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Ars amatoria

von Laurie

Kapitel 2

Spock bemerkte die Veränderung sofort. Es war nur ein subtiler Wechsel in der vorherrschenden Schiffsatmosphäre, eine geringfügige Veränderung im emotionalen Hintergrundbild der Besatzung, und reichte dennoch aus, um ihn nur wenige Sekunden nach seinem Erwachen zu einer sehr menschlich formulierten Erkenntnis gelangen zu lassen: Das Schiff fühlte sich nicht richtig an.

Natürlich hätte Spock niemals zugegeben, auch nur entfernt an etwas Derartiges zu denken, aber die Tatsachen ließen sich nicht leugnen. Sie zu ignorieren, wäre unlogisch gewesen; einem ersten Eindruck mehr Bedeutung zuzuschreiben, als ihm zustand, wäre allerdings ebenfalls unlogisch gewesen, und so entschied Spock sich für den offensichtlichsten Handlungsweg: seine morgendliche Routine wie gewohnt fortführen, solange es noch keinen triftigeren Grund als ein vages Gefühl zur Beunruhigung gab, und erst Beweise einholen, bevor er einen vorschnellen Schuss zog.

Zur selben Zeit wie immer verließ er sein Quartier, in Gedanken irgendwo zwischen der bevorstehenden Schicht und dem vergangenen Abend. Biolabor 3 war noch immer nicht zugänglich; Spock und ein paar seiner Mitarbeiter hatten sich am vorherigen Abend in Schutzanzügen einen Überblick verschafft und festgestellt, dass ihr Projekt nicht mehr zu retten war. Es war ein ärgerlicher Umstand, aber nichts, was ein Mensch als Weltuntergang bezeichnet hatte. Fähnrich Leifsson befand sich auf dem Weg der Besserung, das war die Hauptsache.

Die restlichen Mitglieder des ausgedehnten Landetrupps waren erst spät zurückgekehrt, und sie waren, um erneut auf den faszinierenden menschlichen Wortschatz zurückzugreifen, allesamt etwas angeheitert gewesen – ein Umstand, der nicht dazu beitrug, dass Spock seine Abwesenheit am Bankett der Tobani bedauerte. Der Aufenthalt auf Tobas VI hatte mehr an seinen mentalen Schilden gezehrt, als er jemals zugegeben hätte, und dabei zuzusehen, wie seine Kameraden sich dem Genuss dubioser Spirituosen hingaben, hätte die Lage nicht zum Besseren gekehrt.

Nach allem, was er inzwischen über den menschlichen Metabolismus gelernt hatte – vor allem über die Abbaurate von Methanol –, erwartete er nicht, den Captain zur gewohnten Zeit in der Mensa anzutreffen; und vor allem erwartete er nicht, so enthusiastisch begrüßt zu werden.

„Spock! Hey, Spock!“

Der Ruf zog seine Aufmerksamkeit auf sich, noch bevor er die Türschwelle überschritten hatte. Den Besitzer jener leistungsstarken Lungen ausfindig zu machen, war nicht weiter schwierig, und mit einem leichten Anheben der Augenbraue bahnte sich Spock den effizientesten Weg zwischen den Tischen hindurch, bis er vor einem erstaunlich munteren Jim Kirk innehielt.

Zumindest auf den ersten Blick wirkte Kirk unbeeinflusst von seinem letzten Ausflug in die Untiefen gesellschaftlicher Konventionen, doch bei näherer Betrachtung musste Spock diese Annahme revidieren. Kannte man den Captain besser, und Spock neigte durchaus dazu, zu behaupten, dass er das sehr wohl tat, entgingen einem weder die dunklen Ringe unter Kirks Augen noch die Art, wie bei jeder Kopfbewegung unwillkürlich das Gesicht verzog.

Wäre Spock kein Vulkanier gewesen, hätte er geseufzt. „Captain.“

Bevor er dem Gruß etwas hinzufügen konnte, vorzugsweise eine Bemerkung darüber, wie unlogisch es sei, perfekte Gesundheit vorzuspielen, obwohl das Bankett der letzten Nacht offensichtliche Spuren hinterlassen hatte, wies Kirk ihn mit einer Handbewegung an, sich zu setzen. „Machen Sie’s sich bequem, Spock.“

„Das wäre unzweckmäßig, bevor ich mir nicht meine morgendliche Mahlzeit besorgt habe, und zudem ist Bequemlichkeit keine der Anforderungen, die ich an das Mobiliar –“

„Wirklich, machen Sie sich keine Umstände. Setzen Sie sich, ich hole Ihnen Ihr Frühstück. Lassen Sie mich raten: Gespar und vulkanischer Gewürztee, wie die ganze letzte Woche über?“

Bevor Spock mehr tun konnte, als auch die andere Augenbraue hochzuziehen – diesmal voller ehrlicher, nicht unbedingt negativer Überraschung –, war Kirk in Richtung des nächsten Nahrungsverteilers verschwunden.

Mit dem vulkanischen Äquivalent eines Schulterzuckens ließ Spock sich nieder, um nicht weiterhin als Blickfang zu fungieren. Menschen waren seltsame Wesen – er wäre sehr wohl in der Lage gewesen, sich sein Frühstück eigenständig zu beschaffen. Dass Kirk sich trotz seines nicht optimalen gesundheitlichen Zustands dafür anbot, mehr noch, sich fast aufdrängte, war unlogisch, obwohl Spock nicht verhindern konnte, dass ihm Kirks Aufmerksamkeit ein wenig schmeichelte. Für Menschen war es in der Regel nicht leicht, vulkanische Gerichte auseinanderzuhalten, und dass der Captain es für wichtig gehalten hatte, sich Spocks neueste Frühstücksvorlieben zu merken, zeugte einmal mehr von den außergewöhnlichen Qualitäten dieses nicht minder außergewöhnlichen Mannes.

„Et voilà.“

Schneller und vor allem sicherer, als Spock es ihm derzeit zugetraut hätte, war Kirk mit einem beladenen Tablett zurückgekehrt und stellte es vor Spock ab. Spocks Augenbrauen behielten ihre Position hoch oben auf seiner Stirn bei, als er bemerkte, dass Kirk ihm sogar eine Serviette beigelegt hatte – etwas, worauf der Captain selbst normalerweise keinen gesteigerten Wert legte.

„Danke sehr, Captain.“

Sein Dank wurde mit einer lässigen Handbewegung abgewiesen. Kirk nahm seinerseits wieder Platz, schob sich den letzten Bissen seines undefinierbaren Breis in den Mund (Spock vermutete, dass Doktor McCoy ihn wieder einmal auf Diät gesetzt hatte, anderenfalls hätte Kirk die bräunliche Masse in seiner Schüssel niemals freiwillig angerührt) und lehnte sich näher zu ihm.

„Wie geht es Ihnen, Spock?“

Es war ein Tag der Wunder, was diesen Menschen betraf. Nicht, dass Kirk sich normalerweise nicht um Spocks Wohlbefinden kümmerte; doch für gewöhnlich benötigte niemand von ihnen eine direkte Frage, um zu wissen, wie es dem jeweils anderen ging. Sie kannten einander gut genug, um auch ohne verbale Bestätigungen jede noch so subtile Stimmungsschwankung wahrzunehmen.

„Es gibt für mich keinen Grund zur Klage“, erwiderte Spock – eine diplomatische Standardantwort, die ihm schon häufig gute Dienste geleistet hatte.

„Das freut mich, Spock, das freut mich.“

Langsam erschien es Spock, als würden seine Augenbrauen niemals wieder in ihre normale Position zurückkehren. Doch, irgendetwas war anders als sonst, sein erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Kirk war anders. Nicht unbedingt auf schlechte Weise anders, nicht aggressiv und manipulativ und unkontrolliert emotional; nein, Kirk verhielt sich zuvorkommend, freundlich und ihm zugewandt ... und darin lag das Problem. Er war beinahe zu freundlich, und er war ihm eindeutig ein wenig zu sehr zugewandt.

Spock benötigte 5,2 Sekunden, um mögliche Erklärungen gegeneinander abzuwägen und um Verknüpfungen zu ziehen, und in diesen 5,2 Sekunden verließ Kirks erwartungsvoller Blick sein Gesicht nicht ein einziges Mal – als wartete er auf etwas, das Spock ihm nicht geben konnte, solange er nicht wusste, worum es überhaupt ging.

„Jim“, begann er, bestrebt darauf, diese nicht greifbare, wieso auch immer zwischen ihnen schwebende Angelegenheit zu beseitigen. „Falls Sie glauben, dass ich es bereue, nicht am Bankett der Tobani teilgenommen zu haben, kann ich Ihnen versichern, dass dem nicht so ist. Ich habe nicht das Gefühl, etwas ... verpasst zu haben. Sie haben also nichts wiedergutzumachen.“ Wieso Kirk das Verlangen haben sollte, irgendetwas wiedergutzumachen, erschloss sich Spock zwar nicht – immerhin war er am vorherigen Abend aus eigenem Willen gegangen und Kirk hatte ihn unterstützt –, doch es waren schon unlogischere Dinge auf diesem Schiff vorgefallen. Eine andere Erklärung für Kirks Verhalten fand er jedenfalls nicht. Weder hatte Spock Geburtstag, noch schuldete Kirk ihm irgendetwas. „Tatsächlich empfand ich die Kommunikation mit den Tobani als ... erschwerend“, fügte er hinzu, um seinen Standpunkt deutlich zu machen.

Niemandem außer Kirk und McCoy wäre sein leichtes Zögern aufgefallen, und in diesem Moment war Spock froh darüber, dass nur Kirk anwesend war, nicht auch noch McCoy. Mit einem nicht unbedingt emotional ausbalancierten Menschen umzugehen, war genug für einen frühen Morgen; McCoys Kommentare hätten die Angelegenheit nur weiter auf die gefährlichen Pfade der Unberechenbarkeit gezogen.

Unberechenbar traf es gut, denn die entgeisterte Miene des Captains verriet Spock, dass er mit seiner Vermutung dieses eine Mal nicht ins Schwarze getroffen hatte – wieder einmal ein Beispiel dafür, wie gut es Kirk gelang, ihn nach all den Jahren noch immer zu überraschen.

„Was? Oh, nein, nein, darum geht es doch überhaupt nicht. Es war richtig, dass Sie gestern früher gegangen sind, ich hätte Ihnen nie einen Vorwurf deshalb gemacht ... oder angenommen, dass Sie es bereut haben.“

Bei jedem anderen hätte Spock die Art, wie Kirk sich noch ein wenig näher zu ihm lehnte, als Verstoß gegen seine Privatsphäre gewertet, doch Kirk ließ er gewähren. Seltsamerweise hatte die Nähe dieses Mannes in ihm nie denselben Fluchtreflex ausgelöst, den er manchmal gegenüber zu aufdringlichen Individuen, egal welcher Spezies, empfand.

„Ich dachte nur, wir zeigen Ihnen gar nicht oft genug, wie sehr wir Sie alle schätzen. Sie tun alles für uns und wir nehmen es viel zu oft einfach hin – es ist an der Zeit, dass wir Ihnen einmal ein paar Gefallen zurückgeben. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, ein wenig auf Ihre Bedürfnisse zu achten.“

Wenn Spock gedacht hatte, dass es nicht mehr seltsamer kommen könnte, wurde er schnell eines Besseren belehrt. Nicht nur, dass Kirk unter noch nie vorgekommenen Anwandlungen von Philanthropismus zu leiden schien – etwas, das Spock verunsicherte, so gerne er Kirk auf diese Weise über ihn reden hörte; Abweichungen von der Norm waren immer alarmierend –, er hielt es offenbar für nötig, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, indem er sich noch näher zu Spock beugte, so nahe, dass er beinahe auf der Tischplatte lag. Das war etwas zu viel des Guten, und mehr aus Verwirrung als aus tatsächlichem Selbsterhaltungstrieb lehnte Spock sich zurück, um ein wenig mehr Raum zwischen sich und den Captain zu bringen.

„Jim ...“

Unendlich viele Möglichkeiten eröffneten sich ihm nach dieser Einleitung, und es war ihm noch nicht gelungen, die zweckmäßigste davon auszuwählen und in einem grammatikalisch und syntaktisch korrekten Satz zu formulieren, als seine Gedankengänge unvermittelt durch das Erscheinen eben jener Person unterbrochen wurden, die Spock derzeit lieber an anderen Ende des Schiffes gewusst hätte.

„Hey, Spock! Jim!“

Mit der Lebhaftigkeit eines Tornados ließ sich Doktor McCoy auf einen freien Stuhl fallen und stellte sein Tablett neben Spocks unberührtes Frühstück. Spock musste auf seine gesamte vulkanische Contenance zurückgreifen, um nicht in die unverzeihliche menschliche Gewohnheit des Augenverdrehens zu verfallen. Niemand konnte McCoy das Talent absprechen, zu jedem günstigen und vor allem ungünstigen Zeitpunkt auf der Bildfläche zu erscheinen.

„Na, wie geht’s?“, fragte er, ähnlich wie der Captain viel zu munter für diese Uhrzeit.

Spock blieb ihm eine Antwort schuldig – ein mehr oder weniger erfolgreicher Smalltalk-Versuch war genug für einen Morgen –, und zu seiner Überraschung reagierte auch Kirk verhalten. „Bones. Du störst.“

Hätte Kirks Verhalten Spocks Misstrauen nicht schon längst erregt, hätte es diese Bemerkung endgültig getan. Jim Kirk wies seinen besten Freund nicht einfach mit einem knappen du störst ab, schon gar nicht, wenn dieser eine völlig legitime Frage gestellt hatte und wenn nach Spocks Wissen nichts zwischen den beiden Männern vorgefallen war, was eine derartige Reaktion gerechtfertigt hätte.

McCoys zusammengekniffene Augenbrauen verrieten, dass er Kirks Aussage mindestens ebenso kritisch gegenüberstand wie Spock. In einem Aufwallen dunkler Vorahnung wurde Spock bewusst, dass er sich, sollte es tatsächlich zu einem Streit zwischen Kirk und McCoy kommen, mitten zwischen den Fronen befand.

„Wobei denn, wenn ich fragen darf?“

„Geht dich nichts an.“

Inzwischen fühlten sich Spocks Augenbrauen wie hoch oben an seiner Stirn festgetackert an. Kirks Verhalten wurde mit jeder verstreichenden Sekunde beunruhigender und das sprunghafte Temperament ihres Ersten Medizinischen Offiziers trug nicht dazu bei, die Lage zu vereinfachen.

„Ookay? Schlecht geschlafen, oder was? Ignorier mich halt einfach, wenn dir das lieber ist.“

McCoy wirkte etwas beleidigt, schien aber fest entschlossen zu sein, sich seine gute Laune nicht verderben zu lassen. Ohne sich um Kirks missmutige Miene zu kümmern, wandte er sich Spock zu, und ... war das ein verschwörerisches Zwinkern?

Zum ersten Mal verstand Spock den menschlichen Drang, den Kopf auf die Tischplatte zu schlagen.

Kirk schob sein Tablett etwas zu heftig von sich fort. „Bones, das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Am liebsten wäre es mir, wenn du verschwinden würdest.“

„So wichtig kann das, was du von Spock willst, ja nicht sein, sonst würdest du es nicht in der Mensa mit ihm besprechen“, antwortete McCoy bissig.

Das war genug. Spock hatte kein Interesse daran, sich nicht nur um eine, sondern gleich um zwei emotionale Baustellen zu kümmern, und vor allem hatte er kein Interesse daran, zum morgendlichen Unterhaltungsprogramm aller Anwesenden beizutragen. „Gentlemen, wenn ich Sie bitten dürfte, Ihre Differenzen an einem anderen Ort auszutragen?“, warf er ein, nur um mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit ignoriert zu werden.

„Und trotzdem haben wir ein Recht auf Privatsphäre!“

McCoy warf Spock einen Blick zu, der zweifelsohne „Können Sie das fassen?“ kommunizieren sollte. Spock hielt es für die klügste Handlungsweise, ihn zu ignorieren und sich stattdessen in Erinnerung zu rufen, was sein Vater getan hatte, wenn Amanda während Spocks Kindheit ihre monatlichen emotionalen Ausbrüche an den Tag gelegt hatte. Importierte Schokolade schien ein hilfreiches Mittel gewesen zu sein ...

„Und wenn ich auch was mit Spock besprechen will?“

„Das kann warten.“

„Wieso lassen wir nicht Spock entscheiden, mit wem er sein Frühstück verbringen will?“

Um auf das so inflationär verwendete Stilmittel der Ironie zurückzugreifen: Es wurde immer besser. In Momenten wie diesen wünschte sich ein von jedem rationalen Denken losgekoppelter Teil Spocks regelmäßig, dass es ein Handbuch darüber gäbe, wie man mit besonders eigensinnigen Exemplaren der Spezies Mensch umzugehen hatte, ohne dabei einen kulturellen Kleinkrieg heraufzubeschwören.

Zwischen den Fronten traf es inzwischen gut. Spock zögerte unentschuldbar lange, wägte ab und entschied sich dann für die wenig elegante, aber sichere Option des Rückzugs. Vielleicht brauchten Menschen nach exzessiven Feiern ein wenig Zeit, um, wie sagte man, abzukühlen?

„Captain, Doktor McCoy, ich muss gestehen, dass mich Ihr Verhalten verwundert. Ich bin mir keines Zerwürfnisses zwischen Ihnen beiden bewusst, aber falls ein solches existiert, habe ich kein Interesse daran, hineingezogen zu werden. Ich werde mich darum zurückziehen, bis Sie beide Ihr mentales Gleichgewicht wiedergefunden haben.“

Das Schlachtfeld räumen, so hieß es doch, oder? Er hatte diese Metapher noch nie ganz nachvollziehen können, und als er in McCoys und Kirks benommene Mienen blickte, beschloss er, dass nun nicht der richtige Zeitpunkt war, um sich mit etymologischen Hintergründen zu befassen.

Mit einer einzigen, fließenden Bewegung stand er auf, hob sein unberührtes Tablett hoch und verließ den Tisch, ohne sich noch einmal umzublicken. Weder von Kirks „Hey, Spock, warten Sie“ noch von den Blicken der anderen Anwesenden ließ er sich aufhalten, sondern verließ die Mensa in dem Bewusstsein, dass es Wichtigeres gab als Nahrungsaufnahme.

~°~

Irgendetwas war seltsam. Irgendetwas fühlte sich komisch an, irgendetwas war anders als sonst ... und das Seltsamste war, dass Kirk nicht bestimmen konnte, was es war. Normalerweise lagen seine Instinkte selten daneben, nun allerdings lieferten sie ihm nicht einmal den geringsten Anhaltspunkt.

Nachdem Spock die Mensa verlassen hatte, verwendeten Kirk und McCoy Einiges an Energie darauf, einander nicht anzusehen. Dabei gab keinen Grund mehr, verstimmt zu sein. Auch das war seltsam: Sobald Spock gegangen war, war Kirks unerklärliche Verärgerung in sich zusammengefallen, bis er nicht einmal mehr sagen konnte, wieso er überhaupt so gereizt gewesen war.

Offenbar ging es McCoy ähnlich, denn er durchbrach die angespannte Stille mit einem Seufzen. „Na, das war ja ein toller Start in den Tag.“

Es klang nicht wie ein Vorwurf, was dazu beitrug, dass Kirk sich seinem inneren Gleichgewicht ein wenig mehr näherte. Wenn nur das seltsame Gefühl ganz verschwinden würde ... Es drängte ihn dazu, Spock nachzugehen, aber erst einmal hatte er hier noch etwas zu erledigen.

„Kannst du laut sagen“, sagte er, und dann, nachdem sie beide ein wenig mehr geschwiegen hatten: „Und, äh, Bones? Tut mir leid wegen gerade. Keine Ahnung, was in mich gefahren ist.“

McCoy winkte mit einem schwachen Lächeln ab. „Vergiss es. Wir sind alle ab und an gestresst.“

Daran lag es nicht, dachte Kirk, es hatte an etwas anderem gelegen, aber er sprach es nicht aus, weil der Drang, die Mensa zu verlassen, immer stärker wurde. Eigentlich wollte er gar nicht nachdenken. Viel verlockender war es, sich bei Spock zu entschuldigen und ihm bei dieser Gelegenheit gleich noch einmal zu zeigen, wie sehr er ihn wertschätzte – und er wusste auch schon genau, wie er das anstellen würde. Er durfte bloß nicht zu genau über alles nachdenken.

Vielleicht hatte McCoy doch recht. Ja, Stress, das war es. Genau.

Bis Kirk sein Tablett aufgeräumt und die Mensa verlassen hatte, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, hatte er es geschafft, sich selbst davon zu überzeugen.

~°~

Wirklich, diese Menschen ... Unvorhersehbar wie das Schicksal des Universums, unbeständig wie die heißen Wüstenwinde Vulkans. McCoys Verhalten hatte sich noch innerhalb des normalen Rahmens bewegt, Kirks dagegen gab Spock zu denken. Erst diese ungewöhnliche Zuvorkommenheit, dann seine abweisende Haltung gegenüber McCoy ... die Art, wie er auf McCoys nicht unberechtigte Irritation eingegangen war, hätte besser zu einem störrischen Jugendlichen als zu einem erfahrenen Captain gepasst, und genau das war es, was die metaphorischen Alarmglocken schrillen ließ.

Wann immer sich ein Besatzungsmitglied so offensichtlich anders als sonst verhielt, war Vorsicht gefragt. Obwohl Stimmungsschwankungen ein natürliches Nebenprodukt der menschlichen Psyche darstellten, hatten sie alle schnell gelernt, sämtliche Prinzipien über den Haufen zu werfen, wenn Kirk involviert war. Niemand sonst besaß ein derartiges Talent dazu, von fremden Spezies für ihre Zwecke manipuliert zu werden – ob das nun mithilfe von Doppelgängern oder dubiosen Stimuli geschah, war nebensächlich, das Ergebnis blieb in jedem Fall gleich unangenehm.

Als er den Gang in Richtung Labor entlang schritt, stellte Spock sich der Frage, die ihn belästigte, seit Kirk angeboten hatte, ihm sein Frühstück zu bringen: Mit wem hatte er es zu tun? Einfach nur mit einem etwas reizbaren Captain, möglicherweise lediglich gestresst und infolgedessen noch undurchschaubarer als sonst, oder mit einem Mann, der wieder einmal unter fremdem Einfluss stand? Es wäre nicht das erste Mal gewesen ...

Ungebeten schweiften Spocks Gedanken ab, blieben bei Doktor Korby und seinen Androiden hängen und wandten sich dann jenem denkwürdigen Zwischenfall zu, bei dem Kirk in seine gute und seine schlechte Persönlichkeitshälfte aufgespalten worden war. Ihm wären noch weitere Beispiele in den Sinn gekommen, wenn ihn nicht eine unsichere Stimme zurück in die Gegenwart gelotst hätte.

„Mr Spock?“

Ein Blick auf das Gesicht des jungen Mannes vor ihm genügte, um Spock einen präzisen Ausschnitt aus Pavel Chekovs Seelenleben zu präsentieren. Der Fähnrich war nervös, uncharakteristisch nervös sogar, und er demonstrierte eine ganze Reihe der menschlichen Erkennungsmerkmale für Verunsicherung, indem er von einem Bein auf das andere trat, seine Finger ineinander verflocht und seinen Blick unruhig durch den Gang gleiten ließ.

„Fähnrich Chekov“, grüßte Spock, neutral wie immer und dennoch mit jenem sorgfältig verborgenen Unterton, der einem aufmerksamen Beobachter verraten hätte, dass er sich fragte, wieso Chekov ihn abfing.

„Also, ich, äh ...“

Die nicht sehr ausgefeilte Einleitung gab wenig Anlass dafür, ein wichtiges Gespräch zu erwarten, möglicherweise Probleme in einem der Labore oder Fehler beim Berechnen eines Kurses oder auch eine persönliche Tragödie, und innerlich hatte Spock mit der Unterhaltung abgeschlossen, noch bevor Chekov endlich zu einer verständlichen Ausdrucksweise fand. Es gab Wichtigeres, als seine Zeit mit höflichem Geplänkel zu verschwenden, wenn möglicherweise ein Mysterium gelöst werden musste.

„Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht Lust hätten, äh, gemeinsam mit mir zu frühstücken.“

Das war ungefähr das Letzte gewesen, womit Spock gerechnet hatte, und er brauchte einige unverzeihlich lange Momente, um darauf zu reagieren. „Ich habe kein Bedürfnis nach einem Frühstück, Fähnrich.“

Zu erwähnen, dass er die Mensa eben erst verlassen hatte, war unnötig. Das Ergebnis blieb dasselbe: unverkennbare Enttäuschung.

„Ach so ... na ja, ich dachte, vielleicht ... aber egal. Ist nicht so wichtig.“

Chekovs Stammeln war einer reibungslosen Unterhaltung nicht gerade zuträglich, aber es sorgte dafür, dass Spock ihn aufmerksamer betrachtete. Wieder kam ihm sein erster Eindruck dieses Morgens in den Sinn: dass sich irgendetwas anders anfühlte als sonst. Nicht das Schiff, das hatte er inzwischen erkannt; die Besatzungsmitglieder waren es, die sich seltsam verhielten – noch seltsamer, als Menschen es für gewöhnlich taten –, angefangen bei Kirk über McCoy und nun Chekov.

Warum fragte Chekov ihn, ausgerechnet ihn, der nicht für seine Geselligkeit bekannt war und der noch nie mit jemand anderem als dem Captain und Doktor McCoy zusammen gefrühstückt hatte, ob er ihm an diesem denkwürdigen Morgen Gesellschaft leisten wollte?

„Fähnrich, wenn es etwas gibt, das Sie mir mitteilen wollen, können Sie das auch jetzt tun. Ich weiß, dass Menschen sich in einer familiäreren Atmosphäre oft wohler fühlen, doch es ist mir zurzeit nicht möglich, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Wir können gerne einen Termin für ein dienstliches Gespräch vereinbaren, falls Sie ein Bedürfnis danach haben.“

Wie zuvor bei Kirk war es ein Schuss ins Blaue, und wie bei Kirk lag er daneben – entweder das, oder keiner der beiden war so ehrlich zu ihm, wie er es hätten sein sollen.

„Was? Oh, nein, es gibt nichts, das ich Ihnen berichten müsste. Ich dachte nur, wenn Sie noch nicht gefrühstückt haben und, also ... Ich dachte, dass es nett wäre, mal gemeinsam ... ja.“

Längst hatten Spocks Augenbrauen ihren vertrauten Platz hoch oben an seiner Stirn eingenommen. Die Tiefen der Unlogik, in die sich seine menschlichen Kameraden an diesem Morgen begaben, entlockten selbst ihm erste Anflüge von Erstaunen. Es hatte keinen Grund für Kirk gegeben, sich derart ... besitzergreifend, ja, das war das richtige Wort, zu verhalten, und es gab keinen Grund für Chekov, ihm gegenüber so nervös zu sein, trotz seiner ungewöhnlichen Anfrage. Keinen Grund außer ... Eine Vermutung drängte sich in Spocks Unterbewusstsein, aber er schob sie zurück. Er musste erst weitere Beweise sammeln, um sicher zu sein.

„Fähnrich, Ihr Sprachmuster weist darauf hin, dass Sie mehr beschäftigt, als Sie zugeben“, bemerkte er, eine einfache Beobachtung, zu der jeder Anfänger in einem interspezifischen Kommunikationskurs fähig gewesen wäre.

Chekov lief rot an, eine weitere faszinierende Gewohnheit nervöser Menschen. „Nein, nein, es ist nichts, wirklich. Tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe, Mr Spock“, murmelte er mit noch deutlicher als sonst ausgeprägtem Akzent – und damit ließ er ihn stehen, mit immer noch erhobenen Augenbrauen und dem Gedanken, dass dieser Tag auf unerwünschte Weise interessant werden könnte.

Doch, Menschen waren immer wieder für eine Überraschung gut. Er wünschte nur, er wüsste, ob die Überraschung positiver oder negativer Art war.
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