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5x11 - Apotheosis #1

von Julian Wangler

Kapitel 2

Alpha Centauri

Einen Moment lang hatte Kojiro Vance geglaubt, die Sterne sängen für ihn. So guter Laune war er am heutigen Tag. Er hob den Kopf und konnte sie über sich sehen – durch die transparenten Aluminiumplatten, die die Kuppel dieses Teils von New Samarkand, Hauptstadt der Alpha Centauri–Kolonie, bildeten.

Hinter der Kuppel fegten erstarrte Stickstoffwinde dicke, rote Schlieren aus kristallisierendem Methan und Wasserstoffcyanid fort und jagten den Terminator, um die dichte Atmosphäre für wenige Minuten zwischen den Tagwolken und den Nebeln der Nacht zu reinigen. So waren kurzfristig über ihm dunkle Bänder am Himmel zu sehen. Im Zwielicht flackerten die Sterne und erschufen ein schillerndes Edelsteinband um den stumpfgelben Kreisbogen des großen Gasriesen, der nicht weit von Centauri III seine Bahnen zog und stets gut erkennbar war. Beinahe ein Fünftel des Himmels füllte er aus; seine Ringe zeichneten sich ab wie ein feiner künstlerischer Sprenkel.

Weiter seitlich war das trinäre Antlitz des Systems, in dem die Kolonie lag, gut zu erkennen. Der helle, wenn auch gegenwärtig im Sinken begriffene A-Stern des Alpha Centauri-Systems sandte fern vom Horizont seine Strahlen herüber und badete die Landschaft in dämmrigem Licht. Darüber hingen der schwächere B-Stern und der vergleichsweise blasse, vielleicht stecknadelkopfgroße rote Zwerg Proxima Centauri, welcher an den Rändern der beiden lebenspendenderen inneren Sterne kreiste.

Vance wandte sich ab und blickte geradeaus durch eine Fensterfront, welche die spröde planetare Oberfläche darbot. Er schaute auf den nackten Boden, das zermahlene und sterilisierte, sich zersetzende Gestein einer einst unwirtlichen Welt, wo irdische Bakterien arbeiteten, um die Zusammensetzung zu verändern, es von Centauris Oktanregen und Kohlenwasserstoffschlamm allmählich zu reinigen.

Irgendwann, dachte er sich, würden auch dort Gras und Bäume wachsen, damit die Kinder laufen und spielen, Liebespaare herumschlendern und alte Leute zufrieden lächelnd auf Bänken an einem Springbrunnen sitzen konnten, hochbetagt zu den Sternen hinaufschauten und wussten, dass von fernen fremden Welten andere zu ihnen zurückschauten.

Der ganze Bereich um die Hauptstadt war in einem ehrgeizigen Terraformingprozess begriffen. Das war auch nötig, stieg doch die Bevölkerungszahl gerade in den letzten Jahren rapide an, da sich der Planet zu einem nicht unbedeutenden Verkehrsknotenpunkt und überdies zu einem Wissenschaftsstandort entwickelt hatte. New Samarkand brauchte Platz zum Wachsen.

Längst vorbei waren die Zeiten, da eine kleine Gruppe größtenteils zentralasiatischer und einiger frankokanadischer Abenteuerlustiger sich zu Beginn des Jahrhunderts selbstgenügsam hier niedergelassen hatte. Heute war ein wachsender Teil der inzwischen über fünfeinhalb Millionen Einwohner – vor allem der gehobeneren Schichten, die an der schon jetzt berühmten Universität und in den IT–Zentren als Programmierer und holografische Designer tätig waren – außerirdisch. Extraterrestrische Bewohner gehörten wie selbstverständlich zum gesellschaftlichen Bild auf Centauri. Hier hatte man von den rechtslastigen Terra Prime–Aufständen auf der Erde gehört – und sie belächelt. Centauri verstand sich als Vorreiter eines geregelten Miteinanders der Kulturen – zum gegenseitigen Nutzen.

Jeder, der hier lebte, war zutiefst davon überzeugt: So prächtig hätte sich die Kolonie niemals entwickeln können, hätte sie sich nicht frühzeitig von der Erde abgenabelt und Luft zum Atmen, Zeit für eigene Experimente und einen eigenen Weg gehabt. Sich von der Mutterwelt loszureißen, stellte freilich ein immenses Risiko dar. Andere Kolonisierungsunterfangen wie Terra Nova oder die Expeditionen in den Ficus-Sektor hatten dies auch getan und waren ganz überwiegend im Keim gescheitert. Keine menschliche Niederlassung, die ihre Unabhängigkeit von Erde großschrieb, war dermaßen aufgeblüht wie im Fall Centauris.

Sicher gehörte auch eine Portion Glück dazu. Aber als vollblutiger, gebürtiger Centaurer wollte Vance für seine Heimstätte auch einen Schuss eigener Genialität verbucht wissen.

Ja, er war wieder hier: zuhause. Zwar erst seit einer Woche, aber dafür mit umso größerem Elan. Auch, wenn Travis Mayweathers Angebot, er könne auf der Horizon bleiben, verlockend gewesen war, hatte es Vance dort nicht lange ausgehalten.

Er konnte sich nicht helfen: Es hatte sich einfach nicht richtig angefühlt. Sicher, in den zwei Monaten auf dem Frachtschiff hatte er weniger Creditnöte gehabt als früher und zudem einen deutlich höheren Lebensstandard. Mayweather und seine Horizon–Bande hatten ein echtes Händchen für funktionierende Geschäfte (und dafür, es sich nicht gleich mit den Cargo Services zu verscherzen), ganz besonders dieser eigentümlich aussehende Kerl namens Omag.

Aber der Verlust seiner treuen Kobayashi Maru ließ sich nicht so leicht verwinden. Dieser alte Kahn war sein Mädchen gewesen; er hatte das Sagen auf ihr gehabt, war mit ihrer Seele verschmolzen gewesen. So viele Jahre waren sie durch den Weltraum gezogen…

An Bord der Horizon war Vance hingegen bloß zu Gast gewesen. Wie gesagt, es hatte viele Vorzüge gegeben; vorneweg vom gehobenen Essen in der Kantine des Mayweather–Kutters hatte er sich nur mit Mühen getrennt. Doch als jemand, der nun einmal gerne auf eigenen Beinen stand, weil er seine Freiheit über alles liebte, hatte es Vance schließlich wieder nach Centauri zurückgezogen.

Ein Teil seiner Crew war ihm hierher gefolgt, während ein anderer sich entschied, fest auf der Horizon anzuheuern. Nach so langer Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, stellte das eine Zäsur in Vances Leben als Weltraumratte dar. Auf der anderen Seite konnte er es ihnen nicht recht verübeln: Zu spät dünkte ihm, dass er sich in seiner Rolle als Käpt’n Jack die meiste Zeit über wohl zu wenig um das Täglichbrot gekümmert hatte, und nicht jeder Mensch hatte schließlich so bescheidene Ansprüche an Schlaf, Hygiene und eine klingelnde Kasse; nicht jeder war mit ein Bisschen Weltraumluft und Kartoffelbrei aus der Manteltasche schon zufrieden. Vance war mittlerweile zu der Einsicht gelangt, dass er die neue Phase seines Lebens nutzen wollte, um alte Macken auszubügeln. Überaus hilfreich kam ihm dabei entgegen, dass ihm seine engsten Freunde die Stange gehalten hatten, mit ihm nach Centauri zurückgekehrt waren.

Er nahm einen kräftigen Schluck Weizenbier und wischte sich anschließend mit dem Ärmel den Schaum vom Bart, ehe er laut aufstoßen musste. Dass einige Leute in der unmittelbaren Umgebung des Cafés, in dem er saß, keineswegs erquickt über sein Bäuerchen waren, fiel ihm nicht einmal auf.

Stattdessen ließ er den Blick über die Flaniermeile von New Samarkand schweifen, die sich unter der großen Glocke massiven Glases befand. Zu ihr gehörten eine sichelförmig angeordnete Reihe von Geschäften sowie einige Habitatblöcke, die im Halbkreis um den Mittelpunkt des Kommerzsektors angeordnet waren. Wie in der zentralasiatischen Tradition üblich, war Blau hier die vorherrschende Farbe. Der künstlerische Aufwand der Architektur, die natürliche Formen wie Muscheln und Honigwaben imitierte, war enorm.

Und all das hatten die Bürger Centauris selbst auf die Beine gestellt, ohne fremde Hilfe. Einige Bauten waren fast zwanzig Stockwerke hoch und drohten an der Kuppel zu kratzen. Von überall drang das Hintergrundgeräusch ständiger Unterhaltungen der umhereilenden Passanten. Um Vance herum saßen Dutzende von Menschen und fremdweltlerischen Humanoiden an Tischen, aßen, tranken, unterhielten sich. Einige Meter entfernt hatte eine Schar Jugendlicher ein improvisiertes Frisbeespiel organisiert. Anderswo jonglierte jemand.

Der frühere Frachterkapitän grinste in seinen ansehnlichen, ergrauten Bart. Ich werde auch bald jonglieren., dachte er. Mit meinem Glück. Und mit jeder Menge frischen Credits. Ich wusste schon immer, dass Du Dich liebst, Jack.

Wo er gerade an die Liebe dachte – hinter einem Schwarm eifrig schwatzender Trentaraner erspähte er Tracy Logan, wie sie sich näherte. Die rothaarige Schönheit – sie war auf der Maru so etwas wie seine Stellvertreterin gewesen – war jedes Mal ein anmutiger Blickfang. Zu verfolgen, wie sie auf ihren langen Beinen vor sich hin stolzierte, und wie alles, was ihr nicht auswich, mit Temperament und spitzen Absätzen beiseitegeschoben wurde, daran würde Vance sich wohl nie sattsehen.

Neben ihr ging, beinahe einen ganzen Kopf kleiner, Rowdy Scott. Vance war überzeugt: Wäre dieser freche, gewiefte Bursche nicht gewesen, hätte die Maru nicht erst eine klingonische Angriffsflotte gebraucht, um schlapp zu machen. Gott mochte die alte Mühle selig haben – und ihren cleveren Naseweis von Cheftechniker gleich mit.

„Für Dich will ich hoffen, dass es so dringend ist, wie’s klang, Jack.“, sagte Tracy Sekunden später und zog für sich und Scott zwei Stühle zurück. „Ich hab’ extra meine Mittagspause bei Jeffs Frittenbude verlängert.“

Vance lehnte sich zurück. „Glaub’ mir, meine Liebe: Wenn Du erst mal gehört hast, was ich Euch zu sagen habe, dann wird Dir die Frittenbude den Buckel ’runterrutschen.“

Insgeheim dachte er: Jeff hoffentlich auch. Da sie alle drei sich wegen ihrer klammen finanziellen Situation derzeit ein Appartement teilen mussten, hatte Vance diesen schmierigen Kleinunternehmer schon satt, der fast seit ihrer Ankunft Tracys Bett tagte. Man hätte meinen sollen, dass sie auch ohne die Beine breit zu machen an diesen Job gekommen wäre. Aber Tracy war eben ein Typ, bei dem alles sofort menschelte.

Nachdem sie sich niedergelassen hatte, verschränkte die Rothaarige mit ihrem gewohnt zynischen Ausdruck die Arme. „Na, wenn das so ist, bin ich natürlich echt gespannt…“

„Solltest Du auch. Hab’ ’ne grandiose Idee.“

Scott hob die Brauen. „So grandios wie Deine Letzte, als Du einen Haufen klingonischer Rebellen für eine Handelsdelegation gehalten hast?“

Vance winkte ab, indes er noch etwas Bier trank. Dann senkte er den großen Becher von seinen Lippen. „Hört auf, im alten Kaffee ’rumzurühren und sperrt die Lauscher auf, Freunde der Nacht.“

„Im Gegensatz zu Deinen, Jack, sind sie regelmäßig geputzt und jederzeit auf Empfang.“, versicherte Tracy.

Der einstige Frachterkapitän hatte plötzlich, wie aus heiterem Himmel, dieses ablenkende Kribbeln auf der Zunge. „Puh, ich bekomm’ wieder Heißhunger, glaub’ ich.“ Prompt griff er sich in die Manteltasche und zog sich einen Frischhaltebeutel heraus, riss ihn auf und schnupperte am Kartoffelbreiaroma. „Will jemand?“

Fast zeitgleich schoben Tracy und Scott ablehnend die Hände vor, sodass Vance sich nicht anschicken musste, zwei der in seiner Innentasche gebunkerten Reserven zu opfern. Ich hatte vielleicht selten zu viele Credits, aber verhungert sind sie bei mir nie…, ließ er sich zufrieden durch den Kopf gehen.

„Okay, passt auf…“ Mit einer Plastikgabel begann Vance im Inhalt seines Isolierbeutels herumzustochern. „Rowdy, Du erinnerst Dich doch bestimmt noch an unsr’en Plan, bevor wir mit der Maru auf– und davongeflogen sind?“

„Du meinst hier, auf Centauri?“

Vance schmatze beherzt, nachdem er sich seine Lieblingsnahrung hineingeschoben hatte. „Treffer.“

Der Techniker vor ihm überlegte. „Liegt schon einige Jährchen zurück…“

„Scheint ’ne Geschichte vor meiner Zeit zu sein…“, meinte Tracy.

„Ja, jetzt klingelt ’was bei mir.“ Scott zog einen Mundwinkel hoch. „Du hattest Dir diese verrückte Idee in den Kopf gesetzt, irgendwelche…Steine zu suchen, stimmt’s?“

„Keine Steine, sondern Ruinen.“, korrigierte Vance, abwechselnd kauend und schluckend. „Im unterirdischen Kavernensystem.“

Im nächsten Moment drohten Tracys Augen beinahe aus der Fassung zu treten. „Geht das schon wieder los… Komm schon, Rowdy, das müssen wir uns nich’ geben.“ Mit vorgeschobenem Unterkiefer lehnte sie sich vor. „Damit Du’s ein für allemal kapierst, Jack: Wir sind zwar mit Dir mitgekommen, aber nicht, um wieder in Dunkelheit und Dreck zu wühlen. Die Zeit liegt hinter uns, compris?“

Vance liebte es, wenn sie ihr Feuer zeigte. „Aber Du warst doch nie in den Kavernen, Schätzchen.“

„Nein, ich war im Weltraum, auf der Maru. Da war’s auch dunkel und dreckig. Und mir hat das verdammt noch mal gereicht.“

Auf ihren finsteren Blick hin kicherte er. „Ja, ja, aber diesmal wird’s ganz anders…“

Tracys Lider sanken auf Halbmast. „Das sagst Du immer, Jack. Schmink’s Dir endlich ab und lass uns in Frieden uns’re Brötchen verdienen.“

Vance blieb gelassen. „Lasst mich erst mal ausreden, Leute. Ich muss Euch noch sagen, dass gestern mein Glückstag war.“

„Glück und Jack?“ Tracy lachte hämisch. „Das is’n noch größ’rer Widerspruch als Scott und ’ne Freundin.“ Neben ihr verschwand der letzte Ansatz eines Lächelns aus dem Gesicht des jungen Mannes.

„Will ich wohl meinen.“, fuhr Vance fort, ihren Gesichtsausdruck erwidernd. „Bin im Rodeo–Saloon ’nem Yridianer begegnet. Haben so’n Bisschen gelabert, und dann hat er mir’n exklusives Angebot gemacht.“ Der quasi–havarierte Kapitän zog einen veralteten, zivilen Handcomputer hervor, auf dessen Display irgendein komplizierter Lageplan abgebildet war. „Tadaa…“

„Was soll das sein?“

„Falsche Frage.“ Vances Augen wurden Schlitze der Selbstherrlichkeit. „Wer ist das? – Gestatten: Jack, der Zauberer, sehr erfreut.“

„Lass den Blödsinn.“, brummte Tracy und wiederholte wie stoisch: „Also noch mal: Was ist das?“

„Uns’re Fahrkarte in die Sorglosigkeit.“, beteuerte er. „Diese Karte enthält Infos über verborgene Höhlenkomplexe unter der Oberfläche. Bereiche, die niemand kennt.“

„Wer wagt sich da schon ’runter?“

„Na, Ihr wisst doch, wie viele Leute schon ’was Bedeutendes gefunden haben: Edelsteine, verborgene Schätze und so… Den ganzen Krempel, den diese ausgestorb’nen Jungs so hinterlassen haben.“

„Hey, Jack, nichts für ungut: Aber das war vielleicht einer von tausend.“, genehmigte sich Scott. „Reiner Zufall.“

Währenddessen legte Tracy den Kopf an. „Wie viel hast Du diesem Yridianer dafür geblecht?“

„‘Nen Fünfziger.“

Im nächsten Moment lachte sie wie ein Reibeisen; verärgert drehten sich einige Köpfe hinter ihr um. „Sieh’s ein, Du Nassbirne: Der Typ hat Dich abgezockt. Über den Tisch gezogen. Ver–arscht.“

„Woll’n wir doch mal seh’n.“, erwiderte Vance grinsend. „Mein Riecher sagt mir, das ist die richtige Fährte.“

Tracy wurde schlagartig bitterernst. „Dein Riecher wusste noch nie, von wo der Wind weht. Deswegen müssen wir jetzt wie die Tagelöhner schuften. Willst Du, dass ich demnächst noch für Dich anschaffen gehe?!“

Tust Du doch schon längst., dachte Vance, dessen Wange einen förmlichen Sprühregen von seiner alten Kameradin geerntet hatte. Nur, dass Du bislang keine Credits dafür verlangst.

In diesem Moment tippte eine koreanisch aussehende Frau Tracy an der Schulter an. „Entschuldigen Sie, aber könnten Sie Ihre vulgären Gespräche anderswo führen?“

„Ach, halt’s Maul.“

„Das ist doch –…“

„Du sollst das Maul halten!“

Empört standen die Frau und ihre Begleiterinnen auf und gingen zur Kasse. Tracy sah ihnen mit einer Miene der Genugtuung hinterher. Sie hatte wieder einmal ihre tägliche Portion Dampf–Ablassen nötig.

Vance, nicht undankbar über die Unterbrechung, schaute wieder zur Kuppel hinauf, doch die kurze Zwielichthelligkeit war vorbei. Die Nebel von Centauri III wogten hinter transparenten Platten und in den Außenscheinwerfern, als sei die Kolonie ein Meeresschiff, das im Winter ein Meer durchpflügte. Dann setzte er sich sein charmantestes Lächeln auf. „Also, Freunde der Nacht: Wer von Euch hat jetzt noch mal Lust, reich zu werden?“

– – –

Im elften Stockwerk des kolonialen Administrationsgebäudes von Alpha Centauri legte Jie Cong Li, die chinesischstämmige Vizeverwalterin, ihren Bericht auf den Schreibtisch des Gouverneurs. „Das ist gar nicht gut.“, sagte sie besorgt. „Der Omega–Konvoi ist verschwunden.“

Ulugbek Palvanov, seines Zeichens langjähriger Regierungschef von Alpha Centauri, hob ungläubig das Anzeigegerät und betrachtete die Auflistung. „Sie machen wohl Witze. Ein Konvoi von neunzehn Frachtern? Der verschwindet doch nicht so einfach.“

Li schürzte die Lippen. „Nun, er ist jetzt seit fünf Tagen überfällig.“

„Sie könnten Schwierigkeiten haben.“, mutmaßte Palvanov. „Vielleicht sind sie auf ein Raumphänomen gestoßen…oder etwas in der Art.“

„Aber dann hätte doch zumindest eines der Schiffe sich bei uns gemeldet. Das war nicht der Fall. Ich ließ sogar einen Kundschafter entsenden: Bis Farobia hat er die Route abgeklappert. Nicht die geringste Spur von den Frachtern.“

Der Gouverneur hielt mehrere Sekunden ein, in dem Versuch, sich zu sammeln. Es war vergebliche Mühe. „Das ist in der Tat beunruhigend.“

„Es ist mehr als das, Ulugbek, das wissen wir beide.“

Palvanov ahnte, worauf seine Stellvertreterin hinauswollte. Dieses Gespräch schien nur eine gesteigerte Wiederholung dessen zu sein, was sie bereits vor Wochen geführt hatten.

„Im Laufe der vergangenen zwei Monate ist das beileibe nicht der erste Konvoi, der wie vom All verschluckt wurde. Es ist nur der mit Abstand größte.“ Sie hob ihre Brauen, dünn gezupfte, spitze Fäden. „Was wird wohl als nächstes passieren?“

Der Usbeke faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. „Glauben Sie denn, es stecken Piraten dahinter? Welche Plünderer könnten schon eine solche –…“

„Keine Piraten.“, unterbrach Li ihn. Hätte er nicht so ein enges Verhältnis zu ihr gehabt, dann hätte er es ihr wohl nicht durchgehen lassen, ihm einfach das Wort abzuschneiden. Palvanov wusste, dass sie sein Zögern in dieser Angelegenheit für fahrlässig hielt. „Alpha Centauri mag ja ein ganzes Stück abseits der Koalition gelegen sein, aber ganz und gar ungefährdet sind wir deshalb nicht. Auch bis zu uns sind die Berichte von der romulanischen Gefahr gedrungen, die derzeit die Erde und ihre Partner beschäftigt.“ Ihre Stimme verklang mit Nachdruck im Büro.

„Und Sie wollen hier andeuten, diese Gefahr könnte jetzt auch uns ereilen?“ Nach wie vor flackerte Widerwillen in Palvanovs Worten, doch er bezog sich weniger auf das Anerkennen der Bedrohung, die Li meinte, sondern auf die nötige Konsequenz aus dieser Zurkenntnisnahme.

„Wir können es jedenfalls nicht mehr ausschließen.“, antwortete Li. „Nicht nach den Vorkommnissen der letzten Wochen und Monate. Und wenn dem so ist, dann brauchen wir schleunigst eine Verteidigungsstrategie. Für die Versorgungsrouten und die Kolonie. IT–Spezialisten und Wissenschaftler haben wir genug, aber kaum Defensivpotenzial. Das hier ist ein durch und durch ziviler Standort – ein Hort des Handels und der Forschung –, und darauf waren wir immer sehr stolz.“ Sie genehmigte sich eine Pause, ehe sie seufzte. „Ulugbek, ich sage es nur ungern: Wir müssen die Erde kontaktieren.“

Wie konnte es nur so weit kommen?, überlegte der Gouverneur, blickte wieder hinab auf die kalten Fakten des Berichts und dann erneut zu seiner Vizeverwalterin. Betrübtheit erfüllte sein Gesicht. „Sie wissen, wie schwer uns das fällt. Alpha Centauri steht seit es existiert auf eigenen Beinen. Unsere Unabhängigkeitserklärung hat uns die Erde damals außerordentlich übel genommen. Und jetzt einfach so angekrochen zu kommen…“ Er schüttelte den Kopf. „Es wäre eine Schande.“

„Erinnern Sie sich einfach daran, dass wir für einen höheren Zweck arbeiten: das Wohlergehen unserer Welt.“ Li nahm ihn beschwörend in den Fokus. „Das Bisschen Demut ist zu ertragen, denke ich, im Vergleich zur Aussicht, dass eines Tages etwas noch Schlimmeres passieren könnte als das Verschwinden unserer Frachterflotten. Sie lieben Alpha Centauri. Und deshalb würden Sie es sich niemals verzeihen.“

Palvanov kämpfte nach wie vor mit Ehre und Idealen und mit seinem Selbstverständnis als Oberhaupt einer beneidenswert erfolgreichen Self-made-men-Kolonie, aber all das schien irgendwie keinen Platz mehr zu finden in der neuen Zeit, die sich da anbahnte. „Sie haben Recht.“, entschied er schließlich. „Ich werde mit der Erdregierung sprechen. Unverzüglich.“
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