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XIV Die Geraniendyspnoe

von Racussa

Die Strafpredigt

Icheb zog noch einmal an den Ärmeln seiner Unform, bevor er an die Glastüre klopfte.

Mit leisem Zischen schob diese sich zur Seite und ließ ihn in das Vorzimmer ein, wo eine Bolianerin wichtige Notizen tippte.

Sie blickte kurz auf und nickte: „Icheb, der brunqalische Gaststudent?“

„Brunalisch, Mylady.“, korrigierte Icheb.

Die gelangweilte Bolianerin deutete auf die halbgeöffnete Türe zum Büro. „Ja, ja, wer soll sich alle diese Spezies aus dem Deltaquadranten merken? Wir werden sowieso lange keinen mehr von Ihnen sehen. Gehen Sie hinein, die Oberregeneratorin wartet schon darauf. Ich habe ihr sogar extra ein neues Lineal gebracht.“

Icheb verstand den letzten Satz nicht, aber die Bolianerin widmete sich wieder ihrem Text. So trat der Brunali durch die Tütre in das Büro der Universitätsoberregeneratrix. Viele Pflanzen schmückten die dem Eingang gegenüberliegende Wand. Icheb meinte, besonders den Duft einer klingonischen Blutpflanze und einer xindischen Honignelke zu riechen.

Grace Musso wartete mit dem Rücken zu ihm vor dem Panoramafenster, das einen Blick über den Akademiepark bot.

„Ich bin sehr enttäuscht.“

Icheb schwieg zu dieser Aussage. Nach langen Minuten drehte die Oberregeneratorin sich um. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine Disziplinarstrafe über jemanden verhängen müsste, der sich so für Pflanzen engagiert hat. Es stimmt mich traurig, denn das ist mir in meiner vierzigjährigen Dienstzeit noch nie passiert. Icheb, kannst du dir vorstellen, was das für mich bedeutet?“

Icheb überlegte: „Dass es das erste Mal in ihrer Dienstzeit ist?“

Ohne Vorwarnung sauste das Lineal auf den Schreibtisch nieder, der Musso und Icheb trennte. „Nein, du Ex-Drohne. Es fühlt sich in meinem Herzen an, als würden Wasserlinsen in einer vulkanischen Wüste ausgelegt oder Schneeglöckchen in andorianischem Eis erfroren oder Schweinsohren in Palmöl statt in Schmalz frittiert. Verstehst du das?“

Icheb schüttelte den Kopf: „Da die genannten Pflanzen nicht auf Vulkan oder Andoria vorkommen, können sie einen solchen klimatischen und für sie sicher tödlichen Schock nicht erleiden. Das Beispiel mit dem Palmöl scheint eher auf die Kongruenz von tierischen Produkten in Herkunft und Zubereitung abzuzielen, denn Palmöl verhält sich zu Schweinsohren nicht anders als zu Auberginen oder Tofuschnitzeln.“

Grace blinzelte. „Du verstehst es also nicht. Gut, dann werde ich es dir erklären: Du hast mutwillig Pflanzen gekränkt in der Aula. Und ich werde dieses Vergehen angemessen bestrafen. Pflanzen sind unsere Kameraden, sie erwarten unsere Fürsorge und Liebe, unsere bedingungslose Hingabe, unser heißes Begehren und unsere kühle Bewässerung. Pflanzen sind alles!“

Ihr Ton hatte sich bis zur Hysterie gesteigert. Nun ging sie langsam um den Schreibtisch herum zur Blumenwand und streichelte zärtlich eine Strelitzie.

„Icheb, warum hast du Menschen über Pflanzen gestellt?“

„Herrin, ich verstehe die Frage nicht. Wo hätte ich das getan? Jono ist nach seiner eigenen Entscheidung ein Talarianer, genauso wie seine Freunde.“

Bevor Miss Musso antworten konnte, hob Icheb die Hand und klopfte sich an die Stirn: „Nein, falsch, ich bin Jonos Freund, die Talarianer sind seine Kameraden, weil sie gemeinsam dem Tod ins Auge geschaut haben, wir hier hingegen nur gemeinsam lernen…und ab und zu Spaß haben. Duncan und Wesley waren nicht involviert, insofern spielen Menschen keine Rolle.“

Grace hob sanft den Kopf einer Distelblüte. „Wenn diese Distel sprechen könnte und sagte, sie fühle sich wie eine caitianische Sandkistenprimel, wäre sie dann eine?“

Grace Lineal schnellte herum und lag an Ichebs Kehle wie ein Henkerschwert. „Überlege gut, was du sagst!“

„Genetisch und phänomenologisch bliebe sie eine Cirsium adjaricum, aber wenn man dem wirren Gedanken sprechender Pflanzen folgt, dann würde ihre Selbstwahrnehmung die einer caitianische Sandkistenprimel sein. Es gäbe also zwei sich überlagernde Realitäten, die einander nicht ausschließen. Wenn sie auf Jono anspielen, so ist er genetisch und morphologisch Jeremiah Rossa, aber psychosozial Jono, Endars Sohn.“

Grace ließ die Distel los und ging wieder hinter den Schreibtisch. Sie setzte sich und legte das Lineal beiseite. „Deine Antwort ist borgologisch korrekt, aber ich sehe es trotzdem anders. Und wenn ich ehrlich bin, nachdem ich die Überwachungsvideos genau studiert habe, bin ich der Meinung, dass du eifersüchtig auf Jonos Beziehung zu seinen Kameraden warst, weil du als einziger Brunal in unserem Quadranten das Gefühl absoluter Einsamkeit verspürst. Die Besatzung der Voyager, die in alle Himmelsrichtung zerstreut an verschiedenen Orten der Föderation Dienst tut, war für dich ein harmonisierendes Habitat, aber jetzt bist du ganz allein und klammerst dich wie eine Schlingpflanze an das chaotische Duo Wesley und Duncan, die dich immer weiter in den Sumpf des schlechten Betragens und der Pflanzenmissachtung ziehen. Und dann hältst du dich wie eine Klette an Jeremiah fest, mit dem du das Zimmer teilst und dessen schräge Aufmerksamkeit deine eigenen Schlagseiten in den Augen eurer Mitstudenten geringer erscheinen lassen. Ihr seid eine Symbiose der Seltsamkeit, die nun durch die Ankunft seiner früheren Kameraden irritiert wird. Und du überlegst noch, ob du dich wie eine Mimose zusammenrollen willst oder wie eine Peitschenpflanze zuschlägst.“

Icheb bewegte sich nicht.

„Habe ich recht?“

Icheb bewegte sich nicht.

Grace lächelte. „Also habe ich recht. Das ist zwar infantil von dir, aber ich verstehe dich. Natürlich habe ich Bewunderung nicht nötig. Zwei Doktorate, ein guter Disziplinierungsposten und ein Gewächshaus voller Pflanzen genügen mir voll auf. Aber du bist nicht so eine robust Konifere wie ich. Daher lautet meine Strafe für die Vergehen gegen die Pflanzen in der Aula wie folgt: Du wirst für jede getötete Pflanze dreißig neue großziehen und in Absprache mit Boothby im Akademiepark auswildern.“

„Jawohl, Ma’am!“, sagte Icheb und wandte sich zur Türe.

„Und du wirst heute nachmittags vom Unterricht freigestellt, um auf Admiral Rossas Gartenparty zu gehen.“

Icheb wandte sich verwundert zurück. „Wie bitte?“

„Ich bestrafe, was du den Pflanzen angetan hast, aber Talarianer sind noch viel schlimmere Pflanzenverächter. Ich will, dass du Jonos Herz gewinnst.“

Icheb schüttelte den Kopf: „Ich denke, Frau Oberregeneratorin, Sie haben da etwas falsch verstanden. Ich habe kein romantisches Interesse an…“

„Du sollst Jono an dich binden, nicht aus romantischen Gründen, das ist irrelevant, sondern um in ihm die Liebe zu Pflanzen zu entzünden. Wenn du mehr Kamerad wirst als es seine grastrampelnden Raufburschen sind, kannst du ihm durch Fürsorge und Vorbild einen Weg in das Herz der Natur bahnen. Wenn du willst, gebe ich dir pflanzliche Gifte mit, mit denen du ihn vergiften und dann retten kannst. Oder du überlegst dir einen Angriff der Triffids oder Killererbsen oder etwas anderes. Rette Jonos Leben zwei Mal, einmal vor einer tödlichen Gefahr, einmal philosophisch, indem du ihn den botanischen Pfad entlang führst. Nur so beweist du dir und mir und der Akademie und dem Universum, dass Brunali nicht nur Freunde der Pflanzen sind, sondern echte Kameraden, die sich durch nichts abschrecken lassen, um in der Not beizustehen, und in der Freude teilzuhaben. Und vergiss niemals: Irgendwann werden deine Organe und deine Implantate auch zu Humus für die nächste Generation von Pflanzen. Orientiere dich an dieser Ewigkeit, dann wirst du immer das Richtige tun! Und jetzt wegtreten!“
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