der Ausdruck in seinen Augen, mit dem er Leonard ansah, bevor er zurücktrat und die Tür sich wie eine unüberwindbare Mauer zwischen sie schob ... O Gott, sein Blick ...
Jim hatte ihn noch nie so angeblickt, so verzweifelt und wütend zugleich, so abweisend und, das war vielleicht am Schlimmsten, so gleichgültig.

„Jim?“, sagte Leonard unsicher, obwohl er genau wusste, dass Jim ihn durch die geschlossene Tür nicht hören konnte, nicht hören wollte.

Er klingelte einige weitere Male in dem verzweifelten Versuch, Jim zu einer Fortführung des Gesprächs zu zwingen und ihn damit zur Vernunft zu bringen, doch mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit ignorierte Jim ihn, bis er es schließlich aufgab.

Mit gebeugtem Kopf drehte er der Tür den Rücken zu und machte sich langsam daran, das Gebäude zu verlassen. Das Wissen, dass alles schiefgegangen war, was nur hatte schiefgehen können, dass er versagt hatte, überspülte ihn – und auf einmal hatte er Angst, zwar James T. Kirk ins Leben zurückgebracht zu haben, aber Jim dabei verloren zu haben.

~°~


von: Cdr. SPOCK
an: Dr. L.H. McCOY
Da Sie gestern Nachmittag entgegen Ihrer Ankündigung, sich zu Ihren gewöhnlichen Arbeitszeiten im Medizinischen Corps zu befinden, dort nicht anzutreffen waren, werde ich heute um 1630 noch einmal versuchen, Sie dort zu erreichen. Bitte planen Sie diesen Termin ein.
Commander Spock

~°~


Das Gespräch mit Jim, das diesen Namen nicht einmal verdiente, hinterließ einen mehr als bitteren Nachgeschmack. Am nächsten Tag konnte sich Leonard kaum auf seine Arbeit konzentrieren; immer wieder schob sich vor die Gesichter seiner Patienten das Bild von Jim, der ihn nicht einlassen wollte, der ihn aus glasigen Augen kalt anstarrte, der auf keine seiner darauffolgenden Nachrichten reagierte ... Jim, der seine Hilfe brauchte und dem er nicht helfen konnte, weil er im Krankenhaus festsaß und sich stattdessen um Fremde kümmern musste, die seine Unterstützung längst nicht so nötig hatten wie Jim.

Sogar die Krankenschwestern bemerkten irgendwann, dass mit Doktor McCoy an diesem Tag nicht viel anzufangen war, doch dankenswerterweise besaßen sie den Takt, ihn in Ruhe zu lassen. Das Schweigen zwischen ihm und seinen Kollegen machte die Sache allerdings nicht besser, und Leonard fühlte eine Welle der Erleichterung, als ihn gegen Ende seiner Schicht unversehens eine vertraute Stimme von hinten ansprach.

„Sie wollten mich sprechen, Doktor?“

Leonard zuckte zusammen, wirbelte herum und fand sich einem wie üblich äußerst beherrschten Spock gegenüber. Verdammt, ja ... Seine Begegnung mit Jim hatte ihn derart aus der Fassung gebracht, dass er ihr vereinbartes Treffen völlig vergessen hatte.

„Ah, ja. Genau“, sagte Leonard, riss sich mühsam zusammen und wies Spock mit einer Kopfbewegung an, ihm in ein leeres Zimmer am Ende des Ganges zu folgen, wo sie ungestört bleiben würden. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, kam er zum Punkt: „Spock, haben Sie in letzter Zeit mit Jim geredet?“

Sollte Spock über die Enthüllung des einzig wahren Grundes für ihr Gespräch überrascht sein – Jim, immer Jim, wieso hätte Leonard ihn sonst sprechen wollen? –, so zeigte er es nicht.

„Der Captain und ich hatten einige Unterhaltungen, die sich vorwiegend um die neuesten Ereignisse innerhalb der Sternenflotte und um die verschiedenen Optionen für die Zukunft drehten“, gab er zurück, sachlich wie ein Computer, der zuverlässig die gewünschten Informationen ausspuckte. „Wieso fragen Sie, Doktor?“

Leonard verschränkte die Arme. Während der zwei Wochen, die sie beide an Jims Krankenbett verbracht hatten, wartend, hoffend, hatte sich etwas kaum Wahrnehmbares zwischen ihm und Spock verändert. Aus sich widerstrebend respektierenden Kollegen waren beinahe so etwas wie Verbündete geworden – Verbündete in einem Kampf, der sich um Jim drehte, immer um Jim. Solange es um Jim ging, würden sie ihr ungeschriebenes Bündnis aufrechterhalten. So seltsam es erscheinen mochte – Jim war die Konstante, die sie beide verband.

„Rein aus freundschaftlichem Interesse“, sagte er, dann zögerte er. „Sagen Sie mal ... ist Ihnen an Jim irgendetwas aufgefallen? Verhält er sich anders als sonst?“

Spock musterte ihn aufmerksam, und Leonard bekam das Gefühl, dass Spock ganz genau wusste, worauf er hinauswollte. Dennoch ließ er sich in seiner sorgfältig formulierten Antwort nichts davon anmerken.

„Dass der Captain die Auswirkungen seines physischen Ausnahmezustandes noch nicht vollständig überwunden hat, ist nur natürlich, und ich bin mir sicher, dass sein emotionales Gleichgewicht sehr bald wieder vollkommen hergestellt sein wird. Davon abgesehen ist der Captain nach wie vor ein in jeder Hinsicht fähiger Führungsoffizier.“

„Wenn Sie das sagen ...“, murmelte Leonard ironisch. Was hatte er schon erwartet? Natürlich hatte selbst Spock mitbekommen, dass es seinem Captain zurzeit nicht gerade bestens ging, doch was sollte er schon dagegen unternehmen? Physischer Ausnahmezustand ... emotionales Gleichgewicht ... schön ausgedrückt, aber leider wenig hilfreich.

Spock schien zu ahnen, was in ihm vorging.
„Sie wirken besorgt, Doktor. Hegen Sie in dieser Hinsicht etwa andere Befürchtungen?“

Unbehaglich ließ Leonard den Blick durch den Raum gleiten. Es fiel ihm nicht leicht, mit Spock darüber zu sprechen – nicht über alles, was Jim anging, immerhin war er derjenige, der sich immer um Jim gekümmert hatte, und das sollte auch so bleiben –, aber die Vernunft siegte. Er hatte Spock nicht umsonst um ein Gespräch gebeten. Sobald Jim betroffen war, wirkte das bewährte Schema nicht mehr – der Einzelkämpfer hatte keine Chance.

„Hören Sie, Spock, ich kenne Jim länger als Sie und auch besser, und ich konnte ihn bisher immer gut lesen. Und was ich zurzeit sehe, gefällt mir nicht. Also ja, ich mache mir Sorgen“, gab er offen zu.

„Das ist eine logische Reaktion auf das Vorgefallene.“

Nur mit Mühe gelang es Leonard, ein Augenrollen zu verhindern.
„Schön, dass Sie das so sehen. Also, Spock, wieso ich Ihnen das erzähle, ist, weil Sie Jim inzwischen auch gut kennen und weil er Ihnen vertraut. Vielleicht können Sie ihn näher im Auge behalten und vielleicht mal mit ihm sprechen ...“

Er ließ den Satz in der Stille des leeren Raumes verklingen. Spock verschränkte die Hände hinter dem Rücken, nach außen hin wie üblich selbstbewusst und kontrolliert; doch es gelang ihm nicht, den in seinen Augen aufflackernden Schmerz vollständig zu kaschieren.

„Ich werde versuchen, diesem Wunsch nachzukommen, auch wenn es mich etwas erstaunt, dass Sie diese Maßnahmen nicht selbst treffen.“

Leonard verzog das Gesicht. Nun kam der unangenehmere Teil.
„Ich hab’s ja versucht, aber er lässt nicht zu, dass ich mich weiterhin um ihn kümmere. Er hat mich regelrecht von sich weggestoßen.“

Erneut huschte der Schatten einer ebenso ungewohnten wie verräterischen Emotion über Spocks Gesicht. Früher wäre Leonard diese Andeutung eines sorgfältig geleugneten Gefühlslebens wahrscheinlich entgangen, doch die letzten Wochen hatten ihn viel über den Vulkanier gelehrt – und im Gegensatz zu früher ließ er sich die Gelegenheit entgehen, Spock wegen dieser vermeintlichen Schwäche aufzuziehen.

„Ich verstehe“, sagte Spock knapp, ehe er fast zögernd hinzusetzte: „Dennoch möchte ich Sie daran erinnern, dass Jim Sie mehr als jeden anderen braucht, Doktor. Es wäre fatal, Ihre Bemühungen um ihn einzustellen.“

Als Leonard seinen entschlossenen Blick erwiderte, fühlte sich das wie eine Verstärkung ihres ungeschriebenen Bündnisses an; und auch, wenn er es Spock gegenüber niemals zugegeben hätte, war er froh, ihn im aktuellen Kampf an seiner Seite zu wissen.

„Danke, Spock. Das hatte ich auch nicht vor.“
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