TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Den Himmel berühren

von Laurie

Kapitel 3

Loyalität war vollkommen logisch, und darum konnte niemand behaupten, Spock verhalte sich untypisch für einen Vulkanier.

Es war logisch, dass er McCoy die Arbeit erleichterte, wann immer er konnte; es war logisch, dass er andere Aufgaben zugunsten der Suche nach der richtigen Formel vernachlässigte; und es war logisch, dass er seine Mitarbeiter auf dieser Suche härter antrieb, als vielleicht nötig gewesen wäre. Spock war schon immer ein nicht leicht zu befriedigender Vorgesetzter gewesen, und in der drohenden Aussicht auf den Verlust eines Freundes – mit einer besonderen Betonung auf Freund; wieso die Wahrheit leugnen, wenn sie ohnehin für jeden ersichtlich war? – entwickelte er sich zu etwas, das ein vorlauter Lieutenant als „Sklaventreiber“ bezeichnete.

Das „fair“ in hart, aber fair rückte umso mehr in den Hintergrund, je mehr Zeit ohne ein Ergebnis verging. Spock wusste, dass er viel von seinem Personal forderte, zu viel vielleicht, und er hatte längst den stummen Schwur abgelegt, sie alle für die Strapazen während dieser Wochen zu entschädigen, sobald ... ja, sobald sie zu einem Ergebnis gekommen waren, so oder so. Noch konnte er nicht nachgeben, noch durfte er sich auf nichts anderes als auf diese so immens wichtige Aufgabe konzentrieren; es hätte nicht einmal den vollen Rückhalt des Captains gebraucht („Tun Sie, was Sie tun müssen – es ist mir egal, wie Sie es machen, aber finden Sie das Gegenmittel, und wenn wir dafür das Schiff in Stücke reißen müssen.“), um ihn sich seiner Prioritäten deutlich wie nie bewusst werden zu lassen.

Die Dankbarkeit, die ihm aus McCoys Augen entgegenstrahlte, wann immer der Doktor ihm im Labor Gesellschaft leistete, entschädigte ihn mehr als ausreichend für das Murren seiner Mitarbeiter und für seine schleichend einsetzende Erschöpfung.

„Spock, ohne Sie hätte ich überhaupt keine Chance“, bemerkte McCoy am neunundzwanzigsten Tag nach ihrer Rückkehr von Yonada, und im selben Moment schien er diese unbedachte Zurschaustellung seiner Gefühle zu bereuen. Spock tat ihm den Gefallen, sein Erröten zu ignorieren.

„Sie unterschätzen die Kapazitäten unseres wissenschaftlichen Teams, Doktor.“

McCoy fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er sah müde aus, nicht mehr der energiegeladene, ständig streitlustige und dabei dennoch so mitfühlende Mann, den Spock in den letzten Jahren besser als je erwartet – oder gefürchtet – kennengelernt hatte. Wäre er sich nicht sicher gewesen, dass sich der Captain und Schwester Chapel ausreichend um McCoys Wohlbefinden kümmerten (oder es zumindest versuchten), hätte er den Arzt gefragt, wann er zum letzten Mal geschlafen habe.

„Ich weiß, Spock. Und Sie wissen, was ich meine.“

Spock beschränkte sich darauf, leicht seinen Kopf zu beugen, denn es gehörte sich nicht, eine ausschweifendere Reaktion auf ein kaum verstecktes Kompliment zu zeigen.

„In der Tat.“

Ein schwaches Lächeln zupfte an McCoys Mundwinkel, und Spock ertappte sich bei dem Gedanken, dass er dieses Lächeln, so unlogisch es war, vermissen würde, wenn –

McCoy wählte diesen Moment dafür aus, ihn in seinen Erwägungen zu unterbrechen, indem er leichenblass wurde, sein PADD fallenließ und mit einem geflüsterten „Spock ...“ bewusstlos wurde.

Jeder andere hätte zu langsam reagiert. Nur Spocks vulkanische Reflexe erlaubten es ihm, mit einem Satz an McCoys Seite zu springen und den fallenden Körper des Mannes aufzufangen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Dass dabei ein Set von Petrischalen zu Bruch ging, interessierte ihn nicht. Er würde den Schadensbericht später verfassen und eine logische Erklärung dafür abliefern ... später, irgendwann, sobald er sich davon überzeugt hatte, dass dem so zerbrechlich wirkenden Menschen in seinen Armen nicht mehr fehlte als Mattheit und durch die Krankheit bedingter niedriger Blutdruck.

Laut Schwester Chapel war es nicht das erste Mal, dass sich der Fortschritt der Krankheit auf diese Weise bemerkbar machte, und wahrscheinlich wäre es nicht das letzte Mal, aber das änderte nichts daran, dass Spock für den verräterischen Bruchteil einer Sekunde in Gefahr lief, sich dem menschlichen Bewältigungsmechanismus der Panik hinzugeben. Nur Jahrzehnte vulkanischen Trainings und McCoys gleichmäßiger, wenn auch schwacher Puls an seinen Fingern hielt ihn von einem Abgleiten in derart gefährliche Untiefen seines Unterbewusstseins ab, und es dauerte kaum einen Herzschlag, bis er die Kontrolle über die Situation wiedererlangt hatte.

Vorsichtig ließ er den bewusstlosen Menschen zu Boden gleiten, achtete dabei darauf, dessen Kopf so sanft wie möglich in einer Hand abzustützen, und richtete sich halb auf, um mit der anderen Hand einen Kommunikationskanal zu öffnen.

„Spock aus Biolabor fünf an Krankenstation.“

Die letzten neunundzwanzig Tage hatten das Team der Krankenstation noch besser als ohnehin schon geschult. Die eine, spärliche Information in Kombination mit Spocks wie immer emotionsloser und doch bedeutungsvoller Stimme reichte aus, um binnen weniger Sekunden ein klares Bild in den Köpfen des diensthabenden Personals entstehen zu lassen.

„Wir schicken Ihnen ein Team, Mr Spock“, antwortete Christine Chapel, bevor Spock spezifischer werden konnte, und er neigte in einer ungesehenen, anerkennenden Geste den Kopf.

Keine Nachfragen, keine Ungewissheit; natürlich ging es um McCoy, etwas anderes kam niemandem von ihnen in den Sinn. Es war seit dem Tag der Diagnose kaum um etwas anderes gegangen und nicht einmal Spock konnte behaupten, dass ihn diese ungewöhnliche Fokussierung seiner Aufmerksamkeit störte. Wenn Jim Kirk oder Leonard McCoy betroffen waren – und in gewisser, abgeschwächter Weise auch Nyota Uhura, Pavel Chekov, Hikaru Sulu und Montgomery Scott –, war es ihm schon immer beschämend leicht gefallen, seine übliche vulkanische Distanz fallenzulassen. Die Wahrheit zu leugnen, wäre nicht nur unlogisch gewesen, sondern obendrein dumm.

~°~


„Wie Sie richtig angenommen haben, Mr Spock – niedriger Blutdruck in Kombination mit Erschöpfung. Kein Wunder, dass sein Kreislauf da irgendwann schlappgemacht hat. Wir haben ihm eine Infusion verabreicht und werden ihn sicherheitshalber über Nacht zur Beobachtung hierbehalten.“

Christine Chapels professionelles Auftreten verriet nichts von ihrer Sorge und von dem Schrecken, den ihr Chef ihr mit seinem erneuten Zusammenbruch eingejagt hatte. Nur der harte Zug um ihren Mund herum und der gehetzte Blick in ihren Augen bewiesen, dass trotz der oberflächlichen Routine längst nicht alle Dinge so liefen, wie sie sollten.

Spock nahm den Bericht mit einem minimalen Nicken hin. „Ich nehme an, Doktor McCoy wird diese Vorsichtsmaßnahme nicht übermäßig begrüßen“, vermutete er.

Durch die Glasscheibe gegenüber und den halb zurückgezogenen Vorhang konnte er in den abgegrenzten Raum sehen, in dem man McCoy untergebracht hatte. Der unfreiwillige Patient war inzwischen wieder hellwach und, ausgehend von seiner mürrischen Miene und seinen unter der Tür hindurchschwebenden Beschwerden, ganz der Alte, wie die Menschen zu sagen pflegten.

„Ich sag Ihnen doch, mir geht’s gut, kein Grund, so zu übertreiben – Clayton! Legen Sie den verdammten Scanner weg, wenn ich mit Ihnen rede!“

Ein Lächeln vertrieb ein wenig von Chapels nur zu offensichtlicher Anspannung.

„Sie wissen ja, wie er ist ... Aber so einfach wird er aus dieser Sache nicht herauskommen, dafür habe ich zu viel von ihm gelernt.“

Erneut neigte Spock den Kopf. Er bezweifelte, dass McCoys Einfluss auf seine Mitarbeiter sich nur auf Positives beschränkte, doch in diesem Fall war er Chapel für ihre Hartnäckigkeit dankbar. „Durchaus. Ich vertraue darauf, sofort in Kenntnis gesetzt zu werden, sobald sich etwas an seinem Zustand ändert.“

„Natürlich, Mr Spock. Und nun gehen Sie schon und informieren Sie den Captain, ich weiß, dass Sie die ganze Zeit über nichts lieber getan hätten und nur meinen vorläufigen Bericht abwarten wollten.“

Anerkennend zog Spock die Augenbraue hoch. Offenbar hatte Schwester Chapel von ihrem Vorgesetzten nicht nur den Umgang mit besonders störrischen Patienten gelernt, sondern auch, wie man die zugegebenermaßen gut versteckten Gefühlsregungen eines gewissen Halbvulkaniers las.

In der Tat war es seit McCoys Zusammenbruch in Biolabor fünf Spocks dringendstes Bestreben gewesen, dem Captain die Nachricht von dieser unerfreulichen Entwicklung zukommen zu lassen. Zwischen ihnen dreien existierte ein ungeschriebener Vertrag, und dieser Vertrag besagte, dass die beiden von ihnen sich um denjenigen kümmerten, der am schlechtesten darin war, auf sich selbst aufzupassen. Normalerweise stellte Jim Kirk das Objekt dieser Bemühungen dar, nun jedoch befand sich ohne jeden Zweifel McCoy im Zentrum der Aufmerksamkeit, mochte er davon halten, was er wollte.

Spock hatte kaum drei Schritte in Richtung der Kommunikationsschaltfläche gemacht, als ihm die unangenehme Aufgabe, Kirk zu alarmieren, abgenommen wurde, und zwar von niemand anderem als Jim Kirk selbst.

Die Türen zur Krankenstation glitten offen und der Captain betrat den Raum, energisch, wie üblich zielbewusst und sofort auf Spock fokussiert.

„Spock“, begrüßte er seinen Ersten Offizier in einem Tonfall, der selbst einem Klingonen das Fürchten gelehrt hätte, „wir haben ein Problem. Noch eines.“

~°~


„Das können die nicht machen!“

Christine Chapels Entrüstung hätte genügt, um die Krankenstation eine Woche lang mit Energie zu versorgen, und trotz der wenig zum Lachen geeigneten Situation musste sich Kirk ein Grinsen verkneifen. Was war es noch einmal, das man über Loyalität behauptete?

„Diese ignorante ... Person hat doch keine Ahnung! Was denkt sie denn? Dass wir Leonard einfach so abschieben, nur weil er mal nicht die gewohnte Leistung erbringt? Dass wir ihn einfach ersetzen? Das wäre ja, als ob man seinen Opa gleich in ein Pflegeheim steckt, nur weil er einmal vergessen hat, abends das Licht im Wohnzimmer auszumachen!“

„So wenig ersichtlich mir der Sinn hinter diesem Vergleich ist – an Ihrer generellen Logik ist nicht zu zweifeln, Schwester Chapel.“

„Danke, Commander.“

„Es ist meine Schuld“, sagte Kirk unvermittelt, einfach, weil es ausgesprochen werden musste. „Ich hätte nicht so voreilig handeln dürfen. Wenn ich einen Tag länger gewartet hätte, bevor ich die Sternenflotte informiert habe ...“

„Captain, Selbstvorwürfe führen zu keinem Ergebnis, vor allem nicht, wenn sie vollkommen ungerechtfertigt sind.“

„Ich weiß, Spock, ich weiß. Trotzdem –“

„Wisst ihr, ich kann euch hören! Glaubt ihr eigentlich, dass ihr Ewigkeiten vor meiner Tür stehen und euch über mich unterhalten könnt, ohne dass ich es mitbekomme?“

Ein entrüsteter Ruf aus dem Krankenzimmer neben ihnen verhinderte jedes weitere Absinken in nutzlose Zweifel und Verurteilungen, und selbst Spocks Mundwinkel zuckte angesichts der so vertrauten schlechten Laune in Doktor McCoys Stimme.

„So etwas würde uns im Traum nicht einfallen, Bones“, rief Kirk belustigt zurück. „Und jetzt sei ein braver Junge und tu, was die Schwester dir gesagt hat. Schlaf endlich!“

Die gemurmelte Bemerkung, die den Weg zu ihnen auf den Gang fand, klang verdächtig nach besserwisserischer Idiot.

~°~


Von nun an kamen sie sich eher wie Mitglieder einer geheimen Staatsoperation denn wie die Besatzung eines Forschungsschiffes vor. Jede Anfrage der Admiralität über Doktor McCoys Befinden wurde mit größtmöglichem diplomatischen Geschick beiseitegeschoben, jede Befürchtung über eine nötige Ersetzung des Ersten Medizinischen Offiziers mit einer Handbewegung abgetan, bis man den Eindruck hätte gewinnen können, als hätte sich McCoy nie etwas anderem als bester Gesundheit erfreut.

Es ging sogar so weit, dass man sich auf nicht mehr ganz vorschriftsgemäße Pfade begab, um McCoy die Arbeit zu erleichtern, indem zwar alle offiziellen Berichte von ihm unterschrieben wurden, der Großteil davon allerdings nicht von ihm stammte. Unter jeden anderen Umständen wäre Spock diesem Vorgehen missbilligend gegenübergestanden; in diesem Fall dagegen tolerierte er es nicht nur, sondern hieß es auf seine stille, unnahbare Weise sogar gut.

McCoy indes, das Hauptobjekt ihrer Bemühungen, verbracht nach einem weiteren Schwächeanfall inzwischen fast jede Nacht in der Krankenstation. Natürlich beschwerte er sich nach Kräften und mit beeindruckend breit gefächertem Vokabular über diese „völlig übertriebene Betüddelung“, aber wenn er ehrlich war, war er froh über diese Sicherheitsmaßnahme. Es gelang ihm nach wie vor nicht, mehr als zwei Stunden am Stück zu schlafen, aber die kleinen Ewigkeiten tatenlosen Wachliegens ließen sich auf der Krankenstation besser ertragen als in seinem Quartier.

In seinem Quartier wartete nur Stille auf ihn, jene unangenehme Stille des Stillstands und des Verfalls, und wenn er zu lange darauf lauschte, befürchtete er, daran zu ersticken. In der Krankenstation blieb ihm wenigstens diese Angst erspart. Die Krankenstation strahlte für ihn etwas Beruhigendes aus, sie stand für Sicherheit und auch Geborgenheit; alleine das Wissen darum, vom Personal der Nachtschicht umgeben zu sein, linderte jede Sorge. Begleitet von ihren leisen Schritten und vom Piepsen des Überwachungsmonitors kam er besser zur Ruhe als an jedem anderen Ort, und gleich in der ersten Nacht setzten sich zudem die Wurzeln eines Rituals fest, das ihm mehr bedeutete, als er jemals zugegeben hätte.

Als Jim Kirk zum ersten Mal mit einem Buch unter dem Arm sein aus Gründen der Privatsphäre – und weil er als Chefarzt Anspruch auf eine gewisse Sonderbehandlung hatte, danke sehr – von den anderen Patienten abgeschirmtes Zimmer betrat, erklärte McCoy ihn offiziell für verrückt.

Nicht nur, dass der Captain woher auch immer ein richtiges, gedrucktes Buch aufgetrieben hatte, er hatte anscheinend nach einer nervenaufreibenden Schicht nichts Besseres zu tun, als sich neben das Bett seines Freundes zu setzen und ihm vorzulesen.

„Jim, ich bin kein Kind mehr“, erinnerte McCoy ihn, nicht ganz sicher, was diesmal in den chaotischen Windungen von James T. Kirks Kopf vor sich ging.

Kirk hatte ihm nur zugelächelt, das Buch aufgeschlagen und zu lesen begonnen. In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit ... Seite um Seite hatte er Tolkiens Werk zum Leben erweckt und sich weder von McCoys genervten Unterbrechungen – „Jim, das ist lächerlich! Geh und ärgere Spock, aber lass mich in Ruhe!“ – noch von Christine Chapels zugleich wissendem und dankbarem Grinsen aus der Fassung bringen lassen. Der kleine Hobbit. Es war das Buch, mit dem auch McCoys Mutter ihm vor langer Zeit eine Pforte in eine andere Welt eröffnet hatte, wann immer er als Kind krank gewesen war, und irgendwann gab McCoy es auf, sich zu fragen, woher in Gottes Namen Kirk davon erfahren hatte.

Irgendwann noch später gab er auch seinen Protest auf und ließ sich von der Stimme seines Freundes einlullen, bis das Piepsen des Monitors in das Rauschen ferner Wälder und die rauen Gesänge von Zwergen überging.

Am nächsten Tag erinnerte er sich nicht mehr daran, an welcher Stelle er eingeschlafen war, sondern wusste nur, dass er sich nach dieser Nacht so erholt fühlte wie seit Wochen nicht mehr. Der Stuhl neben seinem Bett war leer bis auf das Buch, und als McCoy sich bei der nächstbesten Gelegenheit bei Kirk bedanken wollte, erhielt er als Antwort nur eine wegwerfende Handbewegung und einen alles sagenden Blick.

An diesem Abend kehrte Kirk pünktlich zur Umstellung der Tagesbeleuchtung auf die Nachtbeleuchtung in die Krankenstation zurück, wartete, bis McCoy seine Arbeit beendet hatte und von seiner resoluten Oberschwester ins Bett gescheucht worden war, und fuhr an der Stelle mit dem Vorlesen fort, an der McCoy in der Nacht zuvor eingeschlafen war. Auf diese Weise arbeiteten sie sich innerhalb einer Woche bis weit nach Mittelerde vor, und McCoy ertappte sich dabei, wie er begann, ungeduldig zu werden, wann immer sich sein Freund um einige Minuten verspätete. Es war schön, umsorgt zu werden. Die Suche nach dem Heilmittel brachte es nicht voran, natürlich nicht, und auch an der Vermehrung roter Blutkörperchen in McCoys Blut änderte es nichts, aber alleine die Gewissheit, diese Schlacht nicht alleine auszutragen, half mehr als jedes Schlafmittel – und in Momenten wie diesen vergaß McCoy, dass er sich auf der falschen Seite des Bettes befand.

Es blieb nicht beim Vorlesen. Manchmal leistete Uhura ihm Gesellschaft und sang leise für ihn, wie sie es seit jeher für die Patienten der Krankenstation tat; ihre Stimme weckte Sehnsucht nach Orten, die er nie betreten hatte, und erschuf auf ihre eigene Weise eine ebenso neue Welt, wie es vor Jahrhunderten Tolkien in seinen Büchern getan hatte. Christine setzte sich zu ihm, wann immer sie Zeit fand – und wann immer er nicht zu sehr von Kirk in Anspruch genommen wurde –, Scotty kam vorbei, um über neue Technologien und über das Schiff und über schottische Destillerien zu plaudern, und sogar Spock ließ sich ab und an aus seinen vulkanischen Höhen herab, um sich für einige Minuten mit ihm zu unterhalten. Die schottischen Destillerien waren McCoy zwar immer noch lieber als wissenschaftliche Abhandlungen, aber auf den guten Willen kam es an und davon bewies Spock reichlich.

Auch Joanna rief in diesen Tagen öfter an als gewöhnlich, als hätte sie Angst, dass ihr Vater ihr unbemerkt entglitt, wenn sie sich nicht regelmäßig von seinem Wohlergehen überzeugte. Wie sie die nötigen Credits dafür auftrieb, verriet sie nicht. Sie weigerte sich standhaft, die Gespräche von McCoy bezahlen zu lassen, und hätte er raten müssen, hätte er vermutet, dass Uhura als Göttin der Schiffskommunikation ihre Finger im Spiel hatte.

„Du siehst schrecklich aus, Daddy“, bemerkte sie bei einem ihrer Telefonate. Sie waren inzwischen beim achtunddreißigsten Tag nach ihrer Rückkehr von Yonada angekommen und McCoy glaubte, regelrecht zu spüren, wie das vermeintliche Jahr ihm zwischen den Fingern zerbröckelte; trotzdem bemühte er sich für seine Tochter um ein Lächeln. Joanna zuliebe hätte er selbst dann noch gelächelt, wenn er sämtliche Gliedmaßen bei einer planetaren Mission verloren hätte.

„Etwas, das sich von dir nicht behaupten lässt, Jojo“, gab er scherzhaft zurück.

Sie verdrehte die Augen und strich sich eine Strähne ihres hellen Haares aus dem Gesicht (und ja, sie wurde ihrer Mutter immer ähnlicher), und weil die Zeiten schlechter waren, als jeder von ihnen es sich wünschte, gab sie ihre Ernsthaftigkeit nicht auf, nicht dieses Mal.

„Habt ihr ...?“, begann sie so zögernd, als wäre sie nicht sicher gewesen, ob sie die Antwort wirklich wissen wollte. Sie musste die Frage nicht beenden. Sein Blick verriet ihr die traurige Realität.

„Noch nicht“, sagte er mit einem kaum wahrnehmbaren Hauch von Bitterkeit. „Spock ist sich sicher, kurz vor einem Durchbruch zu stehen ... aber das hat sein Team letzte Woche auch schon behauptet, also würde ich mich nicht darauf verlassen, so korrekt Spock in seinen Vorhersagen sonst immer ist.“

„Vielleicht sollte ich mal mit ihm sprechen und ihn ein bisschen antreiben“, schlug Joanna vor, nur zur Hälfte scherzhaft.

Die Vorstellung schenkte McCoy ein echtes Lächeln. „Das würde ich zu gerne miterleben ...“

~°~


Zur selben Zeit wurde ein weiteres Ferngespräch auf der Enterprise geführt, jedoch ein weitaus unangenehmeres.

„Captain“, sagte Admiral Chelsey, und aus ihrem Mund klang der Titel wie eine Beleidigung. „Sie verstehen sicher, dass sich meine Geduld mit Ihnen langsam einem Ende nähert. Sie können mir nicht weismachen, dass Sie die Anweisungen der Admiralität, sich auf Sternbasis sieben einzufinden, um über die Angelegenheit bezüglich Doktor McCoy zu entscheiden, nicht erhalten haben.“

Kirk behielt seine gleichgültige Miene bei. Er hatte die volle Unterstützung seines Teams hinter sich, und es ging um Bones – er war bereit, es notfalls mit der gesamten Admiralität aufzunehmen.

„Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Kommunikationssystem. Da diese Nachrichten nicht auf höchster Prioritätsstufe verschickt wurden, kamen sie offenbar nie bei uns an. Lieutenant Uhura wird Ihnen bestätigen, dass –“

„Sparen Sie sich die Ausreden!“

Hätte es sich nicht um ein formales Gespräch gehandelt, hätte Admiral Chelsey ihn angefaucht; so beschränkte sie sich auf einen gereizten, nun ja, Hinweis. Um ehrlich zu sein – er hatte die Geduld der Admiralität in den letzten Tagen und Wochen ein wenig arg auf die Probe gestellt, aber wie gesagt, es ging um Bones ... und als Kirk Admiral Chelseys eisigen Blick erwiderte, stellte er fest, dass ihm die diversen kleinen Täuschmanöver nicht im Geringsten leidtaten.

„Wie Sie anhand der Ihnen zugesandten Berichte ablesen können, ist Doktor McCoy sehr wohl in der Lage, das geforderte Arbeitspensum zu bewältigen. Ich weiß Ihre Sorgen bezüglich der Effizienz meiner Crew zu schätzen, aber Sie sorgen sich umsonst.“

„Ich weiß nicht, wie Sie das mit den Berichten bewerkstelligt haben, aber ich glaube nicht daran, dass Sie dieses kleine Problem namens Xenopolycythemia so lautlos haben lösen können. Und versuchen Sie nicht, zu verheimlichen, dass der Großteil Ihrer Crew noch immer nach einem Gegenmittel sucht.“

Chelsey nutzte die Sekunde, in der Kirk nach einer passenden Erwiderung suchte, um mit triumphierender Miene fortzufahren: „An Ihren Befehlen hat sich nichts geändert. Sie werden sich unverzüglich auf Sternbasis sieben einfinden und dort Doktor Luis Obacre als Unterstützung an Bord nehmen, während Doktor McCoy ...“

Natürlich war es besonders unhöflich, einen Admiral zu unterbrechen, und natürlich kümmerte Kirk das nicht. „Hören Sie, Admiral, das ist leider völlig unmöglich“, sagte er auf seine charmanteste Art. „Wir haben derzeit Probleme mit dem Warp-Antrieb und können unseren Sektor unmöglich verlassen ... Chefingenieur Scott wird Ihnen die Ernsthaftigkeit der Situation bestätigen, vorausgesetzt, es gelingt uns, die Kommunikationsschwierigkeiten zu eliminieren ... Ich glaube, die Verbindung bricht schon wieder ab ...“

Und mit diesen Worten beendete er besagte Verbindung höchstselbst. Das Letzte, was er sah, war Admiral Chelseys empörtes Gesicht, und das Letzte, was er dachte, bevor er sich auf den Weg zu Krankenstation machte, war, dass vor ihm wenigstens noch nie ein Captain wegen einer solch triftigen Sache gefeuert worden war.

~°~


Wir können das Spiel nicht länger durchziehen. Das war der Gedanke, der ihnen allen bis in ihre Träume folgte und den doch niemand von ihnen auszusprechen wagte. Dabei entsprach er einer ausnahmsweise einmal nicht überzeichneten Wahrheit: Es würde nicht mehr lange weitergehen, nicht, da sie nun mehr als einen Gegner bekämpften. Auf der einen Seite lauerte die Krankheit wie ein sein Opfer umkreisender Geier, auf der anderen Seite brachte die Sternenflotte ihre Armee in Position. Eine vergleichsweise diplomatische, friedliebende Armee zwar, aber immer noch ein erschwerend hinzukommender Faktor in einer Gleichung, die jeden Tag ein wenig mehr ins Negative abglitt.

McCoy selbst war beinahe so weit, dass er erwog, das Spiel vorzeitig abzubrechen. Er könnte tun, was die Admiralität von ihm verlangte, er könnte sich in eines der Krankenhäuser der Föderation einweisen lassen und von dort aus weiterhin nach einer Heilung forschen, und vor allem könnte er damit seine Freunde entlasten ... seine Freunde, die für ihn schon zu viele Mühen auf sich genommen hatten.

„Vergiss es, Bones“, befahl Kirk ihm grob, als er dumm genug war, diesen Vorschlag anzudeuten. Angesichts der verzweifelten Wut in seinen Augen wäre selbst ein Klingone zurückgewichen, und McCoy ruderte so schnell zurück, dass Scotty am Nachbartisch trotz der ernsten Lage nicht anders konnte, als in seinen Eintopf zu prusten.

Er rechnete nicht mehr damit, rechtzeitig die Möglichkeit auf Heilung zu erhalten, das musste McCoy zugeben; wenn er eines von Spock gelernt hatte, so war es die Unlogik darin, die Wahrheit zu leugnen. Er sprach seine Befürchtungen natürlich nicht aus, sondern arbeitete weiter, so gut er konnte, aber dennoch war die Angst ständig da, vergiftete seine Hoffnung und erstickte seinen Forschungsgeist in Resignation.

Damals hatte er seinen Vater nicht retten können, wieso sollte es bei ihm selbst anders sein? Vielleicht, flüsterte eine hinterhältige Stimme in seinem Kopf, war das schlichtweg die Rache für sein damaliges Versagen: So, wie für seinen Vater jede Hilfe zu spät gekommen war, käme sie auch für ihn zu spät.

Mit jedem weiteren Tag, mit jedem weiteren negativen Testergebnis nahm dieser Gedanke eine klarer definierte Form an, bis McCoy irgendwann fürchtete, dass auch seine Freunde ihn sehen oder seine Anwesenheit zumindest fühlen müssten.
Rezensionen